ein quartärwissenschaftliches Kleinod im Südharz von R. Nielbock Einleitung Forschungsgeschichte Mitte des 19. Jahrhunderts begann die neuzeitliche, wissenschaftliche Erforschung der Einhornhöhle. Zwischen 1872 und 1907 führten u. a. R. Virchow, Struckmann, v. Alten, Windhausen und Favreau Grabungen in der Höhle durch. Sie wollten vor allem feststellen, bis in welche Zeit die menschliche Besiedlung in der Höhle zurückreicht und die gleichzeitige Anwesenheit von Mensch und Bär nachweisen. Vor allem in der »Blauen Grotte« wurden dabei Artefakte und menschliche Knochen des Neolithikums, der Bronze- und Eisenzeit ausgegraben. Jakob-Friesen setzte 1925/26 die Erforschung der Einhornhöhle umfangreich fort. Im Zusammenhang mit den o. g. Fragestellungen wollte er vor allem nach alten Ausgängen suchen. Der erhoffte Nachweis des »diluvialen Menschen« gelang bei all diesen Grabungen allerdings nicht. In neuerer Zeit wurden in den Jahren 1956 - 1959 von Meischner und 1968 von Duphorn kleinere paläontologische bzw. geologisch orientierte Grabungen durchgeführt. Duphorn unterlief dabei eine teilweise gravierende Fehlinterpretation der geologischen und stratigraphischen Gegebenheiten vor Ort. Rein paläontologische Arbeiten zur Einhornhöhle lagen bislang von Rode (1935), der Funde auch aus dieser Höhle in seine Bären-Monographie einbezog, und von Schütt (1968) vor, die vor allem biometrische Messungen an Bärenknochen und -zähnen durchführte. Viele der früheren Grabungen wurden einerseits von fachlichen Laien oder aber »Universalforschern« durchgeführt, die verschiedenste Wissenschaftszweige abdeckten; auch erlaubte verständlicherweise der jeweilige Stand der Forschung keine Resultate heutiger Prägung. Ergebnisse der einzelnen Grabungen sind oftmals nicht korrelierbar, zudem entbehren etliche der früheren Fossilfunde exakter Fundpunkt- und Schichtzuweisungen. Anhand von einigen Beispielen soll hier zudem aufgezeigt werden, wie unterschiedlich die wissenschaftliche Beurteilung der Befunde war. Bereits anfangs dieses Jahrhunderts hatten einige Erforscher der Einhornhöhle wichtige Erkenntnisse gewonnen, die allerdings später verworfen wurden. So ordneten Windhausen und Hahne schon 1908 die Schichten mit Bärenfauna dem letzten Interglazial zu. Hangende Bänderschluffe (Dolomitaschen) wurden entsprechend als jüngere Sedimentbildung angesehen. Windhausen folgerte auch richtig, nachdem er Flußkiese im Liegenden der Bärenschichten ergraben hatte, daß es ältere Zugänge südlich und nordöstlich der in unserer Zeit bekannten Höhle geben muß. Duphorn (1969) stellte dagegen auch aus stratigraphischen Erwägungen die Bärenfaunaschichten über den Flußkiesen mit diesen zusammen in die Cromer-Warmzeit. Die Kiesablagerungen hielt er - nur auf den Weißen Saal im Nordosten der Höhle beschränkt - für eine Art Flußschlinge der »Ur- « Oder, einem nahen heutigen Fluß, der die Ortschaft Scharzfeld durchfließt. Die hangenden Dolomitasche-Schichten wurden von Duphorn und auch von Vladi (1984) als elsterzeitlich eingestuft. Einfache Schrumpfungs- und Trockenrisse in diesen und auch anderen Sedimenten wurden von beiden als »synsedimentäre Eiskeile« interpretiert. Auch die bisherige Faunen-Bearbeitung ergab unterschiedliche Ergebnisse. Während Rode den Bären aus der Einhornhöhle für eine eigenständige Rasse hielt und ihr den