Horst Gaevert (1984) Gänseschnabel Wohl kaum ein anderes Objekt des Harzes hat seine Funktion und seinen Namen so oft geändert! Das heutige FDGB-Erholungsheim „Ilfelder Tal“ war früher Die bekannteste der Bezeichnungen dürfte „Gänseschnabel“ sein. Dieser Name ist einprägsam, paßt zum Harz und ordnet sich demzufolge regional ohne Schwierigkeiten in die Landschaft ein. Dabei unterscheiden viele Bewohner des Harzgebietes, die nicht in unmittelbarer Nähe von Ilfeld wohnen, nicht klar zwischen dem o. g. Gebäudekomplex und dem gleichnamigen Felsen. Die wichtigste Ursache ist darin zu suchen, daß der Name Gänseschnabel oft in Gesprächen genannte wird und durchreisende Bürger kaum auf das in Rede stehende Objekt aufmerksam gemacht werden.Holzwarenfabrik Jericho und Schönian Das heutige FDGB-Erholungsheim befindet sich zwar dicht unterhalb der F4, kann von ihr aus jedoch nur im Dachbereich der Gebäude eingesehen werden. Der Anblick von der etwa 200 m entfernten Harzquerbahn ist durch das davorliegende Waldbad Ilfeld nicht gegeben. Des weiteren fehlen an der F4 sowie in Ilfeld gut sichtbare Hinweistafeln. Daher bieten sich den potentiellen Gästen, die per Straße oder Schiene anreisen, statt dessen Ilfeld oder Netzkater als Ziele für die gewünschte Bewirtung. In diesem Betrieb wurden „allerlei Größen der amerikanischen Kugelwaschmaschinen, patentierte und geschätzte Apfel- und Kartoffel-Schälmaschinen“ sowie Parkett hergestellt (D 1). Im März 1856 brach ein Brand aus, der durch sofort einsetzende Löscharbeiten bald unter Kontrolle gebracht wurde. Nach dem Brande änderte die Firma Jericho und Schönian ihr Produktionssortiment und stellte nur noch Parketten her. Damit war sie die älteste Parkettfabrik im mittel- und norddeutschen Raum. Die Situation war auf Grund des Holzreichtums des Harzes und der zur Verfügung stehenden Wasserkraft der Behre äußerst günstig. Nur für gehobene Ansprüche wurden Edelhölzer aus dem Ausland verarbeitet. Im Jahr 1859 verfügte die „Maschinen-Parketten Fabrik“ über eine 12-16 PS-Dampfmaschine, die als Reservemotor für wasserarme Zeiten diente. Sie hatte nach „Umständen die Sägemühle, eine Anzahl Kreis- und Bandsägen, Fourniersägen, Hobelmaschinen, Elevatoren und Schleifsteine“ anzutreiben (A 2). Ein zeitgenössischer Ilfelder Bürger gibt seine Erinnerungen wie folgt wieder (D 1): Man hörte von Ferne das Kreischen der Kreissägen und das Getöse der Dampfmaschinen. Einige Fuhrwerke luden Rohholz am Werk ab, und andere verließen es mit den fertigen Parketten. Rege Tätigkeit herrschte im Betrieb. Trotzdem geriet die Fabrik Jericho und Schönian im Jahre 1860 in Konkurs. Danach erwarben sie Franz Athenstedt und wenig später Carl Schulze und Kämpf. Der mehrfache Eigentümerwechsel hatte sich nicht negativ auf die Qualität der Parketten ausgewirkt, denn im Jahre 1862 erhielt der Betrieb auf der Kunst- und Industrieausstellung in Nordhausen den ersten Preis für Parkettfußböden und Tischplatten. Qualität und Absatz der Erzeugnisse waren offensichtlich so gut, daß dem Besitzer Schulze im Jahr 1869 aus dem hannoverschen Kammerkapitalfonds zur Erweiterung des Betriebes ein Kredit von 2 200 Reichstaler gewährt wurde. In den Jahren 1871/72 beschäftigte der Betrieb 80 Arbeitskräfte. Die produzierten Erzeugnisse konnten in der Regel sofort verkauft werden. Im Monat wurden durchschnittlich 1 500 Parketten angefertigt. Die Kunden kamen aus Berlin, Hamburg, Bremen, Hannover, Leipzig, Dresden und sogar aus Montevideo. Der Absatz erfolgte mit Hilfe von 20 Agenten. Das Verlegen des Parketts ist nicht von werkseigenen Arbeitskräften vorgenommen worden. Am 18. Dezember 1878 war das Schicksal der Fabrik besiegelt. In einer kalten Winternacht brach plötzlich Feuer aus, das die Gebäude mit Trockenkammern und Maschinen vernichtete. Außerdem wurden fast alle Rohholzvorräte und Fertigerzeugnisse ein Raub der Flammen. Nur das Wohnhaus blieb erhalten. Der Betrieb mußte eingestellt werden, und damit waren die Beschäftigten arbeitslos. Der Besitzer Schulze ließ zusammen mit Hausmann auf dem Gelände eine „Dampfbrauerei“ errichten, die ihre Produktion im Jahre 1880 aufnahm (D 3). Die Konkurrenz war in dieser Branche groß, denn in Nordhausen existierten etwa zur gleichen Zeit 17 Bierbrauereien. Trotzdem scheint das Unternehmen von Anfang an von Erfolg gekrönt gewesen zu sein, denn es wurden in den Etatjahren 1882/83 2 791 Reichsmark an Steuern erhoben. Zum Vergleich sei erwähnt, daß an den gesamten Handelsbezirk des königlichen Hauptsteueramtes in Nordhausen 51 000 Reichsmark gezahlt wurden. Obgleich der Umsatz gut war, mußte die Brauerei infolge von Spekulationen im Jahre 1884 Bankrott anmelden. Außerdem stellte man Selterswasser her. Im Jahre 1898 verkaufte Freiherr von Eckardstein die Talbrauerei an Dr. phil. Fritz Brand, der weitere Verbesserungen am Objekt vornahm.