Die geplante aber nie errichtete Siebertalsperre

Bis 1985 wurde von den Harzwasserwerken der Plan verfolgt, das Wasser der Sieber durch eine Talsperre zur Energie- und Trinkwassererzeugung zu nutzen und einen Hochwasserschutz für das südwestliche Harzvorland zu gewährleisten. Unter anderem stand auch eine hohe Staumauer unmittelbar oberhalb der Ortschaft zur Planung. Schlussendlich sorgte ein starker Widerstand der Harzer Bevölkerung dafür, dass diese Pläne nicht weiter verfolgt wurden.
Dass allerdings schon früher Überlegungen angestellt wurden, eine Siebertalsperre zu errichten, ist vielen nicht bekannt. Bereits 1908 wurde laut darüber nachgedacht. Hier eine Abschrift aus einem damaligen Protokoll:
 

Veröffentlichungen
der
Gesellschaft zur Förderung der Wasserwirtschaft im Harze.
Band 9.


Protokoll

der

am 30. Juli 1908 in Bad Harzburg

stattgehabten

III. Generalversammlung

der

Gesellschaft zur Förderung der Wasserwirtschaft im Harze.

S. 53 - 59 [...] Nachdem auf Anregung der Firma Th. D. Lovis Söhne (Heiligenstadt) die Interessenten die nötigen Kosten der Projektierung aufgebracht hatten, legte in einer am 29. Mai 1908 in Sieber stattgefundenen Mitgliederversammlung Herr Forstmeister Kautz (Sieber) nachfolgendes generelle, Projekt einer Siebertalsperre vor, welches allgemeine Anerkennung fand. Nach eingehender Besprechung wurde eine Kommission gewählt, welche unter dem Vorsitze des Herrn Forstmeister Kautz die notwendigen Erhebungen zur Beurteilung der Rentabilitätsfrage anstellen soll. In technischer Hinsicht sind noch folgende Arbeiten zu erledigen: Feststellung der monatlichen Wasserverteilung in zehn Jahren, Aufmessung des Querprofils an der Baustelle, desgleichen der Querprofile des Staubeckens, Geologische Untersuchung der Baustelle, Feststellung der neuen Wegelinien, desgleichen der Hanggrabenlinie, Feststellung des Gefälles durch Nivellement bis zur Försterei Königshof und die Lage des Kraftwerkes.

Projekt einer Siebertalsperre.

Wahl der Sperrstelle.

Als wasserreichster Fluß muß die Sieber mitgefaßt werden; die Sperre muß im Siebertale liegen.

Je weiter nach unten, desto mehr Niederschlagsgebiet würde man fassen; es stehen einer Sperranlage in der unteren Talhälfte aber schwerwiegende Gründe entgegen.

Je weiter nach unten, desto größer würde die Zahl der von der Wasserregulierung nicht berührten Betriebe werden (Ausfall in den Einnahmen), teurer wird der Sperrenbau durch die größere Breite (längeres Querprofil) des Tales, teurer würde die Anlage

a) durch Überstauung schon vorhandener Betriebe und Wohnsitze,
b) durch vermehrte Wege-Neuanlagen.
A. Es ist die im Jahrgang 2 (1908) Heft 3 der »Mitteilungen« Seite 171 besprochene Sperrstelle daraufhin zu prüfen: Die Sperrstelle 0,09 km über dem Dorfe Sieber beim Zusammenfluß der Sieber und Kulmke faßt die bedeutendsten Wasseradern der oberen Sieberhälfte. Die Größe des Niederschlagsgebietes stimmt mit 35 qkm. Die durchschnittliche Abflußhöhe würde nach den niedrigsten Jahresmengen 75 cm betragen.
    Aber es würden zwei Ansiedelungen überstaut
  1. die Holzschleiferei von L. Strauch & Co., Ankaufswert 300 000,
  2. die Königliche Försterei Königshof, Ankaufswert 30 000.
Außerdem würde die Chausseeverlegung durch den vorspringenden Königsberg verlängert und stark verteuert werden. Abzufindende Besitzer wären: Forstfiskus, Provinzialverband und zwanzig Privateigentümer von Äckern und Wiesen.

B. Von anderer Seite ist eine Sperrstelle zwischen der genannten Strauchschen Schleiferei und Königshof vorgeschlagen, um die ansehnliche Breite des Tales an den Königshöfer Wiesen auszunutzen.

    Nachteile:
  1. Überstauung von Königshof,
  2. große Länge der Sperrmauer,
  3. Zurückstauung des Sieberstollens

  4. Besitzer: Forstfiskus, Bergfiskus. Provinzialverband.
C. Als Sperrstelle wird hier vorgeschlagen - das enge Tal dicht unter der sogenannten Steinrenner Wiese, d. h. dicht unter der Einmündung des »Dreibrodetals« in das Siebertal, 3 km über der Försterei Königshof.

Als Nachteil wäre etwa das kleinere Niederschlagsgebiet anzuführen.

