Das Engelglöcklein

Geht man von Osterode nach Harzburg, so liegt hinter der Aschenhütte ein Berg, dessen Fuß die Sieber bespült und der der Hausberg genannt wird. Auf diesem Berge soll vor langen Jahren ein Nonnenkloster gestanden haben, das recht fest gebaut war, so daß es nicht leicht gewesen ist, dasselbe zu überrumpeln. Einst kommt aber eine wilde Kriegerschaar da durch und will in diesem Kloster Quartier nehmen. Die rohen Soldaten wollten nicht blos das Kloster plündern, sondern auch die Nonnen mißhandeln. Als sie jedoch vor das Thor kommen, ist dasselbe zu, und keine Gewalt im Stande, das Kloster einzunehmen und hineinzukommen. Die Krieger legten sich auf die Lauer, umzingelten das Kloster und wollten die Nonnen durch Hunger und Durst zwingen, die Thore zu öffnen. In der großen Noth eilen nun die Nonnen mit sammt der Aebtissin in die Kapelle, werfen sich vor dem Altare auf die Kniee nieder und bitten Gott, er möge sie vor Schimpf und Schande bewahren, er möge ihnen Mittel und Wege zeigen, wie sie dem Unglück entrinnen könnten. Als sie so in Thränen gebadet beten, kommt eine Taube zum Fenster herein, fliegt auf den Altar, setzt ein kleines Körbchen darauf und fliegt wieder fort. Das sehen alle Nonnen, die Aebtissin tritt vor den Altar, öffnet das Körbchen und siehe, es liegen zwei Glöcklein darin, ein goldnes und ein silbernes. Nun nimmt die Aebtissin das goldene Glöcklein und läutet, es hat einen wunderbar schönen Ton gehabt, und augenblicklich tritt ein Engel zu ihr und frägt, was sie von ihm wünsche. Voll Schreck und Freude sagt die Aebtissin, »sie wünsche Schutz gegen ihre Peiniger, die vor dem Kloster lägen.« Der Engel hat ein goldenes Scepter in der Hand, damit berührt er den Boden, der thut sich auf, er geht hinein und sagt, »sie sollten ihm alle folgen.« Das thun sie auch. Der Engel führt sie in eine weite Grotte, die ist mit Hunderten von brennenden Wachskerzen erleuchtet. Auf der einen Seite steht ein Altar, vor dem werfen sich die Nonnen nieder, und danken voll Inbrunst Gott für ihre augenblickliche Rettung. Da ist der Engel verschwunden; dann stehen sie auf und sehen sich in ihrer neuen Behausung um. Da stehen auf der andern Seite der Grotte mehrere gedeckte Tische, das Essen fehlt aber darauf. Auch stehen viele Betten da herum und es fehlt nichts weiter, was sie bedürfen, als Essen und Trinken. Da nimmt die Aebtissin so zufällig das Körbchen mit den Glöckchen vor sich und läutet mit dem silbernen Glöckchen. In dem Augenblicke sind wieder zwei Engelein da und fragen, was die Aebtissin wünsche; die wünscht Essen und Trinken für sich und ihre Nonnen zu haben; da trägt der eine Engel die schönsten Speisen, und der andere die feinsten Getränke auf den Tisch, dann sind die Engel wieder verschwunden. So geht's sieben Tage und die Soldaten vor dem Kloster warten vergebens, daß die Thore geöffnet werden. Aus Aerger und Verdruß werfen sie Feuerbrände in die Klostergebäude, die Engel löschen sie aber wieder aus; sie laufen Sturm, müssen aber immer unverrichteter Sache wieder zurück. Kurz sie sind gezwungen, trocken abzuziehen, denn sie haben eingestehen müssen, daß Gott selbst die Nonnen beschützt. Als nun die rohen Horden wieder abgezogen sind, kommen die Nonnen wieder aus ihrem Versteck hervor und danken alle Gott in der Kapelle. Später sind jedoch die Nonnen da weggegangen, und das Kloster ist zerfallen, der Hausberg steht aber noch.
 

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