Friedrich Armbrecht Der Sedanturm auf den Gips-Klippen bei Osterode In Heft 32/1976 dieser „Heimatblätter“ war darüber berichtet worden, daß sich Osterode am 15. Mai 1883 zum klimatischen Kurort erklärt hatte. Im 9 Morgen großen, der Stadt gehörenden Lindenbergpark hatte man eine Badeanstalt eingerichtet, in der alle Arten von künstlichen Bädern durch geschultes Personal verabreicht wurden. Am 12. Februar 1885 wurde im Saale des „Englischen Hofes“ eine recht schwach besuchte Bürgerversammlung abgehalten, die unter anderem den Zweck hatte, „über die Art und Weise der Weiterführung des hiesigen Curunternehmens Beschluß zu fassen“. Es hatte sich doch Schwierigkeiten ergeben und man beschloß, die Weiterführung des Bades in die Hände des Magistrats zu legen. Aus der Versammlung wurden 3 Herren zu Deputierten gewählt, um die Angelegenheit den städtischen Körperschaften zu unterbreiten. Sodann wurde in der gleichen Versammlung die Frage aufgeworfen, ob es zweckmäßig sei, für die hiesige Stadt einen Verschönerungsverein, wie er auch an anderen Orten bestehe, ins Leben zu rufen. Kurz entschlossen wurde die Gründung eines solchen Vereins beschlossen und ein aus 30 Herren bestehendes Komitee gebildet, das sich mit dem Statutenentwurf sowie mit allen anderen Vorarbeiten beschäftigen sollte. Dabei wurden bei der Bildung dieses Komitees die Herren der bisherigen Badeverwaltung in erster Linie berücksichtigt. Gleichzeitig wurde aber betont, „daß der Verschönerungsverein eine Sache ganz für sich sei und mit der Curangelegenheit nichts gemein haben werde“. Offenbar ging man wohl von der Einsicht aus, daß eine Badeanstalt, mochte sie noch so komfortabel eingerichtet sein, noch keinen Kurort ausmache. Die Umgebung der Stadt dagegen bot zwar viel Natur, im stadtnahen Bereich entsprach sie aber wohl nicht den Ansprüchen, die ein verwöhnter Kurgast der damaligen Zeit stellt. Nach den in der ersten Sitzung am 18. März 1885 festgelegten Statuten bezweckte der Verein deshalb auch „die Verschönerung der öffentlichen Promenaden und Plätze des klimatischen Kurortes und seiner Umgebung, soweit dies nicht durch den Magistrat geschehe, um Fremden und Einheimischen den Aufenthalt angenehm zu machen“. Auf dieser ersten Sitzung wurde außerdem aus der Mitte der Anwesenden ein Direktorium gewählt, das aus Oberlehrer Dr. Ahrens, Kaufmann H. Dietrich und Kaufmann W. Beck bestand. Man beschloss ferner, den Bürgern und Einwohnern Listen vorzulegen, in die sich jeder als Mitglied eintragen und seinen Beitrag nach eigenem Belieben festsetzen konnte. Der damit neu ins Leben gerufene Verein wollte wohl die etwas in Vergessenheit geratene Arbeit seines Vorgängers fortsetzen. Schon um 1830 war von Apotheker Bornträger und Amtsassessor Stölting ein Verschönerungsverein gegründet worden, der insbesondere durch Anpflanzungen an der Sösepromenade und am Spazierweg erste Schritte zur Stadtverschönerung unternommen hatte. Renner 2 weiß in seiner Chronik von Osterode zu berichten, daß in den Jahren 1831 und 1832 13.007 Fuß neue Wege angelegt, 274 Stück Obstbäume und über 1.000 Stück andere Bäume angepflanzt wurden. Noch 1864 muß dieser Verschönerungsverein existiert haben, denn seinerzeit rief er zu einer Verschönerung der Anlagen und Wege am Uehrder Berg auf, und selbst 1880 findet noch ein gemeinsames Konzert des MTGV und der Stadtkapelle zugunsten des Verschönerungsvereins statt. Von dem neuen Verein weiß der „Allgemeine Anzeiger“ unter dem 17. April 1885 zu berichten, daß er seine Tätigkeit aufgenommen