Namen Ursus spelaeus var. hercynica gab, stellte Schütt, ohne eine genaue Schichtzugehörigkeit berücksichtigen zu können (sie bearbeitete nur museales Material ohne Neugrabung), diese Bärenfunde zusammen mit einer Begleitfauna ins Cromer. Die Einhornhöhlenbären selbst gehören nach Schütt der Art Ursus deningeri an. Neue Forschungen Die Grabungen der letzten Jahre ergaben eine Fülle an neuen, teilweise sogar überregional bedeutenden Erkenntnissen über die Einhornhöhle, ihre Sedimentfüllung und ihre pleistozänen Bewohner. Bohrungen/ Speläologie Mit den Peilstangenbohrungen konnten die bereits Windhausen bekannten Flußkiese auf einer Länge von über 200 m und einer Mächtigkeit von teilweise bis zu 5 m vom NE-Ende der Einhornhöhle (Hubertusgang) bis in die Leibnizhalle hinein nachgewiesen werden. Bei den Grabungen im Weißen Saal (1985) wurde auch in die oberen Bereiche der Flußschotter hinein gegraben. Anhand der Schichtung, Sortierung und Einregelung zeigte sich, daß ein ehemaliges Gewässer als Art Schlammstrom die Höhle von NE nach SW durchflossen hat. Die Datierung dieser Ereignisse ist noch völlig offen, sie müssen aber auf jeden Fall mehr als 100 000 Jahre zurückliegen (s. u.). Unter Anwendung dieses Bohrverfahrens konnte der Verfasser dann zu Beginn der Grabung 1987/88 auch relativ schnell einen der schon von Virchow (1872), Jacob-Friesen (1925) und weiteren Forschern bislang vergeblich gesuchten ursprünglichen Eingänge der Höhle in östlicher Verlängerung des Jacob-Friesen-Ganges nachweisen. Durch diese Übertage-Bohrungen und einige im Gang angesetzte Bohrungen zeigte sich auch hier, daß der uns heute bekannte Hohlraum Jacob-Friesen-Gang, der künstlich auf ca. einen Meter Breite ins anstehende Sediment gegraben worden war, Teil eines riesigen Höhlengewölbes und -portals ist. Im jetzt wieder entdeckten, schon seit Jahrtausenden verschütteten Eingangsbereich konnte durch die Bohrungen (nachfolgende Außengrabungen ergaben gleiche Schichtung wie im Gang) bislang eine Sedimentmächtigkeit und damit Portaldachhöhe von über 10 m nachgewiesen werden. Insgesamt lassen die mit doch relativ wenig Aufwand durchgeführten Bohrungen die Morphologie der Einhornhöhle im Inneren des Dolomitmassives der Brandköpfe, das sich nun als ein großporiger »Schweizer Käse« entpuppt, unter ganz neuem Licht erscheinen. Die uns bekannte Höhle mit einem Deckeneinsturz als einzigem natürlichen Zugang ist nur Teil eines wesentlich größeren Höhlensystems mit längst verschütteten Eingängen, die wir in Verlängerung der Hauptkluftrichtungen suchen müssen. Unter Einbeziehung weiterer Ergebnisse (vor allem der Lagerungsverhältnisse der Flußkiese) ergibt sich die Möglichkeit eines alten Einganges ca. 500 m von der Höhle entfernt am Fuße der sogenannten Rottsteinklippen. Auch die Kaiserklippenhöhle, eine in ihrem heutigen Erscheinungsbild niedrige Kleinsthöhle mit einer Gesamtstreckenlänge von nur 10 m und einer Raumhöhe von maximal 1 m, ist mit großer Wahrscheinlichkeit Teil des Großsystems unter den Brandköpfen. Peilstangenbohrungen im Eingangsbereich (1985) wiesen Sedimentmächtigkeiten von über 4 m nach. Die Höhle befindet sich am Fuß der Kaiserklippe, einem Felssporn am SE-Ende des Dolomitplateaus der Brandköpfe, und ist Luftlinie nur ca. 60 m von der von-Alten-Kapelle der Einhornhöhle entfernt in Verlängerung eines kleinen Nebenganges. Paläontologie / Archäologie
