Über einige in Großhöhlen des Harzes und des Kyffhäusers
gefundene Staphyliniden (Col.), verglichen mit deren Ver-
breitung und Lebensweise im Lunzer Höhlengebiet (Bezirk Scheibbs, Niederösterreich)

Von Franz Ressl (Purgstall)

Insekten, die großräumige Verbreitungsareale besitzen, in diesen an ganz bestimmte ökologische Voraussetzungen gebunden sind und demzufolge als „Charakter-“ bzw. „Leitformen“ in der Zoologie Eingang gefunden haben, erwecken immer wieder das Interesse der Entomologen, Faunisten und Tiergeographen. Auch die Speläozoologen kennen solche „Charakterarten“, die, wenn sie einmal irgendwo gefunden, Aufschluß über die vielleicht noch nicht nachgewiesene „Begleitfauna“ geben. In nachfolgendem Beitrag soll nun über einige Vertreter der Käferfamilie Staphylinidae aus voneinander weit entfernten Höhlengebieten berichtet und dabei die Resultate der gut durchforschten Harz- und Kyffhäuserhöhlen zum Vergleich mit dem in dieser Hinsicht noch wenig erforschten Lunzer Höhlengebiet gestellt werden.

B. Messner, B. V. Broen, W. Mohrig und M. Moritz (1968) bearbeiteten die Käferfauna von vier Großhöhlen des Harzes und des Kyffhäusers. Die in tieferen Höhlenräumen aufgestellten Bodenfallen (Barberfallen mit Äthylenglykolfüllung) erbrachten ein quantitativ meßbares Ergebnis. An Kurzflüglern (Staphylinidae) wurden 5 Arten festgestellt, die allerdings nur teilweise als troglophil bezeichnet werden können. Die Individuenzahl (insgesamt 663) der in vier untersuchten Großhöhlen nachgewiesenen Spezies soll folgende Tabelle veranschaulichen:
 
Kalkhöhlen
Gipshöhlen
Spezies
Bau-
manns-
höhle
Her-
manns-
höhle
Barba-
rossa-
höhle
Heim-
kehle
Omalium validum KRAATZ 1856—58
1
Ancyrophorus (Ancyrophorus) aureus FAUVEL 1869
559
Othius punctulatus (GOEZE) 1777
7
Otfaius myrmecophilus KIESENWETTER 1843
20
Quedius (Microsaurus) mesomelinus (MARSHAM) 1802
35
14
13
14

Entsprechend der Beschaffenheit der einzelnen Höhlensysteme (z. T. auch durch menschliche Einwirkungen verändert) ist die Arten- und Individuenzahl verschieden. So sind z. B. Othius punctulatus (in Messner u. a.: O. punctatulus GOEZE) und O. myrmccophilus aller Wahrscheinlichkeit nach mit Bühnenholz in die Baumannshöhle eingeschleppt worden (Messner u. a. 1968). Diese beiden Arten leben ja fast ausschließlich in Pflanzendetritus aller Art (phytodetriticol) und sind daher auch im Holzdetritus vertreten. Beide Arten haben ein über Europa hinausreichendes Verbreitungsareal und kommen in ganz Österreich vor. Im Bezirk Scheibbs konnte jedoch trotz umfangreicher Staphylinidenaufsammlungen (über 600 Arten) nur O. punctulatus nachgewiesen werden.

