5. Südharz-Symposium 11./12. Oktober 2002 in Bad Sachsa

 
Regionalentwicklung, Regionalisierung, regionale Identität - Perspektiven für die Region Südharz


Vortrag von Prof. Dr. Ingo Mose
und Dipl.-Geog.Yvonne Brodda
 
 

(1) Einführung

Für die Einladung zu einem Eröffnungs-/Grundsatzreferat auf dem 5. Südharz- Symposium in Bad Sachsa bedanken wir uns sehr herzlich. Wir haben diese ausgesprochen gerne angenommen, nicht zuletzt weil uns beide eine Reihe persönlicher wie fachlicher Gründe - mehr oder weniger lange - mit dem Harz und speziell dem Südharz verbinden.
Das Thema des diesjährigen Symposiums fügt sich ein in eine zunehmend breiter werdende Diskussion in Wissenschaft und Politik, in deren Mittelpunkt ein allgemeiner Bedeutungsgewinn des „Regionalen“ steht. Dies drückt sich auch und gerade in einer Vielzahl von Begriffen aus, die die Konjunktur des Regionalen eindrucksvoll illustrieren: Region, regionale Ebene, Regionalisierung, Regionalismus, Regionalentwicklung, Regionalpolitik, regionale Identität, Regionale Entwicklungskonferenzen, Regionale Entwicklungskonzepte usw.
Die genannten Begriffe stehen ohne Frage in einem mehr oder weniger engen semantischen Zusammenhang, gleichwohl bedürfen sie der Klärung und können nicht, wie häufig in der aktuellen Diskussion, beliebig, womöglich synonym verwendet werden.
Vor dem Hintergrund des Tagungsthemas wollen wir uns in unserem Vortrag auf drei ausgewählte Teilaspekte der Debatte um das Regionale konzentrieren:
In einem ersten grundsätzlichen, primär theoretisch angelegten Teil wollen wir zunächst dem Bedeutungsgewinn des Regionalen nachgehen, um darauf aufbauend das Beziehungsgefüge von Regionalpolitik und Regionalisierung zu beleuchten. Hieraus wird die Frage abzuleiten sein, welche Zusammenhänge zwischen der Bildung von Regionen, Regionalentwicklung und regionaler Identität bestehen und inwieweit regionale Identität dabei als eine Voraussetzung von Regionalentwicklung angesehen werden kann (Teil Mose, Kapitel 2-4).
In einem eher konkreteren Teil soll im Anschluß daran hinterfragt werden, welche Konsequenzen sich aus den allgemeinen Überlegungen für mögliche Prozesse der Regionalisierung im Südharz ergeben (könnten). Ausdrücklich wollen wir damit auch zu weiteren Fragen und Beiträgen zur aktuellen „Regionalisierungsdebatte“ in einer „Region Südharz“ anregen (Teil Brodda, Kapitel 5).
 

(2) Zur Renaissance der Region

Von verschiedener Seite wird seit geraumer Zeit ein Bedeutungsgewinn, gar eine Renaissance des „Regionalen“, der „regionalen Ebene“ oder einfach der „Region“ unterstellt (vgl. u.a. Bade 1998, Blotevogel 1996, Danielzyk 1998). Dies drückt sich nicht zuletzt in der geradezu inflationären Benutzung des Begriffs „Region“ aus, der offenbar über eine „ausgeprägte aktuelle Diskurskonjunktur“ verfügt (Blotevogel 1996, S. 44). So sehr der Begriff der Region jedoch in aller Munde ist bzw. zu sein scheint, so diffus und unklar ist er dabei zugleich (geblieben).

Die Renaissance des Regionalen wird aus verschiedenen fachlich-disziplinären Zusammenhängen signalisiert: Geographie, Raumplanung, Soziologie und weitere Fachgebiete spiegeln gleichermaßen den Bedeutungsgewinn des Regionalen wider, so dass dieser als ausgesprochen mehrdimensional angesehen werden kann.

Nach Danielzyk (1994 u. 1995) und Blotevogel (1996) lassen sich folgende zentrale Dimensionen in der Diskussion um den Bedeutungsgewinn des Regionalen kurz skizzieren:

(a) Dimension Politik und Planung:

  • überkommene Instrumente der zentralen Instanzen sind angesichts der Komplexität des Strukturwandels weitgehend wirkungslos
  • zunehmendes Interesse an regionaler Kooperation „von unten“
  • notwendige Berücksichtigung neuer Themen und neuer Akteure (z.B. NGOs)
  • Planungsräume entsprechen häufig nicht den tatsächlichen funktionalen Verflechtungen
  • Vorgaben der EU: „Europa der Regionen“
(b) Dimension Ökonomie:
  • Regionalisierung als Antwort auf die Globalisierung: „Wettbewerb der Regionen“
  • Ökonomische Prosperität besser dezentral als zentral zu organisieren
  • Vorteile sog. „regionaler Produktionsbezirke“: spezialisierte regionale Produktionssysteme und spezifische regionale Milieus
  • effizienter Einsatz knapper werdender finanzieller Mittel
(c) Dimension Kultur:
  • politischer Regionalismus von ethnischen, religiösen oder Sprachgruppen
  • Besonderheiten der regionalen Kultur als identitätsstiftender Faktor („Heimat“)
  • Denken in regionalen Zusammenhängen als Widerstand gegen die Globalisierung
  • zunehmende „Regionalisierung der Lebensweisen“
  • regionale Kultur als brauchbares Vermarktungsinstrument (label)
Es besteht im Rahmen des heutigen Vortrages nicht die Gelegenheit, den gewachsenen Stellenwert von Regionalem bzw. von Region ausführlicher zu diskutieren, unterschiedliche Argumentationsfiguren miteinander zu vergleichen und diese in den Zusammenhang einer gesellschaftstheoretischen Gesamtperspektive zu stellen, wie dies an sich erforderlich wäre. Hier reicht es festzuhalten, dass der Bedeutungsgewinn des Regionalen ausgesprochen kontrovers diskutiert wird. Dabei stehen sich die beiden folgenden „Bewertungen“ diametral gegenüber:
  • Im Zuge der Globalisierung kommt es zu einem fortschreitenden Verlust regionaler und nationaler Autonomie und Steuerungsfähigkeit. Gleichzeitig wächst die Sehnsucht nach eben dieser „regionalen Ebene“, die rhetorisch aufgefangen wird. Die regionale Ebene hat dabei lediglich eine symbolische Funktion mit rein kompensatorischem Gehalt. Tatsächlich läßt sich die Region nicht wirklich gestalten.
  • Regionen sind zwar weder politisch autonom noch ökonomisch und kulturell isolierte Inseln, aber sie können auch und gerade unter dem Vorzeichen der Globalisierung politische Handlungs- und Gestaltungsräume sein, die es aktiv zu „besetzen“ gilt. Regionen sind also keineswegs nur „passive Resonanzböden des Globalen“ (Blotevogel 1996, S. 48).
Unabhängig von den skizzierten Einschätzungen dürfte bereits jetzt deutlich geworden sein, dass es für die weitere Diskussion unverzichtbar ist, den Begriff des Regionalen bzw. der Region einer Klärung zu unterziehen.