habe, am Uehrder Berg verschiedene Anpflanzungen gemacht und an den schönen Aussichtspunkten Ruheplätze errichtet habe. Mittels Anzeige rief der Vorsitzende Dr. Ahrens zu einer Versammlung des Komitees am Sonnabend, 25. April, nachmittags 4.00 Uhr, am Kaiserplatz auf. Sicherlich nicht, um die vom Verein geplanten Vorhaben zu diskutieren, vielmehr wohl, um zu einem erneuten „Arbeitseinsatz“ zu schreiten. Diese neuen Vorhaben wurden von der Bevölkerung nicht nur wohlwollend zur Kenntnis genommen, sondern man nahm sie auch gleich an. An anderer Stelle wird nämlich berichtet, daß an einem Sonntag Ende April die Menschen gleich einer Völkerwanderung zum Uehrder Berg geströmt seien. Am 24. Juni 1885 fand dann die offizielle Einweihung der neuen Anlagen statt. Vor zahlreichem Publikum, umrahmt von Musikvorträgen der Stadtkapelle und des Männer-Turn-Gesangsvereins, hielt Oberlehrer Dr. Ahrens eine Weiherede für das Erstlingswerk des neu ins Leben gerufenen Verschönerungsvereins. Dabei gab Dr. Ahrens bekannt, daß auf Beschluß des Komitees die Anlagen dem verdienstvollen Ehrenbürger der Stadt Heinrich Dörge in Leipzig gewidmet sein sollten. Im Namen des Vereins taufte er diese Anlagen dann in „Heinrich Dörge's Ruh“. Musiker und Sänger setzten ihre Vorträge in einer neu geschaffenen Sängerlaube fort. Mit „bengalischen Flammen sowie durch das Steigenlassen feuriger und farbenreicher Luftballons durch den geschickten Pyrotechniker Austel“ schloß dieser denkwürdige Tag. Der Verein war also mit einigem Erfolg bestrebt, die unmittelbare Umgebung der Stadt durch die Anlegung von Wegen und Schaffung von Aussichtspunkten und Ruhebänken attraktiver zu gestalten. So ist es auch zu verstehen, daß ein Jahr später, am 7. Juli 1886 im „Allgemeinen Anzeiger“ ein Artikel unter der Überschrift „Die Hüttenspitze“ stand, der einen weiteren Vorschlag zur Schaffung eines Wanderzieles enthielt. Anschaulich schildert der Verfasser, daß man am Schnittpunkt der Alten und der Neuen Chaussee, rechts durch die Feldflur, nach wenigen hundert Schritten an den Rand eines steil in das Tal abfallenden Bergrückens komme, der oberhalb der Annenmühle beginne und sich bis zur Pippinsburg fortsetze. Obwohl diese Stelle einen Ausblick biete, wie keine andere in der ganzen Umgebung Osterodes, sei sie doch nur wenigen bekannt, da kein geebneter Pfad zu ihr hinleite. Wie ein Vorgebirge rage die „Hüttenspitze“ in das Tal, und recht oft schon sei angeregt worden, an dieser Stelle mehr zu tun. Der Verschönerungsverein, so heißt es weiter, der soviel für die Aufschließung schöner Punkte in der Umgebung der Stadt getan habe, würde sich ein nicht geringes Verdienst erwerben, wenn er diesen Hinweisen nachginge und einen Weg im Verlauf des Bergrückens schaffe. An der Hüttenspitze selbst könnten windfreie Anlagen hergestellt, auch Baumgruppen angepflanzt werden, und „wenn gar ein etwa 20 - 30 Fuß hoher Aussichtsbau hinzukäme, würde die Rundschau auch bis in die Gegend von Göttingen hin sich ermöglichen lassen“. Damit war eine Anregung gegeben, die der Verschönerungsverein auch sogleich aufgriff. Ein Artikel vom 18. August 1886 weiß nämlich zu berichten, daß der Verschönerungsverein am Samstag, dem 14. August, eine Wanderung nach der Hüttenspitze unternommen habe, um dort einen Beschluß über die Errichtung eines Aussichtsturmes zu fassen.. Drei verschiedene Möglichkeiten gäbe es, zu der vorerwähnten Stelle zu gelangen:
Der schönste, jedoch für schwache Fußgänger weniger empfehlenswerte, sei der durch die Feldmark von der alten Chaussee, auf dem man nach 5 - 6 Minuten die Hüttenspitze erreiche. Allgemeine Bewunderung erregte bei dieser Begehung die prachtvolle Aussicht. Der Plan, hier einen etwa 20 - 25 Fuß hohen „Lug-ins-Land“ aufzustellen, fand bald allgemeine Billigung. Es wurde ferner der Beschluß gefaßt, in einer seitens des Verschönerungsvereins anzuberaumenden Versammlung, zu der jeder eingesessene Bürger und Naturfreund Zutritt und Stimme haben sollte, über den in Seesen neu konstituierten „Harzklub“ Mitteilung zu machen. Diese Anmerkung verdient insofern Beachtung, als der etwas später gegründete Harzklub-Zweigverein Osterode die Bemühungen um die Schaffung eines Aussichtsturmes auf der Hüttenspitze mit unterstützte. Über mehrere Jahre vernimmt man zunächst nichts mehr über das Projekt. Erst am 27. 2. 1892 findet sich in einem Bericht über die Mitgliederversammlung des Harzklub-Zweigvereins Osterode im Lange'schen Saale (Kronprinz), daß
„Zunächst“, so endet der Artikel, „wolle man vorläufig auf diese für den Fremdenverkehr von Osterode bedeutsame Mitteilung hinweisen und werde später, sobald Schritte in dieser Sache getan seien, ausführlich darauf zurückkommen.“ Später findet sich die Anmerkung, daß die Idee, auf der höchsten Erhebung des Kalkberges einen Aussichtsturm zu errichten, ursprünglich von Sanitätsrat William Döring ausgegangen sei. Dieser habe schon vor vielen Jahren angeregt, von der nach ihm benannten „Williamshöhe“ über die alte Dorster Straße zum gegenüberliegenden Berg, oberhalb der Bergbrauerei, eine Brücke zu errichten und auf der Höhe des Gebirgskammes einen Weg anzulegen, der auf der Hüttenspitze ende. Sanitätsrat Döring war es nicht vergönnt, seinen Plan verwirklicht zu sehen. Er starb am 5. Februar 1890. Nun aber, im zeitigen Frühjahr 1892, war es ein anderer, der entschlossen war, die Idee in die Tat umzusetzen: der Königliche Kreis-Bauinspektor Hermann Mende aus Quedlinburg, von 1888 bis 1912 in Osterode tätig. Geheimrat Dr. Mühlefeldt wußte später zu berichten: 3
Wer waren nun diese Gleichgesinnten? Einen kennen wir. Es war August Multhauf. Mit ihm gründete Mende am 20. 9. 1890 einen „Bürgerverein zur Hebung des Fremdenverkehrs“. Dieser Vorgänger des heutige Verkehrsvereines konnte in seiner Hauptversammlung am 8. März 1892 im Hotel „Zum Kronprinzen“ schon 130 Mitglieder aufweisen. In dieser Versammlung beschloss man zum Beispiel, ein in Buntdruck anzufertigendes Plakat einer Leipziger Firma in Auftrag zu geben, deren Landschaftsmaler der Versammlung selbst beiwohnte. Man versprach sich von der Herstellung eines solchen Kunstblattes, das immerhin die Mitgliedsbeiträge von 2 Jahren verschlang, eine wirksame Werbung für die Stadt. Aber noch einem zweiten wirksamen Mittel zur Anziehung von Fremden war der Vorstand nähergetreten, nämlich dem Bau des Aussichtsturmes auf der Hüttenspitze. So habe man „fremde, nicht voreingenommene Herrschaften, welche die Alpen und Italien gesehen hatten, dorthin geführt und die Meinung bestätigt gefunden, daß sich die Aussicht von der Osteroder Hüttenspitze mit dem Herrlichsten messen könne, was es auf Gottes Erde zu schauen gäbe. Werde hier ein hoher, monumentaler, also auch massiv aufgebauter Aussichtsturm errichtet, welcher an sich selbst eine Sehenswürdigkeit, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich und die Hüttenspitze lenke, so sei es gar nicht fraglich, daß nach hunderten zählende Besucher jahraus jahrein den Turm besteigen würden.