Firouz Vladi Der letzte Schrott, oder: Neulich stand was im Harzkurier und beim Frühstück blieb mir der Bissen im Halse stecken, das schlechte Gewissen regt sich und ich möchte meine Sünde offenbaren und Abbitte tun. … also, das war so: Im Herbst 1970 hatten wir als junge Geologie-Studenten aus Hamburg eine Exkursion in den Südharz. Unser Dozent, Dr. Christian S., zeigte uns einen kleinen verlassenen Steinbruch gleich oberhalb der Branntweinseiche an der B 243. Da lag etlicher Schrott und Müll drin, wie es damals noch so üblich war. Interessanter aber war der geologische Inhalt: Der hier anstehende Dolomit war sandig-schichtig; es sei Abrieb vom nahen Riff des Römersteins, sogenannte Riffsande, die einst vom Riffhang mit der Wellenbrandung des Zechsteinmeeres in den tieferen untermeerischen Riffabhang getragen und abgelagert worden seien. So lernt der Student, genau hinzugucken und räumliche und genetische Bezüge zu verstehen. Genau das hatte ich verstanden! Und erinnerte mich einige Monate später daran. Denn zu Weihnachten fuhr ich mit dem vom Kommilitonen Stefan C., Goslar, geliehenen 53er dunkelgrünen Käfer (kleine Heckscheibe, Winker unsynchronisiertes Getriebe) von Hamburg kommend abends ins Forschungslager bei Wieda. Dipl.-Ing. Christian F. aus Hamburg hatte über den Sohn des Revierförsters den Förstereischuppen gemietet. Werner und Martin R., zwei angehende Wissenschaftler aus Herzberg waren auch dort. Nun, es war Glatteis, zuvor hatte ich noch in Herzberg Lebensmittel eingekauft, u.a. Margarine und Harzkäse. In Osterhagen überholte ich den Streuwagen (fataler Fehler, bitte nicht nachmachen?!). Vor dem Streuwagen war es naturgemäß glatt; und auf die heute vielbesungene Anhöhe der Wasserscheide Weser-Elbe und Eichsfeldschwelle bei der Branntweinseiche hinauf wurde es glatt und glätter. Ich fuhr schon sehr langsam, bei 30 PS naheliegend. Kennt von euch Jüngeren eigentlich noch jemand das Fahrgefühl im 30-PS-Käfer, den Geruch, das typische Geräusch? Auf der Kuppe war eine nur leichte Rechtskurve, aber diese reichte schon aus: der Wagen kam ins Schleudern, drückte einen Begrenzungspfosten um und kippte ganz gemächlich, aber unaufhaltsam nach links auf die Seite und in den Graben. Da lag ich nun im Dunkeln; nichts Schlimmes, nur auf der Seite. Aussteigen war kein Problem, musste nur die Beifahrertür über mir öffnen, mich lang machen und rausklettern. Ging wie geschmiert, im wahrsten Sinne des Wortes, denn später fand ich auf der Fahrertür innen den im Dunkeln breit getretenen Tiegel Margarine. Auch draußen war es wie geschmiert; auf der Fahrbahn schlug ich gleich lang hin, die war nicht glatt sondern spiegelglatt. Andere Autos kamen vorbei, wollten helfen, bremsten und kamen erst unten am Abzweig nach Bad Sachsa zum Stehen (dort ist jetzt der in Schräglage gebaute „Südharzkreisel“, vermutlich völlig glatteissicher). Sie kamen zu Fuß herauf, fragten nach Verletzungen und Toten und halfen dann – vier Mann, vier Ecken – den Käfer wieder auf die Beine zu stellen. Der sprang auch artig gleich wieder an. Dumm gelaufen: einer der freundlichen Helfer war vom Grenzschutz. Musste sich also als Ordnungshüter aufplustern und wollte, als er den herausgerissenen Begrenzungspfahl sah, die Polizei anrufen. Handy gab es noch nicht, aber er hatte irgendeine Art von Funkgerät an Bord. Aber: ein Geologe weiß sich zu helfen! Natürlich hatte ich für das Peilstangenbohrgerät immer den großen 5-kg Plastikhammer dabei. „Halten Sie mal eben!“ rief ich ihm zu, drückte ihm den Pfosten in die Hand und haute drauf. Schon war alles wieder – straßenbautechnisch gesehen – in Ordnung. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück in Wieda, es war schon hell geworden, besah ich mir den ja nur geliehenen Wagen: beide Stoßstangen waren verknickt und der Außenspiegel ab (damals gab es nur links einen kleinen zierlichen Spiegel). Und jetzt kam wieder die Geologie ins Spiel: da war doch der Steinbruch an der Branntweinseiche, und von der Exkursion her, wenige Monate zuvor, schwebte mir deutlich ein gut erhaltenes Käferwrack vor Augen. Also den 14er Maul und 17er Ring eingepackt, wieder hingefahren und frisch ans Werk. Beide dortigen Stoßstangen waren gut und heil, auch der Spiegel. Schnell abgeschraubt, an Stefans Wagen angeschraubt und das Verknickerte dem so beraubten Wrack wieder beigelegt. Würde dieser lockere Tausch mit irgendeinem modernen Wagen irgendwo am Straßenrand heute noch möglich sein? Nie wieder, wie sich die Zeiten verändert haben! Trabbis gibt es ja auch nicht mehr im Erdfall oder am Straßenrand. Jedes Mal, wenn ich an der Branntweinseiche vorbeikomme, fällt mir diese Szene ein. Das der Deal aber jemals auffliegen würde, kam mir nie in den Sinn. Nun ist es passiert. Liebe Straßenbauverwaltung, liebe Abfallbehörde: heute, nach 43 Jahren, könnte ich ja noch versuchen die beiden Stoßstangen und den Spiegel aus eurem Schrotthaufen rauszusuchen und fachgerecht zu entsorgen; allein der Schrotthaufen ist schon weg. Und ich hatte ja eigentlich nur etwas getauscht…
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