Limnologische Untersuchungen an der Sieber

von

Anette Dombrowski und Klaus Markgraf

(Deutscher Jugendbund für Naturbeobachtung, Hamburg)


1. Einleitung

Vom 27. Juli bis 10. August [1985] fand im Siebertal im Harz ein DJN-Lager zum Thema "Lebensraum Mittelgebirgsbach" statt. Dabei stand neben dem Kennenlernen des Lebensraumes und seiner ökologischen Bedeutung, die Methode der makroskopisch-biologischen Wassergütebeurteilung im Mittelpunkt. Die Sieber bot sich für diese Untersuchungen aus verschiedenen Gründen besonders an:

  • Sie stellt mit ihren Nebenflüssen das letzte große Bachsystem im Harz dar, das noch nicht durch Talsperren reguliert ist, und gibt so die Möglichkeit einen weitgehend natürlichen Zustand dieser Bergbäche kennenzulernen.
  • Im Mittel- und Unterlauf nimmt die Abwasserbelastung schrittweise zu. Dies ist eine gute Voraussetzung für ein selbstständiges Erarbeiten der Auswirkungen von Gewässerverschmutzung.
Zur Zeit des Sommerlagers fand das Planfeststellungsverfahren zu den geplanten Überleitungssperren Sieber- und Kulmketal statt, was uns veranlaßte, uns mit der Trinkwasserpolitik Niedersachsens und speziell den Auswirkungen der geplanten Maßnahmen auf das Siebertal zu beschäftigen. Die hier ausgeführten Ergebnisse wurden am Ende des Lagers im Rahmen eines Öffentlichkeitsnachmittages der interessierten Bevölkerung zugänglich gemacht. Unser besonderer Dank gilt Herrn Riefenstahl, der uns während des Lagers mit Rat und Tat zur Seite stand, und durch seine Bemühungen die Durchführung des Lagers erst ermöglicht hat, und Herrn Matwijow, der uns freundlicherweise Fotos vom Siebertal zur Verfügung stellte.
 

2. Der Lebensraum Mittelgebirgsbach

2.1. Einführung in den Lebensraum Mittelgebirgsbach

Der Lebensraum Mittelgebirgsbach beginnt an der Stelle, wo das Grundwasser aus der Erde tritt. Das Wasser kann dabei entweder an verschiedenen Stellen in einem größeren, sumpfig feuchten Gebiet nur schwach aussickern, von wo aus einzelne Rinnsale ohne erkennbaren Anfang ihren Lauf nehmen (Sumpfquelle=Helokrene), wie es bei der Sieber der Fall ist, oder aber das Grundwasser schießt in einem kräftigen Strom aus einer Gesteinsspalte hervor (Sturzquelle = Rheokrene).

Viele der Rinnsale vereinigen sich, und so entsteht nach der Quellregion der Oberlauf des Mittelgebirgsbaches. Durch das natürlich gegebene Gefälle erreicht das Wasser eine hohe Strömungsgeschwindigkeit. Das Frühjahrshochwasser, nach der Schneeschmelze, kann die Wassermenge auf das 5 bis 30fache anschwellen lassen, große Gesteinsbrocken aus dem Untergrund herausreißen und mit sich führen. In geringerem Umfang wird auch das Bachbett durch die Wassermassen infolge hoher Niederschlagsmengen ständig umgestaltet. Die Gesteinsbrocken unterbrechen überall den Verlauf des Baches und machen ein gleichmäßiges Fließen des Wassers unmöglich, die Strömung ist größten teils turbulent.

Immer weitere Quellarme und Nebenbäche münden in den Mittelgebirgsbach ein und dem Oberlauf folgt der Mittellauf, wo die Wassermassen schon viel ruhiger zu Tale geführt werden. Der Mittellauf stellt einen Übergang zwischen Ober- und Unterlauf dar. Es treten häufiger Bereiche auf, in denen das Wasser tiefer ist und langsamer fließt, z.B. am Bachrand oder hinter größeren Felsen. Im Unterlauf verliert die reißende Strömung ihren prägenden Einfluß. Am Ende des Unterlaufes kann der Mittelgebirgsbach in den Lebensraum "Fluß" oder "Niederungsbach" übergehen.