Im Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung wird ein traditionelles raumwissenschaftliches - und damit auch geographisches - Begriffsverständnis von Region wie folgt definiert:

„Eine Region ist ein geographisch bestimmter Raum mittlerer Größenordnung, der als zusammengehörig angesehen wird“ (Lange 1970).
Diese Definition ist so allgemein, dass sich zahlreiche, im Grunde mehr oder weniger alle denkbaren Begriffsverständnisse unter ihr subsumieren lassen. Tatsächlich hat gerade in der Geographie der Regionsbegriff jedoch durchaus unterschiedliche Konnotationen erfahren. Im wesentlichen kann dabei zwischen beiden folgenden zentralen Perspektiven unterschieden werden:
  • Vorstellung von tatsächlich vorfindbaren (= existenten) „natürlichen“, sozusagen individuellen Regionen.
  • Vorstellung von Regionen als analytisch und/oder funktional bestimmten Konstruktionen.
Entsprechend dem letzten - moderneren - Begriffsverständnis wäre nicht von einzigartigen, unverwechselbaren Regionen auszugehen, sondern - theoretisch - von einer Vielzahl mehr oder weniger zweckmäßiger Regionen bzw. Regionalisierungen, d.h. Regionskonstruktionen nach Funktion, Zweck, Aufgabe usw. Gleichwohl hat die Definition von Lange (1970) bis heute ihre allgemeine Gültigkeit behalten - wenn auch die unterschiedlichen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontexte der Begriffskonstruktion und -verwendung dabei nicht vergessen werden dürfen.

Auf drei Komponenten der zitierten Begriffsdefinition - Raumbezug, Maßstabsebene und sachlicher Bezug - sei hier kurz eingegangen:

(a) Raumbezug:
Die Begriffsauffassung, nach der Region als (Teil-)Raum charakterisiert wird, ist unzureichend und greift zu kurz, wenn Raum lediglich der physische Raum der Erdoberfläche sein soll.
Hier bedarf es einer Weiterung um subjektive und gesellschaftliche Raumkonzepte, die den politischen Raum, Wirtschaftsraum, Verkehrsraum, Kulturraum usw. mit einbeziehen. Diese klammern die materielle Basis nicht völlig aus, konstitutiv sind für sie jedoch die nicht-materiellen (= politischen, ökonomischen, sozialen, kulturellen) Bedeutungsgehalte!
Wohlgemerkt: Die immateriellen Bedeutungsgehalte rücken in den Vordergrund des Begriffsverständnisses - gleichwohl können solche Regionen immer auch erdräumlich lokalisierbar sein. Allerdings ist es gerade ein Charakteristikum moderner bzw. post-moderner Regionalisierungen, dass Regionen diskontinuierlich, heterogen und unscharf abgegrenzt sind!

(b) Maßstabsbezug
Mit dem Raum mittlerer Größenordnung ist üblicherweise eine Ebene oberhalb der lokalen/kommunalen und unterhalb der staatlich/nationalen gemeint. Diese Einordnung ist zunächst rein formal, hat jedoch auch einige inhaltliche Implikationen:

Politisch: Region als Zwischenebene zwischen Staat und Gemeinde mit einem spezifischen politischen Spannungsverhältnis zwischen den beteiligten Akteuren.
Sozial: Das soziale Leben ist auf den verschiedenen Maßstabsebenen unterschiedlich strukturiert: vertrauter Nahraum der lokalen Ebene versus anonymes Konstrukt des Nationalstaates.
Kulturell: Soziale Kommunikation bewegt sich im Spannungsfeld von Face-to-face-Kommunikation im lokalen Bereich und der Vermittlung durch technische Medien auf nationaler und globaler Ebene.

Hinsichtlich des Maßstabs ist der Regionsbegriff prinzipiell offen, so dass sich häufig Überlappungen oder Überschneidungen mehrerer Regionskonstrukte ergeben. Anschaulich läßt sich dies am territorialen Zuschnitt folgender Institutionen im Harz illustrieren, die jeweils über unterschiedliche „Regionsgrenzen“ verfügen: Harzer Verkehrsverband, Nationalparke Harz und Hochharz, Regionalverband Harz, Region Braunschweig etc. (vgl. vertiefend Kap. 5).
Es liegt in der Natur der Sache, dass diese verschiedene Regionskonstruktionen und die dahinter stehenden Konzepte keineswegs immer konfliktlos nebeneinander existieren, wie die aktuelle Diskussion deutlich werden läßt!

