Über die bisher in der Provinz Hannover und den unmittelbar angrenzenden Gebieten aufgefundenen fossilen u. subfossilen Reste quartärer Säugetiere. Von Dr. C. Struckmann. Im Jahre 1875 habe ich im 24. Jahresberichte der naturhistorischen Gesellschaft in Hannover einen Aufsatz „über einige der wichtigsten fossilen Säugethiere der Quartärzeit oder Diluvialperiode in Deutschland mit besonderer Berücksichtigung des nordwestlichen Deutschlands und der Provinz Hannover“ veröffentlicht. Seitdem habe ich der Verbreitung fossiler und subfossiler Säugethierreste in der Provinz Hannover und den unmittelbar angrenzenden Gebietstheilen fortwährend meine Aufmerksamkeit zugewandt, auch meine früheren Beobachtungen durch zahlreiche neue Funde ergänzen können. Während die frühere Uebersicht sich auf die fossilen Säugethierreste der älteren Quartärzeit oder Diluvialperiode beschränkte, habe ich bei der vorliegenden Zusammenstellung auch die Reste der jüngeren Quartärzeit oder der Alluvialperiode, soweit dieselben der vorhistorischen Zeit angehören, berücksichtigt. Reste aus unzweifelhaft recenten, in historischer Zeit entstandenen Bildungen sind dagegen ausser Acht geblieben. Während die diluvialen Knochenreste grösstentheils einen echt fossilen Erhaltungszustand aufweisen, besitzen die Ueberreste aus den jüngeren Ablagerungen eine mehr oder weniger frische, beziehungsweise eine subfossile Beschaffenheit, indem der in den Knochen enthaltene thierische Leim minder vollständig zerstört worden ist. |
aller Einzelheiten auf meine bezüglichen Publikationen 1) Bezug nehme, will ich hier nur erläuternd bemerken, dass die Höhle sich im Zechsteindolomit befindet, eine Länge von 251 m besitzt und auf dem Boden Anhäufungen von Schutt und Lehm enthält, welche an einzelnen Stellen eine Mächtigkeit von 5 m erreichen und durch horizontale Tropfsteinplatten in verschiedene Schichten gesondert werden, welche ganz verschiedenen Altersperioden angehören. Ich nehme an, dass die untersten Ablagerungen mit überaus zahlreichen Resten des Höhlenbären, in welchen aber keine Spur von der Anwesenheit des Menschen hat nachgewiesen werden können, dem unteren Diluvium angehören und bis in die Glacialzeit hinaufreichen, während die mittleren Schichten, welche von mir als dritte und zweite Kulturschicht bezeichnet sind und neben zahlreichen fossilen Resten des Höhlenbären und anderer Diluvialthiere auch einzelne menschliche Artefacte enthalten, dem oberen Diluvium werden zugerechnet werden müssen. Die obere bezw. jüngste Kulturschicht dagegen mit Knochenresten von verhältnissmässig frischer Beschaffenheit und mit zahlreichen rohen Artefacten aus Stein, Thon und Knochen, auch einzelnen Geräthen aus Bronce und Eisen wird aus dem Alt-Alluvium bezw. aus dem neolithischen Zeitalter bis in das Jung-Alluvium bezw. bis in die historische Zeit hineinreichen. Die betreffenden Ueberreste werden auf dem Provinzial-Museum in Hannover aufbewahrt. Zahlreiche andere Knochenfunde sind bei Gelegenheit von Eisenbahnarbeiten und insbesondere bei der Ausbeutung 1) Bisher kommen folgende Arbeiten des Verfassers in Betracht:
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von diluvialen Kiesablagerungen in unseren grossen Flussthälern namentlich im Weser- und Leinethale gemacht worden. Diese Kiesablagerungen erreichen theilweise eine sehr erhebliche Mächtigkeit, z. B. im Weserthale bei Emmern, am Bahnhofe zu Hameln, am Bockshorn unweit Rinteln und im Leinethale bei Northeim, Banteln, Ricklingen unweit Hannover und Seelze zwischen Hannover und Wunstorf. Die meisten Knochenreste diluvialer Säugethiere pflegen sich in den untersten Kieslagen unmittelbar über einer Lehm- und Thonschicht zu finden, welche die untere Grenze der abbauwürdigen Kiesschicht bezeichnet; wahrscheinlich gehören dieselben der älteren Diluvialzeit an. Einzelne fossile Knochen kommen dagegen auch in den höheren Kiesschichten vor und werden dem jüngeren Diluvium angehören. Endlich werden auch im oberen Abraum der Kiesgruben, nicht selten zusammen mit Todtenurnen und prähistorischen Geräthen, Knochenreste von frischerer Beschaffenheit gefunden, welche dem Alluvium angehören. |
liebsten Dank aus, namentlich den Vorständen und Besitzern der grösseren paläontologischen Sammlungen in unserer Provinz, die mir bereitwilligst Kenntniss von den an den verschiedenen Orten aufbewahrten Säugethierresten gegeben haben. Seit längeren Jahren sind bereits die von Herrn Professor Ulrich in einer diluvialen (wahrscheinlich postglacialen) Knochenbreccie in Spalten des Sudmerberges bei Goslar entdeckten, von Giebel und Nehring bestimmten Fledermausreste bekannt. 2)
2) A. Nehring, Uebersicht über 24 mitteleuropäische Quartär-Faunen. Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft. Bd. XXXI (1880). S. 476. Auf diese Abhandlung wird häufiger von mir Bezug genommen werden. |