Den vorerwähnten Umständen zufolge, ist der vorzugsweise in Nadelwäldern zu findende Quedius mesomelinus (siehe dazu Leitinger- Micoletzky 1940) in der Baumannshöhle am individuenreichsten vertreten. In den übrigen drei Höhlen ist die Art zwar in weitaus geringerem Maße gefunden worden. Quedius mesomelinus europäisch verbreitet und in ganz Österreich nachgewiesen, lebt im allgemeinen wie die vorerwähnten Arten, tritt aber regelmäßig auch in Höhlen auf (also auch troglophil; nach Bokor ein Grottenkosmopolit). Ähnlich wie die am Schluß genannte Art Omalium validum, lebt Quedius mesomelinus auch in unterirdischen Säugetiernestern (27,3 % meiner Aufsammlungen im Bezirk Scheibbs stammen aus sieben Maulwurfswinternestern). Die von Puthz (1962) aus dem Lunzer Raum gemeldeten Exemplare gehören nach Korge (1961) der von ihm abgetrennten Art Quedius skoryszewskyi an, was Puthz, weil die beiden eng verwandten „Spezies“ eine geographische Vikarianz zeigen, lediglich als geographische Rassen auffaßt (Qu. m. mesomelinus im nördlichen, Qu. m. skoraszewskyi im südlichen Mitteleuropa). Scheerneltz (1968) erkennt weder die Trennung der beiden Arten noch Qu. skoraszewskyi Korge als Subspezies von Qu. mesomelinus an und verweist Qu. skoraszewskyi in die Synonymie. Da aber merkliche Unterschiede im Genitalapparat vorhanden sind, scheint mir die Rassentrennung gerechtfertigt und es sind daher alle in der Literatur (z. B. Leitinger-Mikoletzky 1940, Kühnelt 1948 usw.) genannten Qu. mesomelinus deswegen als Qu. m. skoraszewskvi aufzufassen, weil die Stammform (Qu. m. mesomelinus) in Österreich trotz zahlreicher Untersuchungen nicht festgestellt werden konnte (Vorkommen sehr unwahrscheinlich).

Die restlichen zwei Arten Ancyrophorus aureus und Omalium validum sind speläozoologisch bemerkenswert und erheischen, da sie ganz vereinzelt auch im Großraum von Lunz gefunden wurden, besondere Aufmerksamkeit.

Eine Charakterart für die Heimkehle ist unzweifelhaft Ancyrophonis aureus Fauvel. Obwohl Messner u. a. (1968) die Art als Speläophilen bezeichnen (trifft nur für die Heimkehle zu), lebt sie nach Scheerpeltz doch vorwiegend „oberirdisch“ (ripicoltorrenticol, psammophil, öfter troglophil). Die Häufigkeit der sonst „seltenen“, über Nord-, West-, Mitteleuropa und dem Mediterrangebiet verbreiteten Art in der Heimkehle ist schon deswegen so bemerkenswert, weil sie aus diesem Gebiet unbekannt war, d. h. kein oberirdischer Fund vorlag. In Österreich mit Ausnahme von Vorarlberg und dem Burgenland in allen übrigen Bundesländern nachgewiesen, liegt nach Puth (1963/64) aus dem Bezirk Scheibbs nur eine Fundmeldung vor: „Lunz am See (Schuster).“

Über den Nachweis von Omalium validum Kraatz berichtet Messner u. a. (1968) folgendes: „Sehr interessant, wenn auch nur in einem einzigen Exemplar belegt, erscheint der Fund von Omalium validum Kraatz. Wenn man von den zahlreichen und regelmäßigen Vorkommen in der Reyersdorfer-Höhle in der Grafschaft Glatz (ehemals Niederschlesien) (Pax 1936) absieht, so stellt O. validum eine seltene Art dar, die in den gebirgigen Gegenden Mittel- und Süddeutschlands, besonders in unterirdischen Tierbauten, vorkommt, aber sehr ungleichmäßig verbreitet ist. Diese microcavernicole Art, deren Pigmentarmut kleinere Augen und verlängerte Tarsenglieder als Anpassung an ihre unterirdische Lebensweise gewertet werden, ist auch aus zahlreichen Höhlen Belgiens, Hollands, Österreichs, Jugoslawiens und Deutschlands (Horton 1963, Puthz 1963/64, Burmeister 1966, persönl. Mitt.) und hier aus Höhlen des Harzes nachgewiesen worden (Lengersdorf 1932 in der Diebeshöhle und Fuchs 1861 in der Bielshöhle).“ O. validum, in Mittel- und Südeuropa heimisch, ist in ganz Österreich nachgewiesen, jedoch nur sehr lokal und selten gefunden worden (Lebensweise nach Scheerpeltz 1968: phytodetricol, microcavernicol, terricol-nidicol, troglophil). Nach Puthz (1963/64) liegen aus dem Bezirk Scheibbs nur zwei Nachweise vor: „Gaming (Vornatscher) (teste Schweiger), Solling (Ressl), bei Talpa.“ Letzteres Exemplar reihte ich in meiner Arbeit (1966) über die Staphylinidenfauna in Maulwurfswinternestem mangels hinreichender Literaturdurchsicht bei jenen Arten ein, die zufällig mit Nistmaterial u. dgl. eingeschleppt werden; da aber O. validum regelmäßig, wenn auch selten, in unterirdischen Säugerbauten, also auch terricol-nidicol lebt, hätte sie bei jenen Arten eingereiht werden müssen, die sowohl ober- als auch unterirdisch ähnliche Lebensbedingungen vorfinden.

