Ber. Naturhist. Ges. 109, Hannover 1965
 
Schützt das Hainholz und den Beierstein,
die vielgestaltigsten Gipskarstgebiete Deutschlands!

Zwischen Osterode und Herzberg, bei Hörden-Düna, liegen zwei noch unberührte einzigartige Gipskarstgebiete, die in dieser Ausbildung und Ursprünglichkeit für das außeralpine Europa einmalig sind, das Hainholz und der Beierstein. Sie enthalten auf kleinem Raum alle bemerkenswerten Erscheinungen
dieses Landschaftstyps in vollendeter Form. Beide Gebiete sind dadurch stark gefährdet, daß die Gipsindustrie beabsichtigt, hier Steinbrüche für den Abbau des Gipses anzulegen, obwohl die Fachstellen für Naturschutz und Landschaftspflege Einspruch dagegen erhoben haben; der zuständige Regierungspräsident hat dieses Gebiet durch eine einstweilige Verfügung zur Wahrung der Naturschutzinteressen sichergestellt.

Die Naturhistorische Gesellschaft fühlt sich in diesem besonderen Fall verpflichtet, gegen den hier geplanten Gipsabbau zu protestieren. Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß die Naturhistorische Gesellschaft zu dieser Frage in völlig unabhängiger und überparteilicher Weise Stellung nimmt. Die Gründe unseres Protestes sind folgende:

1. In den leichtlöslichen Gipsen sind durch die Erosionstätigkeit der versickernden Niederschlagswässer und des Grundwassers ober- und unterirdische Verkarstungserscheinungen in besonderer Vielfalt entstanden; insbesondere sind hier die zahlreichen Laug- und Spaltenhöhlen zu nennen. Darüber hinaus haben diese Lösungsvorgänge zu einer Unzahl der bekannten Erdfälle geführt. In dem genannten Gebiet treten alle Erdfalltypen vom steilwandigen Höhleneinbruch mit Teichbildung über den trichterförmigen Erdfall bis zur flachen Hohlform auf. Eine ähnliche Vielfalt zeigen auch die von Kleinschlotten und Spaltenerosion überzogenen Karrenfelder.

So ist im SW-Harz auf kleinem Raum ein klassischer Landschaftstyp entstanden, der nur noch im mediterranen Karstphänomen ein Analogon hat, jedoch mit dem Unterschied, daß dort an Stelle von Gips als Karstgestein Kalk auftritt. Am bekanntesten sind die erhaltenen großen Höhlen, die Marthahöhle, die Jettenhöhle und der Klinkerbrunnen. Im Verein mit den übrigen Karstformen stellen diese Studien- und Lehrobjekte in gleichem Maße für Universitäten und Hochschulen wie für naturkundlich Interessierte dar und werden seit Jahrzehnten von geologischen, geographischen, hydrologischen, biologischen und prähistorischen Exkursionen besucht.

2. Von vor- und frühgeschichtlicher Seite wird nachdrücklich darauf hingewiesen, daß auf dem Plateau des Beiersteins Gruppen von Hügelgräbern der älteren Bronzezeit liegen, und daß in und vor der Jettenhöhle in Hainholz archäologische Funde zu erwarten sind, deren wissenschaftliche Untersuchung durch industrielle Maßnahmen endgültig vereitelt würde.

3. Das zu schützende Gebiet ist vorwiegend von Gipstrockenrasen und Laubmischwald bedeckt. Hier wachsen in einer überraschenden Vollständigkeit alle Charakterpflanzen und die meisten einheimischen Orchideen. Von den Orchideen sind hier bis jetzt folgende 14 unter Naturschutz stehende Arten nachgewiesen worden:

