Von einem Stein-Felsen bei dem Closter Ilefeld, das Nadel-Oehr genannt.

Eine gute Meile von hier, über dem Closter Ilefeld, ist zur lincken Hand, gleich bei dem Hartz-Fahr-Wege, an einem hohen Berge ein nicht gar hoher doch starcker Stein-Fels angewachsen, welcher in seiner Mitte eine enge und schmale durchgehende Höle hat, und das Nadel-Oehr genennet wird, weilen das Loch etlichermassen mit der Gestalt eines Nadel-Oehrs sich vergleichet. Durch dieses Loch müssen die Knechte, so wohl aus Nordhausen als andern umliegenden Oertern, wenn sie zum erstenmahl hinter Ilefeld in den Hartz, um daher Brenn-Holtz auff Wägen abzuholen, fahren, und an diesen Ort gelangen, mit grosser Mühe, der Enge wegen, dreimahl kriechen, und werden noch darzu von ihren dabei stehenden Cameraden, nicht allein bei dem Ein- sondern auch bei dem Auskriechen, mit Peitschen- und Geissel-Stiehlen tapffer abgeschmissen, zumahl wenn dieselben corpulent oder dicke sind, und dieserwegen so bald durch das Nadel-Oehr nicht kommen können; wollen sie aber diese Kurtzweil nicht ausstehen, und haben es im Vermögen, so müssen sie solches Tractament mit Gelde bezahlen. Es ist zwar dieses böse Wesen, insonderheit von der Obrigkeit zu Ilefeld, bei ziemlicher Straffe verboten worden, weilen dadurch die Knechte abgeschrecket worden, hinter Ilefeld zu fahren, und damit dem Holtz-Handel grosser Abbruch geschiehet; Es hilfft aber solches wenig, denn, will ein Knecht vor seinen Cameraden Fieden haben und in ihrer Sauff-Compagnie gelitten werden, so muß er doch nach ihrer Pfeiffe tantzen, und hilfft darzu kein Kläglich-Thun. Der gemeine Mann erzehlet von dem Ursprung dieses Steines eine Handgreiffliche lügenhaffte Fabel, und giebet vor: wie einesmahls ein Hühne oder Riese etliche Meile gereiset sei; Als er nun hinter Ilefeld ankommen, und gefühlet, daß ihn, salva venia, der eine Schuh hefftig drücke, hätte er denselben ausgezogen, und diesen grossen Stein darinnen gefunden, welchen er an den Ort, wo er noch liege, geworffen habe. Daß dieses aber einem Kinder-Mährgen gleich sei, kan ein jeder Verständiger leicht erachten, massen das ein weidlicher grosser Riesen Flegel müste gewesen sein, der einen so grossen Stein bei dem Fusse hätte verbergen können, doch ist es denen gemeinen Leuthen nichts Neues, dergleichen Fratzen, entweder aus Schertz oder aus Ernst, zu erzehlen; wie denn auch von denen bei der Hoch-Fürstlichen Braunschweigischen Wolffenbüttelischen Universität Helmstädt, auff dem so genannten Cornelius-Berge liegenden, grossen Steinen vorgegeben wird: daß vor Alters die Hühnen einesmahls bei gutem Wetter damit gespielet, und Exercitii gaatia aus Kurtzweil sich damit geworfen hätten, deswegen sie biß hieher daselbst gefunden würden; glaub-würdiger aber ist es, daß diese Steine, einiger Gelehrten Muthmassungen nach, nichts anders als Begräbnisse alter tapfferer Helden sein. Sonst ist bekannt, daß sich bei diesen Steinen in vorigen Zeiten eine Lehr-reiche und lustige Begebenheit zugetragen habe, indem ein berühmter Professor Matheseos, als wenig Zuhörer in seinen Collegiis und öffentlichen Lectionibus sich eingefunden, gebräuchlicher massen an das schwartze Brett angeschlagen gehabt: wie er diese grosse Steine auff einen gewissen benahmten Tag alle hinweg blasen wolle; Als nun der bestimmte Tag heran nahet, lauffen fast alle Studenten hinaus, diese Wunder-Kunst anzuschauen, und fänget alsdenn der Professor in ihrer Gegenwart an, aus allen Kräfften auff die Steine loß zu blasen, es will aber nicht ein einiger weder wancken noch weichen, derowegen er anfänget, zu ihnen zu sagen; daß er verheissen habe, wie er diese Steine hinweg blasen wolle, nicht aber, daß er dasselbe könte; wobei er Gelegenheit nimmet, denen Studenten zu zeigen, daß solche Last durch mathematische Künste könten gehoben werden, vermahnet auch dieselben, ein solches herrliches Studium besser, als vorhero, zu treiben, und so wohl seine Collegia als öffentliche Lectiones fleißiger zu besuchen.

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