2.2. Der Einfluß von abiotischen Faktoren auf die Lebewesen im Mittelgebirgsbach und deren Anpassungen an diese Faktoren

  • Sauerstoffgehalt des Wassers

  • Durch die stark turbulente Strömung im Mittelgebirgsbach und die damit verbundene ständige Durchmischung des Wassers mit der Luft, die weitgehend niedrigen Wassertemperaturen und der nahezu völlige Mangel sauerstoffzehrender Fäulnisprozesse bedingen den hohen Sauerstoffgehalt des Wassers. Rund 100 % O2-Sättigung im Oberlauf, mancherorts auch im Mittellauf sind die Regel. Die Organismen im Mittelgebirgsbach sind an diesen hohen Sauerstoffgehalt angepaßt. Zum Teil sind Atmungsorgane rückgebildet, der Gasaustausch erfolgt über die gesamte Körperoberfläche. Dies ist z.B. bei Steinfliegenlarven der Fall, die zwar ein vollkommen geschlossenes Tracheensystem besitzen, jedoch meist nur wenige, schlauchförmige Tracheenkiemen, an denen die Sauerstoffaufnahme bevorzugt erfolgt. Selbst diese können je nach Art noch reduziert sein. Ändert sich der Sauerstoffgehalt durch Abwassereinleitungen oder Eingriffe in das natürliche Bachbett, so können die an den hohen Sauerstoffgehalt angepaßten Organismen dort nicht mehr existieren.
     
  • Wassertemperatur

  • Die Wassertemperatur beeinflußt das Vorkommen von Lebewesen in den Regionen eines Mittelgebirgsbaches. Das Grundwasser tritt mit einer konstanten Temperatur (+7°C bis +10°C) aus dem Boden hervor. Danach ist das Wasser des Baches mit zunehmender Entfernung von der Quelle immer stärker Umwelteinflüssen wie Bodentemperatur, Lufttemperatur, Sonnenstrahlung, etc. ausgesetzt. Dies bewirkt, daß im jahreszeitlichen Verlauf die Schwankung der Wassertemperatur im Unterlauf sehr groß sein kann (Unterschiede bis zu 15°C) . Im Sommer ist das Bachwasser im Unterlauf sehr viel wärmer als das Quellwasser, im Winter kälter. Neben eurythermen Organismen, das sind solche Tiere, die große Temperaturschwankungen ertragen und im gesamten Bachverlauf vorkommen können, findet man kaltstenotherme Arten im Oberlauf, die an die konstant niedrigen Temperaturen angepaßt sind. Aber auch die Entwicklungsdauer der Lebewesen (stoffwechselphysiologische Vorgänge) hängt von der Wassertemperatur ab. Sinkt die Temperatur auf einen bestimmten Wert, den sogenannten Entwicklungsnullpunkt oder die kritische Temperatur, stellen z.B. Eintagsfliegenlarven (Ephemeroptera spec.) mancher Arten jegliches Wachstum ein und überwintern in der bis dahin erreichten Größe, bis im Frühjahr das Wachstum mit höheren Wassertemperaturen wieder einsetzt. Entwicklungsunterschiede bestehen auch bei einer Art, die im Ober- sowie im Mittellauf vorkommt. Das Tier im Oberlauf macht eine zweijährige Entwicklung durch, während das im Mittellauf nur ein Jahr benötigt, bis z.B. aus der Eintagsfliegenlarve die Eintagsfliege schlüpft. So sind bei Eintagsfliegen die Entwicklungsdauer und die Flugzeiten nicht artspezifisch festgelegt, sondern werden erheblich von der Wassertemperatur beeinflußt.
  • Strömung des Wassers

