Im Oktober 2007 fand im Biosphärenreservat „Karstlandschaft Südharz“ i. G. die erste Herbsttagung einer künftig jährlich geplanten Vortragsreihe statt. Drei Jubiläen waren Anlass für eine Festveranstaltung: 650 Jahre Ersterwähnung der Höhle Heimkehle, 80 Jahre Naturschutzgebiet „Questenberg“ und 25 Jahre Karstwanderweg. Allein diese drei Daten lassen erahnen, welch reiche Natur und Landschaft im Südharz vorzufinden sind. Ein Natur- und Kulturerbe, das für nachfolgende Generationen erhalten werden muss. Der folgende Beitrag ist ein Auszug aus einem Vortrag zur Geschichte des Naturschutzgebietes „Questenberg“. Naturschutz ist eine gesellschaftliche Zielstellung und Bewegung der modernen Zeit. Dennoch sind Bestrebungen, die Natur vor dem Menschen – aus welchen Gründen auch immer – zu schützen, nicht erst in der heutigen Gesellschaft anzutreffen (vgl. Schmoll 2006). Der erste bisher bekannte aktenkundige Erlass zum Schutz eines Naturgebildes stammt aus dem Jahr 1668. Rudolf August, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, ließ die Baumannshöhle als ein „sonderbares Wunderwerk der Natur“ unter Schutz stellen. Für die Teufelsmauer im nördlichen Harzvorland verhängte der Landrat Weyhe am 02. Juni 1833 ein Verbot des Steinebrechens – nur deshalb können wir heute noch dieses Naturphänomen bewundern! Auch der Brocken ist noch so naturbelassen, weil Fürst Christian Ernst Stolberg-Wernigerode den Schutz des Brockens vor einer exzessiven Bebauung verfügt hatte. Engagierten, weit blickenden Einzelpersonen ist es letztendlich zu verdanken, dass in den Vorzeiten des amtlichen Naturschutzes wertvolle Naturgebilde erhalten geblieben sind – so auch in Questenberg. Bereits im Jahr 1880 prägte Ernst Rudorff mit seinem Aufsatz „Über das Verhältnis des modernen Lebens zur Natur“ maßgeblich den Begriff des Naturschutzes. In dieser Zeit standen vornehmlich Naturdenkmale, vorwiegend kleinflächige Objekte, im Interesse. Jedoch gab es auch schon Bestrebungen, ganze Landschaften nach dem Vorbild der amerikanischen Nationalparke zu schützen. Bestes Beispiel dafür ist der Naturschutzpark „Lüneburger Heide“, der von Hermann Löns unterstützt wurde. Die um 1900 entstandenen Wander- und Heimatvereine zählen zu den Begründern des immer stärker werdenden Naturschutzes in Deutschland. Auch im Südharz wurde der Wert der einzigartigen Karstlandschaft erkannt. Der naturschutzfachliche Verein von Sangerhausen erklärte 1880 das Schwiederschwender Plateau und die Waldgründe des Nassethales in der Nähe von Questenberg zum Ziel seines jährlichen Ausfluges. Dieser Plan fand bei einigen Mitgliedern lebhaften Widerspruch aufgrund der Fremdheit des Nassethales, von dem bisher niemand etwas gehört habe. Außerdem fehlen die Ausflugsgaststätten… So berichtete die Sangerhäuser Zeitung am 23.09.1880. „aufgrund mangelnden Erwerbs das liebliche Dörflein Questenberg zum gewissen Grade auf den Aussterbe-Etat gestellt ist. Ackerbau kann in dem engen Tal wenig betrieben werden, derselbe drängen sich immer mehr Einwohner benachbarter Ortschaften, der Bergbau ruht schon viele Jahre. So bleibt den Bewohnern nur noch die Obsterei. Aber Kirschen, Pflaumen, Äpfel und Birnen werfen auch nicht mehr den Gewinn verflossener Jahre ab. Vielleicht kommt einmal die Zeit, wo die Thüringer Schweiz, wie Questenberger stolz ihre Heimat nennen, ein Sommer-Kurort wird. Ein Anfang dazu ist ja schon geschaffen.“
In allen Lexika und Reiseführern aus dieser Zeit findet sich Questenberg aufgrund seiner Lage und Naturschönheiten wieder, so auch im „Tagebuch für Reisende in den Harz“ von Friedrich Gottschalk aus dem Jahr 1833: „1 Stunde von Roßla liegt in einem Thale in der Mittagsseite des Harzes in der Grafschaft Stolberg dieses Dorf von 83 Häusern mit 470 Einwohnern sehr romantisch umgeben von hohen, schroff ablaufenden Kalkgebirgen. Die Kette von Gipsbergen, die sich von Leinungen über Hainrode, Questenberg und Agnesdorf bis gegen Breitungen hinzieht, ist sehr romantisch und merkwürdig. Besonders ist sie es auf dem Wege von Questenberg nach Wickerode. Man geht da in einem Thale, von weißen Gipsfelsen gebildet, in welchem eine Menge Kalkschlotten sich