Dr. Friedhart Knolle, Goslar Neues von der Baumannshöhle: Im 18. Jh. war die Baumannshöhle neben dem Brocken das Naturwunder, das ein Harzreisender gesehen haben musste. Man könnte es daher für vermessen halten, zu glauben, dass über ein so klassisches Touristenziel wie die Baumannshöhle noch etwas Neues geschrieben werden könnte. Sehr viel Literatur ist dazu erschienen, auch in UNSER HARZ, nicht gerechnet die unzähligen Faltblätter und Interneteinträge. Und dennoch – es gibt gravierende Fehler im bisherigen Schrifttum zu dieser zweitältesten Schauhöhle Europas mit einem geregelten Führungsbetrieb. Wie es denn Recherchen solch‘ interdisziplinären Charakters an sich haben, stecken auch in den Veröffentlichung Knolle (2014) und Mehlhose (2014) noch einige Unschärfen, die hiermit präzisiert sein sollen. Abb. 1: Kupferstich des Eisenhüttenorts Rübeland von Merian 1654 mit den umgebenden, durch Rauchschäden und Kahlschläge entwaldeten Bergen, auf denen das Mundloch der „Buhmans Höhle“, wie sie damals genannt wurde, deutlich erkennbar ist (rechtes Bilddrittel Mitte)
Haben Sie es auch so gelernt? Der Bergmann Baumann habe 1536 die Baumannshöhle entdeckt? Diese Geschichte ist leider ungefähr so frei erfunden wie die Sage vom Ritter Ramm und dem Erz am Rammelsberg – auch den hat es nämlich nie gegeben. Im Zuge der Recherchen für eine neue Rübeländer Schauhöhlenbroschüre haben sich die Harzer Höhlenforscher nochmals intensiv auch mit der Entdeckungsgeschichte der Baumannshöhle beschäftigt – ein Thema, über das sie ohnehin schon seit Jahrzehnten forschen und auch viel veröffentlicht haben. Aber offenbar nur in der Fachliteratur – die Wahrheit zur sagenhaften Lügengeschichte mit dem Bergmann, der ausgerechnet dann vor genau 400 Jahren die Höhle entdeckt haben soll, als man in der NS-Zeit dringend einen Grund zum Feiern suchte, ist immer noch so unbekannt, dass sie hier einmal im Zusammenhang dargestellt sein soll. In früheren Jahrhunderten las man oft, die Baumannshöhle sei angeblich 1670 entdeckt worden, und zwar durch einen Bergmann Baumann. Doch das war nur eine Sage, auch die Jahreszahl war unsinnig, denn die Höhle war längst bekannt – schon die Steinzeitmenschen kannten vermutlich ihre Eingänge. Das angebliche Entdeckungsjahr 1670 war dann 1870 Anlass für eine „200-Jahr-Feier“. Schon im 3. Jahrgang der Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde von 1870 hatte Gustav Heyse auf S. 712 f. den Ursprung der Baumann-Legende klargestellt und zu den wirklichen frühen Erwähnungen der Höhle auf seine "Beiträge zur Kenntnis des Harzes" (1. Aufl. 1857) verwiesen. Er schrieb sinngemäß, dass es ärgerlich sei, dass die frei erfundene Geschichte des Bergmanns und auch die falsche Jahreszahl noch immer in vielen Köpfen herumspuke und offenbar nicht auszurotten sei. In der 2. Auflage (1874) hat er die Überlieferungsgeschichte der Baumannshöhle sehr detailliert untersucht. In der Harz-Zeitschrift ist noch die Erwähnung bei dem Schweizer Gelehrten Conrad Gesner von 1565 nachgetragen, die älteste bekannte Erwähnung der Höhle überhaupt. Gesner schrieb, dass Johannes Reiffenstein (Wernigerode) ihm von schon seit Jahrzehnten stattfindenden Besuchen der „Baumanshol“ berichtet habe. Auch die Beschreibung von Eckstorm 1591 in der Historia terrae motuum ist hinreichender Beweis, wie unsinnig das Jahr 1670 ist. Heyse amüsierte sich übrigens über die Tatsache, dass dem guten Baumann noch der Vorname Friedrich verliehen wurde, der in der älteren Literatur ebenfalls nirgends vorkommt. Im frühen Schrifttum wird Baumann darüber hinaus noch nicht einmal als Bergmann bezeichnet – auch dieser Beruf wurde ihm erst später angedichtet. Friedrich Günther präzisiert das in seinem Band „Der Harz in Geschichts-, Kultur- und Landschaftsbildern“ (Hannover 1888), dahingehend, dass das Jahr 1670 kein Entdeckungsjahr, sondern lediglich ein Jahr des Erscheinens einer Veröffentlichung über diese Sage sei. In anderen Berichten sei der „Baumann“ übrigens kein Bergmann, sondern ein Rübeländer Eisenhüttenmann bzw. ein Höhlenführer gewesen – erst aus dieser Mischung sei dann offenbar der „Bergmann“ geworden.