“ So beschloß dann auch der Verein, die Erbauung des im Entwurf bereits vorliegenden Turmes mit aller Energie in die Hand zu nehmen. Nach einem vorliegenden Kostenvoranschlag beliefen sich die Baukosten auf 8.100 Mark, wovon sofort der 10. Teil gezeichnet wurde. Zusätzlich erklärten sich die Herren Jorns, Keitel und Roselius bereit, die freie Anfuhr der Materialien zu übernehmen, und Herr Weißleben sagte die Lieferung einer eisernen Fahnenstange zu. Nach dem Vorbild von Bad Lauterberg bei Errichtung des Turmes auf dem Großen Knollen im vorausgegangenen Jahre wurde ferner die Durchführung einer Lotterie beschlossen. Drei Herren erklärten sich zur Entgegennahme von Geschenken bereit, die als Gewinne dienen könnten. Das Los sollte 50 Pfennig kosten. Schon die kleinste Arbeit zarter Damenhände würde einen großen Gewinn darstellen: „Also auf, Ihr Frauen und Jungfrauen, bethätigt Eure Liebe zur schönen Heimath“, hieß es. Man kam ferner überein, die Ziehung und Verteilung der Lose bei einem Sommerfest im Kurpark durchzuführen. Daneben sollte eine Sammlung in einzelnen Stadtgebieten durchgeführt werden, sofern der Magistrat die erforderliche Genehmigung dazu erteile. Ein Bauplatz auf der Hüttenspitze war schon unentgeltlich bereitgestellt, und dies 1 1/2 Morgen große Stück Land sollte parkartig mit Rosen und Baumgruppen bepflanzt werden. Es wurde ferner eine Besichtigung der Baustelle anberaumt. Der Entwurf zu dem Turmbau sollte in den Schaufenstern der Osteroder Buchhandlungen zu sehen sein. Auch sollte der Kriegerverein um Mithilfe gebeten werden, denn da es sich um die Errichtung eines wirklichen Monuments handelte, so war die berechtigte Aussicht vorhanden, daß der neue Turm den Namen „Kaiser Wilhelm Turm“ Der Artikel schloss mit dem imponierenden Aufruf: „Also auf, Ihr Osteröder, laßt uns den Kaiser-Wilhelmthurm bauen, als ein Zeichen der Liebe für unser großes Vaterland, wie für unsere eigene Heimath.“ Aber es fehlte auch nicht an kritischen Stimmen zu diesem Projekt. Am 9. 4. 1892 veröffentlichte der „Allgemeine Anzeiger“ einen Leserbrief unter „Eingesandt“, in dem darauf hingewiesen wurde, daß es wegen der Kinder doch sehr gefährlich sei, in der Nähe der senkrechten Felsen einen derartigen Turm zu bauen. Außerdem sei der schattenlose Weg im Sommer nicht angenehm. Da man daselbst keinen Wald antreffe, auch nicht einladend, weshalb die Hüttenspitze von Spaziergängern wenig oder fast gar nicht besucht werde. Der anonyme Leserbriefschreiber schlug vielmehr vor, in der Nähe des Georg-Pavillions - also in der Nähe des Galgenturms - den Turm zu errichten. Auch in der Nähe der Mooslaube (wo?) sei ein Platz, der es wegen seiner herrlichen Aussicht verdiene, von den Herren des Verschönerungsvereins berücksichtigt zu werden. Ungeachtet dieser Einwände gingen die Vorbereitungen weiter. Es war in der Zwischenzeit ein Turmbau-Fonds gebildet worden, dem laufend namhafte Beiträge zugingen. Durch ein Konzert des Männer-Turn-Gesangsvereins und der Stadtkapelle waren im Mai dem Fonds 100 Mark zugeflossen. Auch wurde unter dem 25. Mai mitgeteilt, daß zu Gunsten der Turmbau-Kasse ein Theaterabend geplant sei. Ausrichter sei das rührige Kurkomitee. Weiterhin hoffte man auf die Genehmigung zur Durchführung der Lotterie, da auch hierfür schon Sachspenden eingegangen waren. Mitte Oktober 1892 hielt auch der „Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs“ eine Hauptversammlung ab, in der der Vorstand den Beschluß verkündete, den bereits in Angriff genommenen Bau eines 15 m hohen massiven Aussichtsturmes auf der Hüttenspitze soweit