(c) Sachlicher Bezug
Das dritte Definitionsmerkmal, der als „zusammengehörig angesehene Raum“, wirft zwei Fragen auf:
Hinsichtlich welcher Kriterien wird ein Raum als zusammengehörig angesehen und wer sieht einen Raum - mit welchen Interessen, mit welchen Zwecken, mit welcher Wirkung - als zusammengehörig an?

Mit Blotevogel (1996) liegt ein Vorschlag für eine Typologie der Regionalisierungen vor, die die wichtigsten Kriterien der Regionsbildung zu berücksichtigen versucht:

  • Beschreibungs- und Analyseregionen: homogene Regionen (z.B. Ballungsraum), funktionale Regionen (z.B. Pendlereinzugsbereich), komplex-systemare Regionen (z.B. Wirtschaftsraum)
  • Tätigkeitsregionen: Wirtschaftliche Tätigkeitsregionen (z.B. Verbreitungsgebiet einer Tageszeitung), politisch-administrative Regionen (z.B. Landkreis)
  • Wahrnehmungs- und Identitätsregionen: Wahrnehmungsregionen (z.B. Images von Regionen), Identitätsregionen (z.B. Wirkungsraum eines Vereins, einer Universität usw.), Regionen eines aktiven Regionalismus (z.B. Wirkungsraum eines Heimatvereins, einer regionalistischen politischen Partei usw.)
Die Auflistung zeigt, dass Regionen, wie gesagt, sehr unterschiedlichen Interessen und Zwecken dienen können und sich - von wenigen naturräumlich bestimmten Homogenitätsregionen abgesehen - im wesentlichen durch ihren Konstrukt-Charakter auszeichnen: Regionen sind in diesem Sinne nicht irgendwie geographisch gegeben, sondern durch - politisches, ökonomisches, soziales oder kulturelles - Handeln von Menschen konstruiert.

Dies gilt auch und gerade für solche Regionalisierungen, die auf dem Vorhandensein einer wie auch immer zum Ausdruck kommenden „regionalen Identität“ beruhen. Nach Blotevogel stellen solche „Identitätsregionen“ einen Regionstyp dar, der vorrangig durch die soziale Kommunikation sich gemeinsam mit einem bestimmten Raum identifizierender Gruppen von Menschen, Organisationen oder Institutionen konstituiert. Wenn solche Regionen auch zunächst mentale und soziale Konstruktionen sind, finden sie gleichwohl nicht im luftleeren Raum statt: Sehr wohl sind dem entsprechend bestimmte erdräumliche Bezüge identifizierbar, an denen Regionen einer gemeinsamen Identität „festgemacht“ werden können (Beispiel: Bildung einer möglichen Ruhrgebiets-Identität im Ruhrgebiet).
Wie für jegliche andere Regionalisierungen gilt auch für Identitätsregionen, dass sie nicht eindeutig, also diffus und unscharf sind und sich mit anderen Regionstypen überlagern können.
Das Ergebnis derart vielfältiger Regionalisierungen sind komplexe Regionssysteme, in denen die einzelnen Regionsfunktionen keineswegs nur nebeneinander „existieren“, sondern sich vielmehr gegenseitig beeinflussen, in Konflikt miteinander geraten, miteinander austauschen, ergänzen, erweitern usw. Die Frage nach der „regionalen Identität“ spielt dabei offensichtlich eine zunehmend wichtiger werdende Rolle. So wird regionale Identität vielfach als ein zentraler Faktor sowohl der Bildung als auch der Entwicklung und Gestaltung von Regionen angesehen

Bevor näher auf die besondere Rolle regionaler Identität eingegangen werden kann, sollen jedoch wenigstens kurz noch die Regionalpolitik als wichtigster steuernder Politikbereich für große Bereiche der Regionalentwicklung angesprochen werden. Aktuell werden mehrere - teilweise weitreichende - konzeptionelle Veränderungen für die Regionalpolitik konstatiert, die die Fragen nach dem Bedeutungsgewinn des Regionalen und der Rolle regionaler Identität für Prozesse der Regionalentwicklung in einen größeren Zusammenhang zu stellen erlauben.
 

(3) Neuorientierung der Regionalpolitik

Der Bedeutungsgewinn von Regionalem, regionaler Ebene oder Region ist auch und gerade für die praktischen Fragen der Regionalentwicklung und Regionalpolitik von unmittelbarer Relevanz - und nicht zuletzt liegt auch genau hier die „Anwendungsebene“, die für die Fragen der Regionsbildung im Südharz von vorrangigem Interesse sein dürfte!

Der Begriff der Regionalentwicklung umfaßt zunächst zweierlei:

  • Einerseits die Dynamik von Entwicklungsprozessen spezifischer (in erster Linie ländlicher) Regionen, vorrangig verstanden als regionale wirtschaftliche Entwicklung dieser Räume, aber auch regionale Verkehrs-, Bevölkerungs- oder Umweltentwicklung.
  • Andererseits politische Konzepte, mit denen auf die Probleme der Veränderungen ländlicher Räume (regionaler Strukturwandel) reagiert werden soll, insbesondere im Bereich der regionalen Wirtschaftspolitik bzw. Regionalpolitik.
Für unsere weiteren Überlegungen ist vor allem die zweite Dimension des Begriffs von Bedeutung, da diese unmittelbar auf die Implikationen des praktischen „Politikmachens“ verweist.

