Enstanden mit dem Kalksteinabbau Der Winterberg Steinbruch Winterberg Zum Kriegführen braucht man Eisen. Hier aber, im Jahre 1938 geht es nur indirekt um Eisen. In Salzgitter wurde ein Zentrum deutscher Eisenindustrie aus dem Boden gestampft. Die dort bergmännisch geförderten Eisenerze waren aufgrund ihrer geologischen Entstehung, wie der Hüttenmann oder Stahlkocher es nennt, sauer, sie enthielten viel Kieselsäure und bedurften zum Schmelzen in der Hütte eines basischen Zuschlagstoffes, am besten reinen Kalk. Solch reiner Kalk mit Werten um 99 % CaCO3 und in räumlicher Nähe fand sich auf fiskalischem Gelände im mittel- bis ober-devonischen Kalksteinmassiv des Iberges und Winterberges bei Bad Grund. Der Iberg diente – wie auch heute noch - der Wasserversorgung und dem Bad Grundner Fremdenverkehr. Im benachbarten Winterberg wurde daher die obertägige Abbaustätte erschlossen; heute ist es der größte Steinbruch Niedersachsens. Betreiberin waren die neu gegründeten Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring“, Salzgitter. Für die Rohstoffwirtschaft, Rüstungsindustrie sowie den Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen sollten die Reichswerke in den folgenden Kriegsjahren noch erhebliche Bedeutung erlangen, in Deutschland und in fast allen von der Wehrmacht besetzten Teilen Europas. Während heute die Belegschaft auf dem Winterberg durch technischen Fortschritt und Rationalisierung auf ein kleines Häuflein geschrumpft ist, wurden 1938 zunächst 300 Arbeiterstellen eingeplant. Aber wo sollten sie wohnen? Damals war es üblich, daß der Arbeiter seine Arbeitsstätte noch zu Fuß aufsuchte. Solches Gelände fand sich im April 1938 auf der Wiese unter dem Iberger Kaffeehaus. Es sollten bescheidene Fachwerkhäuser im bekannten Stile der Bergmannssiedlungen werden. Die für den Steinbruchbetrieb dringend benötigten Fachkräfte wurden aus Südtirol angeworben. Viele sind auf Dauer geblieben und heute integrierter Bestandteil der Einwohnerschaft Bad Grunds. Der Gemeinde Bad Grund gelang es in Anbetracht der Reichswichtigkeit des Vorhabens nicht, sich mit ihren Sorgen über den Standort und die mögliche Beeinträchtigung des Fremdenverkehrs durchzusetzen. Auch weiterhin wurden Bau und Betrieb der Siedlung durch Querelen wegen der Erschließungskosten gekennzeichnet. 48 Häuser zu zwei Wohnungen sollten entstehen. In Hanglage konzipiert, war der Keller ebenerdig und diente für Abstell- und Sanitärräume. Für die damals noch übliche Selbstversorgerwirtschaft mit Kleinvieh entstanden am Rande der Siedlung zwei Ziegenställe. Mit dem Bau wurde Anfang 1939 begonnen, nachdem die Grundstücke für 1 RM je m˛ von den Reichswerken Hermann Göring erworben wurden. Im Sommer 1940 war die Siedlung zu drei Viertel fertiggestellt. Während die Reichswerke auf die Errichtung eines Lebensmittelladens zur wohnungsnahen Versorgung drangen und mit Rücksicht auf den Einzelhandel die Gemeinde dies verhindern konnte, wurde dem Wunsche der Bergstadt nach Errichtung einer Schule für die zu erwartenden 150 Schüler seitens der Reichswerke wiederum nicht entsprochen. Heute steht die Ibergsiedlung mit ihren massiven Sockelgeschossen und dem Fachwerkaufbau unter Denkmalschutz. Die Bergstadt, deren städtebauliches Antlitz sie prägt, wird die Siedlung und ihre Bewohner nicht missen wollen. Mit dem Kalksteinabbau hat die Siedlung heute nur noch begrenzt zu tun. Dieser wird, solange die Vorräte reichen, noch viele Jahre oder Jahrzehnte betrieben werden können. Vom ursprünglichen Verwendungszweck als Hüttenzuschlag hat sich die heutige vielgestaltige Produktpalette der Felswerke weit entfernt. Eines Tages müssen sich Bergstadt und Land Niedersachsen aber entscheiden: Trinkwasserversorgung, Umweltschutz, Fremdenverkehr und / oder Fortführung des Kalksteinabbaus. Sollten die ersten drei Belange zurückgestellt werden, dann reicht das Vorkommen an Iberg und Winterberg zusammen für mehr als 200 Jahre. Firouz Vladi |