voranzutreiben, daß die Einweihung am Sedantage nächsten Jahres (also 1893) erfolgen könne. Die Arbeiten seien an einen hiesigen Meister, welcher Mindestforderer bei der veranstalteten Submission geblieben war, vergeben. Leider wird nicht berichtet, welches Bauunternehmen den Auftrag erhalten hatte. Gleichzeitig werden aber alle jene Mitbürger aufgefordert, tätig zu werden, die ihre Mithilfe zum Turmbau durch versprochene Fuhren in Aussicht gestellt hatten. Der Vorstand des Vereins, insbesondere der Vorsitzende der Baukommission Herr Fabrikant Keidel werde, so heißt es, sich noch einmal mit den betreffenden Vereinsmitgliedern in Verbindung setzen. Ferner wurde mitgeteilt, daß die zuständigen Behörden bezüglich der Verlosung die Auflage erteilt hätten, daß der Wert der Sachgewinne den Betrag von 1.000,-- Mark erreichen sollte. Da die bereits zahlreich eingegangenen hübschen und Wertvollen Gewinne erst einer Abschätzung auf ihren Verkaufswert hätten unterzogen werden müssen, hielt es der Verein für ratsamer, von einer öffentlichen Verlosung abzusehen und sämtliche Lose zum Preis von 0,50 Mark innerhalb des Vereins abzusetzen. Auch wurde verraten, daß eine theatralische Aufführung geplant sei, „zu der die bewährtesten Kräfte der einheimischen Dilettantenwelt ihre Mitwirkung zugesagt hätten“. Ferner würde bald zu einem öffentlichen Skatabend aufgerufen. Zu diesem Zwecke habe Herr Fricke („Englischer Hof“) bereitwillig seinen Saal mit elektrischer Beleuchtung kostenlos zur Verfügung gestellt. Die geplante Theatervorstellung zu Gunsten der Turmbau-Kasse stieß dann wohl doch noch auf einige Schwierigkeiten. So ist unter dem 21. März 1893 nachzulesen, daß eine solche Aufführung mit Rücksicht auf die Karwoche auf die Zeit nach Ostern verschoben worden sei. Unter Berücksichtigung der Kosten für Spielhonorar, Bühnenaufbau und Saalmiete lohne sich eine einmalige Vorstellung nicht, dennoch solle man die Idee nicht fallen lassen. Eine „Thurmbauvorstellung“ mit erhöhtem Eintrittspreis von durchweg 1,- Mark sei grundsätzlich zu begrüßen. Es sei nun an dieser Stelle nicht weiter auf die Vorbereitungen zur Finanzierung eingegangen, sondern wir wollen uns dem eigentlichen Projekt zuwenden. Durch einen Glücksumstand befindet sich der Original-Entwurfsplan noch im Stadtarchiv. Diesem ist zu entnehmen, daß der „Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs in Osterode am Harz“ am 13. April 1892 einen Antrag auf Baugenehmigung beim Magistrat gestellt hat. Dieser Plan zeigt eine Außenansicht und einen Höhenschnitt des Turmes. Danach war der Turm von der Stufenoberkante bis zum Brüstungsabschluß 14,50 m hoch geplant. Das Treppenhaus sollte insgesamt 13,90 m hoch werden. Darüber befand sich die Aussichtsplattform mit einer Brüstungshöhe von 1,20 m. Im Treppenhaus selbst war eine Wendeltreppe geplant mit 60 Stufen, je Stufe eine Höhe von 0,19 m. Getragen werden sollte diese Wendeltreppe durch 5 Podeste, die jeweils zwischen einer runden Mittelsäule und dem Außenmauerwerk befestigt waren. Belichtet werden sollte das Treppenhaus durch insgesamt 3 Fenster. Der an sich runde Turm, der in Höhe der Aussichtsplattform etwas vorsprang, ruhte auf einem achteckigen Unterbau in äußeren Abmessungen von 5,20 m x 5,20 m. Getragen wurde der gesamte Turm durch einen 3stufigen Sockel über der Erdoberfläche. Die einzelnen Stufenabsätze hatten die Abmessungen 7,10 8,15 m und 9,20 m, jeweils im Quadrat mit abgeschrägten Ecken. Die Schnittzeichnung zeigt außerdem, daß auch noch unter der