Vorher – nachher
Der »Sachsenstein« unweit von Bad Sachsa in Niedersachsen, eine natürliche Gipssteilwand; und (unten) der Gipssteinbruch am Kohnstein bei Nordhausen in Thüringen.

Bedrohte Natur

Raubbau am Gipskarst

Im südlichen Harzvorland liegt ein weithin unbekannter und geologisch einzigartiger Naturraum von herausragender Schönheit und internationaler Bedeutung: die Gipskarstlandschaft Südharz.

Bei uns geht die Erde unter...«, rief Frau Schneider, um ihre Nachbarn zu warnen. Im März 1984 tut sich in der Ortschaft Uftrungen in Sachsen-Anhalt ein Loch im Boden auf. Mehrere Gartenzäune, eine Garage und ein Hühnerstall versinken darin. Menschen kommen glücklicherweise nicht zu Schaden.
Der Einbruch unterirdischer Hohlräume ist in Karstlandschaften keine Seltenheit. Karst entsteht überall dort, wo lösungsfähige Gesteine wie Kalk, Dolomit und Gips an die Oberfläche dringen und der Kraft des Wassers ausgesetzt sind. Durch Risse und Klüfte dringt das Wasser in den Gesteinskörper ein und höhlt ihn aus. Im Unterschied zur Schwäbischen und Fränkischen Alb herrscht im Südharz nicht Kalk oder Dolomitgestein vor, sondern Gipsgestein. Da Gips etwa einhundert mal leichter löslich ist als Kalk, laufen geologische Prozesse in Gipslandschaften besonders rasch ab.


Stephan Röhl (4)

Die Schmelzwässer der letzten Eiszeit haben der Gipskarstlandschaft Südharz ihr einzigartiges Gepräge gegeben. Heute verändert vor allem das Wasser der vielen Bäche aus dem Harz die Gipslandschaft. Bäche verschwinden unvermittelt zwischen Felsklüften, fließen unterirdisch weiter, um als Karstquelle an anderer Stelle wieder hervorzutreten. Ganze Seen können plötzlich trockenfallen, große Felspartien rutschen mitsamt Bäumen in die Tiefe. Durch den Einbruch unterirdischer Höhlen und Kluftsysteme entsteht an der Erdoberfläche ein stark bewegtes Relief aus Erdfällen, Dolinen, Karsttälern, Steilhängen und Felsen.
Durch die Vielfalt der Karstphänomene ist das Gelände oft unwegsam, was dem Wirtschaften des Menschen seit Jahrhunderten enge Grenzen setzt. Wälder und Wiesen konnten nur extensiv genutzt werden, die Landschaft prägten naturnahe Buchenwälder. Teilweise sind – als Reste mittelalterlicher Waldnutzung – noch Nieder- und Mittelwälder erhalten. Durch die Jahrhunderte lange Beweidung mit Schafen und Ziegen entstanden auf den Gips-Kuppen und -Buckeln artenreiche Magerrasen. Der Karst ist bis heute ein Mosaik unterschiedlichster Lebensräume.
Die Gipskarstlandschaft Südharz erstreckt sich als schmaler Gürtel von 100 Kilometern Länge von Osterode in Niedersachsen über Nordthüringen bis nach Pölsfeld in Sachsen-Anhalt. Ein Gipskarst dieser Ausdehnung und unter den speziellen Klimabedingungen – zwischen atlantisch-feucht und kontinental-trocken – ist einzigartig. Allein in den Magerrasen des thüringischen Karstes wachsen 419 verschiedene Pflanzen, 106 Arten gelten als gefährdet. Auf dem Hopfenberg, einem großen Magerrasen in der Rüdigsdorfer Schweiz bei Nordhausen, kommen über 400 verschiedene Großschmetterlinge vor!
Im Südharz treffen die Verbreitungsgebiete kontinentaler Steppenpflanzen (wie Dänischer Tragant und Grauscheidiges Federgras) mit mediterranen Arten (wie Nadelröschen, Berg-Gamander) und eurasiatischsubatlantischen Pflanzen (Hirschzunge, Dorniger Schildfarn) aufeinander. Dazu gesellen sich »Eiszeitrelikte«, also Pflanzen, die im Zuge der nacheiszeitlichen Erwärmung nur an kühlen, nordexponierten Felswänden überleben konnten, wie Glattes Brillenschötchen und Kriechendes Gipskraut.
Am Grund der zahlreichen Erdfälle und Dolinen herrscht das ganze Jahr über ein kühles, schattiges und feuchtes Kleinklima. Hier gedeihen auf dem nackten Gipsgestein üppige Moospolster, Flechten und seltene Farne. Wassergefüllte Erdfälle, Bachauenwälder, Erlenbrüche und Quellsümpfe sind wichtige Lebensräume für Amphibien. Im Südharz kommen Uhu, Kolkrabe, Schwarzstorch, Waldschnepfe und sogar die Wildkatze vor. Zahlreiche bedrohte Fledermausarten haben hier ihr Sommer- und Winterquartier.
Das touristische Marketing vieler Südharzgemeinden ist entweder auf den »eigentlichen« Harz ausgerichtet oder noch gar nicht vorhanden. Der sanfte Tourismus aber ist für die Region ein enormes Potenzial, zumal ein länderübergreifendes Unesco-Biosphärenreservat seit über zehn Jahren in der Diskussion ist.