Die Höhle wurde immer bekannter und die Zahl der Besucher nahm zu. So ist es auch zu erklären, dass die Baumannshöhle eine der ersten Höhle der Welt ist, von der ein Höhlenplan existiert (1665). 1649 erhielten der Rübeländer Valentin Wagner und seine Familie, die das Haus in der heutigen Blankenburger Straße 37 besaß, das Privileg für offizielle Höhlenführungen. Als er verstarb, nahmen die Zerstörungen wie Raubgrabungen und Tropfsteinvandalismus wieder zu. 1668 verschloss Rudolf August, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, die Höhle und erließ eine erste Schutzverordnung. Es heißt in dem herzoglichen Erlass unter anderem, dass die Baumannshöhle jederzeit von allen verständigen Leuten für ein sonderbares Wunderwerk der Natur gehalten worden sei. In demselben dürfe nichts verdorben oder vernichtet werden, auch dürfe kein fremdes loses Gesindel unangemeldet hineingelassen werden. In Nachfolge von Valentin Wagner wurde dessen Schwiegersohn, der Rübeländer Bergmann Hans Jürgen Becker, nunmehr mit der offiziellen Aufsicht über das Naturdenkmal betraut. Der erste Harzer Ranger war bestallt – einer der ersten seiner Art weltweit, vielleicht sogar der erste. Bis zu dieser Schutzverordnung hatte es im Harz nur Waldschutzverordnungen gegeben, die aus rein praktischen Erwägungen heraus von den Fürsten verkündet worden waren. Die Höhlenverordnung von 1668 berücksichtigte erstmals ethische bzw. ästhetische Gesichtspunkte – vielleicht kann man 1668 somit als Geburtsjahr des Naturschutzes im Harz bezeichnen. Die älteste europäische Schauhöhle mit regelmäßigen Führungen war die Baumannshöhle jedoch nicht – dieses Privileg gebührt der Höhle Vilenica im heutigen Slowenien – für diese Schauhöhle wurden bereits 1633 Eintrittsgebühren eingeführt. Die älteste Höhlentour ist in der ebenfalls in Slowenien befindlichen Postojnska Jama (Adelsberger Grotte) sogar schon für 1213 nachgewiesen. Abb. 3: Kupferstich, der um 1820 als "Stammbuchblatt" bei Johann Carl Wiederhold in Göttingen erschien; im Hannoverschen Staatskalender 1819 ist Johann Carl Wiederhold, Sen. Buchbinder auf S. 153 unter „Andere Universitäts-Verwandte und Künstler“ genannt
1933 wurde der Nazi Dietrich Klagges Ministerpräsident des Freistaats Braunschweig, zu dem auch Rübeland gehörte. Klagges war es, der als Innenminister 1932 Adolf Hitler die deutsche Staatsbürgerschaft verschafft hatte. Die unheilvolle Fortsetzung der Geschichte ist hinlänglich bekannt. Seit 1925 war der 1886 in Zwickau geborene Bernhard Lange Rübeländer Höhlendirektor – eine Person, die in Rübeland mit ihren Leistungen erstaunlicherweise kaum noch gewürdigt wird. Bernhard Lange arbeitete eng mit Klagges zusammen. Klagges wurde dann auch Vorsitzender des Harzer Verkehrsvereins, heute HTV. Unter Langes Regie entstand in den Jahren 1935/36 der heutige Zuschauerraum („Goethesaal“) in der Baumannshöhle, nachdem die riesigen Felsblöcke der früher Tanzsaals genannten Halle zerkleinert und weggeräumt worden waren. Die beiden Bühnen und der kleine See entstanden in der jetzigen Form. Ob Goethe das gut gefunden hätte, darf bezweifelt werden. Es waren wahrscheinlich despektierliche Äußerungen über die Verschandelung der Baumannshöhle durch diese „untertägige Thingstätte“, die dem damals führenden Höhlenforscher Dr. Friedrich Stolberg einigen Ärger mit dem System und auch berufliche Nachteile einbrachten. Stolberg hat besonders das Absägen der "großen klingenden Säule" aus dem alten Teil der Höhle kritisiert, die