Karst und Höhle
1981
35 - 47
München 1982

Friedhart Knolle

Nachweis junger Erdbeben im Westharz durch Beobachtungen
an Höhlensintern des Winterberges bei Bad Grund
(TK 25:4127 Niedersachsen)

mit 6 Abbildungen

I.Zusammenfassung
II.Einleitung
III.Beobachtungen
IV.Erdbeben als Entstehungsursache?
V.Zur geologisch-tektonischen Situation
VI.Zur Abschätzung von Stärke und Alter der Beben
VII.Ausblick und Schluss
VIII.Schrifttum

Erweiterte Fassung eines Vortrages, gehalten auf der 22. Jahrestagung des Verbandes der deutschen Höhlen- und Karstforscher am 13. September 1980 in Oberkochen (Ostalbkreis, Baden-Württemberg)


ZUSAMMENFASSUNG

Beobachtungen aus mittlerweile großenteils abgebauten Karsthöhlen des Winterberges bei Bad Grund/Harz werden mitgeteilt. Bisher von Kalksintern des Harzes nicht beschriebene Schäden lassen für dieses Gebiet im jüngsten Quartär starke tektonische Beben annehmen.

Aufgrund der geologisch-tektonischen Situation des Westharzes und durch Folgerungen aus den in historischer Zeit beobachteten Erdbebenerscheinungen des Gebietes sind die diskutierten Zerstörungen auf seismische Aktivitäten zurückzuführen, welche in unmittelbarer Nähe des Aufschlusses stattgefunden haben. Hierfür kommen die Randbereiche des Harzes sowie der nahegelegene Abschnitt der mitteleuropäischen rheinischen Grabenzone ("Mittelmeer-Mjøsa-Zone") in Frage, welche somit zumindest teilweise subrezent seismoaktiv gewesen sein werden.

Ein durchgeführter regionaler Vergleich mit Beobachtungen ähnlicher Art aus dem alpinen Raum stützt die Annahme naher Epizentren.


IV. ERDBEBEN ALS ENTSTEHUNGSURSACHE?

Verschiedene Ursachen wurden und werden neben der nur scheinbar zu einfachen und geopoetischen Bebentheorie SCHILLATs (seismotektonische Kataklase) diskutiert, um die Entstehung zerstörter Sinterformen zu erklären:

  • gravitative Kräfte: Größe und Gewicht von Sinterbildungen mögen ein Ausmaß erreichen, daß die dadurch entstehenden Kräfte zur Fällung oder anderweitigen Zerstörung hinreichen (gravitative Kataklase),

  • erosive Kräfte fließenden Wassers können bevorzugt Bodenbildungen unterhöhlen und umstürzen, Sinterdecken zerstören etc. (fluviatil-erosive Kataklase)

  • herabstürzendes Verbruchmaterial ist in der Lage, auf Speläothembildungen zerstörend zu wirken (inkasive Kataklase);

diese drei Kräftegruppen sind der "normalen" Speläogenese zuzuordnen (GOSPODARIČ 1968, 1976, 1977);
  • periglaziale Phänomene: Zur Zeit der pleistozänen Hochglaziale griff der Permafrost tief in den Gesteinskörper und die Höhlen waren möglicherweise eisgefüllt. Die in der Folge dieser Erscheinungen auftretenden Kräfte hatten Konsequenzen für die Höhlen und können auch Teile des Sinters betroffen haben.


  • Frostsprengung und Eisbewegung mögen für einen Teil der beobachteten intraglazialen Fällungen verantwortlich sein (mdl. Mitt. Dr. S. KEMPE);

  • die Mitwirkung von Kristallkräften ist nicht ausgeschlossen.

Bereits SCHILLAT (1965a,b, 1969, 1970) diskutierte die genannten Faktoren (ohne den periglazialen Aspekt) in ihrer Bedeutung für die Entstehung kataklastischen Sinters und stellte die seismotektonischen Kräfte als eigentliche Hauptursache heraus. Diese Analyse ist auch für die hier beschriebenen Phänomene zu übernehmen und eine wesentliche Mitwirkung der anderen o. g. Faktoren für die Winterberghöhlen aufgrund des Erscheinungsbildes der kataklastischen Formen und der speläologischen Gesamtsituation abzulehnen. Jedoch ist ihre Einwirkung durchaus nicht völlig auszuschließen und in Einzelfällen diskutabel.

Die Sprengschüsse des Winterberg-Steinbruchbetriebes haben die Sinterschäden mit Sicherheit nicht verursacht. Die Sprengschäden fielen in allen Höhlen durch ihren frischen Bruch immer deutlich auf und waren von den älteren Schäden deutlich trennbar. An der Versinterung richteten alle Sprengungen nur relativ geringfügige Schäden an (anthropogene Kataklase).

Eine regional-vergleichende Beobachtung aus dem alpinen Raum stützt die seismotektonische Deutung zusätzlich. Sie sei im folgenden diskutiert.

