Von Stephan Kempe (Hamburg) Laien erklärt man den Unterschied zwischen Gips- und Kalkhöhlen häufig damit, daß in ersteren der Sinter fehlt. Wie alle derart kategorischen Erläuterungen stimmt sie nur teilweise. Es gibt nämlich in Gipshöhlen nicht nur Calcitsinter (z. B. Stalaktiten und Stalagmiten in der Marthahöhle und dichte, harte Wandsinter in der Jettenhöhle/Südharz), sondern auch eine Reihe von Gipssintern. Da es sich dabei um kleine Formen handelt, geben sie den Gipshöhlen kaum zusätzliche Anziehungskraft, und Worte wie bizarr, wundervoll, phantastisch oder ähnlich sind zu ihrer Beschreibung nicht notwendig. Da das Material spärlich ist, kann die folgende Einteilung der Gipssinterformen nur vorläufig sein:
1. Die Abbildungen 1 und 2 zeigen Kristallaggregate aus der Jettenhöhle/Südharz. Sie stammen von einer überhängenden Wandpartie am Pfeiler zwischen Kreuzdom und Blockkluft. Wasser rinnt von der Decke herunter. Die Temperaturen an dieser Stelle betragen das Jahr über sechs bis sieben Grad (Gürtler et al. 1968), die Luftfeuchtigkeit liegt bei oder knapp unter 100 %. Dennoch kommt es zu einer Verdunstung, weil die Jettenhöhle besonders im Winter dynamisch durch den Eingang und den Schlot in der Blockkluft bewettert wird. Die Kristalle spießen ungeregelt aus der Wand und türmen sich z.T. zu kleinen Bäumchen, die sich verästeln und bis zu 2 cm hoch werden können, übereinander. Gips ist monoklin-prismatisch, seine häufigsten Flächen sind das Vertikal- und Längsprisma und die Längsfläche (Pinakoid). Diese Tracht zeigt sich auch in Abb. 1 , es ist dabei das Längsprisma betont (011), während das Vertikalprisma (120) in jedem Fall kürzer bis wesentlich kürzer ist (Abb. 3). Auch das Pinakoid (010) tritt zurück, so daß die Kristalle einen dicksäuligen Charakter
2. Das Foto der Abb. 4 zeigt eine traubig-stalaktitische Sinterform, die durch gravitativ abtropfendes Wasser an der Decke des „Kluftganges“ in der Segeberger Höhle/ Schleswig-Holstein entstand. Das Mikroskop zeigt die Oberfläche in sich vergitternde Leisten bis zu 1 mm großer Gipskristallite aufgelöst. Es handelt sich um die flache linsen-blattförmige Tracht. An dieser Stelle können die einzelnen Trauben mehrere Zentimeter groß werden. Offensichtlich ist die Segeberger Höhle durch die sie im Norden und Osten begleitende Versturzzone so gut bewettert, daß es selbst in diesem abgelegenen Teil der Höhle zu Versinterungen kommt.
3. Wandsinter können einzelne Höhlenwände vollständig überziehen. Abb. 5 zeigt einen 2,5cm dicken Wandsinter der Gipshöhle Karagiorgaki auf Kreta, der auch zu dicken fahnenartigen Bildungen neigt (Abb. 6). Über die buckelige Oberfläche erheben sich einzelne, ca. 0,5 mm große Kristallite, ohne allerdings freie Flächen zu zeigen. Es wird nicht klar, ob dieser Sinter von außen angelöst wurde oder ob die Wachstumsbedingungen die Ausbildung von freien Flächen unterbanden. Der Sinter stammt aus dem bei der Befahrung (Sommer) völlig trockenen Eingangsbereich der Höhle (Kempe et al.1976). Im Schnitt ist eine Lagige Struktur nur schwach angedeutet, insgesamt ist der Sinter sehr dicht. Die glänzenden Spaltflächen nach (010) sind lang und schmal. Vermutlich ist auch in diesem Falle das Wachstum entlang der a- und b-Achsen am stärksten, und die Kristalle sind demnach von linsigem Habitus.
