Mittlerweile hatten wir Verbindung mit dem Cousin meiner Frau, Josef Goder in Hattorf aufgenommen und wurden von ihm in sein Haus eingeladen. Mitte März kam Reinhard aus der Heilstätte Hohwald und wir fuhren alle vier über Weimar - Heiligenstadt nach Lager Friedland, wo wir acht Tage bleiben mußten. Wir wurden dann nach Hollenstedt bei Northeim überwiesen und sollten nach Lager Einbeck, doch auf Grund der Einladung von Josef Goder konnten wir gleich nach Hattorf weiterreisen, wo wir Ende März eintrafen.

Herrn Josef Goder verdanken wir, daß wir wieder normale Menschen wurden! Mit der Zeit lebten wir uns in Hattorf ein und bauten uns 1961 ein eigenes Haus."

Herr Richard Seifert berichtet über seine Vertreibung aus Schlesien.
"Im Juli 1946 wurde ich mit 139 Personen aus Probstheim ausgewiesen, aus unserer Heimat, die uns lieb und wert war, in der wir unsere Kindheit verlebt, Familien gegründet, Häuser gebaut, gesät und geerntet, gelebt, gewirkt hatten, gleich unseren Vorfahren seit Jahrhunderten. Wohl kam der Abtransport überraschend, jedoch das Bewußtsein, die Heimat verlassen zu müssen, hatten wir durch die Tatsache, daß der zukünftige Besitzer unseres Anwesens schon lange vor unserer Ausweisung Besitz von allem ergriffen hatte, was uns einmal gehörte. Auch diesen Menschen teilten zu einem Großteil unser Schicksal, da auch sie ihre Heimat verlassen mußten (siehe Umsiedlung der polnischen Bevölkerung in den Geschichtsbüchern). Sie ergriffen Besitz mit den Worten: "Dieses Haus gehört mir!"

So kam der Tag unseres Abtransportes. Am Vorabend gegen 19 Uhr kam der Befehl, uns am anderen Morgen, 6 Uhr, mit einem Handgepäck auf einem Sammelplatz einzufinden. Alles andere blieb zurück. Mit diesen 139 Personen, darunter unser Bürgermeister Bruno Marx und Pastor Graupe, fuhren wir in eine ungewisse Zukunft.

Zuerst kamen wir nach Hirschberg, dann über das Hauptauffanglager Uelzen nach Osterode am Harz. Von dort ging es per Lastwagen nach Hattorf am Harz. Im Saal des Franzenkruges (Weißes Roß) verbrachten wir die ersten Stunden und teils auch Tage in unserer neuen Zwangsheimat, die uns aber dank der im allgemeinen guten Aufnahme zum Großteil zur wirklichen zweiten Heimat wurde. Wir gründeten in Hattorf einen gemischten Chor, in dem wir das deutsche Liedgut pflegten und dessen Chormeister ich bis heute bin. Dieser Chor, der auch in der Öffentlichkeit unter dem Namen "Probstheimer Chor" auftritt, war durch das Hineinwachsen durch Heirat von gebürtigen Hattorfern zeitweise über 40 Personen stark.

Ich will in diesem Bericht nicht nur mein eigenes Schicksal und das Schicksal meiner Familie schildern, deshalb schreibe ich für alle, denn geteiltes Leid und geteilte Freude mindert das erste und vergrößert das zweite. Zu Ehren unserer aus Schlesien vertriebenen Bürger erhielt der Schlesierweg seinen Namen.
 

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