Cypripedium colceolus (Frauenschuh)
Ophrys muscifera (Fliegenblume)
Neottia nidus avis (Nestwurz)
Cephalanthera grandiflora (Großblüt. Waldvögelein)
Cephalanthera rubra (Rotes Waldvögelein)
Orchis mascuja (Männl. Knabenkraut)
Orchis mono (Kleines Knabenkraut)
Orchis maculata (Geflecktes Knabenkraut)
Orchis latifolia (Breitblättr. Knabenkraut)
Epipactis rubiginosa (Braunrote Sumpfwurz)
Epipactis latifolia (Breitblättr. Sumpfwurz)
Epipactis violacea (Violette Sumpfwurz)
Gymnadenia conopeo (Händelwurz)
Listera ovata (Zweiblatt)

Die Erdfälle selbst zeigen Felspflanzen-Gesellschaften oder einen Bewuchs mit Eschen-Ahorn- Schluchwäldern, beide mit einer großen Zahl floristischer Kostbarkeiten wie

Filipendula hexapetala (Knolliges Mädesüß)
Inula salicina (Weidenblättr. Alant)
Vincetoxium officinale (Schwalbenwurz)
Trifolium montanum (Bergklee)
Euphorbia amygdaloides (Mandelblättr. Wolfsmilch)
Lunaria rediviva (Mondviole)
Aconitum lycoctonum (Wolfseisenhut)
Viola mirabilis (Wunderveilchen)
Lathraea squamaria (Schuppenwurz)

Hierzu kommen noch charakteristische Kryptogamen-Gesellschaften, von denen folgende Farne namhaft gemacht werden können:

Aspidium robertianum (Storchschnabelfarn)
Cystopteris fragilis (Blasenfarn)
Asplenium trichomanes (Braunstieliger Milzfarn)
Scolopendrium vulgare (Hirschzunge)

Die zuletzt genannte Hirschzunge, die in N-Europa eine der größten Seltenheiten darstellt, findet sich in einem der Erdfälle in besonderer Reichhaltigkeit.

Selbst die unbewaldeten flachgründigen Flächen zeigen einmalige charakteristische Pflanzengesellschaften des Gips-Trockenrasens („Steppenheide“) mit den in Deutschland unter Naturschutz stehenden Enzianen (Gentiana ciliata, G. germanica und G. verna) und lichtliebenden Orchideen.

Auf die übrigen in allen genannten Vorkommen vorhandenen Kryptogamen (Flechten, Laub- und Lebermoose) kann in diesem Zusammenhang nur summarisch hingewiesen werden.

4. Von der großen Zahl gefährdeter zoologischer Objekte, die dank der vom Verkehr völlig unberührten Lage in allen genannten Biotopen mit ihren charakteristischen Arten reich vertreten sind, muß an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß die Gips-Trockenrasen allein 39 sehr seltenen Geradflügler-, Käfer- und Schmetterlings-Arten Lebensmöglichkeiten geben, die an anderen Stellen nicht vorhanden sind. Es handelt sich um folgende Arten:

Orthoptera:Leptophyes punctatissima
Barbitistes constrictus
Barbitistes serricauda
Myrmecophyla aceroorum
Nemobius sylvestris
Oedipoda germanica
Coleoptera:Dyschirius extensus
Dyschirius bonelli
Dyschirius salinus
Acupalpus elegans
Bembidium lunulatum
Pterostichus macer
Pterostichus punctulatus
Heterocera flexuosa
Callistus lunatus
Harpalus rupicola
Harpalus sabulicola
Bracbynus explodens
Homaloplia ruricola
Lepidoptera:Satyrus dryas
Satyrus briseis
Phytometra consona
Lycaena baton
Lycaena bellargus
Lycaena coridon
Hesperia sao
Hesperia serratulae
Hesperia armoricanus
Agrotis crassa
Daluperina nickerlii
Opigena polygona
Eremobia ochroleuca
Chloridea dipsacea
Rhyacia margaritacea
Valeria jaspidea
Antitype xanthomista
Zygaena fausta
Zygaena carniolica

In Ergänzung hierzu ist noch darauf hinzuweisen, daß die Höhlen verschiedenen stenobionten Tieren, insbesondere einigen Amphibien und an den offenen Felswänden auch Eulen und anderen seltenen Vögeln und Fledermäusen bevorzugte Lebensbedingungen bieten.