Wurde von Vornatscher O. validum bereits am 9. September 1934 in der Ötschertropfsteinhöhle gefunden (Schweiger 1949), konnte die Art im eigentlichen Lunzer Höhlengebiet erst 1969 nachgewiesen werden (2 Ex.): Lunz—Kleingstetten, kleine Naturhöhle in Dachsnest (2. XI. leg. E. Hüttinger) und Schwabenreithhöhle in Bodenfalle (23. XI. leg. L. Hauser).

Zusammenfassend betrachtet, lassen die Staphyliniden-Funde aus den hier genannten deutschen Kalk- und Gipshöhlen gewisse Parallelen mit dem Lunzer Höhlengebiet vermuten, doch bedarf es wegen der noch geringen Nachweise einer extensiven Sammeltätigkeit. Das Aufstellen von Barberfallen in den einzelnen Höhlen könnte in vieler Hinsicht wertvolle Aufschlüsse bringen.

Literatur:
Korge, H.: 1961, Die mit Quedius mesomelinus Marsh, verwandten Arten Europas (Col. Staph.). Ent. Bl. 57, 43—53.

Kühnelt, W.: 1948, Die Landtierwelt, mit besonderer Berücksichtigung des Lunzer Gebietes. In: Stepan, E.: Das Ybbstal, I. Bd. 90—154.

Leitinger-Micoletzky, E.: 1940, Die Tiersukzession auf Fichtenschlägen. Zoolog. Jahrbüchier (Systematik), Bd. 73, Heft 5/6, 467—504.

Messner, B., Broen, B. V., Mohrig, W. und Moritz, M.: 1968, Beitrag zur Arthropodenfauna aus Großhöhlen des Harzes und des Kyffhäusers, III, Coleoptera. Deutsche Entomolog. Zeitschr., N. F. Bd. 15, I/III, 1—8.

Puthz, V.: 1962, Die mir aus dem Lunzer Gebiet bekannt gewordenen Staphyliniden (Col.). Zeitschr. der Arbeitsgemeinsdiaft österr. Entomologen, Nr. 3, 74—87.

Puthz, V.: 1963/64, Staphyliniden (Col.) des politischen Bezirkes Scheibbs (NÖ.). Nachrichtenblatt der Bayrischen Entomologen, XII. Jg., Nr. 12, 113—125; XIII. Jg., Nr. 1, 3—7, Nr. 2, 13—16.

Ressl, F.: 1966, Die Staphylinidenfauna (Coleopl.) der Maulwurfswinternester im Bezirk Scheibbs (NÖ.). Ent. Nachrichtenblatt (Wien), Nr. 5—6, 57—60.

Scheerpeltz, O.: 1968, Coleoptera — Staphylinidae, Catalogus Faunae Austriae, Teil XV fa.

Schweiger, H.: 1949, Zur Kenntnis der Käferfauna einiger niederösterreichischer und steirischer Höhlen. Entom. Blätter, 45—46, 1949/50, 30—34.


RESSL, Franz (1971): Über einige in Großhöhlen des Harzes und des Kyffhäusers gefundene Staphyliniden (Col.), verglichen mit deren Verbreitung und Lebensweise im Lunzer Höhlengebiet (Bezirk Scheibbs, Niederösterreich).- Die Höhle 22:19-22, Wien

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