Um das Jahr 1943 kamen aus den Großstädten - z.b. Hannover - die ersten Evakuierten in unseren Ort. Sie wurden, soweit es ging, mit ihren Möbeln im Orte untergebracht. Desgleichen kamen auch aus dem Rheinland später Evakuierte in größerer Zahl zu uns. Dies ging alles in geordneten Verhältnissen bis zu Anfang des Jahres 1945, wo aus den von Amerikanern besetzten Gebieten weitere Flüchtlinge zu uns kamen.

Auch aus fernen Ländern sah ich Rumänen mit ihren Panjewagen und bunten Pferden bei der Aschenhütte vorbeifahren. Ihre Trachten unterschieden sich sehr gut von allen bisher bekannten Flüchtlingsgruppen. Sie hatten ihre Planwagen mit dem vorn auf dem Bock aufgebauten Lattengestell mit allem möglichen Hausrat und Futter für ihr Vieh beladen. Wo sie hingezogen sind, ist mir nicht bekannt. Zu dieser Zeit trafen auch die ostelbischen Großgrundbesitzer mit großen schweren Planwagen und vielen Pferden in unserem Ort ein. Meist zogen sie am anderen Tage weiter gen Westen, oft veranlaßt durch Schreckgerüchte einiger Einwohner, um sie im Ort nicht unterbringen zu müssen.

Der Hauptstrom der Flüchtlinge und Vertriebenen erfolgte zur Zeit der Austreibung aus den östlichen Grenzgebieten - Schlesien, Ostpreußen, Sudetenland usw. -. In Trupps bis zu 300 wurden sie der Gemeinde zur Unterbringung übergeben. Die von den Amerikanern ernannte Gemeindevertretung hatte mit ihren Ausschüssen alle Hände voll zu tun, um diese Menschen unterzubringen.

Es kamen einmal in 10 Tagen 600 Vertriebene in unser Dorf. Alle Häuser und irgendwie bewohnbare Räume wurden bis unter das Dach belegt. Die Ankunft dieser Vertriebenen bot ein trauriges Bild. Es waren meist Frauen, Kinder und Greise, nur wenige Männer waren dabei. Was sie gerettet hatten, war nur das, was sie auf dem Rücken tragen konnten. Für den, der das gesehen hat, eine ewige trostlose Erinnerung. Ganze Familien lagen oft in einem Raum zusammengepfercht. Hinzu kamen die sich später meldenden Familienangehörigen.

Die Unterbringung erfolgte oft mit sehr harter Hand, jedoch im großen und ganzen wurden sie bereitwilligst aufgenommen. In manche Häuser kamen zwei Familien. Eine größere Anzahl kam aus Probsthain und Umgebung. Viele dachten an baldige Rückkehr; andere sagten, daß sie unter den von Polen geschaffenen Verhältnissen kaum an eine Rückkehr dächten. Das ganze Dorf wurde nach Unterbringungsmöglichkeiten abgetastet. Viele Waschhäuser und Abstellräume dienten als Wohnräume. In örtlicher und kultureller Beziehung brachte dieser Vertriebenenstrom eine gänzliche Umgestaltung des dörflichen Treibens und Lebens. Viele alte Gewohnheiten sowie die Klassenunterschiede unter den einzelnen Bevölkerungsschichten verschwanden vollends. Die Geschäftswelt blühte in nie gekannten Formen neu auf. Wenn man daran denkt, daß einst aus unserem Lande zu alten Zeiten ein Siedlerstrom nach dem Osten zog, um diese dünn besiedelten Gebiete zu besiedeln und zu kultivieren.

All die Lebensformen der ländlichen Vertriebenen glichen - was Fleiß und Ausdauer anbetraf - auch der unserer Bevölkerung. Und als im Jahre 1949 das Bauen begann, waren viele, die aus dem Nichts heraus sich ein eigenes Heim schufen, mit einer Energie und Ausdauer, die ihnen nur die verlorene Heimat geben konnte.
 

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