dann auf die Bühne des Höhlentheaters versetzt wurde – wo sie natürlich beim Anschlagen nur noch "klack" macht und nicht mehr den vormals so berühmten Glockenton von sich gibt. Dieses Detail ist aus Höhlenschutzgründen in der Tat besonders ärgerlich. Lange wollte feiern und suchte dazu einen passenden Anlass. So wurde für die auf das Jahr 1936 angesetzte „400-Jahr-Feier“ das Märchen von Bergmann Baumann umgemünzt auf 1536. So einfach wird Geschichte gefälscht! Im gleichen Jahr fand im Stil der braunen Zeit die Uraufführung des Volksstücks „Die vom rauhen Lande“ statt. Auf die Geschichtsklitterei rund um den Namen Baumann und das frei ausgedachte „Entdeckungsjahr“ 1536 haben bereits 1986 Dr. Horst Scheffler und Dr. Hartmut Knappe im Heft 15/16 („Korallen, Kalk und Höhlendunkel“) der vom Harzmuseum Wernigerode herausgegebenen Reihe „Der Harz – eine Landschaft stellt sich vor“ hingewiesen, fanden damit aber nur wenig Gehör. Diese Autoren verwiesen auch darauf, dass ein Mann dieses Namens erst im 18. Jh. in Rübeländer Registern auftaucht. Das Thema war somit zu DDR-Zeiten nicht tabuisiert, wie man hin und wieder hören kann – man wollte aber in und um Rübeland lange Zeit die historischen Fakten offenbar nicht wahrhaben. Scheffler und Knappe gehen auch auf den alten Höhlennamen „Bumannsholl“ = Bumannshöhle ein – aus ihm wurde dann wahrscheinlich im Volksmund mit der Zeit die „Baumannshöhle“. Der Begriff „Buhmann“ oder „Butzemann“ (heute „Schwarzer Mann“) lässt sich lt. Duden bis in das 13. Jh. zurückverfolgen und bedeutet „kleines Männchen“, „Kobold“ oder auch „Gespenst“. Das passt auch zum Lokalnamen „Geisterloch“ für den alten Eingang der Baumannshöhle. Eine andere Theorie geht vom Begriff „bauen“ = Bergbau betreiben aus – in dieser Interpretation wäre die Baumannshöhle ein „Alter Mann“ des Bergbaus. Dafür spricht, dass auch die Iberger Tropfsteinhöhle zeitweise als „Baumannshöhle“ bezeichnet wurde. Abb. 4: Foto von Fr. Rose, Wernigerode, aus dem Prachtband von Hans Hoffmann: Der Harz, C.F. Amelangs Verlag, Leipzig 1899, S. 293 Luftschutz Die Nazis überfielen bald nach ihrer Machtübernahme fast ganz Europa – auch die Höhlen sollten in der Rüstung eine wichtige Rolle spielen. Daher wurden sowohl die Höhlenforschung gleichgeschaltet als auch die Schauhöhlen. Der 1938 neugeschaffene „Bund der Höhlen und Schaubergwerke e. V.“ (später „Reichsbund Deutscher Höhlen- und Schaubergwerke e. V.“) bekam seinen Sitz in Rübeland im Harz – sein Bundesleiter wurde der Rübeländer Höhlendirektor und spätere SS-Scharführer Bernhard Lange. Später im Krieg wurde die Baumannshöhle auch als Luftschutzraum umgerüstet. Diese Nutzung der Höhle und des Festsaals war offenbar schon früh geplant, wie aus einer Veröffentlichung in der Nr. 17 der bezeichnenderweise „Die Sirene“ genannten Zeitschrift hervorgeht. Lange schreibt: „… findige Verwaltungen solcher Naturwunder haben sich bereits von Anfang des Krieges an damit beschäftigt, die Höhlenräume als Luftschutzräume herzurichten. So hat beispielsweise die Gemeinde Rübeland schon bei Kriegsbeginn die Räume der Baumannshöhle zum Luftschutzraum gemacht. Neben den erforderlichen Türabschlüssen bei Gasangriffen und den sanitären Einrichtungen ist für die gesamte Einwohnerschaft für Sitzgelegenheit während des Fliegeralarms gesorgt. Ebenso können alle Räume gut beleuchtet werden, ohne daß ein Lichtschein nach außen dringt. Selbstverständlich sind die Höhlenräume längst nicht voll angefüllt, wenn die Einwohnerschaft sich bei Alarm darinnen versammelt. Die starken Felsendecken über den Höhlen bilden einen unbedingt sicheren Schutz gegen jeden Angriff. Daneben ist die Belüftung der Höhlenräume derart günstig, daß die Zeit des Aufenthalts nicht beschränkt ist.“