Erdoberfläche ein Fundament mit einer maximalen Längsausdehnung von 11,80 m und einer Tiefe von immerhin 1,80 m geplant war. Schließlich zeigt dieser Plan auch noch eine Ansicht des Turmes, wie er auf der Hüttenspitze hoch über der damals noch vorhandenen Bergbrauerei emporragt. Diese Zeichnung ist vom Königlichen Kreisbauinspektor Mende unterschrieben, und wie wir an anderer Stelle schon erfahren haben, stammt von ihm auch der Entwurf zum Bau. Genehmigt ist der Bau sicherlich auch, und so dürfen wir annehmen, daß die Bauarbeiten im Laufe des Frühjahrs und Sommers 1893 voranschritten. Leider findet sich nirgends ein Hinweis, ob die Finanzierung gesichert war. Erst am 29. August 1893 wendet sich der Vorstand des Harzklub-Zweigvereins Osterode mittels Anzeige an seine Mitglieder, mit der Mitteilung, daß das schöne Werk vollendet sei und der prächtige Aussichtsturm auf der Hüttenspitze eine überaus herrliche Aussicht ermögliche. Da am Sedantage, dem 2. September 1893, die Einweihungsfeier stattfinden solle, sei der Verein „von dem verehrlichen Vorstande des Vereins zur Hebung des Fremdenverkehrs mit einer besonderen Einladung beehrt worden“. Die Mitglieder des Harzklubs würden gebeten, durch eine allgemeine Teilnahme an der Festlichkeit ihren dankbaren Gefühlen Ausdruck zu geben. Ein Artikel vom 1. September 1893 befaßt sich dann noch einmal mit der Vorgeschichte und spricht die Hoffnung aus, daß der Turm bald ein Anziehungspunkt werde. Wenn erst einmal die nackten Kalkfelsen vollkommen bepflanzt seien, könne das Gelände eine Zierde für Osterode werden. Die bevorstehende Einweihung versprach deshalb ein Ereignis zu werden. Doch hatte man die Rechnung ohne den Wettergott gemacht. Am 18. September 1893 erscheint ein ausführlicher Bericht von den Einweihungsfeierlichkeiten. Danach fand am Sonntag, dem 17. September, die wegen Regenwetter am Sedantage aufgeschobene Einweihungsfeier des im Sommer auf der Hüttenspitze in der Nähe der Stadt erbauten massiven Aussichtsturmes statt. Nach diesem Bericht zog nachmittags um 3.00 Uhr trotz des wiederum wolkenschweren Himmels eine große Teilnehmerschar vom Kurpark aus mit Musikbegleitung hinauf zum Standpunkt des Turmes. Nach dem ersten Musikvortrag hielt Kreisbauinspektor Mende in - wie es heißt - „lebhaften, kräftigen Vortrage die Weiherede“, in der er die Entstehung, den Fortgang, die Vollendung des Baues sowie die Beschaffung der erforderlichen Mittel schilderte. Er taufte schließlich den Turm auf den Namen „Sedanturm“ und wünschte ihm ein langes Dasein zum Nutzen und zur Freude aller Naturfreunde. Nachdem der Männer-Turn-Gesangsverein „Das Felsenkreuz“ und „Das deutsche Lied“ gesungen hatte, sprach Herr W. von Daacke dem Erbauer des Turmes den Dank aus. Für sein uneigennütziges, menschenfreundliches Wirken wurde diesem ein 3faches Hoch entboten. Nach weiteren Musik- und Gesangsvorträgen ging der Zug etwa um 5.00 Uhr wieder zurück zum Kurpark, wo die Feier durch ein Konzert und am Abend durch Tanz fortgesetzt wurde. Pünktlich um 8.00 Uhr abends strahlte der Aussichtsturm auf erhabener Höhe in bengalischer Beleuchtung und im Kurpark selbst wurde ein glänzendes Feuerwerk abgebrannt. Der Artikel schloß mit der Bemerkung, daß diese schöne Feier allen Teilnehmern stets in angenehmer Erinnerung bleiben werde und alljährlich am Sedantage durch bengalische Beleuchtung des Turmes aufgefrischt werden solle.