„Ilfelder Perlgold“ Zu den 25 - 30 Arbeitskräften, die um die Jahrhundertwende in der Brauerei tätig waren, zählten ein Braumeister, zwei Bierbrauer, zwei Fässerer (ihre Aufgabe bestand darin, das Bier von den großen Lager- in die kleineren Transportfässer umzufüllen) und vier Geschirrführer für Pferdegespanne. Der Inhalt der Transportfässer betrug 8 - 100 Liter. Am gebräuchlichsten waren die sog. „Anker“ mit einem Fassungsvermögen von 40 - 50 Litern. Ein großer Teil der Belegschaft war in dieser Zeit bereits gewerkschaftlich organisiert. Als im Jahre 1908 der Bierbrauer Dietzel mit der roten Fahne beigesetzt wurde, war dies für Ilfeld ein Novum. Infolge wirtschaftlichen Unvermögens des Direktors Menz schloß die Brauerei im Jahre 1912 ihre Pforten. Zunächst nutzte die Großbrauerei Wolters und Balhorn aus Braunschweig die ehemalige Talbrauerei als Bierniederlage. Gegen Ende des ersten Weltkrieges erwarb der letzte Brauereidirektor das Objekt und baute es zu einem Dampfsägewerk um. In zwei Schichten produzierten 60 - 80 Arbeitskräfte bis zum Konkurs im Jahre 1925 Fischkisten. Beim anschließenden Verkauf des Objektes erwarb es H. Steinmeyer aus Helmstedt als Pensionshaus für den Beamtenhilfsbund in Hannover. Die Gemeinde Ilfeld kaufte bei dieser Gelegenheit aus der Konkursmasse das Gelände für das heutige Waldbad Ilfeld. Die Inbetriebnahme erfolgte im Jahre 1926 (P 5). Nachdem Steinmeyer eine Gaststätte eröffnet hatte, erwarb im Jahre 1929 der Hotelier Carl Krull das Grundstück und nannte es „Kurhaus Ilfelder Tal“. In den dreißiger Jahren wurden die gesetzlichen Bestimmungen für Objektbezeichnungen neu geregelt. Sie sahen vor, daß in einem Kurhaus Kuren verabreicht werden müssen. Da es sich hier nur um normalen Urlauberbetrieb handelte, führte Krull im Jahre 1937 in Übereinstimmung mit dem Namen des nahegelegenen Felsens die Bezeichnung „Hotel Gänseschnabel“ ein. Carl Krull, ein ausgezeichneter Fachmann, brachte die Gaststätte und sein Pensionshaus bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges zur vollen Blüte. Es war kein Exklusivhotel, sondern öffnete seine Pforten vorwiegend für Handwerker, Gewerbetreibende und Angestellte. Durch Kriegsgeschehen entstand im Jahre 1945 erheblicher Gebäudeschaden. Der Hotel- und Gaststättenbetrieb konnte im Jahre 1946 mit Tanzveranstaltungen und einigen Übernachtungen wieder eröffnet werden. Als Krull im Jahre 1948 starb, übernahm seine Tochter, Frau Sauer, mit ihrem Mann das Objekt. Im Jahre 1974 erwarb der FDGB-Feriendienst das „Hotel Gänseschnabel“ und führte die Bezeichnung „Erholungsheim Ilfelder Tal“ ein. Seitdem werden pro Durchgang 33 Urlauber in 1-, 2-, und 3-Bett-Zimmern betreut. Die modern eingerichtete Gaststätte des Hauses hat ein Fassungsvermögen von max. 100 Personen. Hier werden nicht nur Hausgäste, sondern alle Bürger bedient. In den Jahren 1982 und 1983 mußte das Objekt geschlossen werden, um umfangreiche Werterhaltungsmaßnahmen und Verbesserungen realisieren zu können. Nach dem Einbau einer zentralen Heizungsanlage, der vollkommenen Erneuerung und Erweiterung der Sanitäranlage, der Verlegung von Grundleitungen, dem Bau einer Kläranlage sowie dem Bau eines Sportraumes öffnete das Erholungsheim im zweiten Halbjahr 1983 wieder seine Pforten zum Empfang von Urlaubern und Gästen. Jetzt ist die Urlauberbetreuung auf ein modernes zeitgemäßes Niveau gebracht und bietet damit alle Voraussetzungen dafür, daß sich die Werktätigen in der Südharzlandschaft gut erholen können. GPS-Koordinaten Dokumentennachweis und befragte Personen
Staatsarchiv Magdeburg
Befragte Personen und gesellschaftliche Organisationen
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