Der Hungersee bei Breitungen

Eine Bodensenke südlich vom Kalkberg zwischen Mühlweg und dem Weidendamm trägt die Breitunger Mundart-Bezeichnung "Hungersee" (nicht zu verwechseln mit dem Bauerngraben).


Der Hungersee trocken

Der an der tiefsten Stelle vorhandene Schilfbewuchs weist auf feuchten Untergrund hin. Heute kaum noch wahrgenommen, hatte die Senke vom späten Mittelalter bis in die letzten Jahrhunderte hinein für die Breitunger, insbesondere ihre Landwirtschaft, eine enorme Bedeutung. Diese erste Überlieferung fällt in das 17. Jahrhundert. Kranoldt schrieb in seiner Chronik:
"...es besteht solcher aus lauter guten Lande, wenn aber Theurung vorhanden, bekömmt Er viel Wasser, welches aus der Erden und dabey nahe liegenden Kalck Gebürge hervorquillet, dass es endlich eine See formirt, mithin vieles Land bedeckt, mutmaßlich hat es eine genaue connepion mit dem gedachten Bauren Graben".

"Anno 1698 lief diese See also auf, dass sie von dem Mühlwege biß an den Weiden Damm reichte, dass die wilden Endten im Rohr hocken, daher der damalige H. Ober-Hofmeister von Hering, welcher wegen dere Höfe das meiste Land in selbigen hatte, bewogen wurde, solchen mit Fischen zu besetzten, welche in kurtzer Zeit, wegen des fetten Bodens und gedüngten Landes, ziemlich groß wurden".

Nachdem im Zusammenhang mit dem Bergwerkgeschehen rund um Breitungen ein Abflussgraben, genannt "Reusche" für diesen "Hungersee" geschaffen wurde, schien es eine dauerhafte Lösung für das Abfließen des Wassers zu sein. Trotzdem muss es in den folgenden Jahrhunderten zu weiteren Wasserfüllungen dieser Senke gekommen sein. Näheres ist nachzulesen in einer Schrift des Karstmuseums-Heimkehle von Christel und Reinhard Völker "Der Kampf gegen das Wasser. Aus der Bergbaugeschichte zwischen Uftrungen und Breitungen 1714-1774".

Der in Breitungen geborene Lehrer Gerhard Gille (1862 bis um 1945) berichtet:
"Als Kind (um 1870) habe ich ihn mehrere Jahre mit Wasser gefüllt gesehen inmitten des Kleemannschen Grundstückes…".


Der Hungersee wassergefüllt

In der Ortschronik enthält der Jahresbericht des Gemeindevorstehers John zum Jahr 1927 folgende Notiz:
"Der Bauerngraben steht seit 1926 voll Wasser und will nicht weniger werden. Auch im See, welcher mit dem Bauerngraben in Verbindung steht, ist Wasser. Somit haben die Ackerbesitzer viel Schaden. Auf Beschwerden und Ansuchen des Landwirts W. Karpe soll der Graben im Laufe des Sommers gehoben werden."

Einigen älteren Breitunger Einwohnern wird dieses in der Neuzeit, im Jahre 1956, passierte Ereignis noch bekannt sein. Aus dem Heft "Der Bauerngraben" von Christel und Reinhard Völker:
"Der Sohn des Bauern Walter Ringleb aus Breitungen war am 15. Mai gegen 17.00 Uhr auf dem Feld mit Düngerstreuen beschäftigt. Sein Großvater hackte Disteln. Auf einmal sagte der Großvater, dass wenige Meter vom Feldwege die Erde nachrutschte, etwa einen halben Meter. Herr Ringleb streute weiter und wie er um das Feld herum war, nach einer halben Stunde, war der Feldboden bereits einen Meter nachgerutscht ohne jede Rissbildung an sämtlichen Seiten. Um 19.00 Uhr waren es bereits 3 bis 4 Meter Tiefe. Am anderen Morgen war der Dornbusch am Wegrain verschwunden. Herr Fritz Dietrich stellte am 16. Mai um 6.00 Uhr morgens fest, dass der Erdfall einen Durchmesser von 4 bis 6 Meter hatte und sich in demselben in 4 bis 6 Metern bereits Wasser befand, laufende Nachstürze erfolgten. Das Wasser war laut glucksend in Bewegung. Um 18.30 Uhr war der Erdfall 22,7 Meter tief. Das Wasser lief aus den Schichten nach und füllte den Erdfall 9 Meter hoch. Dadurch wurde der Erdfall auch breiter und brach laufend nach. Einige Tage später war er 24 Meter tief und hatte einen 30 Meter Durchmesser."

Daraufhin erfolgte im Jahre 1957 eine abschließende Lösung für dieses Problem. Ein Beitrag in der Tageszeitung "Freiheit" vom 12.07.1957 behandelt das Thema:
"12 ha See werden wieder Ackerland. In den früheren Zeiten ging das Wasser durch einen alten unterirdischen Stollen fort. Nachdem dieser Stollen zusammenbrach, konnte die Regulierung nicht mehr funktionieren. Unser Staat stellte demzufolge eine Summe von ca. 200.000 Mark zur Verfügung, damit diese 12 ha bestes Ackerland wieder in landwirtschaftliche Nutzfläche einbezogen werden kann. Wenn man vor dem Baugelände steht, mutet es einem an, als ob hier ein Schiffahrtskanal oder ein Flussbett ausgehoben wird. Das Ablassen des Sees erfolgt durch eingelegte Röhren im Durchmesser von etwa einem Meter, die dann wiederum in einen großen, dafür ausgeschachteten Graben münden, der das Wasser dann weiterleitet. Der Graben hat eine Länge von 450 m, eine Breite von 17,5 m und eine Tiefe von 5,40 m. Außerdem ist im Graben, gleich in der Nähe des Sees, ein Senkschacht gebaut, der das Wasser des Breitunger Baches auffängt und ebenfalls in den Graben leitet. Zur Zeit sieht man, daß der See nur noch 50 % der Fläche einnimmt, die er einst hatte. Einige Stücke Ackerland am äußersten Rande des Sees sind schon gepflügt und bald wird auch die Brauchbarmachung des Bodens beginnen, wo eben jetzt noch Wasser steht".

Die oben zitierten Darstellungen erklären daher den Namen, den der Volksmund diesem "See" gegeben hat: "Hungersee", denn die Ernteausfälle in den Jahren der Füllung brachten für die beteiligten Breitunger Bauern Hunger und Not mit sich.

GPS-Koordinaten
N 51.4950° E 11.0476°

Quelle: nach einem Artikel aus der Festzeitschrift " 961-2006, 1045 Jahre Gemeinde Breitungen"

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