Damit war Osterode um eine Attraktion reicher. Wir wissen aus späteren Berichten, daß der Sedanturm lange Zeit ein beliebtes Ausflugsziel war. Ein Spaziergang von der Stadt durch die Petershütter Allee zum Gasthaus „Petershütte“ über die Gipsklippen und den Sedanturm zurück zur Stadt oder umgekehrt waren ein beliebtes Sonntagsvergnügen der Einwohner. Das Restaurant und Café „Petershütte“ mit seinem großen Garten, mit schattigen Lauben, Grotten und Veranden lud zu einer erholsamen Pause bei solchen Ausflügen ein. Durch Konzerte der Stadtkapelle und anderer Musikvereinigungen verstanden es die Wirte Gramschütz und später Kreikemeyer immer wieder, Gäste zu einem solchen Spazierweg anzuregen. Die Nachrichten über den Sedanturm wurden danach spärlicher. In den Akten des Stadtarchivs 4 finde sich erst unter dem 11. Mai 1920 ein Schreiben von Herrn Wilhelm Rinne, dem Inhaber der Firma Rudi Rinne, in dem dieser dem Magistrat mitteilt, daß vom Sedanturm ein größeres Stück der Zinkblechbedachung gestohlen sei. Um weitere Diebstähle und damit den Verfall des Sedanturmes zu verhüten, sei der Turm verschlossen worden. Man habe auch den Harzklub Osterode davon unterrichtet, dieser zeigt aber kein Interesse. Die Besucher des Naturparkes am Sedanturm wären sicherlich enttäuscht, wenn der Turm geschlossen sei, ganz abgesehen davon, daß die Tür schon wieder einmal aufgebrochen wurde. Im Interesse der Ausflügler und allgemein im Interesse der Stadt bitte er um Nachricht, ob der Magistrat bereit sei, die Reparaturkosten in Höhe von 100 Mark zu übernehmen. Die Stadt teilte daraufhin Herrn Rinne mit, daß sie die Reparaturarbeiten am Sedanturme nicht durchführen können, da sich der Turm im fremden Eigentum befinde. Sie wäre aber bereit, mit ihm - also Herrn Rinne - wegen eines Ankaufs zu verhandeln. Im Juli des gleichen Jahres findet sich dann der Vermerk, daß der Kaufmann Rinne bereit sei, der Stadt den Sedanturm zu schenken, außerdem ein Stück Land in unmittelbarer Nähe des Turmes, um den Turm erreichen zu können. Stadtbaumeister Neuse überzeugte sich dann an Ort und Stelle vom Zustand des Turmes und am 26. 8. 1920 erklärten die städtischen Kollegien mit dem Ausdruck des herzlichen Dankes ihr Einverständnis zur schenkungsweisen Überlassung des Sedanturmes einschließlich eines als Zuwegung gedachten Stück Landes. Nachdem noch einige Formalitäten, wie Vermessung, Haftpflichtversicherung usw. geklärt waren, wurde dann schließlich die Stadt Osterode unter dem 22. Juli 1921 als Eigentümer des 3a und 9 qm großen Geländes im Grundbuch eingetragen. Da sich in unmittelbarer Nähe des Turmes eine vielbesuchte städtische Naturparkanlage befand, wurde der mit der Überwachung betraute städtische Forstaufseher auch mit der Überwachung des Turmes beauftragt. Daß dies aber eine recht undankbare Aufgabe für die städtische Oberförsterei war, zeigt ein Vermerk von Oberförster Horn, wonach der Turm zwar „baulich in einem guten Zustande sei, vom herumvagabundierendem Gesindel aber ziemlich verunreinigt werde“. Die Zinkblechabdeckung der Brüstung war auch weiterhin ein beliebtes Objekt für Diebstähle. Nachdem erst im August 1922 die Abdeckung erneuert worden war, wurden im Frühjahr 1923 erneut größere Stücke herausgeschnitten, wofür immerhin RM 100.000,-!!! verausgabt werden mußten. Horn empfiehlt, den Turm abzuschließen und nur sonntags und an Festtagen für den Besuch des Publikums freizugeben. Dies gab der Magistrat auch mit Bekanntmachung vom 26. Mai 1923 zu wissen. Es traten aber auch andere Beschädigungen auf. So berichtet Stadtbaumeister Rauch unter dem 23. Juli 1927, daß der untere Teil des Sedanturmes einschließlich