Erich Mattern

Die Teufelsbäder bei Osterode

Landschaft und Pflanzen

Wenn man von Osterode nach Herzberg wandert und die letzten einzelnen Häuser der Stadt Osterode etwa eine Viertelstunde hinter sich gelassen hat, erblickt man zur Linken im Tale ausgebreitete Gewässer und ein ausgedehntes Schilf- und Buschgelände. Das sind, oder richtiger gesagt, das waren die Teufelsbäder. Noch vor etwa 25 Jahren dehnten sich hier zwei große Wasserflächen aus, die untere, nach Osterode zu gelegen, das kleine und unmittelbar darüber, nach Papenhöhe und Herzberg zu, das große Teufelsbad. Beide Gewässer waren seit alter Zeit künstlich aufgestaut. Sie erhielten ihren Zufluß aus einem Quellteich, im nahen Walde gelegen, dem Teufelsloch. Woher diese Einheit der drei benachbarten Gewässer den auffälligen teuflischen Namen hat, ist mit Sicherheit nicht zu sagen. Man darf vermuten, daß der Volksglaube das Gebiet mit allerlei Spuk in Verbindung gebracht hat, oder vielleicht hat in der heidnischen Zeit die Gegend ein Heiligtum enthalten, das in der christlichen Zeit dadurch in Verruf gebracht wurde, daß ihm der Teufelsname zugelegt wurde.

Die beiden Teufelslöcher mit den umliegenden Wiesen gehörten zu den Ländereien der Domäne Düna. Als die Aufteilung der Gutsländereien vorbereitet wurde, wollte man die sehr nassen Wiesen, die den einzelnen zu bildenden Bauernhöfen zugeteilt werden sollten, verbessern, indem man das Grundwasser senkte. Zu diesem Zwecke wurden die Durchlässe der Staudämme vertieft und das Wasser abgelassen. Infolgedessen verschwand das größere Teufelsbad zum größten Teil, bis auf den tieferen Teil, der durch die Rinne des durchfließenden Wassers vorgezeichnet wurde, während das kleine Teufelsbad wohl in seinem Umfange, aber nur als ganz seichtes Gewässer erhalten blieb. So ist das jetzige kleine Teufelsbad größer als das, was vom großen Teufelsbad übriggeblieben ist, und das ist in der Hauptsache ein ausgedehnter Schilfbestand mit Weiden, Erlen, Faulbaum, Fichtengruppen und anderen Gehölzen.

Wie reizvoll war doch das Landschaftsbild, als noch die schönen Wasserflächen den dunklen Harzwald spiegelten! Als noch zahlreiche Wasservögel, wie Wildenten, Wasserhühner und Haubentaucher, die weite Fläche belebten, wie man es von der Landstraße oder von der Eisenbahn aus leicht beobachten konnte. Eine wundervolle Heimstätte für Sumpfpflanzen und Wassergetier ist durch die Absenkung, wenn auch nicht völlig zerstört, so doch weitgehend eingeengt und beeinträchtigt. Ob der Gewinn der besseren Wiesen erreicht ist und ob der Eingriff sich lohnt, ist fraglich. Der Schaden, der dem Wasserhaushalt der Natur zugefügt wurde, tritt freilich nicht maßlos und zählbar zutage, sicher ist es aber, daß solche Maßnahmen, die mit fragwürdigen örtlichen Verbesserungen begründet werden, im Verein mit anderen ähnlichen Entwässerungsarbeiten den kostbaren Grundwasservorrat bedenklich verringern und auf das örtliche Klima einen nachteiligen Einfluß ausüben.

Vor Zeiten, als die Menschen noch nicht in den Haushalt der Natur eingegriffen hatten, sondern selbst nur als natürliche Wesen in und mit der Natur lebten, befand sich unser Land in einem Zustand, den man als „Urlandschaft“ bezeichnet. Nach Klima, Höhenlage, Bodenart und Bewässerung fanden sich in dieser Landschaft diejenigen Pflanzen - und auch Tiere - in Gesellschaft zusammen, die an den verschiedenen Orten die ihnen angemessenen Lebensbedingungen fanden. So entstanden natürliche Pflanzengesellschaften. Jedem Standort entsprach auch eine bestimmte Pflanzengesellschaft.

Das Tal, in dem die Teufelsbäder liegen, wurde eingenommen von der natürlichen Gesellschaft des Erlenbruchwaldes. Das Wasser, das sich bei Regengüssen und Ueberschwemmungen immer wieder selbst den Abfluß verbaute, war aufgestaut zu Teichen und Tümpeln, der ganze Talgrund war versumpft. Der Charakterbaum war die Schwarzerle. Zwischen den Erlengruppen dehnten sich die Sumpf- und Wasserflächen mit Röhricht, Riedgräsern und zahllosen anderen Sumpf- und Wasserpflanzen. Das Tal war unwegsam und wenig zugänglich. Die älteste Straße führte auch nicht, wie heute, das Tal, sondern die Höhe entlang, wo jetzt der Feldweg nach Düna geht.