Wissenschaftliche Publikationen unterschiedlichster Provenienz konstatieren für die letzten 20 Jahre eine anhaltende Debatte um die konzeptionelle und instrumentelle Weiterentwicklung bzw. Ausdifferenzierung der Regionalpolitik. Diese nimmt Bezug auf Defizite, Schwächen und Fehler der „traditionellen Regionalpolitik“ vor allem der 1970er und 1980er Jahre und versucht diese durch neue, innovative Ansätze der Regionalentwicklung zu verbessern und zu ergänzen. Eine Reihe bekannter schlagwortartiger Konzeptionsbegriffe illustriert unterschiedliche Phasen und inhaltliche Positionierungen der Diskussion:

  • Seit Ende der 1970er Jahre Konzepte der „eigenständigen Regionalentwicklung“, teilweise auch „ökologischen Regionalentwicklung“, die häufig auf regionale Autonomie und Abkoppelung angelegt sind.
  • Während der zweiten Hälfte der 1980er Jahre Erweiterung dieser Ansätze zu Konzepten der „endogenen Erneuerung“, die eher als Instrumente zur Ergänzung zur traditionellen Regionalpolitik verstanden werden.
  • Im Verlauf der (späten) 1990er Jahre Formulierung von Ansätzen einer „nachhaltigen Regionalentwicklung“, aktuell ergänzt um Konzepte der „lernenden Region“, der „integrierten ländlichen Entwicklung“ usw., die vor allem die die ganzheitliche Betrachtung regionaler Entwicklungsprozesse betonen.
Wenngleich die Vielfalt der unterschiedlichen Schlagwörter eine Reihe inhaltlich sehr unterschiedlicher Konzepte und Handlungsansätze zu implizieren scheint, haben sich gleichwohl einige zentrale „Schlüsselbegriffe“ herauskristallisiert, die heute unverkennbar im Mittelpunkt einer erkennbaren Neuorientierung der Regionalpolitik stehen. In Anlehnung an Danielzyk (1998) sowie weitere Vertreter der Regionalforschung sind dies folgende konzeptionelle Elemente (vgl. Abb. 1):

(a) Regionalentwicklung auf der Basis endogener Potenziale
Ausgehend von den frühen Ansätzen der eigenständigen Regionalentwicklung ist eine anhaltend starke Orientierung auf die Nutzbarmachung der sog. endogenen, d.h. in einer Region selbst vorhandenen und nicht von außen in sie hinein getragenen Potenziale (natürliche, anthropogene) kennzeichnend, die zur Basis der wirtschaftlichen, aber auch sozialen, kulturellen usw. Entwicklung von Regionen werden sollen. Geeignete Potenziale wurden dabei bislang nur unzureichend oder gar nicht genutzt, häufig sogar übersehen. Ziel muß es sein, die entwicklungsfähigen Potenziale zu identifizieren, zu erschließen und gezielt deren (wirtschaftliche) Entwicklung zu fördern, um so für die jeweilige Region spezifische „Produkte“ zu kreieren.

(b) Formale Erneuerung der Regionalpolitik
Als Bestandteil einer breit angelegten formalen Erneuerung der für die Regionalentwicklung relevanten Bereiche von Politik und Verwaltung entstehen neue bzw. veränderte Formen „regionaler Institutionen“, die (zunehmend, teilweise oder ganz) Zuständigkeiten für die Gestaltung regionaler Entwicklungsprozesse übernehmen. Diese formale Erneuerung der Regionalentwicklung wird gleichermaßen „von oben“ wie „von unten“ befördert und zielt darauf ab, Entscheidungen dezentral, d.h. weitgehend „vor Ort“ und in weitgehender Selbstverantwortung der Betroffenen zu treffen und politisch auszugestalten.

(c) Regionale Kooperation als Motor der Regionalentwicklung
Hier steht die Überlegung im Vordergrund, dass zur Bewältigung der zunehmend komplexeren Herausforderungen der Regionalentwicklung (auch und gerade im „Wettbewerb der Regionen“) zunehmender Bedarf an einer systematischen Kooperation der verschiedenen Akteure im regionalen Verbund besteht. Die Vorteile der Kooperation werden dabei insbesondere im Gedanken- und Informationsaustausch, in der Bündelung finanzieller Ressourcen, der Erzeugung von Synergieeffekten und der Stärkung des politischen Einflusses gesehen. In Frage kommen sowohl Formen der Kooperation zwischen verschiedenen öffentlichen Institutionen, zwischen öffentlichen und privaten Akteuren (Public-private-partnerships) als auch sonstigen gesellschaftlichen Gruppen (NGOs usw.).

(d) Partizipative Regionalentwicklung
Große Bedeutung wird schließlich einer partizipativen Ausgestaltung der Regionalentwicklung und der Entwicklung dazu geeigneter Instrumente beigemessen. Gemeint ist damit die systematische und kontinuierliche Beteiligung der Betroffenen (der Bevölkerung bzw. entsprechender Organisationen) an den für die Entwicklung einer Region bedeutsamen Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozessen. Partizipation soll die Zustimmung der Bevölkerung zu bestimmten Entwicklungsmaßnahmen sicherstellen und die Identifizierung der Bevölkerung mit „ihrer Region“ fördern, sicherstellen oder überhaupt schaffen.

Abb. 1: Neuorientierung der Regionalentwicklung


 

Zusammenfassend läßt sich festhalten: Unübersehbar ist in der Summe der skizzierten Aspekte eine fortschreitende Neuorientierung der Regionalpolitik, die sich vorrangig auf die gezielte Nutzung der endogenen Potenziale, die formale Erneuerung der Regionalpolitik, den Aufbau geeigneter Formen der regionalen Kooperation sowie die verstärkte Partizipation der regionalen Bevölkerung stützt. Für alle vier Dimensionen der Erneuerung ist charakteristisch, dass sie auf die Region als eine mit spezifischen Handlungs- und Entscheidungskompetenzen ausgestatteten Instanz abzielen und betroffene Institutionen und Bevölkerung als wichtige Größe der Regionalentwicklung ansehen.
 