des bekrönenden Sockelgesimses arg zerstört sei. Am achteckigen Unterbau mußte an 5 Seiten das Gesims vollkommen erneuert werden. Zwei untere Achteckseiten müßten ganz neu geputzt werden, und auch der Stufenvorbau vor dem Eingang sei zu erneuern. Diese Instandsetzungsarbeiten würden sich auf 400 RM belaufen. Der Betrag wäre um 100 Reichsmark zu ermäßigen, wenn das große Gesims nicht wieder hergestellt würde, sondern der Rest dieses Gesimses abgeschlagen und der achteckige Sockel gegen den runden Turm einfach in Zementmörtel schräg abgedeckt würde. Dabei sei allerdings nicht zu vermeiden, daß der Unterbau in seinem Ansehen etwas leiden würde. Am 15. 5. 1929 erschien im „Göttinger Volksblatt“ ein Leserbrief mit folgendem Inhalt: Eingesandt Prompt wurde dann auch die städtische Oberförsterei beauftragt, gegen diese Verunreinigungen vorzugehen. Diese wies jedoch darauf hin, daß der Sedanturm vor einigen Jahren neu gestrichen sei und man von Anfang an versucht habe, durch entsprechende Anzeigen Beschmierungen entgegen zu wirken. Binnen kurzer Zeit hätten jedoch hunderte und tausende Namen an den Wänden gestanden, und es sei heute so gut wie ausgeschlossen, überhaupt noch Namen und Adressen festzustellen und irgendeine Art von Strafverfolgung vorzunehmen. Der zuständige Forstbeamte suche den Turm auf, wenn er gelegentlich bei einem Dienstgange in diesen Bezirk komme. Im übrigen - so schreibt die städtische Oberförsterei - gelte aber noch der Magistratbeschluß vom 25. Mai 1923, wonach der Sedanturm nur sonn- und festtags geöffnet werde. Dieser Beschluß sei damals auf Veranlassung der Oberförsterei herbeigeführt worden, weil in der Inflationszeit das Zinkblech gestohlen worden sei. Seit Einführung der Goldmark habe dies aber aufgehört und man habe sich entschlossen, den Turm wieder täglich zu öffnen. Wohl oder übel entschloß sich die Stadt, den Turm mit einem neuen Innenanstrich zu versehen. Das dies nicht der letzte war, darüber berichten die Akten nichts. Dennoch werden sich die Verhältnisse in den letzten 50 Jahren nicht gebessert haben. Wer heute zum Sedanturm wandert, wird feststellen, daß dieser eher ein bedauernswerten Anblick bietet. An zahlreichen Stellen sind das Mauerwerk und der Verputz abgebröckelt. Zahlreiche Risse, wohl von Sprengungen aus den nahen Gipsbrüchen herrührend, zeigen selbst dem Laien ein sanierungsbedürftiges Gebäude. Das Betreten ist heute auch nur auf eigene Gefahr gestattet, und es wird nur eine Frage der Zeit sein, daß sich die Stadt Osterode zu einem Abbruch entschließen muß. Es ist bekannt, daß solche Bauten nur mit erheblichem Kostenaufwand zu erhalten sind. Die Aussichtstürme Hanskühnenburg und Kukholzklippe sind dafür Beispiele. Bei diesen lohnte sich der Aufwand allerdings, da sie Wanderziele an exponierter Stelle im Naturpark Harz sind. Der Sedanturm kann da nicht mithalten. Er liegt außerhalb des Naturparkes und ist „nur“ für Spaziergänger ein Ziel. Man hat nach dem 2. Weltkrieg versucht, ihn durch eine zeitweise Bewirtschaftung attraktiver zu machen. Der Versuch mißlang. Nicht nur der hohe Baumbewuchs hat ihm heute die Wirkung als Aussichtsturm genommen, sondern auch die Einstellung der Menschen unserer Tage. In einem Zeitalter, da Lifte und Bergbahnen fast jedem ohne Anstrengung herrlichste Ausblicke ermöglichen, hat der Sedanturm keine Chancen. Er hat gerade ein Menschenalter erreicht. Seine geistigen Väter hatten ihm sicher ein längeres Leben gewünscht. Quellennachweis:
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