Rund um den Hausberg79. Jg.August 2007Nr. 8

100 Jahre „Bad“ Lauterberg „im Harz“

Von der Gründung des Bades bis zur Verleihung des Titels „Bad“


Gudrun Teyke


Auf Betreiben des Bürgermeisters Carl Ernst von Ernsthausen erhielt der Flecken Lauterberg am 22. Dezember 1906 von der Bezirksregierung Hildesheim die Genehmigung, die Bezeichnungen „Bad“ und „im Harz“ amtlich und postalisch zu führen.

Alles begann mit dem Ungehorsam eines Jungen aus einem Pfarrhaus in Gifhorn. Dieser Junge hieß Ernst Heinrich Benjamin Ritscher. Nach dem Willen seines Vaters sollte er ebenfalls Pfarrer werden. Da seine ganze Neigung und Leidenschaft aber darin gipfelte, Arzt zu werden, studierte er ohne Wissen seiner Eltern in Göttingen Medizin und erst als er seinen Dr. med. gemacht hatte, beichtete er seinen Eltern sein Vorgehen.
Im Alter von 23 Jahren wurde er als Arzt in den Flecken Lauterberg versetzt und eröffnete hier am 18. Mai 1826 seine Praxis. Er war der einzige Arzt für 3380 Einwohner.
Was fand Ritscher hier vor? Der Bergbau in der einst blühenden freien Bergstadt war zum Erliegen gekommen, das einst größte Industrieunternehmen des Königreichs Hannover, die Königshütte, lag am Boden. Seit man im Ruhrgebiet Steinkohle entdeckt hatte, lohnte die Eisenverhüttung mit der im Harz hergestellten Holzkohle nicht mehr. Die Bevölkerung hielt sich mühsam mit Holzwirtschaft, Viehwirtschaft und Landwirtschaft für den Eigenbedarf über Wasser.
Zwar hatte der Fabrikant C. F. Deig eine fast weltweite Zündholzindustrie aufgebaut, in der in Lauterberg, Andreasberg und Barbis zeitweilig 2400 Beschäftigte arbeiteten, aber sehr bald erkannte man, dass der ständige Umgang mit dem Schwefel zu Siechtum und frühem Tod führte.

Die Not der Bevölkerung rührte Ritscher zutiefst und er überlegte, wie er den Menschen wirtschaftlich und gesundheitlich helfen könne. Dabei stieß er auf Berichte von den Erfolgen der Kaltwasserkuren, die Vincent Prießnitz, ein Bauer im schlesischen Gräfenberg verabfolgte.

Ritscher begeisterte sich für diese natürliche Heilmethode, obwohl das, was Prießnitz tat, aller Schulmedizin widersprach. Seit beinahe 1000 Jahren war es absolut tabu gewesen, Kranke mit kaltem Wasser in Berührung zu bringen. Ritscher plante, aus Lauterberg ebenfalls ein Kaltwasserheilbad zu machen. Die Grundvoraussetzungen waren vorhanden: eine herrliche Landschaft mit gesunder Luft und viel frischem Wasser und einige sprudelnde Quellen.
1838 verfasste Ritscher seine erste Schrift über Wasserbehandlung in Verbindung mit einer gesunden Diät und wurde damit über Lauterberg hinaus bekannt.
Die Häupter der Stadt für seine Idee zu gewinnen, gelang ihm sehr schnell und auch die schwierige Aufgabe, die Bürger für sein Vorhaben zu gewinnen, löste er mit viel Glück und einem Vortrag in dem damaligen Lokal-Gewerbeverein. Die Bürger gaben ihre Zustimmung zu diesem Projekt hauptsächlich, weil damit eine neue und dauerhafte Einnahmequelle erschlossen wurde.
Es bildete sich ein Komitee, bestehend aus dem Oberförster Edmund von Berg, dem Amtsassessor Fischer, Bürgermeister Friedrich Westerhausen und dem Mühlenpächter Wilhelm Germelmann. Nachdem dieses Gremium die Voraussetzungen in Lauterberg für gut befunden hatte, versprach Ritscher, persönlich nach Gräfenberg zu reisen, um vor Ort die Heilmethode von Prießnitz kennen zu lernen. Der Gewerbeverein erwirkte für Ritscher von der königlich hannoverschen Regierung ein Reisestipendium von 200 Goldtalern.
Über Prag fuhr Ritscher im Frühjahr 1839 nach Gräfenberg. Er wurde dort von Prießnitz, der sehr schlechte Erfahrungen mit Ärzten gemacht hatte, sehr schroff empfangen und mit den Worten „für Sie kein Bett und keine Tafel in Gräfenberg“ aus dem Ort geschickt. So musste Ritscher in dem Nachbarort Freiwaldau, in dem ebenfalls Prießnitzkuren verabfolgt wurden, bei einem Dr. Weiß mehrere Wochen lang die Wirkungen der Kaltwasserkuren studieren.

