Der Nordhäuser Roland
1954 (3)
S. 55-56
Nordhausen

Um die Stadtmauer zu Nordhausen

Von Dipl.-Ing. K. Riemann , Nordhausen


Nicht nur durch Branntwein und Kautabak ist Nordhausen bekannt. Uns hannoverschen Studenten wurde sie im Baugeschichtskolleg zum Besuch empfohlen, denn eine gepflegte und leidlich erhaltene Stadtmaueranlage ist ein seltenes Studienobjekt. Eine Exkursion war rasch beschlossen, und so führte Professor Mohrmann, ein ausgezeichneter Kenner mittelalterlicher Baukunst, eine wißbegierige Schar nach Nordhausen. Der schlechte architektonische Eindruck des Bahnhofsplatzes wich, als wir die Lesserstiege hoch am Primariusgraben, jenem bekannten Promenadenweg längs der Stadtmauer, folgten und die Altstadt umkreisten. Von diesem Rundgang aus erschloß sich die ganze Schönheit der Stadt. Dort ragte das hohe Domdach über die Mauer, und in reizvollen Durchblicken grüßten die Türme von St. Blasii. Besonders interessant war der Mauerteil an der Wallrothstraße mit dem damals noch nicht zugeschütteten Graben. Reizvoll, im Zickzack durch den Turm zu treten und alle Einzelheiten zu studieren! Als zum Abschluß Rathaus, Dom, St. Blasii und die Frauenbergskirche besichtigt waren, kam der „Nordhäuser“ an die Reihe, ohne den der Gesamteindruck unvollständig gewesen wäre.

In Erfurt und Mühlhausen sahen wir kunsthistorisch bestimmt wichtigere Baudenkmäler als die Nordhäuser Stadtmauer, aber gerade der Allgemeineindruck der tausendjährigen Stadt hatte doch einstimmig den „Vogel“ abgeschossen!

Der Bombenangriff, der die Innenstadt niederlegte, Baudenkmäler mehr oder weniger stark beschädigte, verschonte im wesentlichen die Stadtmauer, aber als mittelbare Folge bleibt festzustellen, daß

  1. der geschlossene Eindruck der Stadtmauer durch Sperrung des Rundganges verloren ging,
  2. die am besten erhaltene Befestigungsanlage an der Wallrothstraße im Schutt erstickte,
  3. der Mauerteil am Petersberg hilflos hinter der zu exakten, dem Gelände nicht angepaßten Schuttplanierung ohne Bindung zu seiner Umgebung um Hilfe ruft,
  4. der Eindruck am Primariusgraben durch Schuttanschüttung ganz willkürlich verändert ist.

Der Rundgang um Alt-Nordhausen läßt sich wieder erstellen, ja noch über die geschickt angelegte Anschüttung des Petersberges vervollständigen. Daß der neuen Führung der Rautenstraße ein Mauerstück zum Opfer fiel, bedingte die vorrangige Verkehrssicherheit. Die dort einfach durchschnittene Stadtmauer wird nicht immer so unschön stehenbleiben, sondern ihre architektonische und denkmalpflegerische Lösung finden, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Dabei muß auch der Schutt am Fuße der Mauern ain Primariusgraben wieder entfernt werden. Mit der Vernichtung der Wallanlage und der Planierung am Petersberger Stadtmauerteil müssen wir uns leider abfinden, da der Aufwand zum Wiederfreilegen zu groß ist.

Anerkennenswerterweise ist trotz Notzeit auf dem Gebiet der Denkmalspflege schon allerhand getan. Außer der Instandsetzung an St. Blasii und Dom erstand das Alte Rathaus, dessen Turm vorzüglich dem alten Charakter entspricht. Man mag die starre Bogenunterteilung, die Farben am Roland und die Zementausfugung mit Recht bemängeln, im Gesamteindruck hat Nordhausen wieder sein altes Rathaus. Die Grünanlagen der Promenade sind ausgezeichnet gelungen und leiten gut zur alten Stadtmauer über.

Aber nicht gefallen will die Instandsetzung der Mauer neben dem Theater. Statt zu restaurieren, ist abgebrochen worden und eine neue Mauer errichtet! Nicht mit Spitzhacke, höchstens mit dem Hammer waren die losen Steine anzugehen. Es mußte Stück für Stück die Mauerschale außen und innen sowie das dazwischen befindliche Bruchsteinmauerwerk ergänzt werden. Wenigstens am Anschluß waren die horizontalen Fugen durchzuführen, schon um den Maßstab zu wahren. Die schräge Lagerfuge ist bedenklich. Steif steht der neue Teil gegen den alten, ohne Fingerspitzengefühl angesetzt.

Dagegen ist die Schließung der Mauerlücke am anschließenden Stadtmauerteil bei ganz anderer Sachlage richtig: Da das Mauerstück völlig fehlte, gab es auch nichts mehr zu restaurieren, und eine bescheiden hohe Abschlußmauer, neu aufgeführt, war das gegebene. Nur die Anschlüsse links und rechts fehlen, was sich leicht durch zwei Schwippbögen über den Türöffnungen nachholen läßt.

Wenn die für dieses Jahr beantragten Mittel freigegeben werden, darf an der Stadtmauer nicht neu gebaut, sondern nur instand gesetzt werden. Schrecklich der Gedanke, daß die Reste unserer Mauern starr und steif ihren Charakter verlieren sollten, wobei ein Stück nationalen Kulturerbes verloren ginge.

Dazu gehören außer Geld, Steinen und Mörtel Liebe zur Sache, Geduld bei der Bauleitung, ein erfahrener Polier, aber kein Zement in die Fugen!


Dazu unsere Bilder auf der 2. Umschlagseite:

Instandsetzungsarbeiten an der Stadtmauer


Keine Instandsetzung der Stadtmauer, sondern ein neues Mauerstück, steil und fremd wirkend


Die Mauerlücke ist durch eine neue, bescheidene Mauer geschickt geschlossen, nur der
Anschluß blieb ungelöst

Aufnahmen: Erich Roesch, Nordhausen, Fachgruppe Foto

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