  • Die Strömungsgeschwindigkeit in einem Mittelgebirgsbach kann bis zu 1m/sec. betragen, die Strömung ist weitgehend turbulent. Um nicht vom Wasser abgedriftet zu werden, haben sich bei den Organismen eine Reihe von Anpassungen an die Strömungsverhaltnisse entwickelt:

    1. Aufenthalt der Tiere an strömungsgeschützten Stellen

    • in der Stillwasserzone oder auch Totwasserbereich am Boden
    • im Strömungsschatten von Steinen oder Pflanzen

    •  
    2. Entwicklung besonderer Haft- und Klammerorgane, wie
    • Klauen bei Steinfliegen (Piecoptera spec.) und Eintagsfliegenlarven, sowie bei Käfern (Coleoptera spec.)
    • Saugnäpfe bei Egeln (Hirudinea spec.), Lidmücken (Liponeura spec.)


    3. Schleimabsonderung zur Anheftung auf dem Substrat bei

    • Schnecken (Gastropoda spec.), Strudelwürmern (Turbellaria spec.)


    4. Spinnen von Verankerungsfäden zur Absicherung des Körpers, wie z.B. bei Kribelmücken (Simuliidae spec.)

    5. Entwicklung einer strömungsschnittigen Gestalt, z.B. bei

    • Flußnapfschnecke (Ancylus fluviatilis) , Eintagsfliegenlarven und Steinfliegenlarven
    • Eintags- und Steinfliegenlarven können ihre ohnehin schon stark abgeplattete Gestalt je nach Strömung fest an Steine andrücken, um so der Strömung keinen Widerstand zu bieten.


    6. Erhöhung des eigenen Körpergewichtes, zum Erschweren des Abdriftens:

    • Köcherfliegen (Trichoptera spec.) bauen z.T. Köcher mit größen Belastungssteinen.


    7. Als weitere Anpassung gegen das Abdriften hat man den sogenannten Kompensationsflug der Eintagsfliegen beobachtet. Die erwachsenen Tiere fliegen zur Eiablage ein ganzes Stück stromaufwärts, und gleichen so die Abdrift ihrer Larven im Gewässer wieder aus.
    Mit diesen Anpassungen gehen oft Spezialisierungen hinsichtlich der Ernährungsweise einher. So baut die Köcherfliegenlarve Hydropsyche ein hinten geschlossenes, röhrenartiges Netz, in dem vom Wasser transportierte Nahrungs teilchen hängenbleiben, die das Tier dann abweidet.

Abb.2: Karte von Sieber und Umgebung mit Probestellen


3. Gebietsbeschreibung

Das Siebertal läßt sich grob in vier Bereiche einteilen:

I. Bereich (ca. 1,5km):
Quellregion im flachen Hochmoores des Bruchberges auf 900m über NN.

II. Bereich (ca. 10km):
Er erstreckt sich, an die Quellregion anschließend, bis zum Forsthaus Königshof. Gekennzeichnet ist dieser Bereich durch sehr starkes Gefälle (bis ca. 12%). Die Sieber fließt in einem von großen Blöcken durchsetzten Felsbett durch Fichtenwald. Die Hänge des V-förmigen Tales sind zu beiden Seiten 200m hoch und werden nur auf der Ostseite von einmündenden Seitentälern geöffnet.

III. Bereich (ca. 3,5km):
Dieser befindet sich zwischen dem Forsthaus Königshof und dem Ort Sieber. Das Tal ist weiter und besitzt am Grund schon eine schmale Talsohle, die als Wiese genutzt wird. Die Sieber hat ein mittleres Gefälle von 3% und fließt in einem von Grauerlen gesäumten, flachen Grobschotterbett. Die Hänge zu beiden Seiten sind flacher als im oberen Bereich, aber bis 300m hoch, und von zahlreichen kleinen Bächen zergliedert. In diesem Abschnitt mündet auch das Tal des Großen Kulmke ein.