5. Pflanzen- und tiergeographisch ist von Bedeutung, daß in diesen Gipskarstgebieten eine ganze Reihe von Arten vorkommt, die hier die Nordgrenze ihrer Verbreitung erreichen, was zum Beispiel für Ophrys muscifera, Cypripedium calceolus oder Oedipoda germanica gilt.

6. Bis auf die oben genannten Höhlen sind die größeren Höhlen am SW-Harz, die Große Trogsteinhöhle und die Sachsensteinhöhle, dem industriellen Abbau zum Opfer gefallen. Auch die als Landschaftsschutzgebiet vorgeschlagene „Hopfenkuhle am Moosberg“ ist durch Abbauversuche und Planierungen nicht mehr als schutzbedürftig zu bezeichnen.

7. Dadurch, daß die östlich angrenzenden Gipsgebiete nicht mehr zugänglich sind, stellen Hainholz und Beierstein die einzigen im Bundesgebiet verbliebenen Restgebiete ursprünglicher Gipskarstlandschaften dar, in denen die schutzbedürftigen Einzelformen in großer Zahl auf kleinem Raum konzentriert sind.

8. Lagerstättenkundlich betrachtet, handelt es sich beim Hainholz und Beierstein um qualitativ nicht so hochwertige Vorkommen wie die bereits abgebauten oder im Abbau befindlichen Gipsvorkommen, da sie einen höheren Kalk- bzw. Dolomitgehalt besitzen, stärker verwittert sind und daher auch eine höhere unregelmäßig verteilte Verunreinigung durch Toneinspülungen zeigen. Da im S- und SW-Harz noch eine größere Zahl mindestens ebenso bauwürdiger Gipsvorkommen zur Verfügung steht, ist nicht einzusehen, weshalb gerade diese beiden noch unberührten und einmaligen Vorkommen zerstört werden sollen.

So erscheinen der Beierstein, vor allem aber das Hainholz aus karstmorphologischen, (hydro)geologischen, archäologischen, botanischen und zoologischen Gründen als besonders schutzbedürftig. Hier ist im Vergleich mit den anderen Gipsarealen Deutschlands eine große Häufung von Karstphänomenen aller Art sowie biologischer Seltenheiten gegeben, so daß mit der Unterschutzstellung des genannten Gebietes ein Gipskarstgebiet besonderer Eigenart in seiner natürlichen Ursprünglichkeit erhalten werden kann.

Wird eine endgültige Unterschutzstellung erreicht, so werden seitens der Naturhistorischen Gesellschaft gegen den Abbau aller anderen Gipsvorkommen in Niedersachsen keine Einwände mehr erhoben.


Schrifttum

BERGMANN, A .: Die Großschmetterlinge Mitteldeutschlands. - (Urania) Jena 1951.
BIESE, W. Entstehung der Gipshöhlen am südlichen Harzrand und am Kyffhäuser. - Abh. preuß. geol. L.-A., N. F. 137, Berlin 1933.
HAEFKE, F.: Karsterscheinungen im Gips am Südharz. - Mitt. Karst- u. Höhlenforsch., 1926.
HEMPEL, L.: Struktur- und Skulpturformen im Raum zwischen Leine und Harz. - Gött. geogr. Abh. 7, Göttingen 1951.
HERRMANN, A.: Vergipsung und Oberflächenformung im Gipskarst. - Ber. 3. Internat. Speläologen-Congr., Wien 1963.
HERRMANN, A .: Gips- und Anhydritvorkommen in Nordwestdeutschland. - Silikat-Journal 3, Selb/Bay. 1964.
PETRY, H.: Beitrag zur Schmetterlingsfauna des Harzes. - Erfurt 1936.
SCHÖNDORF, F.: Naturdenkmäler der Umgebung von Hildesheim. - Mitt. Roemer Mus. 26, Hildesheim 1926.

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