Das Hauptinteresse der weiteren Grabungsaktivitäten galt dem Jacob- Friesen- Gang. In ihm wurden 1985 bereits beim Anlegen eines ersten Probe- Suchschnittes neben einer reichen Bärenfauna mehrere Artefakte geborgen, neben 3 Abschlägen ein Levallois- Abschlagkern. Dieser Artefakttyp wird dem Mittelpaläolithikum zugeordnet, eine Sensation für die Einhornhöhle! Erstmals gelang der seit langem erhoffte Nachweis einer pleistozänen Begehung der Einhornhöhle. Jacob-Friesen hatte 1925 beim Ergraben dieses Ganges auf über 30 m Ganglänge »nur« 2 Bärenreste gefunden (was allerdings sicher auch an der groben Grabungsmethode lag). Nach diesen Artefakt-Erstfunden wurden in den Jahren 1986 1988 vier verschiedene Grabungsstellen mit insgesamt ca. 8 m² Grundfläche geöffnet. Neben einer Pleistozän-Fauna kamen hier weitere Artefakte zutage. Auffällig ist dabei ein hohes Aufkommen an kleinen und kleinsten scharfkantigen Abschlägen und Absplissen. Dies zeigt an, daß Artefakte im Bereich des Jacob-Friesen-Ganges selbst oder des heute verschütteten nahen Höhlenportales hergestellt wurden, da auch nach nur kurzem Transportweg ein derartiger Erhaltungszustand nicht mehr gegeben ist. Rekonstruiert man die damalige Lauffläche und die Felsöffnung, so bedeutet dies, daß der Jacob-Friesen-Gang im Bereich der Grabungsstellen zur damaligen Zeit im Tageslichtbereich lag. Aufgrund der bislang bearbeiteten Fauna der artefaktführenden Schichten und der bisherigen Ergebnisse von Absolutdatierungen können wir momentan das Folgende zur zeitlichen Einstufung der Artefakte innerhalb des Mittelpaläolithikums sagen: Die Fauna setzt sich überwiegend aus Ursus spelaeus (über 90 %) zusammen, bei den Kleinsäugern überwiegend in hangenden Schichtbereichen zunächst Vertreter feucht-kühler Klimate. In liegenden Schichten kommen Waldformen wie Clerhrionomys glareolus hinzu. Die Faunenzusammensetzung liegt im Bereich zwischen Spätsaale, Eem und Frühweichsel. Mehrere Absolutdatierungen in diesen Schichten zeigen bislang Daten zwischen 60 000 und 170 000 b.p. an. Der Mensch, der sich damals in der Höhle aufhielt, gehört somit aller Wahrscheinlichkeit nach einer der Entwicklungsstufen des Neandertalers an. Einhornhöhle / Harz.Ursus spelaeus Rosenmüller & Heinroth, 1793; obere (p4) und untere (P4) Prämolaren mit deutlich unterschiedlichem Evolutionsniveau Bei jetzt über 2 m Gesamtprofilhöhe im Gang ergibt sich folgendes Standardprofil für den Jacob-Friesen-Gang (vom Hangenden ins Liegende):
Fauna Die folgende Übersicht gibt die Funde in gleichalt eingestuften Sedimentschichten der Höhle an, ohne Berücksichtigung der Lage der einzelnen Grabungsstellen (Grabungen Jacob-Friesen-Gang 1985 - 1988, Weißer Saal 1985, Kellergang 1985): Holozän (frühes Postglazial bis rezent): Pleistozän (Weichsel): Pleistozän (Frühweichsel, Eem): Gestörte Schichtbereiche, alter Grabungsschutt: Außengrabungsstellen: Gegen eine Einstufung der Einhornhöhlenbären in ältere Stufen des Pleistozäns sprechen zudem die Begleitfauna und die Absolutdatierungen: In den Bärenschichten konnten neben Durchläufertypen bislang nur jungpleistozäne Tierarten nachgewiesen werden, darunter erstmals auch viele Kleinsäuger. Mittelpleistozäne Formen fehlen darunter bislang völlig. Alle jetzt durchgeführten Th/U-Datierungen zeigen für die Bärenschichten Werte zwischen 40 000 und 170 000 b.p. an und befinden sich somit in der Zeitstufe Weichsel bis Spätsaale. Auch insitu-Funde von Bärenknochen unmittelbar unter der heutigen Sedimentoberfläche sprechen - gerade in Relation zu der hohen Sedimentmächtigkeit der Höhle - gegen eine Einstufung dieser Funde in die über 500 000 Jahre zurückliegende Cromer-Zeit. |