Während Ritscher in Freiwaldau weilte, hatte Oberförster von Berg viele Forstwege rund um Lauterberg planieren und neue Wanderwegeanlegen lassen.
Bürgermeister Westerhausen ließ im städtischen Brauhaus nach Ritschers Angaben einige „Douschen“ und beheizbare Vorräume errichten und sorgte dafür, dass genügend Privaträume zur Aufnahme von Kurgästen hergerichtet wurden. Diese Aufgabe machte dem Badekommitee die größten Schwierigkeiten. Ritscher wollte keine krankenhausähnlichen Wohnkasernen. Er plädierte dafür, die Menschen in Privatquartieren unterzubringen, wodurch vielen Lauterbergern eine Erwerbsmöglichkeit gegeben wurde. Er empfahl jedoch seinen Kurgästen, ihre eigenen Decken und Kissen mitzubringen um eventuelle Ansteckungen zu vermeiden, aber es dauerte Jahre, bis das Vermietungswesen von der Bevölkerung voll akzeptiert wurde.
Für den kräftigeren Teil der Kurgäste wurden auf der Königshütte (für Männer) und an der Ölmühle (für Frauen) Duschen hergestellt. Als besondere Attraktion wurde die „Riesendusche“ im Krummen Tal gegenüber der Grube „Hoher Trost“ hergerichtet. Sie hatte eine Fallhöhe von 23 Fuß. Sie war dreigeteilt und fiel mit solcher Wucht auf die Patienten nieder, dass sie unter Umständen davon zu Fall gebracht werden konnten. Die Duschen konnten von innen von den Patienten selbst bedient werden. An 5 Stellen wurden Wellenbäder errichtet.

Ende Juli kam Ritscher aus Freiwaldau zurück und am 1. August 1839 erklärte er seine Kaltwasserheilanstalt für eröffnet. Da die Saison schon fast beendet war, kamen im ersten Jahr nur 12 Kurgäste nach Lauterberg, im nächsten Jahr waren es dann aber schon 120.
Wichtiger Bestandteil der Kuren war für Ritscher das Wassertrinken aus den heimischen Quellen. Am meisten benutzt wurde die Quelle im Kleinen Kurpark. Im Jahre 1843 schenkte ein Frl. Krause aus Braunschweig der Stadt 70 Taler zur Errichtung eines Pavillons neben der Quelle. 1854 wurde die Quelle durch eine Stiftung eines Frl. Rhode mit Steinplatten und Quadern eingefasst.

Unter Bürgermeister Gehrich wurde 1850 die Bepflanzung des Kleinen Kurparks vorgenommen und hier spielte sich ein Hauptteil des Badelebens ab.
Ritscher erlebte auch noch den Einzug der ersten Kurkapelle. Sie bestand aus 8 böhmischen Musikanten, die auf ihrer Durchreise von den Herren des Badekomitees zunächst fast gewaltsam festgehalten wurden, die aber dann doch so viel Freude an ihrer Tätigkeit fanden, dass sie 27 Jahre in Lauterberg blieben.
Am 4. September 1859 starb Ernst Benjamin Ritscher, der inzwischen von König Georg V. den Titel Sanitätsrat erhalten hatte. Sein Wahlspruch „Treu sei der Arzt der Wahrheit und der Natur“, das von dankbaren Bürgern 1862 errichtete Ritscherdenkmal am Scholben und die nach ihm benannte Ritscherstraße machen ihn bis heute in unserer Stadt unvergessen.

Der älteste überlebende Sohn Ritschers, Dr. Dietrich Ritscher, führte die Kaltwasserkur in Lauterberg im Sinne seines Vaters weiter. Er hatte es in Allem leichter, da jetzt auch die Bevölkerung der Stadt voll mitzog. Das war hauptsächlich der Verdienst von Wilhelm Germelmann, der der 1. Kurdirektor Lauterbergs wurde. Als 1866 das neue, mit Hilfe von Aktien erbaute Badehaus errichtet war, wurde es ihm zur Verwaltung übergeben.