II. Insektenfresser.
III. Raubthiere.
3) Braunschw. Magazin v. Jahre 1808. Nr. 41. |
5) Die quarternären Faunen von Thiede und Westeregeln nebst Spuren des vorgeschichtlichen Menschen. Separatabdr. aus Archiv für Anthropologie. Bd. X. (1877.) S. 58. 6) Ossemens fossiles. Tom. IV. 1823. pag. 452 und 455, Taf. XXXVI, Fig. 2 und 8. 7) Geschichte der Urwelt. II. Theil. 1823. S. 852. Ossemens fossiles. Tom. IV. pag. 393. 8) Blumenbach, Specimen Archaeologiae Telluris alternum ; in d. Commentationibus Soc. Reg. Scient. Gottingensis. 1816. Vol. III. pag. 12. |
9) Ossemens fossiles. Tom. IV. pag. 293. 10) Woldrich, über Caniden aus dem Diluvium. Abdruck aus dem XXXIX. Bande der Denkschriften der mathematisch-naturwissenschaftlichen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1878. S. 20. |
11) Woldrich, Beiträge zur Geschichte des fossilen Hundes. Separat-Abdruck aus Bd. XI der Mittheilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien. 1881. S. 18 ff. Derselbe, Caniden aus dem Diluvium u. s. w. S. 13. |
12) Geschichte der Urwelt. IL S. 853. 13) Die quartären Faunen von Thiede und Westeregeln. Archiv für Anthropologie. Bd. X. S. 359 ff. 14) Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft. Bd. XXXII. (1880.) S. 658. |
IV. Nagethiere.
15) Nehring, in Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft. Bd. XXXII. (1880.) S. 476. |
16) Nehring, in Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft. Bd. XXXIl. (1880.) S. 476 und 471. 17) Nehring, in Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft. 1883. S. 516. |
V. Wiederkäuer.
18) Nehring, im Archiv für Anthropologie. Bd. X. (1877J. S. 389 ff. 19) Nehring, ebendaselbst. |
20) C. Struckmann, über die Verbreitung des Renthiers. Zeitschrift d. deutschen geologischen Gesellschaft. Bd. XXXII. (1880) S. 751. 21) C. Struckmann, über d. Veränderungen in d. geograph. Verbreitung d. höheren wildlebenden Thiere u. s. w. Kettler's Zeitsch. f. wissensch. Geographie. Bd. III. (1883.) S. 133 f. (Sep.-Abdr. 2. Hälfte. S. 8.) 22) cfr. Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft. Bd. XXXII. (1880.) S. 759. |
23) Steinvorth, Zur wissenschaftlichen Bodenkunde des Fürstenthums Lüneburg. Schulprogramm. 1864. S. 23. |
24) Nehring, über die letzten Ausgrabungen bei Thiede. Separatabdr. aus den Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft. 1882. Heft 4. S. 4 und 6 25) Sitzungsberichte der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin. 1883. S. 68 f. |
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26) Ueber Cervus canadensis cfr. Liebe, die Lindenthaler Hyänenhöhle. II.1878. S. 10. |
27) Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft, Bd. XXXII. (1880.) S. 751. |
28) Zur wissenschaftlichen Bodenkunde des Fürstenthums Lüneburg. Schulprogramm 1864. S.23. |
29) H. Roemer, die geologischen Verhältnisse der Stadt Hildesheim. 1883. S. 80. |
Archiv für Anthropologie. Bd. XIV. S. 215. |
VI. Einhufer.
31) Rütimeyer, Versuch einer natürlichen Geschichte des Rindes. II. Abth. 1867. S. 161 ff. |
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VII. Schweine. (Setigera.).