(4) Regionalentwicklung und regionale Identität

Eng verbunden mit den skizzierten Ansätzen bzw. Dimensionen der konzeptionellen, strategischen und instrumentellen Erneuerung von Regionalentwicklung und Regionalpolitik ist ein weiterer Gesichtspunkt, der gewissermaßen „quer“ zu diesen zu verorten ist:

So wird von verschiedensten Vertretern der Regionalforschung, aber auch der Regionalpolitik seit Ende der 1980er Jahre der regionalen Identität eine besondere Bedeutung für die Ausgestaltung der Regionalentwicklung beigemessen. Dabei wird häufig davon ausgegangen, dass regionale Identität als eine zentrale Voraussetzung regionaler Entwicklung anzusehen sei - und dem entsprechend der Erfolg von Ansätzen zur Aktivierung endogener Potenziale, der partizipativen Gestaltung regionaler Entwicklungsprozesse oder der Implementierung „neuer Regionen“ mehr oder weniger von dem Vorhandensein regionaler Identität abhänge.

Es besteht insofern die Notwendigkeit, den oben schon kurz erwähnten Begriff der regionalen Identität nunmehr gezielt aufzugreifen, nicht zuletzt auch deshalb, weil mit der regionalen Identität die Fragen der Regionalentwicklung mit einem bisher noch nicht angesprochenen sozialpsychologischen und kulturellen Faktor verbunden werden.

Die Diskussion um (mögliche) Zusammenhänge von Regionalentwicklung und regionaler Identität ist gleichermaßen komplex und kontrovers und hat in der Geographie im Verlauf der späten 1980er Jahre zu einer heftigen Auseinandersetzung um Sinn und Unsinn einer „Regionalbewußtseinsforschung“ geführt (vgl. Blotevogel, Heinritz und Popp 1989, Bahrenberg 1987, Hard 1987).
Auf diese Debatte soll hier nicht näher eingegangen werden, sondern vielmehr das Augenmerk auf einige wenige Überlegungen zum politischen Charakter der Kategorie „regionale Identität“ gerichtet werden, die anhand von Positionen von Ipsen (1993) umrissen werden können.

Danach ist der Begriff der regionalen Identität ebenso schillernd wie d er der Region und gewinnt an Bedeutung und Interesse als Produkt ihres Gegenteils, der Herausbildung und zunehmenden Bedeutung nationaler, europäischer und vor allem globaler Räume und der damit einher gehenden Modernisierungsprozesse. Vor diesem Hintergrund kann regionale Identität unterschiedliches bedeuten: Widerstand, Eigenständigkeit, sentimentaler Rückblick, Verklärung, Vergessen, Haß oder Liebe.
Ipsen (1993) verweist angesichts dessen zurecht auf den vorwissenschaftlichen Charakter des Begriffs und die ideologischen Gefährdungen, deren Spektrum von weit rechts angesiedelten „Heimat“-Positionen bis hin bis linksradikalen Befreiungstheorien reicht.

Umso mehr ist die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Reflexion des Gegenstandes notwendig, da mit Fragen zur Regionalentwicklung“

„zumindest implizit immer die regionale oder lokale Identität als kulturelle und soziale Dimension der Entwicklung“ (mit berührt wird)“ (Ipsen 1993, S. 10).
Was ist regionale Identität und wie konstituiert sie sich? Nach Ipsen (1993) sind folgende Aspekte hilfreich zum näheren Verständnis:

(a) Aspekt der Enträumlichung
Die Entstehung der Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert und die damit einher gehenden Modernisierungsprozesse sind mit der zunehmenden Erfahrung der Enträumlichung von individuellen und kollektiven Lebensverläufen verbunden. Während es bis dahin noch so etwas wie „Heimat“ gab, geht diese seither als konkreter und lebensbestimmender Ort sukzessive verloren - und produziert gleichzeitig im Reflex auf die Veränderungen der Moderne die Suche nach Heimat (Heimatbewegung, Heimatliteratur etc.)
Ähnlich wird als Folge der zunehmenden Enträumlichungsprozesse auch die Frage der regionalen Identität thematisiert: Je mehr Entscheidungen auf eine nationale und, vor allem, auf eine europäische Ebene verlagert werden („Die da in Brüssel!“), umso mehr entwickelt sich die Region zum Ort von Überschaubarkeit, Sicherheit und Kontrollfähigkeit, derer die Menschen offenbar bedürfen. Dabei behält die Region, anders als die Heimat, offenbar auch eine geographische Qualität: Sie bleibt räumlich-territorial zumindest ungefähr bestimmbar. Zugleich bietet sie damit aber auch eine zentrale Voraussetzung für aktives Handeln.

(b) Aspekt der Identitätsbildung
In der Literatur besteht weitgehende Übereinstimmung darüber, dass der Begriff „Identität“ diffus und unklar ist. Gleichwohl liegen einige Assoziationen auf der Hand: Selbstbewußtsein, mit mir im Reinen sein, Eigenart, Selbstvertrauen, Wohlbefinden, Sicherheit usw.
In Anlehnung daran könnte ein Definitionsversuch wie folgt lauten: Identität ist ein Sich-selber-versichern, das man alleine nicht zu leisten vermag. Identität gewinnt man aus sich selber und aus dem Anderen heraus. Herstellen und Darstellen von Identität bedeutet insofern, zwischen Außen und Innen, aber auch zwischen Innen und Außen Relationen aufzubauen.

(c) Aspekt der Raumbilder
Vor dem skizzierten Hintergrund kann „regionale Identität“ sich nur darauf beziehen, welche Rolle eine Region für den Prozeß der Identitätsfindung oder den des Identitätsverlustes haben kann. Konkret kann Region dabei in doppelter Hinsicht bedeutsam sein:

  • als physisches Substrat, natürlich entstanden oder gesellschaftlich produziert;
  • als Zeichen, als Bedeutung, als Bild oder als Vorstellung.
Region kann insofern ebenso materiell wie auch kulturell für Prozesse der (regionalen) Identitätsfindung von Bedeutung sein.

