Firouz Vladi, Osterode am Harz

Der Lonauer Wasserfall bei Herzberg am Harz

Steil an der Quelle, flacher werdend bis zur Mündung fließt das Wasser vom Bergland ins Meer mit allmählich nachlassendem Gefälle. Dies ergibt, im Längsschnitt gezeichnet, die sog. Flußparabel. Tritt aber ein Wasserfall auf, wie hier an der Mündung der Lonau in die Sieber, liegt eine Unregelmäßigkeit in der Reliefentwicklung vor. Solche Orte lohnen des näheren Studiums. Sie geben uns Aufschluß über die Mechanismen und die Geschichte der Entwicklung unserer Landschaft in der jüngeren geologischen Vergangenheit. Es sind die letzten knapp 500000 Jahre des Eiszeitalters oder Quartärs, eine Zeit, die durch häufigen und starken Wechsel der Klimate geprägt ist: gemäßigt feuchtes Klima wie heute und trockenhaltiges Klima mit tiefgründigem Bodenfrost in den Kaltzeiten. So heißen hier in Südniedersachsen die Eiszeiten, weil dieser Raum zu keiner Zeit vom Eise selbst, d.h. von Gletschern bedeckt war.
 

Wo Täler entstanden
Von Kaltzeit zu Kaltzeit haben sich unsere Flüsse immer tiefer in den Untergrund eingegraben und so allmählich das steile Berglandrelief des Harzes gebildet. Die Eintiefung (Erosion), begünstigt durch starke Frostsprengung der Gesteine am Beginn einer Kaltzeit ging dann über in eine Phase der teilweisen Wiederauffüllung mit Flußkieseln dem Abtragungsschutt höherer Teile des Gebirges. Auf diesen weiten Talschotterebenen stabilisierte sich ein kurvenreicher Flußlauf bis mit der nächsten Kaltzeit die erneute Eintiefung begann. Zumindest drei solcher Ereignisse lassen sich am Harzrand unterscheiden. Sie zeigen sich in den heutigen Talsohlen (Niederterrassen) als Ablagerungen der jüngsten oder Weichsel - Kaltzeit, in Herzberg etwa das Gebiet der Altstadt oder die Aue. Hangaufwärts folgen die verbleibenen Reste der Kiesablagerungen der Saale - Kaltzeit (Mittelterrasse, in Herzberg die Mahnte, und noch höher liegend die Schotter der Elster - Kaltzeit (Oberterrassen); hierzu gehören Heuer, Wahrberg, Papenberg oder Schloß (Abb . 1).

Abb. 1: Schematische Schnittzeichnung des Siebertales bei Herzberg

Die Lonau
Einige Flüsse und Bäche im Harz haben während dieser Ereignisse ihren Lauf verändert. Jeder Herzberger weiß, daß die Sieber noch während der jüngsten geologischen Vergangenheit durch die Aue (B 27) strömte. Auch die Lonau hat ihre Laufstrecke verlegt. Auf dem Heuer, wo jetzt das Krankenhaus steht, fanden sich Flußkiese aus der ersten Kaltzeit, die nach der Gesteinszusammensetzung nur von der Lonau abgelagert sein können. Sie sind ein untrügliches Anzeichen, daß die Mündung von Lonau und Sieber derzeit weiter im Südwesten, vermutlich im heutigen Eichholz, lag. Sehr viel früher verlief die Lonau noch weiter westlich, nämlich von der Ortslage Lonau über den Hägergrund und Mühlenberg nach Hörden.
Wohl schon nach der folgenden Warmzeit hat die Lonau den Talboden am Heuer verlassen. Von Südosten hat die größere Sieber ihren Verlauf immer dichter an das Lonautal heranverlagert. So wurde die Lonau quasi angezapft; sie hat sehr rasch ihr Bett nach Süden in das Gebiet des heutigen Wasserfalls verlegt. Hier, direkt über dem Wasserfall (Abb. 2) finden wir noch Flußkiese der Lonau auf dem Niveau der Mittelterrasse, aus der vorletzten, der Saale - Kaltzeit, etwa 100000 Jahre alt. Die Mündung in die Sieber wird jetzt nurmehr wenige Zehnermeter weiter nach Westen gelegen haben, mit erst nur geringem Gefälle. Das wiederum läßt sich an Relikten von Flußkiesen zeigen, die südlich des Wasserfalls, oben am Hang zur Sieber liegen und Kiese beider Flüsse dicht beieinander aufweisen, mithin also ohne Höhenunterschied. Doch war hier schon der Kieskörper der Sieber weit mächtiger als derjenige der Lonau, die wohl stets auf dem Felsbett verlief. Erst die Eintiefung der Sieber auf ihre heutige Talsohle, also die Ereignisse der letzten, der Weichsel - Kaltzeit führten zur Entstehung des Wasserfalls. Aber was war nun die genaue Ursache?

