Impressum / Datenschutz
Fremde Besucher mag es erstaunen: Der kleine Ort Gittelde hat zwei große alte Gotteshäuser.
Um ein Haar wäre aus dem Dorf sogar eine kleine Stadt geworden.
Diese Geschichte beginnt im 10. Jahrhundert.

Aus Gittelde wurde doch keine Stadt, obwohl „es schon zwei Kirchen hat“, im Dorf läuten die Glocken mal „oben“ und mal „unten“

- von Bodo Biegling -

Seit dem 10. Jahrhundert stehen in dem Flecken Gittelde zwei Gotteshäuser: Die Mauritius-Kirche und die Johannis-Kirche, die eine im Oberdorf, die andere im Unterdorf. Nicht nur für manchen Besucher ist das verwirrend, auch Pastoren von außerhalb stehen mitunter vor der falschen Kirche.
Fremde Besucher sind oft verwundert, weil sie in dem kleinen Ort zwei große, alte Kirchen vorfinden.
Es ist sogar schon vorgekommen, dass fremde Pastoren und Besucher vor einer verschlossen Kirche warteten, weil der Gottesdienst in der zweiten Kirche gefeiert wurde.
Der Grund, warum es die zwei Kirchen gibt, liegt im Jahre 953.


Die jüngere St. Mauritius-Kirche gilt als die Hauptkirche in Gittelde

Kaiser Otto schenkte seinen Gittelder Besitz „Getlithi“ seinem Lieblingskloster St. Mauritius zu Magdeburg. Erst danach erkannte er durch den beginnenden Bergbau im Harz, insbesondere am Rammelsberg, den Wert dieses Ortes und verzögerte die Schenkung. Im Jahre 965 erfolgte auf Druck des Klosters in einer zweiten Urkunde dann doch der Vollzug der Schenkung. Nur die lukrativen Markt-, Münz- und Zollrechte wurden „abgetreten in Großzügigkeit gänzlich und unangefochten und auf Hoffnung auf göttliche Belohnung (...) zu ewigem Nießbrauch an die Kirche des Hl. Mauritius“. Der vorhandene Edelhof mit einer Kapelle, die spätere Johanneskirche, verblieb im Besitz des Kaisers.
Das Mauritiuskloster Magdeburg sicherte sich diese Rechte, indem es oberhalb der alten Siedlung eine Kirche mit Pfarrhaus errichtete, die dem Heiligen Mauritius geweiht war.
Schnell entwickelte sich dort eine neue Siedlung, mit Marktplatz, Münzstätte und Zollstation. Die beiden Siedlungen wuchsen bald zusammen. Anfang des 14. Jahrhunderts wurden Unterdorf und Oberdorf als ein „Bleek“ (Flecken) bezeichnet. Das damalige Ortssiegel trug die Namen der beiden Kirchen St. Johannes und St. Mauritius. Seit dieser Zeit ist auch die heutige Schreibweise des Ortes „Gittelde“ geläufig.
Noch heute gibt es eine unsichtbare Grenze zwischen den beiden Ortsteilen. So läutet die Totenglocke (Sterbeläuten) je nach Wohnung des Verstorbenen in der „Oberen Kirche“ oder in der „Unteren Kirche“. Und die Bewohner kennen gut die „Machtkämpfe“ beim Aufbau der Osterfeuer im Ober- und Unterdorf.
Bis zur Einführung der Reformation im Jahre 1542 im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel und somit auch in Gittelde unterstanden die beiden Kirchen beziehungsweise Pfarrgemeinden zwei verschiedenen Bistümern. Die St. Johanneskirche (St. Johannis) gehörte zum Dekanat Berka in der Propstei Einbeck und war dem Bistum Mainz unterstellt.
Dagegen gehörte die St. Mauritiuskirche (St. Moritz) aufgrund der Schenkung aus dem Jahre 953 bzw. 965 zum Erzbistum Magdeburg. Es bestanden getrennte Patronate für beide Kirchen. So waren die adligen Herren von Gittelde und die Familie Koch zu Windhausen Patronate der St. Johanneskirche. Die Familie derer von Gadenstädt war bereits zu Zeiten der Reformation Patronat der St. Mauritiuskirche.
Dieses Kirchenlehen wurde erst im September 1968 vertraglich aufgehoben. Als Filiale gehörten die Kirchengemeinde Windhausen zur St. Johanneskirche und die St. Antoniuskirche zu Grund zur St. Mauritiuskirche. Nach der Reformation gab es in Gittelde weiterhin zwei getrennte Kirchengemeinden mit getrennten Vermögensverwaltungen, jedoch mit einem Pfarramt und einem Pastor in St. Mauritius. Beide Kirchen unterstehen seitdem der Braunschweigischen Landeskirche bzw. deren Vorgängerin, die zu der Zeit noch eng mit dem Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel verbunden war.