Im Bereich der Villacher Alpe / Dobratsch bei Villach (Kärnten, Österreich) wirkten sich im Laufe der überlieferten Geschichte mehrfach katastrophale Beben aus, welche teils von nahen Epizentren herrührten, teils von Oberitalien (Friaul) und Slowenien eingestrahlt wurden. Eine Zusammenfassung der in historischer Zeit beobachteten Ereignisse gibt HOEFER (1879).

Die starken Beben von 1348 und 1690 richteten die größten Schäden an. Von dem Beben 1348 wird berichtet, es habe zur Vesperzeit etwa um 4 Uhr nachmittags stattgefunden und in ganz Kärnten verheerend gewirkt. Bei dem dabei erfolgten Absturz der Dobratsch-Südwand sollen 17 Dörfer und Weiler, 3 Schlösser und 9 Gotteshäuser verschüttet oder zerstört worden sein. Nachfolgend schwoll die aufgestaute Gail zu einem See an und überflutete 10 Dörfer. In der Stadt Villach griff infolge des Häusereinsturzes eine Feuersbrunst um sich, die wohl zusammen mit den Verschütteten an die 3000 Menschenleben forderte. Die Dauer des Erdbebens wird von den meisten Chronisten mit 40 Tagen angegeben (sic !). Das Beben richtete auch in Friaul bis hinunter nach Venedig Verwüstungen an. Aus Bayern wird berichtet, daß das Beben bis über Regensburg hinaus bemerkbar gewesen sei und daß in Bamberg Gebäude einstürzten. Im Dezember 1690 fand im Gebiet der Villacher Alpe ein ähnlich schweres Beben statt, welches bis in die Gegend von Jena, Altenburg, Dresden und Meissen zu verspüren war. Es ist wahrscheinlich, daß bei diesem Erdbeben an der Südwand des Dobratsch noch einige Nachstürze erfolgten (HOEFER 1879).

Die Epizentren dieser beiden schwersten Beben im Bereich der Villacher Alpe sind in der näheren Umgebung von Villach zu suchen, da dieses das Gebiet der schwersten Zerstörungen war (BRANDT 1981).

Interessant ist nun der geologische und seismospeläologische Geländebefund im Bereich dieser Katastrophenbeben.

Vor der Südwand der Villacher Alpe mit ihren z. T. nahezu senkrechten Wänden mit bis zu 1000 m Höhenunterschied liegen die Schuttmassen von zwei Bergsturzgenerationen:

  • ein prähistorischer Sturz, der fast in der ganzen Breite des Berges von 15 km hereinbrach, sowie

  • ein historischer Nachsturz (1348), der sich auf vier kleinere Bereiche beschränkte und durch das oben beschriebene Beben der Stärke 10 auf der Mercalli-Skala ausgelöst wurde.

Es ist wahrscheinlich, daß die prähistorischen Bergstürze bereits pleistozän einsetzten und ebenfalls durch seismische Kräfte induziert wurden (TILL 1907, BRANDT 1981).

Die Kalke und Dolomite der Villacher Alpe sind verkarstet und bergen eine Reihe von Höhlen. Bei der Befahrung des 112 m tiefen Großen Naturschachtes (Kat.-Nr. 3741/8; LANDESVEREIN FUR HÖHLENKUNDE IN KÄRNTEN 1971) wurden im Bereich der Großen Sinterkammer / Hosse-Dom bei etwa - 60 m ganz ähnliche Sinterbrucherscheinungen festgestellt, wie sie aus der Stalagmitenhöhle im Winterberg beschrieben sind. In dem an die Große Sinterkammer anschließenden kleineren Hosse-Dom wurden tonnenschwere, 50 - 100 cm mächtige Wandsinterbelege abgeschert und bedecken die Sohle. Auch hier wieder sitzt eine jüngste Sintergeneration den alten Abbrüchen auf (mdl. Mitt. A. BRANDT, Hamburg & F. VLADI, Osterode).

Auch auf der Schwäbischen Alb, in der Nähe eines der aktivsten Erdbebengebiete Deutschlands, gibt es bebengefällten Sinter. So wurden Schäden in der Griebigensteinhöhle (Rodsteinmassiv, Oberkochen) festgestellt (mdl. Mitt. H.-J. BAYER, Oberkochen). Auch die Schertelshöhle beispielsweise zeigt Bebenabbrüche. Hier sind weitere Beobachtungen und Untersuchungen zu erwarten.

Desgleichen sind in zahlreichen Höhlen des Rheinischen Schiefergebirges umfangreiche kataklastische Sintervorkommen zu beobachten, so in der Dechenhöhle u. a. Auch hier deuten sich, wie bereits im Falle der von SCHILLAT beschriebenen Erscheinungen in Höhlen des Weserberglandes, Beziehungen zu den geologisch-tektonischen Strukturen an, welche einer weiteren Untersuchung wert sind.

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