Feuersalamander finden in dem Gipskarst ideale Lebensbedingungen.

Bild unten: Flechten (hier Peltigera spec.) am Grunde eines tiefen Erdfalles.

Doch statt den Schutz oder die sanfte Nutzung des Gipskarstes voranzutreiben, begehen die Länder Niedersachsen und Thüringen seit Jahrzehnten Raubbau an dem weltweit einmaligen Naturerbe. In Niedersachsen ist bereits die Hälfte dieser Landschaft zerstört.
Der Abbau ganzer Gipsberge schreitet ungehemmt voran, nicht zuletzt dank des massiven Einflusses der Gipsindustrie auf allen Ebenen von Politik und Verwaltung. Als einziges Bundesland plant Sachsen-Anhalt ein Biosphärenreservat und hat 5000 Hektar Naturschutzgebiete und 12000 Hektar FFH-Gebiete im Gipskarst ausgewiesen. In Niedersachsen sind nur 1000 Hektar Karst geschützt.
Dabei ist der Naturgipsabbau volkswirtschaftlich unnötig. Der Baustoff Naturgips könnte vollständig durch REA-Gipse aus der Entschwefelung der Kraftwerke ersetzt werden. Millionen Tonnen hochreiner REA-Gipse liegen bereits auf Halde und werden z.T. sogar kostenlos abgegeben. Der Untertage-Abbau so genannter Muschelkalkgipse wird ebenfalls bereits praktiziert. Während der aber oft teurer ist als der oberirdische Gipsabbau, scheitert die Umstellung auf REAGipse an fehlender Innovationsbereitschaft der Firmen und an Flächenspekulationen beim Naturgipsabbau.
Trotz der stark rückläufigen Baukonjunktur und dem Verlust fast aller kleinen und mittelständischen Gipsfirmen im Südharz beantragen multinationale Konzerne unentwegt neue Abbaugebiete. So wollen »Börgardts-BPB« und »Heidelberger Zement« in der Rüdigsdorfer Schweiz 100 Hektar Natur zerstören, obwohl beide Firmen bereits genehmigte Abbauflächen kaufen könnten, die für über 100 Jahre Gipsvorräte bieten.

Ursula Schäfer/Stephan Röhl

Ursula Schäfer und Stephan Röhl sind Biologen und engagieren sich seit Jahren verbandsübergreifend für den Erhalt der Gipskarstlandschaft.

Hilfe tut not

Vor Ort leistet der BUND zusammen mit anderen Naturschutzverbänden, dem »Arbeitskreis Gipskarst« und vielen Kommunen starken Widerstand.
Mit Protestbriefen, Menschenketten, Presseveranstaltungen und Gesprächen in den Gremien der Landespolitik versuchen wir gegen den Raubbau anzugehen. Unterstützen Sie uns bei Aktionen zum Erhalt dieser in Europa einmaligen Landschaft, ob durch eine Spende, Protestbriefe oder Unterschriftensammlungen.

Kontakt: BUND Thüringen, Tel. 03 61/5 55 03-10, www.naturschatz.org/gips,
www.natur-ansichten.de, www.karstwanderweg.de; BUND-Spendenkonto:
Sparkasse Erfurt, Stichwort »Gipskarst«, Konto 366 370 88, BLZ 820 542 22.
Infos erteilt auch der BUND Niedersachsen, Tel. 05 11/96569-0.

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