befinden. Worunter das Häckersloch, das kleine Kalte oder Eisloch und das große Kalte Loch, die bekanntesten und bemerkenswertesten sind. Außer mehreren Schlotten und Erdfällen sind auch die schlottenartigen Risse und Spalten merkwürdig, die in großer Fuß- und zollbreite die Berge um Questenberg, besonders den Wasserberg durchziehen. Sie gehen selten ganz senkrecht, aber meist so tief nieder, dass man sie nicht ergründen kann. Wahrscheinlich tragen sie zu den aus allen Höhlen dieser Berge strömenden kalten Zugwinden bei. Auch Erdfälle, die unmittelbaren Begleiter der Kalkschlotten, finden sich in der Gegend um Questenberg, wobei der merkwürdigste der Bauerngraben bei Breitungen ist.“
Ein Artikel im Amtlichen Blatt für die Grafschaft Stolberg-Roßla aus dem Jahre 1919 meldet folgendes: „Einem der schönsten Punkte im Südharz droht die Industrie ein Ende zu bereiten: Es ist geplant, die Gipsfelsen bei Questenberg abzubauen. Wie wir hören, hat sich ein Industrieunternehmen den Abbau des Gipskalkes des Questenberges durch einen Vertrag mit der Gemeinde Questenberg gesichert. Gegen eine Entschädigung von 1,50 Mark für den Waggon darf das Unternehmen auf 99 Jahre dem Berge den Gipskalk entnehmen. Zum Abtransport soll eine Anschlussbahn an die Eisenbahn Halle-Kassel in Bennungen gebaut werden. Man rechnet mit 50 Waggons täglich, so dass der Gemeinde eine bedeutende Einnahme zufließen würde, dafür opfert sie aber die romantische Schönheit der Natur und die wundervolle Ruhe des Tales, die schon manchem Erholungsbedürftigen zugute gekommen ist. Auch die Queste auf dem Berge und das allbekannte Questenfest dürfte mit der Zeit verschwinden, denn auch diese Felsen sollen geopfert werden.“
Hunderten von Arbeitern wird durch dieses Unternehmen Lohn und Brot versprochen. In absehbarer Zeit sollte das industrielle Großunternehmen den Questenberg wirtschaftlich erschließen. Aber es kam anders. Mit der Polizeiverordnung vom 11.11.1927, die am 14. Januar 1928 in Kraft trat, wurde ein Naturschutzgebiet „Questenberg“ erklärt. In der Literatur werden verschiedene Gründe für die Unterschutzstellung angegeben. Zum einen wegen des beabsichtigten Gipsabbaues, zum anderen soll im Ort die Meinung verbreitet worden sein, dass das Gebiet wegen der Schildlaus (Margarodes polonicus) unter Schutz gestellt wird. Deren zweites Larvenstadium wurde früher zur Gewinnung eines roten Farbstoffes, genannt Johannisblut, gesammelt. Tagebuchaufzeichnungen belegen aber auch hier in Questenberg, dass eine Einzelperson maßgeblich an der Rettung des Questenberges und der anderen Gipshänge beteiligt war. Frau Tölle-Herbich, Gastwirtin in Questenberg, beherbergte alljährlich einen Herrn Dr. Hahne, der im Auftrag der Landesanstalt für Vorgeschichte archäologische Ausgrabungen durchführte. Bei den allabendlichen Gesprächen kam die Rede auch auf den drohenden Gipsabbau. Frau Tölle-Herbich bat ihren Gast um Hilfe und Unterstützung. Auf dem Questenberg befand sich eine Vorzeitsiedlung aus der Zeit um 500 v. Chr. Herr Dr. Hahne nutzte alle seine Möglichkeiten und nach 8-jährigem Kampf wurde ein Naturschutzgebiet ausgewiesen: „Jetzt haben wir erst einmal Ruhe nach dem Kampfe, seit auch die Gemeinde nach schlimmen Erfahrungen eingesehen hat, daß sie besser fährt, wenn der altehrwürdige Questenberg unter Schutz des deutschen Volkes steht, in dessen Vorzeitgeschichte er zweifellos einen gewichtigen Platz einnimmt“ (Hahne 1928). Den Bemühungen von natur- und heimatverbundenen Menschen haben wir es zu verdanken, dass dieses landschaftlich schöne und an Traditionen reiche Gebiet heute noch für uns erlebbar und nutzbar ist. Es bietet Raum für die Erholung, für die Wissenschaft, Kultur und natürlich für die Natur – als Grundlage für alles andere. Die Nutzung wurde in der Polizeiverordnung vom 11.11.1927 geregelt:
Schienengleise, Starkstromleitungen und sonstige Betriebsanlagen herzustellen oder Werbezeichen, also Reklame aufzustellen, waren ohne Genehmigung des Regierungspräsidenten in Merseburg untersagt. Ordnungsgemäße Forstwirtschaft nach Genehmigung durch die zuständige Forstbehörde war erlaubt; der Questenberg selber ist in seiner gegenwärtigen Gestalt unberührt zu erhalten. Jeder Eingriff in seine Oberfläche wurde verboten. Übertretungen wurden mit einer Geldstrafe bis 150 Reichsmark oder Haft geahndet. Interessant ist aus heutiger Sicht auch der Fakt, dass diese Polizeiverordnung von zwei Ministern erlassen wurde – entsprechend der Bedeutung dieses Naturschutzgebietes war das ein vorteilhaftes Vorgehen. Das Naturschutzgebiet war etwa 1,7 km² groß und erstreckte sich im Wesentlichen auf das Nassetal mit seinen Bergflanken und einen mehr oder weniger breiten Streifen der Hochflächen rechts und links des Tales. Nach der Unterschutzstellung setzte ein regelrechter Wissenschaftlerandrang ein, zahlreiche Untersuchungen im NSG sind belegt. Aus der jüngeren Vergangenheit liegt beispielsweise die bekannte Untersuchung des Geobotanikers Zeising aus den Jahren 1955/56 vor. Auch heute ist das noch so - die Karstlandschaft ist und bleibt ein Mekka sowohl für Botaniker als auch für Zoologen und Geologen. Der Karst bietet mit seinen außergewöhnlichen Oberflächenformen Lebensräume, die anderenorts nicht existieren. Der gesamte Formenschatz der Gipskarstlandschaft ist in einer für Deutschland bzw. für Europa einmaligen Fülle und Ausprägung vorhanden. Dazu kommt ein Mosaik an verschiedensten Lebensräumen: Streuobstwiesen, Trocken- und Halbtrockenrasen, Feldgehölze, Schwermetallrasen, anmoorige Bereiche, Karstbuchenwälder, Schluchtwälder etc. Die hier zu findende Artenvielfalt sucht aufgrund der Vielfalt an Lebensräumen ihresgleichen.
Nach 1990 führten diese große naturschutzfachliche Bedeutung und erneut drohender Gesteinsabbau zur einstweiligen Sicherstellung und Unterschutzstellung eines größeren, weit über den Questenberg hinausreichenden, Naturschutzgebietes. Damit ergibt sich folgende Chronologie der Unterschutzstellung der Karstlandschaft um Questenberg:
In die NSG-Ausweisung der Karstlandschaft um Questenberg wurden drei bis dahin selbständige, kleinflächige Naturschutzgebiete eingebunden:
Das Naturschutzgebiet „Gipskarstlandschaft Questenberg“ gehört nun zu den drei größten Naturschutzgebieten im Land Sachsen-Anhalt. Vornehmliches Schutzziel ist die Erhaltung eines typischen Ausschnittes der Südharzlandschaft mit Gipsmassiven und Karsterscheinungen, Pflanzen- und Tiergesellschaften, naturnahen land- und forstwirtschaftlichen Nutzungen sowie ihren Vernetzungen.
Das Naturschutzgebiet ist zu ca. 2/3 von verschiedensten Waldgesellschaften bedeckt. Im Naturschutzgebiet liegen zwei Totalreservate, in denen jegliche wirtschaftliche Nutzung ausgeschlossen ist. Einmal die Uftrunger Seeberge, eine Naturwaldzelle nach Waldgesetz mit ca. 70 ha und eine Fläche bei Questenberg mit knapp 12 ha. Nachfolgend aufgelistete Naturschutzgebiete flankieren das Naturschutzgebiet „Gipskarstlandschaft Questenberg“ und bilden somit den Kern des Biosphärenreservats „Karstlandschaft Südharz“ i. G.:
Nach FFH- und Vogelschutzrichtlinie der EU sind durch die Mitgliedsstaaten Natura 2000-Gebiete zu melden, zu schützen und zu entwickeln, in denen wertvolle Arten bzw. Lebensräume von europäischem Interesse vorkommen. An der Größe der im Südharz ausgewiesenen Natura 2000-Flächen wird wiederum deutlich, welche naturschutzfachliche Bedeutung die Karstlandschaft besitzt:
Mit 13 Lebensraumtypen nach Anhang I der FFH-Richtlinie nimmt das FFH-Gebiet „Buntsandstein- und Gipskarstlandschaft bei Questenberg im Südharz“ einen der vorderen Plätze im Land Sachsen-Anhalt ein. Fritz Wirth aus Wallhausen ahnte schon im Jahr 1928, dass die Einsamkeit Questenbergs enden wird, sei es aufgrund seiner Naturschönheiten oder wegen seiner kulturellen Wurzeln; in jedem Falle ist der Schutz der Natur nicht nur förderlich, sondern notwendig: „Questenberg ist heute über die Grenzen der Heimat hinaus noch ziemlich unbekannt, aber kommende Zeiten werden seinen Namen künden und es um seines wiedererwachenden Reichtums willen, des Wissens aus der Welt unserer Väter, als hochbedeutsames Stück geretteter Vergangenheit würdigen.“ Es sollte uns doch gelingen, auch die letzten Zweifler von der Notwendigkeit des Schutzes unserer Heimat für uns Menschen zu überzeugen.
Literatur:
Anschrift der AutorinChristiane Funkel |