Ein Schliff durch einen Calcit-Makkaroni aus der gleichen Höhle - aber weiter aus dem Inneren -, der sekundär mit einer Gipsschicht übersintert ist (Kempe et al. 1976), zeigt Kristalle mit mehr gedrungenem Habitus. Sie messen nicht über 1 mm in der Länge und sind etwa halb so dick. Sie bilden ein ziemlich gleichmäßiges Kornpflaster. Daß eine Gesteinsoberfläche von Sinter überzogen ist, bemerkt man häufig am Glitzern der Kristallflächen; Namen wie „Kristallkammer“ deuten daraufhin. Meist handelt es sich dann um Wandsinter, der einzelne, besser ausgebildete Kristalle hervorbringt, wie sie oben beschrieben wurden. Abb. 7 zeigt in Aufsicht einen solchen gut kristallisierten Wandsinter bei 60facher Vergrößerung im Elektronenmikroskop (die Aufnahme wurde dankenswerterweise von Herrn Dr. C. Spaeth, Hamburg, angefertigt).
Die Kristalle sind irregulär angeordnet und deutlich prismatisch nach (010) und (011) ausgebildet. Interessant ist ferner die Beobachtung, daß bisher keine Zwillingsbildung nachgewiesen werden konnte, die sonst beim Gips häufig ist. Nicht jeder „Kristallkeller“ im Gips allerdings geht auf Wandsinter zurück, vielmehr kann auch das Marienglas, das gerade im Zechstein des Südharzes auftritt, namengebend sein. Als Marienglas bezeichnet man große, durchsichtige, nach (010) dicktafelig ausgebildete Gipskristalle, meist nur mit Spaltflächen, die im Gestein liegen, also mit der Höhle an sich nichts zu tun haben. 4. Wie der Wandsinter einerseits freie Kristallflächen ausbilden kann, so geht er andererseits in meist einzeln an der Wand sitzende nieren- oder halbkugelige Aggregate über, wie sie die Abb. 8 und 9 zeigen. Diese Formendes Zentimeterbereiches zeigen glatte oder gehirnartig zerfurchte Oberflächen. Besonders schöne Beispiele dieser Sinterform finden sich in den Eingangsbereichen verhältnismäßig trockener Klufthöhlen im Südharz. Im Dünnschliff (Abb. 10) zeigt sich ein strahlig radialer Aufbau. Die 1 — 2 mm langen und um 0,2 mm breiten Kristalle streben von einem Punkt an der Unterseile an die Oberfläche des Aggregates, einige kleinkristallinere Bereiche einschließend. Aus dieser Tatsache und dem Gesamthabitus dieser Formen muß geschlossen werden, daß das Wachstum von einem Punkt ausging. Dieser Punkt dürfte das Ende einer kapillaren Kluft sein, aus der die Gipslösung in den Höhlenraum eintritt und dann dort verdunstet. Diese Verdunstung scheint mehr oder weniger vollständig zu sein, da eine gravitative Beeinflussung, wie sie z. B. durch die Ausbildung von kleinen Fahnen oder Abrinnbahnen zum Ausdruck käme, nicht zu sehen ist.
Zwischen den behandelten Sinterformen bestehen Übergänge. Darüber hinaus gibt es verschiedene Gipsvorkommen ganz unterschiedlicher Entstehung in Kalkhöhlen. Ich erinnere nur an die Gipsnadeln in und auf dem Höhlensediment und an die Gipsblumen aus den Höhlen Kentuckys und Virginias.
Literatur: KEMPE, Stephan (1977): Gipssinter — zu seiner Morphologie und Mineralogie.- Die Höhle 28 , H. 2, 41-49, 10 Abb., Wien |