Über welche Eigenschaften müssen Regionen (als räumliche Einheiten) konkret verfügen, um die Entwicklung regionaler Identität zu ermöglichen?
Ipsen (1993) konstatiert drei Qualitätsmerkmale, denen er zentrale Bedeutung beimißt: Kontur, Kohärenz und Komplexität (vgl. Abb. 2):

  • Kontur: verweist auf die Eigenart, auf die Betonung des Unterschiedes zu anderen.
  • Kohärenz: Notwendigkeit, eine Region als Ganzes zu begreifen, es muß sich ein Zusammenhang herstellen lassen, der auch Widersprüche erlaubt.
  • Komplexität: Vielfalt schafft Neugier und Interesse als Vorbedingungen des „Sich-einer-Region-verbunden-fühlens“.

Abb. 2: Kontur, Komplexität und Kohärenz als Faktoren regionaler Identität


 

Kontur, Kohärenz und Komplexität sind nicht nur psychologische Eigenschaften, sie sind zugleich auch politisch und sozio-ökonomisch bestimmt. In diesem Sinne spiegeln sich in den Eigenschaften von Regionen auch und gerade die Auseinandersetzung mit Vergangenem, die Entwicklung neuer Ideen und Vorstellungen, das Vorhandensein spezifischer Interessenkonstellationen und die Auseinandersetzungen zwischen diesen:

„Es geht so in der Regel darum, welche Vorstellungen über einen Raum sich durchsetzen können, oder mehr auf den Prozeß bezogen, welche soziale Gruppe in der Lage ist, gegenüber anderen Gruppen ihre Werte und ihre Sicht der Dinge durchzusetzen“ (Ipsen 1993, S. 15).
Wird regionale Identität, wie eingangs erwähnt, auch häufig als eine Vorbedingung regionaler Entwicklung angesehen, so wird jetzt deutlich, dass es sich tatsächlich häufig umgekehrt verhält: Subjektiver Sinn und funktionale Bedeutung regionaler Identität werden auch mitbestimmt durch den Modus der Entwicklung, auf den sie sich bezieht.

Verschiedenste Ausdrucksformen regionaler Identität bringen dies zum Ausdruck:

  • Fehlende regionale Identität angesichts hegemonialer - nationaler oder internationaler - Entwicklungskonzepte.
  • Emanzipative regionale Identität zur Abwehr von außen gesteuerter Entwicklungskonzepte (Ansätze einer eigenständigen Regionalentwicklung).
  • Regionale Identität als Rückzug aus der Gesamtgesellschaft („Verinselung“).
  • Aggressive Formen der regionalen Identität in der Auseinandersetzung mit anderen Entwicklungskonzepten (radikaler politischer Regionalismus).
  • Regionale Identität als Ausdruck professioneller regionaler Vermarkungsstrategien (Kreierung von Regionalprodukten, Regionalmarketing, label-Bildung).
Die letzten Ausführungen haben deutlich werden lassen, dass eine, wenn nicht die besondere Bedeutung regionaler Identität - offensichtlich im Zusammenhang mit der Definition, Kommunikation, Durchsetzung und Umsetzung regionaler Entwicklungskonzepte - politischer, ökonomischer, kultureller Art - zu sehen ist. Hierin liegt sozusagen der regionalpolitische Bedeutungskern regionaler Identität. So ist es für das regionalpolitische, auf die Entwicklung von Regionen zielende Handeln nämlich letztlich eine nachrangige Frage, inwieweit sich eine Bevölkerung mit einer Region - territorial - identifiziert. Entscheidender ist es, so Danielzyk und Krüger (1990), nach dem „Entwicklungsbewußtsein“ oder der „Entwicklungsmentalität“ in einer Region zu fragen.
Folgende Gesichtspunkte bedürfen in diesem Zusammenhang der Klärung: Welche Erwartungen und Ziele bestehen unter den Akteuren einer Region - Bevölkerung, Institutionen, Verbände, NGOs usw. - hinsichtlich der weiteren regionalen Entwicklung und welche Qualität haben diese? Sind sie innovativ, zukunftsorientiert, handlungsmotivierend, partizipativ, nachhaltig etc.? Mit anderen Worten: Bestehen in einer Region genügend tragfähige mentale Ressourcen - mentale endogene Potenziale - für eine dauerhafte Entwicklung der Region?

Die vorangehenden Ausführungen haben die Rahmenbedingungen regionaler Entwicklung abzustecken versucht:
Regionale Entwicklung vollzieht sich aktuell in einem Kontext, der der Region gesteigerte Bedeutung als Bezugsrahmen d es politischen Handelns zuschreibt. Nicht nur rückt jedoch die Region in den Vordergrund des Interesses, sondern vollziehen sich wichtige konzeptionelle Neuerungen der Regionalpolitik, die insgesamt als „Regionalisierung“ bezeichnet werden können. Regionale Identität ist einer von mehreren Bausteinen, der für die Entwicklung von Regionen bedeutsam ist - insbesondere im Hinblick auf die Formulierung und Umsetzung von regionalen Entwicklungskonzepten.

Welche dieser Rahmenbedingungen lassen sich im Südharz wiederfinden bzw. welche Qualität haben diese? Mit diesem Fragenkomplex soll sich der vorletzte Teil unseres Vortrages befassen.
 

(5) Der Südharz - eine identifizierbare Region?

