Die Tochter eines Apothekers und der Pastor von Pöhlde

Erika Wagner fand auf dem Dachboden der alten Ziegelei alte Fotos, auf denen die Pastorenfamilie Biester zu sehen ist. Lesen Sie hier deren Lebensweg.

Familienbild von Maria Biester (Mitte) mit Ehemann Pastor Wilhelm Friedrich Biester und der legendären Tante Frieda (beide hinten), Marias Söhnen und ihrer einjähriger Tochter, sowie Marias Vater und einer Verwandten
„Maria Biester war ein ganz besonderer Mensch und der Pastor auf seine Weise auch“, sagt Erika Wagner aus Bad Pyrmont. Sie fand das Leben der Pastorenfamilie Biester aus Pöhlde so interessant, dass sie deren Biografien über einen Zeitraum von gut hundert Jahren, von 1843 bis 1968, recherchierte. „Ich wollte ihre Geschichte vor dem Vergessen bewahren“, erklärt die ehemalige Pöhlderin ihr Engagement. „Maria Biester war ein ganz besonderer Mensch und der Pastor auf seine Weise auch. Ich wollte das vor dem Vergessen bewahren.“

„1968 haben wir, mein Mann Siegfried und ich die ehemalige alte Ziegelei in Pöhlde, die der Pastor Biester 1937 gekauft hatte, erworben. Wir haben fast 30 Jahre dort gewohnt. Auf dem Dachboden der alten Ziegelei habe ich die alten Bilder gefunden und viele Jahre aufgehoben“, erläutert sie ihre persönliche, wenngleich indirekte Verbindung zu der Familie Biester: „Maria Biester ist in Coppenbrügge geboren, 30 Kilometer von Bad Pyrmont entfernt, und in Pöhlde gestorben. Wilhelm Friedrich Biester, der spätere Pöhlder Pastor, kommt aus der Nähe von Nienburg an der Weser.“

Die Wurzeln der Familie liegen, soweit Erika Wagner es rekonstruiert hat, in Gartow im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Dort wurde Marias Vater Heinrich Ernst Hölty 1843 geboren. Er wurde Apotheker und heiratete 1878 Clara Brunhilde Stölting. Am 1. August 1879 wurde den glücklichen Eltern ein kleines Mädchen geboren: Maria Sophie Wilhelmina Fanni Agnes. Die junge Mutter erholte sich nicht von dem Kindbett und starb sechs Wochen nach der Geburt des Kindes im Alter von 27 Jahren. Heinrich Ernst Hölty arbeitete bis zum Jahr 1913 in seiner Apotheke in Coppenbrügge.

Die Tochter des Apothekers wurde von der jüngeren Schwester seiner Mutter, Tante Frieda Holste, erzogen. Sie wuchs geliebt, behütet und beschützt auf. Maria entwickelte sich zu einem schönen, klugen und tugendhaften Mädchen.

In Coppenbrügge hielt sich zu der Zeit, als Maria heranwuchs, der Vikar Wilhelm Friedrich Biester, geboren 1867, auf. Er wollte Pastor werden und absolvierte hier seine praktische Ausbildungszeit in der evangelischen Kirchengemeinde. Er stammte aus einem Bauernhof in Wenden bei Nienburg an der Weser. Der Stammbaum der stolzen Bauernfamilie Biester aus Wenden mit der Hausnummer konnte von der Familie bis in das 16. Jahrhundert zurück geführt werden.

Die Eltern waren darauf bedacht allen Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Die Söhne wurden Lehrer oder, wie der Erstgeborene, Pastor. Die Töchter wurden gut verheiratet.


Ein weiteres historisches Foto, das Erika Wagner auf ihrem Dachboden fand

Als dem Vikar Biester in Coppenbrügge die Tochter des Apothekers vorgestellt wurde, verliebte er sich sofort in das schöne, empfindsame, wohl erzogene Mädchen. Der Apotheker gab seinen Segen zu der Verbindung und so wurden der Pastor Wilhelm Friedrich Biester und Maria Fanni Agnes Hölty am 18. Oktober 1900 in Coppenbrügge getraut. Schon drei Wochen später trat Wilhelm Friedrich Biester eine Pfarrstelle in der Gemeinde Pöhlde an, die er bis 1937 innehatte.