Ob die Baumannshöhle später auch der Rüstungsproduktion diente, ist unklar. Im NS-Codenamenverzeichnis unterirdischer Bauten findet sich für Rübeland immerhin sogar ein Deckname: “Gulden”. Im Bericht “Engineering Geology in Germany”, den die US-Geheimdienste 1945 verfassten (Original im Besitz des Autors), werden im Report No. 4 “Source data for investigation of German and French underground factories” in alphabetischer Reihenfolge unterirdische Produktionsstätten und Läger aufgelistet, darunter u. a.: “11. Baumannshoehle, near Goslar. Series of caves in Harz Mts, 8 miles SE of Goslar. Used by Junkers Flugzeug u. Motorenwerken A.G. Ref.: SHAEF Report No. 5, 25 April 45 on Evacuation of Intelligence Targets.” Diese Junkers-Produktion ging offenbar nie in Betrieb. Möglicherweise wurde sie von Bernhard Lange verhindert – ein Protestschreiben, mit dem er sich für den Schutz der deutschen Schauhöhlen immerhin direkt bei Heinrich Himmler einsetzt, ist erhalten. Zwar ist die Antwort Himmlers abschlägig, doch sind die entsprechenden Bemühungen auf diese Weise dokumentiert. Im Harzraum traf es dann die Heimkehle bei Uftrungen im Südharz, die für eine unterirdische Junkers-Rüstungsproduktion massiv umgebaut und in ihrer Natürlichkeit zerstört wurde. In Rübeland war übrigens nicht nur die Baumannshöhle als Luftschutzraum ausgewiesen, sondern auch die Sechserdingetage (Untere Schwemmhöhle) der Hermannshöhle. Auch die Haasenhöhle und die Obere Bruchhöhle am Bielstein waren als Luftschutzbunker ausgebaut, zusätzlich auf der anderen Bodeseite im Kalksteinbruch der damaligen VHK einige aufgeschossene Stollen und Kavernen für Menschen und Material (frdl. Mitt. Wolfgang Hase). Einsatz von Kriegsgefangenen In und bei Rübeland waren Zwangsarbeit und auch der Einsatz von Kriegsgefangenen weit verbreitet – genannt seien neben den Gruben Drei Kronen und Ehrt sowie Büchenberg auch die Kalksteinbrüche der heutigen Fels-Werke. Dort erlagen zwischen 1942 und 1945 insgesamt 96 sowjetische Zwangsarbeiter, d. h. 4/5 der Belegschaft, der unmenschlichen Behandlung in den Brüchen. Angehörige anderer Völker wurden etwas menschlicher behandelt – über den Einsatz französischer Kriegsgefangener in den Kalksteinwerken wurde in der Neuen Wernigeröder Zeitung 20/2008 berichtet. Zwangsarbeit hat in den Höhlen nicht stattgefunden, aber es wurden zeitweise französische Kriegsgefangene eingesetzt – von einem Gefangenen liegt auch ein schriftlicher Zeitzeugenbericht vor. Ein kleiner Teil der französischen Kriegsgefangenen waren beim Blankenburger Bauunternehmen „August Heise“ zum Straßenbau der neuen L 96 über die zukünftige Staumauer der Rappbodetalsperre beschäftigt und wurden im Winter 1941/42 zusammen mit Bergleuten der Harzer Eisenerzgruben in der Hermannshöhle beschäftigt. Die Bergleute waren von der Eisenerzgrube Braunesumpf abgestellt. Sie fuhren den Stollen zwischen der „Schlucht“ und der Kristallkammer auf, der dann Bernhard Lange-Stollen genannt wurde, denn ohne Langes gute Beziehungen zu den NS-Oberen wäre diese Aktion mitten im Krieg nicht möglich gewesen. Seit 1945 wurde dieser Stollenname nicht mehr benutzt. Kriegsbedingt wurde der Stollen übrigens nicht mehr fertiggestellt, die Restarbeiten übernahm dann