Stützt die Bibel die Auffassung, es gäbe Einhörner, da sie in einigen Bibelübersetzungen erwähnt werden? Die Allioli- Bibel, die Lutherbibel von 1545 und andere Übersetzungen sprechen von Einhörnern. Moderne Übersetzungen hingegen, die den hebräischen Text genau wiedergeben, tun das nicht (Psalm 22:21; 29:6; 92:10 [21:22; 28:6; 91:11, Al ; 22:22; 29:6; 92:11, Lu ]). Im Lauf der Jahrhunderte sind viele Mythen über ein Tier entstanden, dessen Körper und Kopf denen eines Pferdes gleichen, das aber die Beine eines Rehs und einen Löwenschwanz hat. Das vielleicht auffallendste Merkmal dieses legendären Geschöpfs ist ein einzelnes, schraubenförmig gedrehtes Horn auf der Stirn. "Man glaubte einst, das Horn eines Einhorns enthalte ein Mittel gegen Gift, und im Mittelalter wurden angeblich aus Einhörnern hergestellte Pulver für schwindelerregende Summen verkauft. Wie die meisten Gelehrten annehmen, entstand die Vorstellung eines Einhorns aus mündlich überlieferten Berichten in Europa über das Nashorn" (The World Book Encyclopedia) . Auf gewissen assyrischen und babylonischen Bauten sind Darstellungen einhörniger Tiere zu sehen. Man ist heute der Auffassung, daß es sich dabei um im Profil abgebildete Hirsche, Steinböcke, Kühe und Stiere handelt, weshalb nur ein Horn zu sehen ist. Für jemand, der die Bibel studiert, ist dies insofern von Interesse, als in der Heiligen Schrift mit dem hebräischen Wort re´ém neunmal auf ein bestimmtes Tier Bezug genommen wird (4.Mose 23:22; 24:8; 5.Mose 33:17; Hiob 39:9, 10; Psalm 22:21; 29:6; 92:10; Jesaja 34:7). Bibelübersetzer waren lange im ungewissen, welches Tier damit gemeint sein könnte. In der griechischen Septuaginta wurde re´ém mit "Einhorn" wiedergegeben. Die lateinische Vulgata übersetzt es oft mit "Nashorn". Andere Übersetzungen verwenden "Wildstier", "Wildochse", "Büffel" oder "Wisent". Zunz transliteriert das hebräische Wort einfach als "Reëm" ins Deutsche und läßt den Leser damit im ungewissen. Die Verwirrung über die Identität des re´ém ist indes in jüngerer Zeit durch Gelehrte weitgehend beseitigt worden. Die Lexikographen Ludwig Koehler und Walter Baumgartner zeigen, daß damit der "Wildstier" mit der wissenschaftlichen Bezeichnung Bos primigenius gemeint ist. Dabei handelt es sich um eine Unterfamilie der "großen Familie der Hornträger". Die New Encyclopædia Britannica erklärt: Die Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift gibt daher re´ém konsequent und korrekt mit "Wildstier" wieder. Der Auerochse ist offenbar im 17.Jahrhundert ausgestorben, doch ist die Wissenschaft zu dem Schluß gekommen, daß er ganz anders aussah als das Einhorn der Legende. Der frühzeitliche Auerochse hatte eine Schulterhöhe von etwa 1,80 Meter und war 3 Meter lang. Er konnte um die 1000 Kilogramm wiegen, und jedes seiner beiden Hörner konnte bis zu 80 Zentimeter lang werden. Das paßt gut auf den in der Bibel erwähnten re´ém oder Wildstier. Er zeichnete sich durch Stärke und Unbezähmbarkeit aus (Hiob 39:10, 11) sowie durch seine Schnelligkeit (4.Mose 23:22; 24:8). Offensichtlich besaß er im Gegensatz zum legendären Einhorn zwei Hörner. Moses bezog sich auf die Hörner als Veranschaulichung dafür, daß aus den zwei Söhnen Josephs zwei mächtige Stämme hervorgehen würden (5.Mose 33:17). Die Bibel stützt also nicht die auf Legenden beruhende Vorstellung von Einhörnern. Sie zeichnet ein zwar begrenztes, aber korrektes Bild von dem gewaltigen und furchteinflößenden Auerochsen oder Wildstier, den es in biblischen Zeiten und bis in die jüngere Vergangenheit gab. Professor Paul Haupt erklärt: "In mittelalterlichen Sammlungen wurden Hörner des Nashorns oder Stoßzähne von Narwalen (die auch Einhornwale heißen) als Hörner eines Einhorns ausgegeben." Quelle: Mit freundlicher Unterstützung von Karlo Vegelahn |