Das Ortsbild änderte sich. Die Hauptstraße wurde gepflastert und erhielt Bürgersteige. Im gesamten Kurviertel entstand eine – in diesen Jahren noch recht seltene – Straßenbeleuchtung. Und an der Großtat dieser Jahre, dem Bau des Kurparks, beteiligte sich praktisch die ganze Bevölkerung. Muttererde wurde von weit her herangekarrt und nach drei Jahren war der Park so, wie wir ihn heute kennen, fertiggestellt.

Es kamen im Laufe der Jahre viele prominente Gäste nach Lauterberg, so zum Beispiel die spätere Kaiserin Auguste Viktoria, die Gemahlin Kaiser Wilhelms II. mit ihren Eltern und einige ihrer Söhne, darunter auch der Kronprinz. Es weilten hier König Georg V. von Hannover, der Großindustrielle Bertrand Russel, Feldmarschall Hellmuth von Moltke, Robert Koch und der vielumjubelte Hofschauspieler Devrient. Das Jahr 1864 zählte allein 50 Legations-Komerzien-Justiz und Kammergerichtspräsidenten. Dazu 120 Träger von Adelsprädikaten, Minister und Generäle. Fast alle wurden von ihren Familien begleitet, insbesondere von ihren Frl. Töchtern. Dies führte dazu, dass an den Wochenenden zahlreiche Studenten unseren Ort besuchten.
Auch viele ausländische Gäste gab es zu dieser Zeit. Sie kamen z. B. aus Russland, Dänemark, St. Petersburg, New York, Amsterdam, Schottland, St. Helena, Ostindien, Kopenhagen, Guatemala, Valparaiso, Pernambuco, Schweden, Havanna, Philadelphia, Cambridge und Indien.
Im Laufe der Zeit wurde der Zuspruch von Kurgästen so groß, dass man einen 2. Arzt einstellen musste.
Dieser Arzt war Dr. Wander, der ab 1886 dazu überging, die „Rosskuren“ etwas abzumildern, indem er auch warme Anwendungen, medizinische Bäder und Massagen einführte.



1881 starben Dietrich Ritscher und Mühlenpächter Germelmann, aber Hermann Ritscher, der jüngste Sohn Ernst Benjamins und Bürgermeister Gehrich setzten die günstige Entwicklung des Bades fort.
1886 wird das Schwimmbassin beim Kurhaus im Kurpark erbaut und auch der Musikpavillon im Kleinen Kurpark. Bis dahin hatte ein provisorisches Dach, das auf einer von Germelmann gespendeten Kurquelle mit Pavillon um 1859 Mühlenwelle angebracht war, die Musiker vor Regen geschützt. In diesem Jahr wurde auch die Bahnstrecke Scharzfeld-Lauterberg eröffnet und der Ort war mit der großen Welt verbunden.

1889 feierten die Lauterberger das 1. große Badejubiläum (50 Jahre). Gleichzeitig wurde von Herrmann Ritscher das Sanatorium Ritscher gebaut. Es war in erster Linie dafür geplant, nervenleidende Gäste aufzunehmen. 1896 starb Hermann Ritscher und beendete damit das Wirken dieser segensreichen Familie. Im gleichen Jahr erwirbt Dr. Dettmer, der wohl erfolgreichste Lauterberger Arzt, das Sanatorium Ritscher und bringt es zu ungeahnten Höhen.
Um die Jahrhundertwende beginnt auch die Industrie wieder zu blühen (Stuhl- und Pinselfabriken, Barytwerk).
Im Jahre 1900 zählte man 3500 Kurgäste (ohne ihren Anhang). In der Sebastian-Kneipp-Promenade reihte sich Fremdenpension an Pension. Und den Gästen wurden zahlreiche Attraktionen angeboten, z. B. Gondelfeste auf dem Wiesenbeker Teich und Kutschfahrten zum Brocken.
Beliebteste Souveniere dieser Zeit waren die Erzeugnisse der Königshütte, die gut bebilderten Wanderführer und knorrige Spazierstöcke.
Aus dem Jahre 1904 liegen auch erstmals die Übernachtungszahlen der Gäste vor. Sie betrugen 91.205 Übernachtungen bei 5.162 Gästen (ohne Anhang). Diese Zahlen blieben auch bis 1906, unserem Jubiläumsjahr, konstant. Bad Lauterberg, wie es sich dann nennen durfte, Dr. Hermann Ritscher rangierte zu dieser Zeit an 11. Stelle aller Bäder Preußens.

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