IV. Bereich (ca. 6km):
Er erstreckt sich vom Ort Sieber bis zum Austritt der Sieber aus dem Harz in Herzberg. Das Tal ist breiter als im vorigen Teil und besitzt eine breite Talaue, die von Schwarzerlenauenwald bestanden ist. Das Gefälle beträgt noch maximal 1%. Deshalb ist das Bachbett breit, flach und besteht aus grobem Kies. Die Talhänge auf der NW-Seite sind 300m hoch und steil, auf der SO-Seite nur 200m hoch und durch Einmündungen größerer Bäche zerschnitten, die eigene kleine Einzugsgebiete besitzen.In diesem Bereich wird an mehreren Stellen das Wasser der Sieber durch Wehre in Triebwassergräben abgeleitet und dient der Energieerzeugung. Dadurch liegen im Sommer einige Strecken trocken, bzw. führen nur sehr wenig Wasser.
Außerhalb des Harzes fließt die Sieber z.T. mäandrierend bis Hattorf am Harz, wo sie in die Oder mündet.
 

4. Untersuchungen zur Wassergüte

4.1. Kriterien der Probestellenauswahl

Ziel der Untersuchungen war es, einen Bergbach als Lebensraum am Beispiel der Sieber kennenzulernen. Dazu wurden vorher Probestellen festgelegt, an denen unsere Untersuchungen nach übereinstimmender Methodik durchgeführt wurden, um die Ergebnisse vergleichen zu können. Die Auswahl der Probestellen erfolgte nach folgenden Kriterien:

  1. Die Verteilung, d.h. der Abstand von Probestelle zu Probestelle, sollte einen möglichst representativen Querschnitt des Baches von der Quelle bis zur Mündung ergeben. Dabei wurde markanten Geländepunkten wie z.B. Gebäuden oder Brücken der Vorzug gegeben.
  2. Zusätzliche Probestellen bildeten alle Faktoren, die wesentlich auf den Bach einwirken, z.B. Kläranlagen, Zuflüsse, Wasserabführungen, usw.
  3. Die Faktoren Zeit und Arbeitsintensität begrenzten die Dichte der Probestellen, so daß z.T. Kompromisse nötig wurden.


Tab.1: Probestellen:
 
Nr.Ort der ProbennahmeFlußkilometer
1Brücke-Harzhochstraße (242) 780,0m üNN1,2
2Gr. Sonnental-2.Kehre 680,0m üNN3,0
3oberhalb Zulauf Fischbach 542,0m üNN5,5
4Brücke-Abzw. Dreibrodetal 442,5m üNN8,75
5Königshof11,0
6150m oberhalb Zufluß gr. Kulmke 350,0m üNN13,75
720m hinter Zulauf Sieberaner Kläranlage17,0
8150m unterhalb Zulauf Sieberaner Kläranlage 307,0m üNN17,15
950m oberhalb Brücke "Paradies" 300,0m üNN18,0
1050m unterhalb Brücke "Paradies"18,1
11Wehr vor Campingplatz - Bachzulauf18,7
12100m unterhalb Herzberger Papierfabrik22,0
13100m unterhalb Herzberger Kläranlage 220,0m üNN25,0
14100m vor Kurve "Aschenhütte"27,0
15Brücke-Elbingerode30,5

4.2. Chemische Untersuchung des Sieberwassers

Eine einmalige chemische Untersuchung, so wie wir sie an der Sieber vorgenommen haben, kann immer nur eine Momentaufnahme sein, die keine längerfristigen Aussagen erlaubt. Die chemischen Analysen des Sieberwassers dienten vor allem der Orientierung und Ergänzung der biologischen Werte. Alle Analysen wurden mit Reagenzien der Firma Merck/Darmstadt durchgeführt, die unter dem Namen Aquamerck im Handel erhältlich sind. Ermittelt wurden an jeder Probestelle jeweils der pH-Wert, die Gesamthärte (GH), das Säurebindungsvermögen (SBV), die Nitrat-, Nitrit- und Ammoniumwerte.