Maria, die Tochter des Apothekers, kam nun in den kleinen Vorharzort Pöhlde. Die Gemeinde bestand überwiegend aus Bauern, Handwerkern, dem Pastor und Lehrern. Sie hatte eine standesgemäße Aussteuer von ihrem Vater und der Tante Frieda Holste mitgebracht und richtete das Pastorenhaus entsprechend ein. Die Möbel, die Bilder, das Porzellan, die Bücher schmückten bald das zwar alte, aber schöne Fachwerkhaus und erregten die Neugier und Bewunderung der Dorfleute.

Vier Kinder wurden geboren: Ernst, Friedrich, Klara und Gerhard. Im Haushalt lebte außerdem die unverheiratete Schwester ihrer verstorbenen Mutter, Tante Frieda. Nach Marias Heirat mit Wilhelm Friedrich Biester ging diese Tante mit ihr nach Pöhlde in den Pastorenhaushalt und half in Haus und Garten und bei der Versorgung und Erziehung der Kinder. Sie war sehr dominant und hielt den Haushalt und das Geld zusammen. Außerdem lebte bis zu ihrem Tode Helene, die unverheiratete Schwester der verstorbenen Frau des Apothekers, im Haushalt.

Das Leben in dem kleinen Harzort mit dem schwierigen Ehemann und der großen Familie, verlangte Maria viel Geduld und Kompromisse ab. Der Pastor, ein vitaler Mann, der im Kreise seiner ehemaligen Freunde aus der Studentenvereinigung Fuxia, Charme versprühte, entwickelte sich im Laufe der Jahre in der Tretmühle des Alltags und unter den schwierigen politischen Bedingungen, zum Tyrannen. Es kostete sie viel Kraft, die an sie gestellten Aufgaben zu erfüllen und ihren cholerischen Ehemann nicht zu erzürnen.

Maria machte Besuche, wenn jemand aus der Gemeinde krank geworden war, half dann wo sie konnte, war bei Geburten und Todesfällen dabei und gab mit offenen Händen allen, die es ihrer Meinung nach nötig hatten. Noch Jahrzehnte später sprach man im Dorf von der guten Frau Pastor. Sie war und blieb die allseits verehrte, beliebte und zugängliche Pastorenfrau.

Der Pastorenhaushalt beschäftigte stets einige Bauerntöchter, die den Haushalt und gutes Benehmen bei der Frau Pastor lernen sollte. Keine dieser Frauen, die heute schon sehr alt sind oder bereits gestorben sind, hat sich beklagt – alle sprachen von ihrer unendlichen Güte und Geduld. Mehr noch als der Pastor ist nach dieser langen Zeit sie noch immer präsent bei den alten Pöhldern.

Auch der Pastor selbst hat einen bleibenden Eindruck in Pöhlde hinterlassen. Nicht nur war er derjenige Pastor, der es am längsten in dem Dorf, nämlich 37 Jahre, ausgehalten hat, sondern auch seine Eigenarten wurden noch lange im Dorf erzählt, zum Beispiel seine Marotte, mit dungverschmierten Stiefeln, nur den Talar übergeworfen, am Sonntag auf die Kanzel zu steigen. Er sprach von der Kanzel in einfachen Worten und drastischen Beispielen, die von den Dorfbewohnern verstanden wurden.