die Rübeländer FDJ nach Kriegsende (frdl. Mitt. Wolfgang Hase). Markus Walther schrieb dem Autor 2003 im Nachgang zu einem Besuch mit seiner Mutter in Rübeland: „Sehr geehrter Herr Knolle, meine Mutter Dolores Walther (Jg. 1932) musste in Rübeland Zwangsarbeit verrichten. Leider hat sie von dieser Zeit nichts Schriftliches festgehalten. Da sie damals noch ein Kind war, kann sie sich auch nicht mehr daran erinnern, wie lange sie in Rübeland interniert war. Einzig einschneidende Erlebnisse (z. B. Inhaftierung, Befreiung durch schwarze GIs, Aufenthalt in Berlin vor der Rückschaffung nach Italien) sind ihr in Erinnerung geblieben. Meine Mutter – gebürtige Italienerin – wurde zusammen mit ihren Eltern und allen anderen Anwesenden im Bahnhof Vicenza aufgegriffen und verhaftet. An die Geschehnisse von der Zeit der Verhaftung bis zum Eintreffen in Rübeland erinnert sie sich nicht mehr. Auch weiß sie nicht, was mit den anderen Personen geschehen ist, die am Bahnhof Vicenza ebenfalls verhaftet wurden. Soweit sie sich erinnert, waren sie (meine Mutter und ihre Eltern) die einzigen Italiener in Rübeland. Arbeiten mussten sie im Betrieb der Kalkwerke. Ihr Vater musste Steine herausbrechen, während ihre Mutter und sie in der Küche der Kantine arbeiten mussten. Ihre Unterkunft befand sich nicht direkt auf dem Gelände der Kalkwerke. Dort waren die Baracken der Russen. Ihre Unterkunft befand sich auf dem Areal der ehemaligen Pulver- resp. Papierfabrik in Susenburg (ca. 2 - 3 km vom Werksgelände), schräg gegenüber des Turbinenhauses. Sie teilten sich die Unterkunft mit einer polnischen Familie (Eltern und zwei Töchter). Ansonsten waren dort nur noch männliche Gefangene (Franzosen und Tschechen?) untergebracht. Welche Arbeiten diese verrichten mussten, weiß meine Mutter nicht. Meine Mutter musste von morgens bis abends in der Küche der Kantine arbeiten (Kartoffeln schälen, abwaschen, Tische reinigen usw.). Soweit sie sich erinnert, konnte sie zweimal die Arbeit verlassen: Einmal hatte sie die Möglichkeit, die Hermannshöhle zu besuchen. Von diesem Besuch hat sie noch das Höhlenfoto. Dies war auch der Grund warum wir die Höhle vor 10 Tagen besucht haben. Das andere Mal konnte sie mit einer Rübeländerin in eine Bäckerei, die direkt oberhalb der Kantine gelegen war.“ Die Hermannshöhle gehörte übrigens bis 1945 zur Hermann-Göring-Stiftung; diese wurde zwischen 1945 und 1949 von der Sowjetischen Militäradministration enteignet. Der Versuch einer Rückübertragung durch die Stadt Braunschweig als Rechtsnachfolgerin der Hermann-Göring-Stiftung scheiterte 1996/97. Lange wird rehabilitiert Nach dem Kriegsende wurde Höhlendirektor Bernhard Lange verhaftet, kurzfristig in ein britisches Zivilinternierungslager verbracht und auch enteignet. Zwar war er schon am 1.5.1933 der NSDAP beigetreten und gehörte über das NSKK (NS-Kraftfahrkorps) formal auch der SS an, doch stellte sich heraus, dass er sich nichts hatte zuschulden kommen lassen und eher als Mitläufer einzustufen war, der sich stets für die Belange seiner Mitmenschen eingesetzt hatte – nachweislich auch für politisch Andersdenkende. Das war in der NS-Zeit keine Selbstverständlichkeit. Auch die spätere DDR kam zu diesem Ergebnis und so erhielt er 1950 eine politische Unbedenklichkeitsbescheinigung. Er war bis zu seinem Tode kurz vor Vollendung seines 77. Lebensjahrs am 2.11.1963 ein engagierter Bürger seiner Gemeinde Rübeland. Weitere Gerüchte Auch das Gerücht, der russische Zar Peter der Große habe einst die Baumannshöhle besucht, stimmt übrigens nicht – das hat der Braunschweiger Heimatforscher Fritz Reinboth schon vor Jahren richtiggestellt (Reinboth 2000). 