Ausblick Die Grabungen der letzten Jahre gaben uns zwar einen überaus gewichtigen, aber dennoch nur kleinen Einblick in den erd- und menschheitsgeschichtlichen Werdegang der Einhornhöhle. Durch die neuen Untersuchungen konnten erstmals eine altsteinzeitliche Begehung durch den Menschen und eine artenreiche Begleitfauna des Bären nachgewiesen werden. Zudem erkennen wir erst jetzt die Dimensionen des Gesamthöhlensystems. Die Grabungen 1985 - 1988 zeigen somit deutlich, daß die Erforschung der Einhornhöhle noch nicht abgeschlossen ist. Gerade durch den jetzigen Erkenntnisstand stellen sich neue Fragen der Höhlengenese, zu Paläontologie und Archäologie der Höhle. Auch für begleitende Quartärwissenschaften wie Bodenkunde und Sedimentologie ist diese Höhle ein breites Forschungsreservat. Zu bedenken ist außerdem, daß wir heute noch keinerlei Aussagen über Alter, Fauna und mögliche archäologische Befundlage der tieferen Sedimentschichten treffen können: ein reiches Betätigungsfeld zukünftiger interdisziplinärer Arbeit. Schriftenverzeichnis Hermann, A. & Pfeiffer. D. (Schrlt.; 1969): Der Südharz - seine Geologie, seine Höhlen und Karsterscheinungen. - Jh. Karst u. Höhlenkde., H. 9; München. Jacob-Friesen, K. H. (1926): Die Einhornhöhle bei Scharzfeld. Kreis Osterode a. Harz. - Führer zu urgeschichtlichen Fundstätten Niedersachsens, Nr. 2; Hannover. Kohnke, H.-G., Nielbock, R. & Veil, S. (1988): Mensch und Tier in der Einhornhöhle. - Faltblatt zur Einhornhöhle, hrsg. vom Landkreis Osterode am Harz und dem Niedersächsischen Landesmuseum Hannover. Kohnke, H.-G. (1988): Ausgrabungen und Funde im Landkreis Osterode am Harz 1986/87. - Heimatblätter für den südwestlichen Harzrand. H. 44. S. 106. 114 &123. Nielbock, R. (1987): Holozäne und jungpleistozäne Wirbeltierfaunen der Einhornhöhle/Harz. - Diss. TU Clausthal. Nielbock, R. (1989): Die Tierknochenfunde der Ausgrabungen 1987/1988 in der Einhornhöhle bei Scharzfeld. - Archäolog. Korr.-Blatt, 19; Mainz. Nielbock, R. (1990): Grabungskampagne Einhornhöhle. - In: Ausgrabungen und Funde im Landkreis Osterode am Harz 1988/89; S. 36 - 41. Scheer, A. (1968): Mittelpaläolithische Funde in der Einhornhöhle bei Scharzfeld. - Nachr. Nds. Urgesch., 55, 1 - 39; Hildesheim. Schütt, G. (1968): Die cromerzeitlichen Bären der Einhornhöhle bei Scharzfeld. - Mitt. Geol. Inst. TH Hannover, H. 7; Hannover. Veil, S. (1989): Die archäologisch-geowissenschaftlichen Ausgrabungen 1987/88 in der Einhornhöhle bei Scharzfeld, Ldkr. Osterode am Harz. - Archäolog. Korr.-Blatt, 19; Mainz. Vladi, F. (1984): Führer durch die Einhornhöhle bei Scharzfeld am Südharz. - Herzberg. Wir danken der Schriftleitung der Mitteilungen des Verbandes deutscher Höhlen- und Karstforscher für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag ebenfalls veröffentlichen zu dürfen. Weiterer Nachdruck oder Veröffentlichung bzw. Verbreitung in anderen elektronischen Medien nur mit schriftlicher Genehmigung der Schriftleitung. |