pH-Wert
Die Sieber entspringt unterhalb eines Hochmoores und wird deshalb von sehr saurem Milieu im Quellbereich geprägt. Die Werte lagen teilweise unter pH 4, der Meßgrenze des verwendeten Testes. Im Oberlauf steigt der pH-Wert mit zunehmender Bachstrecke kontinuierlich an und erreicht nach etwa 14 Bachkilometern den neutralen Bereich (pH 7). Bis zur Einmündung der Sieber in die Oder bleibt dieser Wert, abgesehen von geringen Schwankungen, konstant. Der pH-Wert hat in der Sieber einen entscheidenden Einfluß auf die Besiedlungsdichte mit Wasserorganismen. Mit abnehmendem Säuregehalt des Wassers stieg die Individuen- und Artenzahl an. Im sauren Milieu des Oberlaufes leben nur wenige, säuretolerante Organismen.

Gesamthärte und Säurebindungsvermögen
Als Gesamthärte bezeichnet man die Summe sämtlicher im Wasser gelöster "Härtesalze", das sind hauptsächlich Magnesium- und Calciumsalze. Sie wird in deutschen Härtegeraden ausgedrückt: 1°dH = 10mg CaO/l Wasser. Eine besondere Rolle unter den Härtesalzen spielen die Hydrogencarbonate (z.B. Ca(HCO3)2), die als Puffer wirken. Da eine bestimmte Menge dieser Salze eine äquivalent Menge an Säure, bzw. Base, neutralisieren kann (HCO3- + H20+ = H1C03 + H10), spricht man auch von Säurebindungsvermögen. Die Härte eines Fließgewässers hängt wesentlich von den geologischen Gegebenheiten ab: 10°dH = hartes Wasser bei Kalkuntergrund, 10°dH = weiches Wasser auf Buntsandstein. Im Quellbereich der Sieber lag die Gesamthärte bei 1°dH, über den gesamten Bachverlauf stieg sie nie über 4°dH. Ein Säurebindungsvermögen ließ sich auf den ersten Bachkilometern nicht nachweisen, da das saure Hochmoorwasser die geringe Pufferkapazität voll ausgeschöpft hatte. Mit zunehmender Bachstrecke, d.h. steigendem pH-Wert, stieg ebenfalls das SBV, es waren also zunehmend mehr Hydrogencarbonate im Wasser gelöst. Allerdings blieb das SBV über die gesamte Bachstrecke sehr gering (s. Gesamthärte).

Nitrat, Nitrit und Ammonium
In nicht mit organischen Abwässern belasteten Fließgewässern ist Nitrat (N03-) die wichtigste Stickstoffverbindung. In stärker mit organisch abbaubaren Abwässern belasteten Gewässern tritt Ammonium (NH3+) in bedeutenden Mengen besonders in einiger Entfernung unterhalb starker Abwasserzuflüsse auf (wenn die Eiweißzersetzung schon weitgehend abgeschlossen ist). Es wird dann mehr oder weniger rasch über Nitrit (NO2-) zu Nitrat oxidiert. Am Ende einer guten Selbstreinigung ist der Nitratgehalt meist erhöht. Nitrit ist gewöhnlich nur in geringen Mengen nachweisbar, da es je nach Bioaktivität der Mikroorganismen mehr oder weniger schnell verwertet wird.
Die Sieber ist ein extrem nährstoffarmes Fließgewässer, und Stickstoffverbindungen ließen sich erst unterhalb der ersten Kläranlageneinleitung nachweisen. Während bei der Kläranlage Sieber lediglich Nitrat und Nitrit nachgewiesen werden konnten, ließ sich unterhalb der Herzberger Kläranlage ein hoher Ammoniumgehalt ermitteln. Ammonium verwandelt sich bei pH-Werten im alkalischen Bereich in das Zellgift Ammoniak. Die Sieber trägt als Vorfluter die Abwasserlast von zwei Kläranlagen, zwei großen Industrieunternehmen sowie einer unbekannten Zahl mittlerer und kleinerer Einleiter. Sie erreicht die Oder mit 10mg NO3-/l und 0,2mg NO2-/l (s. Abb.4). Die Einleitung von Abwässern verringert den Sauerstoffgehalt des Wassers wesentlich, und verändert die Lebensgemeinschaften des Baches.