Von der Urlandschaft ist nicht mehr viel vorhanden. Menschliche Eingriffe haben sie verändert, zunächst geringfügig, dann immer mehr. Rodungen, Ackerbau, Forstwirtschaft, Straßen- und Eisenbahnbau und viele andere Kulturmaßnahmen haben die meisten natürlichen Pflanzengesellschaften völlig zum Verschwinden gebracht und an ihre Stelle die Kulturlandschaft gesetzt, wie sie uns zum Beispiel in unseren ausgedehnten Acker- und Wiesenflächen, auch in den gepflegten Forsten entgegentritt. Auch der Erlenbruchwald bei den Teufelsbädern ist durch Kulturmaßnahmen verändert und zerstört. Von allen Seiten rückte die Kulturlandschaft immer näher heran und griff in ihn hinein. Die letzten menschlichen Eingriffe vor wenigen Jahren sind schon erwähnt. Manche Pflanzen besitzen jedoch eine ungeheure Lebenskraft. Mit großer Zähigkeit haben sich auch bei den Teufelsbädern noch viele Pflanzen aus alter Zeit behauptet. Sie sind freilich auf einem engeren Raum zusammengedrängt und manche Arten sind verschwunden. Aber viele sind noch da und beweisen durch ihre Gegenwart, daß sich hier früher der Erlenbruchwald ausdehnte. Einige bemerkenswerte Pflanzen sollen hier erwähnt werden. Eine Seltenheit ist das Schneidegras (Cladium mariscus). Es ist ein hohes, schilfartiges Gewächs mit Blättern, die an der Spitze dreikantig und mit scharfen Zähnen besetzt sind, so daß sie einer Säge gleichen. Die Blüten sind unscheinbar grün und büschelig. Von dieser Pflanze gibt es in ganz Südhannover nur zwei Standorte. Am Teufelsbad gibt es nur noch zwei große Horste dieser seltenen Art. Da, wo bleiches Torfmoos den Boden bedeckt und der tastende Fuß tief in den sumpfigen Grund einsinkt, findet sich noch in größerer Zahl die echte Sumpfwurz (Epipactis palustris), eine weißblühende Orchidee, den Knabenkräutern oder Kuckucksblumen verwandt. Auch sie wird in unserer Heimat immer seltener, die meisten ihrer früheren Standorte sind durch Entwässerung zerstört. Häufig anzutreffen ist an diesen feuchten Orten dagegen das breitblättrige Knabenkraut (Orchis latifolia), das auch sonst in unserer Gegend keine Seltenheit ist. Leicht übersehen wird, in Moos und Gras wachsend, die Natternzunge (Ophioglossum vulgatam), ein Pflanze aus der Familie der Farne. Sie besteht aus einem einzigen eiförmigen etwa 10 cm langen Blatt, das in der Mitte einen kleinen grünlichen Kolben trägt, der die Sporen enthält. Im Sumpf zwischen Schilf und Riedgräsern wachsen zwei Farnkräuter, unsern Waldfarnen ähnlich. Aber ihr Standort in dieser Gesellschaft verrät schon, daß es besondere Arten sind. Die eine ist der zarte Sumpffarn (Aspidium thelypteris), recht zahlreich vorkommend, die andere der derbe Kammfarn, (Aspidium cristatum). Die letztere Art ist zu erkennen an den aufrechtstehenden Fiedern, die senkrecht zur Blattfläche stehen. Der Kammfarn ist viel seltener, auch er ist in Gefahr zu verschwinden.

Vom Ufer ins Wasser hängend, oft auf dem Wasser treibend, bemerkt man eine Doldenpflanze mit petersilienartigen Blättern. Es ist der Wasserschierling (Cicuta virosa). Zum Schwimmen befähigt sie der gedunsene Wurzelstock, der innen hohl und durch Querfächer geteilt ist, wie man durch Aufschneiden leicht feststellen kann. Alle Teile der Pflanze, besonders aber der Wurzelstock, sind äußerst giftig. Aus Schierlingssaft wurde dem weisen Sokrates der Gifttrunk bereitet.

Eine seltsame Pflanze ist der Wasserschlauch (Utricularia vulgaris); sie findet sich noch zahlreich in einem kleinen abgesonderten Teich. Hier erhebt sie wohl hunderte von gelben, löwenmaulähnlichen Blüten über den Wasserspiegel, im übrigen schwebt sie untergetaucht ohne Wurzeln im Wasser. Die Blätter sind pinselartig zerteilt und tragen kleine Bläschen von der Größe eines Senfkornes. Diese Bläschen sind zum Fang kleiner Wassertierchen eingerichtet, die besitzen eine Oeffnung, in welche kleine Tierchen wohl hinein-, nicht aber herauskommen. Sie werden alsdann durch einen abgesonderten Saft aufgelöst und als zusätzliche Nahrung verspeist. Unser Wasserschlauch ist also eine fleischfressende Pflanze.

Eine andere Insektenfressende Pflanze, der Sonnentau (Drosera rotundifolia), mit rosettenartig ausgebreiteten drüsenhaarigen, pfenniggroßen Blättern und kleinen, weißen Blüten kam früher auch am Teufelsbad, auf Torfmoos wachsend, vor. Noch im Jahre 1928 wurde sie gesehen. Sie ist wie einige andere eigenartige Pflanzen der Teichabsenkung zum Opfer gefallen. Hoffen wir, daß das noch Vorhandene und erhalten bleibt!

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