Das Gittelder Wappen
Die besondere Bedeutung der beiden Gittelder Kirchen in der Gittelder Geschichte spiegelt sich auch im Gittelder Wappen wieder. Die zwei Schlüssel symbolisieren die beiden Kirchen und die jahrhunderte alte Teilung des Ortes in zwei Pfarr- und Vogtbezirke. Die beiden Schlüssel sind mit dem ältesten Gittelder Sachsenpfennig aus dem 10. Jahrhundert verbunden. Er stellt das alte Gittelder Münzprägerecht dar. Der Pfennig enthält die Umschrift „jelithis pening“ und das Bildnis einer Holzkirche. Diese Kirche ist die symbolische Darstellung eines Kirchengebäudes und der christlichen Religion. Der Begriff „jelithis“ steht für eine der ältesten Namensnennungen von Gittelde und für eine der ältesten Siedlungen im Harzvorland. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich für die beiden Gittelder Kirchen feste Strukturen herausgebildet.

Die beiden Kirchen heute
Die St. Mauritiuskirche ist die „Hauptkirche“. In ihr und im angrenzenden Pfarrhaus findet vorwiegend das kirchliche Leben statt.
Die St. Johanneskirche ist mit ihrer direkten Lage auf dem Friedhof die „Beerdigungskirche“. Die Bauunterhaltung dieser beiden alten Kirchen ist für Kirchengemeinde und Landeskirche in Zeiten des knappen Geldes eine große Herausforderung. Es bleibt abzuwarten, wie die zurzeit laufende Gebäudebewertung der Landeskirche ausfällt.
Die mehrmaligen kirchlichen und weltlichen Herrscherwechsel, Verwaltungsreformen und die große wirtschaftliche Ausbeutung der Region wirkten sich nicht positiv auf den Ort aus. Die frühen städtischen Grundzüge - schon früh wird von einer Villa gesprochen verbunden mit der Verleihung der Mark-, Münz- und Zollrechte an den Ort konnten leider nicht zur „Stadtwerdung“ ausgenutzt werden, wie es in anderen Orten der Fall war.
Kurzsichtigkeit, Unstimmigkeiten und fehlender Weitblick der Verantwortlichen führten in der Vergangenheit zu einer eher rückläufigen Entwicklung. Dies konnte auch die spätere großzügige Förderung des Ortes durch die Herzogin Elisabeth nicht aufualten. Gittelde entwickelte sich zu einem Handwerker- und Bauerndorf.
Im Jahre 1505 verzichteten die Verantwortlichen im damals jungen Flecken Gittelde auf die „Stadtfreiheit“, die von der Herzogin Elisabeth angeboten wurde, und „haben es damit (...) nicht gewolt, und diess Glück vorbey gehen und fahren lassen“, wie es in alten Aufzeichnungen heißt. Wahrscheinlich eine folgenschwere Fehlentscheidung für die weitere Entwicklung des Ortes: Das im Volksmund bekannte Lied „Gittelde wird noch eine Stadt, da es schon zwei Kirchen hat“ wird wohl ein ewiger Traum bleiben.


Die St. Johannis-Kirche beim Friedhof ist heute die „Beerdigungskirche“.

[ Copia einer Schrift, welche sich in dem Knopfe auf dem Thurme der St. Johannis
Kirche zu Gittelde bey der Abnahme deselben Anno 1783 gefunden hat
]