Harzer Volksstimme vom 12/1/2015

Die Suche nach dem Entdecker

Forscher rätseln noch immer, wer die Rübeländer Hermannshöhle tatsächlich gefunden hat


Geheimnisvoll erleuchtet und nun auch gut geschützt, bietet sich die Kristallkammer der Hermannshöhle den Besuchern dar. Der neue Schutz behindert nicht den Blick und den Eindruck für die Besucher.
Archivfoto: Burkhard Falkner

150. Jahrestag der Entdeckung der Rübeländer Hermannshöhle - dieses Jubiläum soll 2016 gewürdigt werden. Unterdessen rätseln Forscher weiter, wer sie gefunden hat. Ein Wegewärter namens Wilhelm Angerstein I. oder der Lehrling Fritz Sorge. Vielleicht aber auch keiner von beiden.

Von Ingmar Mehlhose
Rübeland · Noch um den Jahreswechsel ist sich Friedhart Knolle ziemlich sicher gewesen, das Rätsel gelöst zu haben. Der Entdecker der Rübeländer Hermannshöhle heißt nicht Wilhelm Angerstein I., wie überall seit vielen Jahren publiziert. Der Geologe: „Ich glaube, dass es Fritz Sorge war.“ Zunächst habe er daran gezweifelt, weil der damalige Direktor Bernhard Lange bereits im Fall der Baumannshöhle getrickst hatte, um diese erfolgreich zu vermarkten (wir berichteten). Inzwischen stelle sich die Angelegenheit allerdings anders dar.
Demnach habe Sorge am 27. Juni 1866 die Straße gereinigt. Der Lehrling sei über einen hervorstehenden Stein verärgert gewesen. Knolle: „Er hat ihn deshalb gelockert.“ Aus dem dadurch entstandenen Loch habe er einen kalten Luftzug verspürt. Nachts sei er heimlich durch den Spalt hineingestiegen und habe sogar Tropfsteine gesehen. Der Wissenschaftler: „Morgens um sechs Uhr war er wieder bei der Arbeit und hat seinen Fund gemeldet.“ Sein Chef, der Wegewärter Wilhelm Angerstein I., habe ihn sofort auf eine andere Baustelle versetzt und die Entdeckung für sich reklamiert. Friedhart Knolle: „Sorge wollte nicht plaudern.“ Vermutlich habe ihn sein schlechtes Gewissen geplagt, weil er die Höhle illegal betreten hatte.
Dieses Schweigen währt bis 1936. Zum 70. Jahrestag berichtet der inzwischen hochbetagte Sorge Bernhard Lange, was seinerzeit tatsächlich geschehen war. 1941, in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift „Der Harz“, veröffentlicht der Höhlendirektor die Geschichte. Den Beweis für deren Wahrheitsgehalt bleibt er aber schuldig.

Der Eingangsbereich der Rübeländer Hermannshöhle auf einer undatierten historischen Postkarte.   Fotos (2): Friedhart KnolleFritz Sorge 1941 auf dem Titelblatt der Zeitschrift „Der Harz“.

Bis vor wenigen Tagen. Nach der Volksstimme-Veröffentlichung über die Baumannshöhle habe der Besitzer des Nachlasses von Lange, Hans-Christian Anger aus Wernigerode, Kontakt zu ihm aufgenommen, berichtet Knolle. Der Goslarer: „Er war so nett und hat mir das Originaldokument gescannt, in dem Lange das Zeitzeugeninterview mit Sorge 1936 aufgeschrieben hat.“ Darin gibt der Arbeiter an, der letzte lebende Zeitzeuge zu sein. Er sei mit seinem Vater, dem Hüttentischler Anton Hinze und dem Gemeindevorsteher Wegener am Morgen des 28. Juni 1866 in das Loch hineingeklettert. Zitat: „Ich stieg als Kleinster vorweg.“ Und: „Wir waren kaum unten, da rief ich begeistert, dass hier eine neue Tropfsteinhöhle sei...“
Bernhard Lange betont in seinem Schreiben, keinen Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung zu haben, da die Angaben seine eigenen Forschungen „voll bestätigten“.
Und dennoch gibt es weiter Anlass, die Aussagen von Fritz Sorge mit Skepsis zu betrachten. Genährt wird dies durch Wolfgang Hase. Der Rübeländer war von 1982 bis 1997 Höhlendirektor und als solcher dienstlich mit dem Thema befasst. Hase hat Knolle ein bisher ebenfalls unveröffentlichtes Dokument zur Verfügung gestellt, in dem er seine Recherchen zusammenfasst.
Auslöser dafür sei der Besuch einer direkten Nachfahrin aus Bremen am 21. August 2003 in der Hermannshöhle gewesen. Sie habe in der Empfangshalle mit Bedauern festgestellt, dass das Bild ihres Ahnen nicht mehr da war und Wilhelm Angerstein I. als Entdecker genannt wurde.
Wolfgang Hase beleuchtet zunächst die Aktenlage zu dessen Person. Er zitiert dazu einen Brief vom 15. August 1866. Darin berichtet ein Ober-Hütten-Inspektor Brötenschein aus Rübeland an die Herzogliche Kammer „Direktion der Bergwerke“ zu Braunschweig von der Auffindung der Höhle. Hase: Dieses Schreiben dokumentiere zweierlei: Zum Ersten das Datum der Entdeckung am „28. Juni 1866“ und zweitens den Namen des Entdeckers „Wilhelm Angerstein I.“.
Die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieser Mitteilung beantwortet der Rübeländer mit der Tatsache, dass der hohe Beamte Brötenschein „auf den Berg eingeschworen“, also vereidigt worden war. Somit könne das Schriftstück als Urkunde zur Entdeckung betrachtet werden.
„Der Name Fritz Sorge taucht erstmals 1936 in Verbindung mit der großen Jubiläumsfeier 70 Jahre Hermannshöhle auf“, konstatiert Wolfgang Hase weiter. Dies finde er „irgendwie sonderbar“. Da der Direktor Lange bis dato seine Beweise „für die böse Tat von Angerstein“ nie offengelegt habe, könne er dessen Bericht nicht folgen. Nach der Aussage von Rübeländern, die Fritz Sorge noch persönlich gekannt hätten, sei dieser „ein alter ehrbarer Mann“ gewesen. Der Forscher: „Keiner dieser Bürger traute Sorge im Alter von 85 Jahren zu, solche Gedanken zu entwickeln.“
Zudem habe besagte Nachfahrin erklärt, dass das in der Zeitschrift gedruckte Geburtsjahr 1851 ihres Verwandten nicht stimme. Im Kirchenregister von Hasselfelde stehe 1855. Somit hätte Sorge bereits als Elfjähriger an der Straße mitgearbeitet haben müssen.
Wolfgang Hase resümiert im September 2003, „heute, nach 147 Jahren, ist es schwer, die Wahrheit herauszufinden“.
Vielleicht liegt selbige aber auch ganz woanders. Der Begründer der neueren Harzer Höhlenforschung, Friedrich Stolberg aus Goslar, schrieb 1966 einen Rückblick zum 100. Jahrestag der Entdeckung. Darin steht unter anderem zu lesen: „Wie dem auch sei: Weder Angerstein noch Sorge können in die Höhle selbst eingedrungen sein, denn erst die Oberhütteninspektion Rübeland ließ nachfolgend den 4,5 Meter tiefen, senkrecht nach unten führenden Spalt mittels einer Leiter aufschließen!“

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