„Regionale Identität in der Natur-und Urlaubsregion Südharz“:
So lautet der Titel des diesjährigen Symposiums. Zwei Fragen drängen sich dabei auf:

1. Kann der Südharz überhaupt als eine Region definiert werden?
2. Gibt es eine spezielle Südharzer Identität?

Offensichtlich ist, dass es eine „natürliche“ Region Südharz gibt, die sich an dem Landschaftstyp Gipskarst festmachen lässt. Diese Landschaft ist durch seine Topographie, Geologie und Vegetation naturräumlich markant abgegrenzt gegenüber angrenzenden Landschaften wie beispielsweise dem Mittelgebirgszug Harz oder der Goldenen Aue im Süden.
Die rein physische Erscheinungsform ist jedoch nur eine von vielen Abgrenzungsmöglichkeiten. Regionen sind - wie in dem vorangegangenen Teil erläutert wurde - eben vor allem funktional bestimmte Konstruktionen, in politischer, ökonomischer, sozialer oder kultureller Hinsicht. So ergeben sich auch für den Südharz mehrere mögliche funktionale Konstruktionen:

  • Der Südharz als politische Region ist durch politisch-administrative Fragmentierung ohne politische Einheit. Die Landschaft erstreckt sich von West nach Ost über drei Bundesländer und drei Landkreise: Vom Landkreis Osterode in Niedersachsen über den Landkreis Nordhausen in Thüringen bis zum Landkreis Sangerhausen in Sachsen-Anhalt (vgl. Abb. 3).
  • Dementsprechend fragmentiert ist der Südharz als Planungsregion. Die Planungshoheit besitzen die Länder, Landkreise und Kommunen, wobei Sachsen-Anhalt und Thüringen darüber hinaus sogenannte Planungsregionen eingerichtet haben (Regierungsbezirk Halle bzw. Regionale Planungsgemeinschaft Nord-Thüringen). Der Landkreis Osterode ist seinerseits in den Regionalverband Südniedersachsen eingebunden (vgl. Abb 3). Auch für die gesamte Harzregion gibt es keine übergreifende Planung. Zwar wurde 1992 der Regionalverband Harz e.V. gegründet, in dem alle 9 Harzer Landkreise (Goslar, Halberstadt, Wernigerode, Quedlinburg, Aschersleben-Staßfurt, Mansfelder Land, Sangerhausen, Nordhausen und Osterode) vertreten sind. Ziel des Verbandes ist, die Kooperation aller wesentlichen Akteure der Region Harz weiter zu intensivieren und das Engagement im Interesse der Entwicklung der Region zu bündeln und zu forcieren. Allerdings verfügt dieses Gremium über keinerlei Entscheidungsgewalt in Planungsfragen; die Entscheidungen werden nach wie vor in Hannover, Magdeburg und Erfurt bzw. in den einzelnen Landkreisen getroffen und folgen somit in erster Linie Länder- und Kommunalinteressen.

  • Dies zeigt sich auch in der Verkehrsplanung, und hier besonders beim Öffentlichen Personennahverkehr, der im gesamten Harzraum durch die unterschiedlichen Aufgabenträger und Zuständigkeiten bislang kaum integriert ist. Zusätzlich erschwerend wirken die infrastrukturellen Defizite durch die jahrzehntelange deutsch-deutsche Teilung.
     
  • Auch als Naturschutzregion bildet der Südharz keine Einheit, da die zahlreichen kleineren Naturschutzgebiete, Landschaftsschutzgebiete und Flora-Fauna-Habitate über das gesamte Gebiet verstreut liegen. Das geplante Biosphärenreservat würde diese miteinander verknüpfen können, ist aber bislang nicht über Absichtserklärungen und Vorplanungen hinaus gekommen. Auch hierbei ist eine der Hauptschwierigkeiten die Fragmentierung der politischen und planerischen Kompetenzen. Andere Großschutzgebiete wie die Nationalparke Harz und Hochharz sowie die Naturparke Harz und Kyffhäuser liegen ihrerseits außerhalb des Südharzes oder berühren Teile davon (siehe Abb. 3).

  •  
  • Dementsprechend kann nur mit Einschränkungen von einer Wirtschaftsregion Südharz gesprochen werden. In den einzelnen Bundesländern bzw. Landkreisen gestaltet sich beispielsweise die Wirtschaftsförderung unterschiedlich. Bis 1990 konnte der Landkreis Osterode von der Zonenrandlage profitieren; nach der Wende gibt es nunmehr ein Fördergefälle zugunsten der ostdeutschen Landkreise durch Bundes- wie auch europäische Fördermittel (Ziel 1), auch nachdem Osterode im Jahr 2000 Ziel 2-Gebiet wurde. Übergreifende Wirtschaftsverbände oder Vereine gibt es nur für den Gesamtharz (z.B. Allgemeiner Arbeitgeberverband Harz oder Harzer Verkehrsverband), nicht so für den Südharz, was auch für den Kulturbereich gilt (z.B. Harzclub), zumindest auf institutioneller Ebene.

  • Betrachtet man die Pendlerverflechtungen des Raumes, stellt man fest, dass es keine Südharz-spezifischen Pendlerströme gibt, sondern man allgemeiner von Netto-Pendlerströmen aus den östlichen in die westlichen Harzlandkreise sprechen muss.

Abb.3: Übersichtskarte Südharz


 

Was lässt sich nun über eine Identitätsregion Südharz sagen?
Die Region Südharz existiert bislang offenbar nur als physische Region, als geogen bedingte naturräumliche Einheit, nicht aber als funktionale Region, woraus sich kaum eine regionale Identität ableiten lässt, ohne geodeterministisch zu argumentieren. Um der Frage nach der Identität wissenschaftlich nachzugehen, wären detaillierte soziologische Untersuchungen zum Identitätsempfinden der regionalen Bevölkerung notwendig, die bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorliegen.