Maria und Pastor Wilhelm Friedrich Biester sitzend vorne in der Mitte bei einem Stiftungsfest 1908.
Pastor Wilhelm Friedrich Biester war ein umtriebiger, vitaler Mann, der außer seiner Aufgabe als Seelsorger, die er sehr ernst nahm, und der Landwirtschaft, die er liebte und gern ausübte, auch soziale Aufgaben außerhalb der Gemeinde übernahm. 1903 gründete er den Gustav-Adolf-Verein, der die Unterstützung evangelischer Gemeinden zur Aufgabe hatte. Solche Vereine wurden seit 1832 im ganzen deutschen Reich gegründet.

Zur Zeit des Nationalsozialismus beklagte der streitbare Gottesmann in seinen Visitationsprotokollen unter anderem eine immer geringer werdende Teilnahme an den Gottesdiensten, die er auf die Aktivitäten der Parteiorganisationen zurückführte: „Das kirchliche Leben der konfirmierten Jugend wird sehr stark beeinträchtigt durch den Dienst in der HJ und der SA. Auch der Sport hält und lenkt viele vom Besuche der Gottesdienste ab“ – gefährliche Worte in dieser Zeit. Pastor Biester ist den Einwohnern von Pöhlde als markante Persönlichkeit mit ungewöhnlichen Eigenheiten in Erinnerung geblieben. Er zeigte offen seine unverhohlene Gegnerschaft zum herrschenden Regime.

Zur Pfarrei gehörten an die Hundert Morgen Land, die zum größten Teil verpachtet waren. Pastor Biester bewirtschaftete davon selbst einige Morgen. Für das verpachtete Land konnte er einen Teil der Pacht beanspruchen. Von dem Gehalt eines Pastors hätte er seine Familie nicht ernähren können, wenn er nicht Zahlungen und Naturalabgaben vom Amt Herzberg, aus Pachteinkünften des Pfarrlandes und aus Abgaben der Gemeinde Pöhlde gehabt hätte. Seine Liebe zum bäuerlichen Leben fand auch darin Ausdruck, dass er 1932, nach seiner eigentlichen Pensionierung mit 65 Jahren, ein allein liegendes Gehöft, eine ehemalige Ziegelei, kaufte. Das Gehöft mit etwas Land drum herum lag nahe der Grenze zum katholischen Eichsfeld, gehörte aber noch zum Dorf Pöhlde. Dort betrieb er mit seinem Sohn Ernst, der unter einer Psychose litt, Landwirtschaft.

Ernst ist den Pöhldern noch heute in Erinnerung, weil er mit seinem Pferd Zamper in wildem Ritt durch die Feldmark galoppierte. Auch die Mädchen, die der Frau Pastor im Haushalt und Garten halfen, erinnern sich, dass er nicht nur einmal, während einem seiner Anfälle, wahllos den Hausrat aus dem Fenster warf. Die ganze Familie und Tante Frieda Holste zogen mit in das Gehöft.

Seine endgültige Pensionierung, die in seinem 70. Lebensjahr stattfand, überlebte der vitale Pastor nur um ein Jahr. Er starb 1938 plötzlich im Alter von 71 Jahren. Dass er nur ein Jahr nach seiner Pensionierung verstarb, ist vermutlich ein Umstand, der ihn vor etwaigen Konsequenzen des damaligen NS-Regimes bewahrt hat. Der Pastor hinterließ in dem abgeschiedenen Gehöft seine Frau Maria, die Apothekerstochter aus Coppenbrügge, deren Tante Frieda Holste und die Frau seines Sohnes Ernst, Anna, Caroliene, Erna Biester, geb. Olendorf.


Die Apotheke Coppenbrügge

Erna hatte 1935 Ernst geheiratet, obwohl sie um seine Behinderung wusste. Sie war auf dem besten Wege, eine alte Jungfer zu werden, denn sie war schon weit über dreißig, als sie heiratete. Durch eine Ehe war sie versorgt, wenn auch nicht üppig. Außerdem hatte sie als Ehefrau einen ganz anderen gesellschaftlichen Status. Die Väter waren befreundet und hatten diese Verbindung eingefädelt. Vielleicht hatten sich alle Beteiligten eine Besserung von Ernst Zustand durch diese Ehe erhofft.

