Aus guten und schlechten Zeiten

Aus meiner Jugendzeit kann ich mich erinnern, daß Deutschland ein reiches Land war. Trotz unserer großen Geschwisterzahl (12) haben wir wohl keine Not gelitten, jedoch auch nicht im Überfluß - was Freizeit und Zeitvertreib anbelangte - gelebt. Zu damaliger Zeit gab es auch schon, wie ich mich erinnere, bittere Not in den kinderreichen Familien.

Eine schlechte Zeit in Ernährung usw. entstand im Kriegsjahr und Steckrübenwinter 1916/17. Der Himmel mag wissen, wo die vielen Steckrüben gewachsen waren, die in diesem Jahr vorhanden waren, so hörte man die Städter reden. Schon im Sommer 1916 wurden alle Lebensmittel rationiert, es gab Brotmarken, pro Tag 1/2 Pfd. Brot je Person. Diesem Brot war aber schon Kartoffelmehl zugesetzt. Die Einwohner halfen sich mit allem möglichen, um einen Ausgleich in der Ernährung zu schaffen. Eicheln und Bucheckern wurden fleißig gesammelt und für Vieh und Menschen verwendet. Der Dreschflegel erklang wieder auf den Tennen, und heimlich wurde das Korn gedroschen und zur Mühle gebracht. Auch manches Schwein verschwand bei Nacht und Nebel als sogenannte Schwarzschlachtung. Ich erinnere mich, daß ich bei einer Schwarzschlachtung nach dem Betäubungsschlag dem Schwein einen Sack über den Kopf werfen sollte. Der Schlachter wollte aber noch einmal zuschlagen und hätte mich um ein Haar getroffen. Wenn man heute die von den Schlachtereien durch die Abdeckerei in Osterode abgeholten großen Tonnen von Abfall sieht, sagt man sich, wie ist so etwas möglich, halbe Schweinebeine, Ohren, Pfötchen usw. werden dort zu Futtermitteln verarbeitet.

Nicht allein an Nahrungsmitteln, sondern auch an Bekleidung mangelte es. Die alten Spinnräder wurden wieder hervorgeholt, auch die Webstühle, soweit sie noch brauchbar waren, wurden in einigen Häusern wieder aufgebaut.

Auch der sogenannte Schwarzhandel brachte manchem, der eine gute Ernte hatte oder es verstand, sich vor der Ablieferung zu drücken, einen schönen Pfennig Geld ein. Zu dieser Zeit wurde auch der Anbau der Ölfrüchte neu betrieben. Raps und Mohn waren hier die Anbaufrüchte neben dem Flachs für die Bekleidung.

Es fehlte an allem, überall gab es Ersatz: Fahrradreifen aus Metallspiralen, Hemden aus reinem Papier usw. "Marmelade, Marmelade ist der beste Fraß im deutschen Staate!" - so sangen die Soldaten. Anfang des Krieges sah ich, daß die Pferde statt Hafer Zucker im Futterbeutel hatten, und zwar zugeteilt; es war nicht nur Melasse. Ende 1918 hielt der Tod durch eine Seuche, die Grippe, reiche Ernte unter den ausgemergelten Menschen. Der Schwarzhandel und der Tauschhandel wurden Mode. Diese Erscheinung hielt noch jahrelang an und wurde erst durch die Rentenmark zerstört.

Als kleiner Junge sah ich auch um 1906 noch die Bänkelsänger, die die Straßen singend durchstreiften. An einer langen Stange hatten sie ein großes Bild, groß wie eine Landkarte. Auf diesem Bilde war ein Drama bildlich dargestellt, wozu die Bänkelsänger unendlich viele Verse sangen. Ebenso kamen besonders im Winter die Eichsfelder Musikanten und spielten in den Straßen auf, um dann anschließend kleine Münzen als Entgelt zu sammeln.

Bei dieser Gelegenheit will ich noch auf eine heute kaum zu verstehende Tatsache der damaligen Zeit eingehen. Z.B. beim Tanz
 

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