Abb. 2: Schematische Darstellung zur Entwicklungsgeschichte von Lonau und Sieber

Der Gesteinsuntergrund
Nicht ohne Grund liegt der Lonauer Wasserfall (Abb. 3) exakt an der geologischen Gebirgsgrenze des Harzes. Während Lonau und weiter oberhalb die Sieber noch auf den festen dickbankigen Kulm - Grauwacken des Harzgrundgebirges verlaufen, beginnt hart unterhalb des Wasserfalles die Auflagerung der Zechsteinschichten. Dies sind zwar noch feste, durch das Wasser aber leichter abzutragende ca. 8 m dicke dünnbankige Kalksteine. Sie bilden überall im Harzvorland das unterste Schichtglied der Meeresablagerungen aus der Zechsteinzeit, die wir vorrangig von den weißen Gipsen des Südharzes her kennen.
Nun verläuft die Grenzlinie zwischen Grauwacke und löslichem Kalk gerade so, daß die weicheren Kalksteine gleichsam wie eine Zunge ein wenig weiter in das Siebertal, nicht aber zur Lonau hinaufreichen. So konnte sich die Sieber in diesem Abschnitt zunächst in ihre eigenen Kiesablagerungen, jüngst dann in eben diese Kalkschichten rascher eintiefen, die Lonau konnte mit dem Abtrag ihres Flußbettes nicht Schritt halten. Nach und nach begann schon in der letzten Kaltzeit die Höhendifferenz zuzunehmen, um heute am Wasserfall einen Gefällesprung von über 10 m zu erreichen. Den jüngsten Impuls zur Tiefenerosion ergab die neuzeitliche Sieberbegradigung im Stadtgebiet. Die eigentliche Schlucht, in die der Wasserfall stürzt, verdankt ihre Entstehung einem zwischen den harten Grauwackenbänken eingelagerten weichen Kulm - Tonschiefer, der der Erosion durch das energiereich abstürzende Wasser nicht widerstehen konnte. Bei näherer Betrachtung der Felsen am Wasserfall sind diese Grauwacken nicht grau sondern rötlich gefärbt. Dies ist eine Erscheinung, die sich am Harzrand stets unmittelbar unter der Auflagerung der Zechsteinschichten zeigt. Es ist der Einfluß feuchtheißen Klimas, daß nach Auffaltung des Harzgebirges während der "Rotliegend" - Zeit, kurz vor der erneuten Überflutung durch das "Zechstein" - Meer vor ca. 260 Mio. Jahren herschte. Eisenverbindungen wurden bei dieser sog. lateritischen Verwitterung in höheren Bodenschichten gelöst und in darunterliegenden Gesteinsschichten rotgefärbt eingelagert.

Wasserhaushalt
Am Lonauer Wasserfall endet eines der ergiebigsten Abflußgebiete des Harzes. Von 920 mm Niederschlag im Jahr steigen die Mittelwerte bis zu den Hochlagen am Bruchberg auf über 1500 mm rasch an. Das steile Relief in beiden Tälern, vor allem an den Abhängen des Acker - Bruchberges führt zu extremen Abflußschwankungen, an der Lonau im Monatsmittel zwischen 0,04 (Juli 1934) und 3,03 (Januar 1438) Mio. m3. Nach der Schneeschmelze und bei länger anhaltenden Starkregen ist ein Besuch des Wasserfalles besonders eindrucksvoll. Die Abflüsse von Lonau und Sieber wurden bzw. werden von den Harzwasserwerken seit 1930 bzw. 1941 gemessen. Aus dem 69 km2 großen Einzugsgebiet der Sieber fließen im Jahresmittel 62 Mio. m3 Wasser am Pegel Herzberg (unmittelbar vor dem Wasserfall) ab, das entspricht einem mittleren Ablauf von 2 m3 in der Sekunde. Am ehemaligen, oberhalb gelegenen Pegel der Lonau flossen aus einem Einzugsgebiet von 13,8 km2 im Jahresmittel nur 10,1 Mio. m3 ab, entsprechend 0,32 m3 in der Sekunde.

Naturschutz und Erschließung
Der Lonauer Wasserfall ist der einzige natürliche Wasserfall im Westharz. Als Einzelschöpfung der Natur ist der Wasserfall mit seiner Umgebung durch Naturdenkmalverordnung geschützt. Schluchtwaldartiges Mikroklima begünstigt den Pflanzenwuchs, oberhalb stocken als Denkmale früherer Waldbewirtschaftung Schneitelhainbuchen . Der Zustand des Areals ist noch naturnah und doch behutsam erschlossen.
Zu erreichen ist der Wasserfall am besten von oben; dort wo an der schmalen Lonaubrücke die Landesstraße nach Sieber von der Kreisstraße nach Lonau abzweigt. Halt und Parken an einer Litfaßsäule. Ein kurzer, beschilderter Wanderweg mit Treppe und Aussichtspunkt führt bis zur Siebermündung und von dort in die Stadt herab. Dieser Weg ist Teil des 62 km langen Karstwanderweges zwischen Osterode und Walkenried. Am Wasserfall verbietet sich das Herumklettem an feuchten Felsen von selbst, besonders, wenn man den im Eispanzer glänzenden Wasserfall im späten Winter bei Sonnenschein und längerem starken Frost aufsucht (Abb. 3), dem wohl eindruckvollsten Naturschauspiel am Südharz.

Abb. 3: Der Lonauer Wasserfall im Winter (Frühjahr 1985)

Literatur:

Haase, H., M. Schmidt, J. Lenz: Der Wasserhaushalt des Westharzes (96 S., zahlr. Tab.; Göttingen (Wurm KG) 1970)

Hövermann, J.: Morphologische Untersuchungen im Mittelharz; Gött. Geogr. Abh., 2, 180 S. (Göttingen 1949)

Ricken, W.: Quartäre Klimaphasen und Subrosion als Faktoren der Bildung von Kies-Terrassen im südwestlichen Harzvorland; Eiszeitalter u. Gegenwart, S. 109-136 (Hannover 1982).

Vladi, F.: Quartärgeologische Untersuchungen zu den Terrassen der Sieber am Südwestrande des Harzes (109 S.; Hamburg 1976)

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