2016 jährt sich das Jahr der Entdeckung der Hermannshöhle zum 150sten Mal. Aus diesem Anlass wird der Verband der deutschen Höhlen- und Karstforscher e. V. in Rübeland tagen. Daher werden wir unsere Recherchen fortsetzen – und es gibt noch mehr spannende Geschichtsirrtümer. Wussten Sie beispielsweise, dass die Hermannshöhle 1866 möglicherweise durch den Rübeländer Arbeiter Fritz Sorge entdeckt wurde und nicht durch den geschäftstüchtigen Wilhelm Angerstein I, der von der Regierung sogar Geld für seine Entdeckung forderte und Fritz Sorge daher gleich nach der Entdeckung auf eine andere Baustelle umsetzte? Für die Aufklärung der wirklichen Geschehnisse rund um die Entdeckung der Hermannshöhle hatte sich übrigens Bernhard Lange stets eingesetzt. Daher ist man fast geneigt, ihm die kleine, aber folgenschwere Marketing-Lüge mit dem Jahr 1536 zu verzeihen. Oder ist das nur eine weitere Geschichte des Marketing-Genies Lange, der schon in den frühen 1930er Jahren mit den Grottenolmen einen ähnlichen Coup gelandet hatte? Aber das ist schon wieder eine neue Geschichte.
Für wichtige Hinweise bei der Recherche danke ich Hans-Christian Anger, Sven Bauer, Michael K. Brust, Wolfgang Hase, Prof. Dr. Stephan Kempe, Fritz Reinboth, Dr. Horst Scheffler und Hannes Tschorn †.
Fricke, U. (1999): Ein neuer Plan der Baumannshöhle in Rübeland. – Unser Harz 47 (1): 13 - 17 Kempe, S., Fricke, U., Kleinschmidt, A. & Reinboth, F. (1999): Die Baumannshöhle im Harz, ihre Bedeutung für die frühe Wissenschaftsgeschichte, ihre Darstellung durch Johann Friedrich Zückert, der Arzneygelahrtheit Doctor, 1763, und was heute noch davon zu sehen ist. – Abh. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher 31: 55 + XXVI S. Kempe, S. & Reinboth, F. (2001): Die beiden Merian-Texte von 1650 und 1654 zur Baumannshöhle und die dazugehörigen Abbildungen. – Die Höhle 52 (2): 33 - 45 Kempe, S., Dunsch, B., Fetkenheuer, K., Naumann, G. & Reinboth, F. (2004): Die Baumannshöhle bei Rübeland/Harz im Spiegel der wissenschaftlichen Literatur vom 16. bis zum 18. Jahrhundert: Lateinische Quellentexte. – Braunschweiger naturkundliche Schriften 7 (1): 171 - 215 Kempe, S. (2004): Der Bericht von Dr. Johann Christian Kundmann über seine Befahrung der Baumannshöhle Anno 1708. – Mitt. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher 50 (3): 82 - 89 Knolle, F. (2014): Der Bergmann Baumann hat nie gelebt. Fakten und Märchen aus den Rübeländer Tropfsteinhöhlen. – Neue Wernigeröder Zeitung 25 (24+25): 46 - 47 Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt (2014): Geotourismus im Mittelharz. Geologisch-montanhistorische Karte Elbingeröder Komplex 1 : 25 000 mit Geologischer Karte Elbingeröder Komplex 1 : 25 000 (Neuaufnahme Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald). – Halle (Saale) Laub, G. (2000): Ein wenig bekanntes Gedicht auf die Baumannshöhle von etwa 1630. – Unser Harz 48 (9): 163 - 165 Laub, G. (2003): Eine dichterische Beschreibung der Baumannshöhle aus dem Barock (1660). – Unser Harz 51 (2): 31 - 35 Mehlhose, I. (2014): Wie eine Legende zur Lüge wird. Forscher belegt, dass Bergmann Baumann als Entdecker der Rübeländer Höhle nie existiert hat. – Harzer Volksstimme 22.11.2014, S. 14 Reinboth, F. (2000): Der russische Zar Peter der Große und die Baumannshöhle. – Unser Harz 48 (9): 166 – 167 |