    Vorteile sind:
  1. die Bequemlichkeit, nur mit einem Besitzer zu verhandeln (Forstfiskus),
  2. außer einer 0,570 ha großen Wiese ist kein teures landwirtschaftlich genutztes Gelände anzukaufen,
  3. noch viel weniger eine menschliche Ansiedelung,
  4. die Baustelle ist eng, dagegen das Tal darüber 100 bis 200 m breit,
  5. die Entfernung von St. Andreasberg beträgt 2 bis 3 km,
  6. Baumaterialien (Steine) sind an Ort und Stelle zu haben.
Genauere Erläuterung der wichtigsten Verhältnisse.

I. Zuflußgebiet.

Die Höhen des zur Sperre gehörigen Niederschlagsgebietes liegen zu

1/10zwischen460bis640mund zu
9/10»640»925mMeereshöhe.

Das Gebiet beträgt 20,41 qkm, und zwar
9,29qkminderAbteilungSieber,
11,12»»»»Andreasberg.

Es läßt sich leicht - ohne Übergriff über das Siebereinzugsgebiet hinaus - vergrößern um 3,66 qkm vom hohen Ackerrücken (in der reichsten Niederschlagszone gelegen), so daß 20,41 + 3,66 = 24,07 qkm zur Verfügung stehen.
 


II. Niederschlags- und Abflußverhältnisse.

Regenmessungen stehen aus Schluft - dem Mittelpunkte des Sperrenniederschlagsgebietes - erst seit drei Vierteljahren zu Gebote; dagegen aus dem tiefer gelegenen Sieber seit Juni 1901. Die Niederschlagsmengen von Schluft pflegen um 25 Prozent höher als die von Sieber zu sein.

Die Rechnung wird also sehr vorsichtig angesetzt sein, wenn für das hoch und frei gelegene Sperrengebiet die Niederschläge von Sieber zu Grunde gelegt" werden. Diese betragen.
 
imJahre1902........1464mm
»»1903........1533»
»»1904........1250»
»»1905........1836»
»»1906........1561»
»»1907........1267»


im Durchschnitt für ein Jahr 1485 mm,
das gibt für die Fläche von 24,07 qkm eine Niederschlagsmenge von ~ 35 744 000 cbm Wasser, im Jahre 1905 Maximum 44 192 000 cbm, im Jahre 1904 Minimum 30 087 000 cbm.

Unterlagen, um den Abflußkoeffizienten festzustellen, fehlen so gut wie ganz, da Pegelbeobachtungen erst seit 1. Januar 1908 gemacht werden

  1. an der Kulmke und Goldenke mit 14,93 qkm und 5,97 qkm Gebiet,
  2. an der Sieber, deren Wassermenge beeinflußt ist durch den periodisch erfolgenden Zufluß des Sieberstollens, der einen Teil des Betriebswassers aus dem Oderteich in die Sieber führt.
Nach den Pegelbeobachtungen an der Goldenke und nach Geschwindigkeitsmessungen seit 1. Januar 1908 habe ich bei Zugrundelegung der in Sieber gemessenen Niedersehläge einen Abflußkoeffizienten herausgerechnet von 96,6! Hier sind einmal die Niederschläge zu gering angesetzt, dann kommt wohl noch ein geringes Quantum Schmelzwasser vom Dezemberschnee zur Mitwirkung. Auch bei Unterstellung der größeren Niederschläge in Schluft ergibt sich noch ein Abflußkoeffizient von 78,0!

Nehmen wir den vom Herrn Kreisbauinspektor Nagel für die Radau beobachteten Abflußkoeffizienten auch für unser Gebiet als "geltend an - ich halte ihn wegen der überwiegend von vertorften und anmoorigen Böden schnell ablaufenden Wassermenge für zu niedrig in unseren Verhältnissen -, dann haben wir als mittlere Jahresabflußmenge
35,744 M x 0,61 ~ 21 804 000 cbm
1905 Maximum 26 957 000 cbm
1904 Minimum 18 353 000 cbm
und in 312 Tagen bei vierundzwanzigstündigem Betriebe 800 Sekundenliter
1905 Maximum 978 cbm
1904 Minimum 666 cbm
 

III. Inhalt des Staubeckens.

Bei verschiedenen Höhen der Sperrmauer bat das Becken folgenden Inhalt:

  1. bei 40 m Stauhöhe 6 100 000 cbm, Fläche 33 ha,
  2. bei 50 m Stauhähe 9 900 000 cbm, Fläche 42ha,
  3. bei 60 m Stauhöhe 14 600000 cbm, Fläche 62 ha.


IV. Verbesserung der Wasserkraft
der an der Sieber vorhandenen Triebwerke.

Nach einer genauen - 60 Monate vom Januar 1902 bis Dezember 1906 umfassenden - Aufzeichnung des Herrn Werkmeister Immenroth von der im Siebertal gelegenen Holzschleiferei der Firma Th. D. Lovis Söhne in Heiligenstadt, konnte die verloren gegangene und bei 50 m Höhe der Sperrmauer mehr lieferbare Menge an Kraft mit vorläufig genügender Genauigkeit berechnet
werden. Das Ergebnis folgt hier:

Die Immenrothschen Messungen geben ein deutliches Bild
den unglaublichen Schwankungen in der Wasserführung :
Maximum 5000 Liter,
Minimum 100 Liter !!