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32) Commentarii Societatis Gottingensis. Tom. II. (1753.) S. 215. 33) Göttinger gelehrte Anzeigen, 1808. Nr. 88 34) Cuvier, Osseraens fossiles. 1822. Tom. II. pag. 76. 35) Geschichte der Urwelt. Bd. II. 1823. S. 804. 36) J. F. Brandt, Monographie der tichorhinen Nashörner. Petersburg 1877. S. 58. |
37) H. Roemer, 1. c. S. 80. |
Flüsse in grosser Häufigkeit, während solche aus jüngeren Bildungen mit Sicherheit nicht bekannt sind. In Folge ihrer Grösse sind die Knochen und Zähne bereits in älterer Zeit beachtet und Berichte über derartige Funde liegen zahlreich vor, von denen ich die hauptsächlichsten hier erwähnen will. 38) Krüger, Geschichte der Urwelt. Bd. IL 1823. S. 825. Cuvier, Ossemens fossiles. Tom. I. 1821. pag. 130. 39) Göttinger gelehrte Anzeigen. 1808. Nr. 88. 40) H. Roemer, 1. c. S. 16. |
Zahlreiche Knochenreste und Zähne aus den Kiesgruben im Leinethale bei Edesheim unweit Northeim, Banteln, Betheln unweit Gronau, Nordstemmen, Rethen, Ricklingen bei Linden und Seelze zwischen Hannover und Wunstorf. (Göttinger Museum, Provinzial-Museum, in meiner Sammlung.) |
tichorhinus im Jahre 1871 beim Bau der Eisenbahn von Uelzen nach Salzwedel in einer torfigen Wiese unweit des Dorfes Wieren im Amte Oldenstadt; die Fundschicht gehört anscheinend nicht dem Diluvium, sondern dem Altalluvium an. Reste von Walthieren sind mehrfach in quartären Bildungen vorgekommen; insbesondere sind in Ostfriesland in der von See-Alluvionen bedeckten, unter dem Namen Darg bekannten Torfschicht an verschiedenen Orten Zähne von grossen, nicht näher bestimmten Delphinen ausgegraben worden. (Museum in Emden, meine Sammlung.) Ferner haben sich einige Male im Lüneburgischen und zwar in Sandgruben — nähere Angaben fehlen leider — Cetaceen-Reste gefunden, welche auf den Museen in Lüneburg und Hannover aufbewahrt werden. |
überall mit Sicherheit nachzuweisen ist, ob die Funde dem unteren oder oberen Diluvium, dem Alt-Alluvium oder Jung-Alluvium angehören, so habe ich in derartigen zweifelhaften Fällen die Zahlen in die Mitte von zwei angrenzenden Rubriken eingetragen. Die letzten 3 Spalten der Tabelle weisen nach, ob die betreffenden Arten oder deren directe Nachkommen noch jetzt bei uns leben, bezw. ob dieselben aus unserer Gegend verdrängt oder aber jetzt völlig ausgestorben sind. |
Von den aufgeführten 54 Arten gehören also noch 34 Arten der jetzigen Fauna der Provinz Hannover an, 12 Arten sind zwar aus unserer Gegend verdrängt, leben aber noch in anderen Gegenden der Erde, 8 Arten sind dagegen völlig ausgestorben. Zu letzteren habe ich auch den Höhlenlöwen (Felis spelaea) gerechnet, obwohl es nicht unwahrscheinlich ist, dass der noch jetzt lebende Löwe von dem fossilen Löwen specifisch nicht verschieden ist. Die Reihe der bei uns vorkommenden fossilen Säugethiere wird durch vorstehende Liste keineswegs erschöpft sein; vielmehr ist mit Sicherheit anzunehmen, dass dieselbe bei weiterer Forschung noch eine ansehnliche Bereicherung erfahren wird. |
Jahresbericht Naturhistorische Gesellschaft Hannover 33:21-54