Meine Diplomarbeit (vgl. Brodda 2000) enthält allerdings einige - wohlgemerkt nicht repräsentative - Aussagen zum Identitätsgefühl als Teilergebnisse der qualitativen empirischen Untersuchung. Demnach lassen sich in den Landkreisen Osterode und Nordhausen durchaus Hinweise auf ein Südharz-Bewußtsein finden. Dieses drückt interessanterweise gleichzeitig Abgrenzung gegenüber dem (Ober-)Harz als auch Zugehörigkeitsgefühl zum Harz als Ganzes aus. Die Abgrenzung vom Harz wird dabei einzig und allein am „besonderen Landschaftsraum“ festgemacht - der bisher einzigen Klammer für eine Region Südharz.
Das Südharz- bzw. Harz-Bewusstsein (also die als Einheit wahrgenommenen Landschaftsräume) steht jedoch im Spannungsverhältnis zur Fragmentierung der Verwaltungseinheiten und Verbandszugehörigkeiten. So bewegt sich im Thüringer Südharz das Zugehörigkeitsgefühl zwischen Harz / Südharz auf der einen und der Planungsregion Nordthüringen / Land Thüringen auf der anderen Seite. Hier wurde mehrfach betont, dass die Bindung an Thüringen nachgeordnet steht. Auch im niedersächsischen Südharz ist das Zugehörigkeitsgefühl gespalten und bewegt sich zwischen einer Orientierung zum Harz (über die Mitgliedschaft im Regionalverband Harz und dem HVV) und nach Südniedersachsen mit Göttingen als Oberzentrum (über die Mitgliedschaft im Regionalverband Südniedersachsen).

Die Antwort auf die Frage nach einer Identitätsregion Südharz ist uneindeutig und muss daher offen bleiben. Wie in Kapitel 4 erläutert, ist die Beantwortung der Identitätsfrage letztlich jedoch nachrangig. Viel wichtiger ist im Zusammenhang mit der zukünftigen Entwicklung einer Region die Frage nach dem „Entwicklungsbewusstsein“ und der „Entwicklungsmentalität“, das m.E. im Südharz eindeutig vorhanden ist und zwar unabhängig davon, ob es hier eine regionale Identität gibt oder nicht. So sind spätestens seit der Wende zahlreiche Projekte und Initiativen entstanden, die eine Entwicklung und Stärkung der Südharz-Region zum Ziel haben, wie z.B. der Karstwanderweg, das (unverwirklichte) Biosphärenreservat, das Harzer Rotes Höhenvieh-Projekt wie auch das Südharz-Symposium selbst. Was jedoch nach wie vor fehlt, ist eine Klammer, die den Südharz organisatorisch verknüpft oder funktional konstruiert.

Wichtiger als zu fragen, ob es eine Südharzer Identität bzw. Region bereits gibt, wäre es, Antworten auf die folgenden Fragen zu finden:

Welche Funktion soll eine Region Südharz erfüllen?

Welche Institution könnte den der Funktion entsprechenden inneren Kontext herstellen?

Wie präsentiert man die Region Südharz nach außen und in welchen grösseren Kontext stellt man sie?

Mit Hinblick auf die dritte Frage muss vornehmlich geklärt werden, ob eine Region Südharz von außen Stehenden überhaupt wahrgenommen wird, d.h., ob der Südharz für sich genommen identifizierbar und verkaufbar wäre. So macht eine Region Südharz beispielweise als quasi unabhängige touristische Destination wenig Sinn. Vielmehr sollte versucht werden, innerhalb der bereits etablierten Destination „Harz“ Alleinstellungsmerkmale für den Südharz herauszuarbeiten und konsequent zu vermarkten.
Entsprechend des angeführten Beispiels sollte sorgfältig überlegt werden, ob man sich den „Luxus einer Miniregion“ leisten möchte oder ob es nicht erfolgversprechender wäre, sich in einen grösseren Kontext zu stellen und bereits etablierte Institutionen und Plattformen zu nutzen.
 

Literaturverzeichnis

Bade, F.-J. (1982): Möglichkeiten und Grenzen der Regionalisierung der regionalen Strukturpolitik. In: Raumforschung und Raumordnung, H. 1, S. 3-8.

Bahrenberg, G. (1987): Unsinn und Sinn des Regionalismus in der Geographie. In: Geographische Zeitschrift 75, S. 149-160.

Blotevogel, H.H. (1996): Auf dem Weg zu einer „Theorie der Regionalität“: Die Region als Forschungsobjekt der Geographie. In: Brunn, G. (Hrsg.): Region und Regionsbildung in Europa. Konzeptionen der Forschung und empirische Befunde. (= Schriftenreihe des Instituts für europäische Regionalforschungen, Bd. 1). Baden-Baden, S. 44-68.

Blotevogel, H.H./ Heinritz, G./ Popp, H. (1989): „Regionalbewußtsein“. Zum Stand der Diskussion um einen Stein des Anstoßes. In: Geographische Zeitschrift 77, S. 65-88.

Brodda, Y. (2000): Regionalentwicklung und Biosphärenreservat - Chance oder Gegensatz? Eine Analyse am Beispiel der Region Südharz. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Bremen.

Danielzyk, R. (1998): Zur Neuorientierung der Regionalpolitik. (= Wahrnehmungs-geographische Studien zur Regionalentwicklung; H. 17). Oldenburg.

Danielzyk, R./ Krüger, R. (1990): Ostfriesland: Regionalbewußtsein und Lebensformen. (= Wahrnehmungsgeographische Studien zur Regionalentwicklung, H. 9). Oldenburg.

Hard, G. (1987): „Bewußtseinsräume“: Interpretationen zu geographischen Versuchen, regionales Bewußtsein zu erforschen. In: Geographische Zeitschrift 72, S. 127-148.

Ipsen, D. (1993): Regionale Identität. Überlegungen zum politischen Charakter einer psychosozialen Raumkategorie. In: Raumforschung und Raumordnung 51, S. 9-18.

Lange, K. (1970): Regionen. In: Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung. 2. Auflage. Bd. 3. Hannover, Sp. 2705 - 2719.
 

Ingo Mose und Yvonne Brodda
Institut für Umweltwissenschaften
Hochschule Vechta

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