Abb.4: Diagramm zum Stickstoffgehalt der Sieber

4.3. Die makroskopisch-biologische Wassergütebeurteilung nach MEYER (1983)

Die makroskopisch-biologische Methode nach MEYER (1983) kam in den letzten Jahren mehrfach bei Projekten des DJN zur Anwendung, und wurde auch in den "NaBei's" schon ausführlich dargestellt. (LUTZ 1981 und HOLZAPFEL 1982). Da aber diese inzwischen relativ weit zurückliegenden Veröffentlichungen nicht jedem verfügbar sein werden, sei die Methode noch einmal kurz beschrieben.
Der biologischen Gewässergütebeurteilung liegt ein sogenanntes Saprobiensystem zugrunde. Das ist eine Zusammenstellung von Pflanzen und Tieren, die durch ihr Auftreten quantitativ und qualitativ verschiedene Verunreinigungen der Gewässer mit vorwiegend organischen Abwässern anzeigen. Das Auftreten und die Vergesellschaftung solcher Organismen erlaubt besonders in Fließgewässern Rückschlüsse auf deren Abwasserbelastung. Die meisten Verfahren biologischer Wassergütebeurteilung legen starkes Gewicht auf mikroskopisch kleine Organismen, und sind deshalb mit DJN-Mitteln kaum anzuwenden. Die Methode nach MEYER beschränkt sich auf Arten, für deren Bestimmung das bloße Auge oder eine 10fach vergrößernde Lupe ausreicht.
Um die Gewässergüte eines Baches oder Flusses zu bestimmen, entnimmt man dem Gewässer an den jeweiligen Probestellen eine bestimmte Anzahl von Steinen aus allen Strömungsbereichen und sammelt alle dort aufzufindenden Tiere ab. Das geschieht am besten mit einem feinen Pinsel, mit dem die Tiere in ein flaches Wassergefäß, z.B. eine Petrischale oder ein Glasdeckel, gestrichen werden. Darin kann man sie gut nach dem Buch von MEYER bestimmen. Massenhaft auftretende Organismen können natürlich gleich am Stein ausgezählt werden. Sandiges Substrat am Boden wird am besten mit einem Küchensieb durchsucht. Angeschwemmtes Laub, Holz, etc. sollte ebenfalls abgesucht werden. Wichtig ist dabei, daß alle Probestellen gleich behandelt werden, damit die erhaltenen Zahlen verglichen werden können. MEYER geht von 10 handgroßen Steinen, 5 Netzzügen im Kraut und 5 Netzzügen im Bodengrund aus, wobei er fehlendes Substrat durch entsprechend größere Untersuchung eines anderen Substrates ausgeglichen sehen will.
Für jede Art wird die Anzahl der Tiere bestimmt, der entsprechende Häufigkeitswert (s.Tab.3) und der Saprobienindex zugeordnet. Das Produkt aus Häufigkeitswert und Saprobienindex ergibt die Einzelsumme für jede Art, die Summe der Einzelsummen die Gesamtsumme. Diese wird durch die Summe der Häufigkeitswerte dividiert, und das Ergebnis liefert den Saprobienindex der Probestelle. Der Zahlenwert des ermittelten Saprobienindex kann den vier Gewässergüteklassen zugeordnet werden.

Tab.2: Beispiel zur Errechnung des Saprobienindex

ArtHäufigkeitswertx Saprobienindex= Einzelwertsumme
Flußnapfschnecke21,83,6
Habrophlebia spec.21,63,2
Baetidae22,04,0
Leuctra spec.21,53,0
Plectrocnemia spec.21,22,4
Gesamt10 16,2
720m hinter Zulauf Sieberaner Kläranlage17,0 
8150m unterhalb Zulauf Sieberaner Kläranlage 307,0m üNN17,15 

16,2 (Gesamtsumme) : 10 (Gesamthäufigkeit) = 1,62 (Saprobienindex). Dies entspricht Gewässergüteklasse I-II.