2000 Liter Maximalbeaufschlagung.
 

V. Hochwasserschutz.

Der größte Niederschlag am 10. November 1904 = 115,7 mm in 24 Stunden ergibt eine Wassermenge von 2 784 899 cbm und eine Abflußmenge von (x 0,61) 1 698 788 cbm. Bei einem Verbrauche von 978 Liter in der Sekunde würden in 24 Stunden 67 599 cbm verbraucht; es wären also 1 681 189 cbm von dem Staubecken aufzunehmen. Dazu gehört bei 42 ha Oberfläche bei einer 50 m hohen Sperrmauer eine wasserfreie Höhe von 3,88 m oder rund 4 m Höhe. Hält man 4 m von oben stets wasserfrei, so wird jedem Hochwasser vorgebeugt sein. Es steht dann regelmäßig nur eine Staumenge von

9 900 000cbm
-1 680 000»

8 220 000cbm zur Verfügung,
wenn nicht eine gewisse Erhöhung der Sperrmauer vorgezogen wird.
 

VI. Beschaffung der Baumaterialien.

Die Mauersteine (Granit) liegen massenhaft in Blöcken dicht über der oberen Staugrenze und können von dort mit beliebigem Gefälle bergab gebracht werden. Feiner Kies wird nicht genügend in der Sieber unterhalb gewonnen werden können. Reinster Pochkies von Andreasberg ist auf 3 bis 4 km anzufahren. Zur Anfuhr von Zement und anderen Stoffen, später Maschinen, würde die längst besprochene Eisenbahn im Siebertale aufwärts die ersten ausgezeichneten Dienste leisten.
 

VII. Die Kosten der Sperrmauer.

1. Grunderwerb von 45 ha a 1500 M 67 500
2. Wegeverlegungen, Chausseen:
  Oberförsterei Sieber-Weiherrand1 800 m
  Weg zu Tal
1 000 »
  Oberförsterei Andreasberg-Weiherrand
3 300 »
  Weg zu Tal1 000 »
7 100 m
1 lfd. m zu 15
106 500
3. Gräben, um 3,66 qkm in das Zuflußgebiet des Staubeckens einzubeziehen, 15 000 m a 300
Verbauungen in den Zuführungstälern
45 000
7 000
4. Mauer, in der Sohle 40 bis 60 m lang, auf der Krone 230 m oder 190 m lang (je nach Wahl der Baustelle), Höhe 50 m
1 800000 »
5. Grundablässe, ohne Überfall
300 000 »
6. Projektierung
14 000 »

2 340 000
7. Elektrische Zentrale
500 000
dazu Sperrmauer
2 340 000

Summe
2 840 000
 

VIII. Für die Verwendung von Licht und Kraft
kommen in Betracht:

 
für Licht:für Kraft:
AndreasbergMehrertrag für die Sieberfabriken
Lauterberg
SieberFabriken in Andreasberg?
HerzbergFabriken in Lauterberg?
PöhldeFabriken in Herzberg
HattorfLandwirtschaft
HördenElektrische Eisebahn.
Göttingen

Die näheren Verhältnisse sind in der Generalversammlung genauer zu besprechen und festzustellen.
 

IX. Schlußbemerkung.

Der Oderteich wird vorläufig noch von der bergfiskalischen Verwaltung bewirtschaftet. Er liefert an fünfundzwanzig Kleinbetriebe in St, Andreasberg Kraft; an die Sieber ein Drittel seines
Abflusses unregelmäßig.

Wenn der Bergwerksbetrieb in absehbarer Zeit aufhört, würde der Oderteich von den Unterliegern erworben oder die Teichverwaltungskosten an die Bergverwaltung erhöht bezahlt werden müssen.

Die Drittel-Wasserlieferung in die Sieber hört ganz auf, oder die Unterhaltung des Sieberstollens würde - den Sieber-Industriellen zur Last fallen, während sie bisher den Wasserzuschuß unentgeltlich hatten.

Würde die Siebertalsperre allen Anforderungen an Kraftverbrauch .genügen, soweit die Orte St. Andreasberg, Lauterberg, Scharzfeld in Betracht kommen, dürfte die vom Rehberger Grabenhause ab leicht auszuführende Überleitung des Oderteichwassers aus dem Rehberger Graben im Dreibrodetale hinunter in die Siebertalsperre in Frage kommen, wodurch der Beckeninhalt um
1 648 000 cbm und das Siebersperrengebiet um ein erhebliches Zuflußgebiet vermehrt würde.

Die Sicherheit der im Grauwacke- und Hornfelsgebiete liegenden Baustelle der Sperre wäre von dem Herrn Bezirksgeologen noch zu prüfen.

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