Ernas Bruder Kurt Olendorf betrieb die Aumühle am anderen Ende des Dorfes als Holzmehlmühle mehr schlecht als recht. Holzmehl wurde bei der Linoleum-Produktion gebraucht, als Füllstoff aber unter anderem auch zum Räuchern von Lebensmitteln, um einen würzigen Rauchgeschmack zu erreichen.

Die drei Frauen erlebten auf der abgeschieden gelegenen, sogenannten „Alten Ziegelei“ den Zweiten Weltkrieg. Während des Krieges bestellten sie mit Hilfe einiger Einwohner aus Pöhlde den Küchengarten und etwas Land mit Kartoffeln und Rüben. Ein Schwein und Kühe wurden gehalten sowie Hühner.

Die Schwiegertochter Gisela, die den Sohn Friedrich geheiratet hatte, der schon 1942 im Lazarett in Russland starb, kam mit den kleinen Söhnen oft von Stadthagen nach Pöhlde. Gisela Biester, geb. von Berckefeldt, war eine Tochter der Margarethe von Berckefeldt, geb. Korn, Besitzerin vom Edelhof in Hörden, die 1931 von ihrer Haushälterin, Maria Großkopf, systematisch aus Habgier vergiftet wurde. Bis zu ihrer Verhaftung wohnte Frau Großkopf in Scharzfeld und war mit August Apel verlobt. Sie wurde 1934 vom Schwurgericht Göttingen zum Tode verurteilt. Der Prozess erregte ein ungeheures Aufsehen in der Öffentlichkeit und den Medien.

Nach dem Krieg wurden viele Flüchtlingsfamilien einquartiert. Da gab es eine Familie Krüger, eine Familie Wroczlav, Herr Wroczlav war einige Zeit der Flüchtlingsbetreuer im Ort. Außerdem die Familien Röhricht und Gurlt, die noch bis zum Verkauf des Gebäudes in den 1960er Jahren dort wohnten. Besonders in Erinnerung ist eine Familie Möller aus Hamburg geblieben, die in Ernas Wohnbereich lebte. Sie hielten sich für etwas Besseres und schauten auf alle anderen Bewohner herab. Die zahlreichen Erwachsenen und Kinder lebten dort auf aller engstem Raum.

Maria hatte ihre vier Kinder überlebt. Ihre Tochter Klara, geboren 1910, starb 1916, sechsjährig an einem Blinddarmdurchbruch. Die Söhne Friedrich (geb. 1905, gestorben 1942 im Lazarett in Westrussland) und Gerhard (geb. 1917, vermisst seit 1945) blieben im Krieg. Gerhard, der Hätschelhans der Familie, studierte Medizin und wurde sofort nach dem Studium eingezogen. Seit 1945 ist er in der Tschechoslowakei vermisst. Ernst (geb. 1911), das Sorgenkind, starb 1940 in Göttingen in einer Nervenheilanstalt.

Nur ihr unerschütterlicher Glaube half ihr, die Schicksalsschläge zu überleben. Maria Biester, geb. Hölty, starb am 21. August 1965 im Alter von 86 Jahren in der ehemaligen „Alten Ziegelei“ in Pöhlde. Tante Frieda Holste war schon 1949 verstorben. Zurück blieb Erna, die Schwiegertochter, die dort allein lebte, bis das Gebäude 1968 von den Erben verkauft werden konnte. Erna zog zunächst einige Jahre in die „Birken“, in eine Mietwohnung, wieder ganz außerhalb von Pöhlde.

Das Grab von Maria (Marie auf der Grabinschrift), geb. Hölty und Wilhelm Friedrich Biester ist bis heute auf dem Pöhlder Friedhof erhalten. Es wird vom Enkelsohn Dr. Jobst Biester, der in Süddeutschland lebt, erhalten und von Herrn Mügge, einem Pöhlder Einwohner, liebevoll gepflegt.

Quelle: HarzKurier, April 2014

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