Tab.3: Zur Zuordnung des Häufigkeitswertes

HäufigkeitswertAnzahl
1 = Einzelfund1-2 Tiere
2 = wenig3-10
3 = wenig-mittel11-30
4 = mittel31-60
5 = mittel-viel61-100
6 = viel101-150
7 = massenhaftüber 150 Tiere


Tab.4: Zur Zuordnung der Gewässergüteklassen

GüteklasseGrad der organischen BelastungSaprobienindex
Iunbelastet bis gering belastet1,0
I-IIgering belastet 
IImäßig belastet2,0
II-IIIkritisch belastet 
IIIstark verschmutzt3,0
III-IVsehr stark verschmutzt 
IVübermäßig stark verschmutzt4,0

Nach unseren Erfahrungen vom Harz-Lager, ist der MEYER zur Einführung in die biologische Wassergütebeurteilung bestens geeignet. Schon nach relativ kurzer Einarbeitungszeit erhielten wir brauchbare Ergebnisse. Mit zunehmender Übung wurde allerdings deutlich, daß die Beschreibungen der Indikatorarten im MEYER oft zur eindeutigen Bestimmung nicht ausreichen:
- es sind nicht alle Arten aufgeführt, sondern nur solche mit Aussagewert für die Wassergüte, bzw. mit Lupe bestimmbare Arten. Das kann zunächst verwirren, wenn gefundene Tiere nicht zugeordnet werden können.
In einigen Fällen war es sehr hilfreich, sich bei der Bestimmung nicht allein auf die Beschreibungen von MEYER verlassen zu müssen, sondern auf spezielle Bestimmungsliteratur zurückgreifen zu können (s. Literaturverzeichnis). Um etwas Sicherheit im Ansprechen der Arten zu erhalten, ist es außerdem sehr zu empfehlen, sich schwierige Arten einmal genauer unter dem Binokular anzusehen und zu bestimmen. Auf diesem Wege kann man gleichzeitig Einblick in die oft erstaunlichen Anpassungen der Tiere an ihren Lebensraum erhalten und lernt sie nicht nur als Informationsträger zur Wassergütebeurteilung, sondern als Teil der faszinierenden Lebensgemeinschaft unserer Fließgewässer kennen.

4.4. Die Gewässergüte der Sieber

Die Anwendung der Gewässergütebeurteilungsmethode nach MEYER ergab folgendes Bild der Belastungssituation der Sieber:
Der Oberlauf ist erwartungsgemäß durchgehend als unbelastet (Güteklasse 1) einzustufen und wird durch Nährstoffarmut geprägt. Die Einleitungen der Kläranlage Sieber führen in Verbindung mit dem Wasserabzug durch eine Betriebsabteilung zu einem Sinken der Wasserqualität in den mäßig belasteten Bereich (Güteklasse II). Die Selbstreinigung des Baches und die Wiederzuleitung des Betriebsgrabens heben die Wassergüte schon bei der Fissekenbrücke oberhalb "Paradies" wieder in den unbelasteten Bereich, mit einer artenreichen Bachfauna.
Unterhalb der Stadt Herzberg stellten wir ein Sinken der Wassergüte in den stark verschmutzten Bereich (Güteklasse III) fest. Gegenüber früheren Untersuchungen, in denen dieser Abschnitt als mehr oder weniger biologisch tot eingestuft wurde, ergibt sich eine leichte Besserung der Situation. Günstig ausgewirkt hat sich in diesem Zusammenhang sicher das Fehlen ausgeprägter Niedrigwasserstände im Sommer 1984.
Im Ober- und Mittellauf gestattet die Sieber also noch einen guten Einblick in die Eigenarten der schnell fließenden, nährstoffarmen Bergbäche, wie sie für den Harz typisch sind. Die unzureichenden Kläreinrichtungen der Stadt Herzberg haben eine starke Verarmung der Flusslebensgemeinschaft zur Folge.

Abb.5: Gewässergüte der Sieber


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