"Wie das Einhorn erfunden wurde" Einhornhöhle - alleine der Name dieser Höhle hat bereits einen mystischen Touch. Jahrhundertelang stand ja auch das Ergraben des Einhorns hier im Vordergrund und machte diese Höhle weit über die Grenzen des Harzes bekannt und berühmt. Und auch heute noch wird bei Führungen immer wieder nach dem Einhorn gefragt." Wie es in die Höhle kam, wie es hier lebte, wo denn die Knochen liegen, und ob vielleicht sogar "gleich dem Urmel aus dem Eis" aus der Dunkelheit des nächsten Höhlenganges auf uns zu kommt????" - Anlass, für ein paar Minuten in die Vergangenheit zurück zu schweifen zu den Zeitzeugen des sagenumwobenen Einhorns ... Die "Erstbeschreibung" des Einhorns reicht fast zweieinhalb Jahrtausende zurück. Der Leibarzt der Perserkönige Artaxerxes II. und Darios II., Ktesias von Knidos, beschrieb das Tier um 400 vor unsere Zeitrechnung wie folgt. "Das Einhorn gleicht dem Pferde, ist nur ein wenig größer, weiß am Körper und rötlich am Kopf. Seine Augen sind blau und auf der Stirn trägt es ein einziges, mächtiges, eine Elle langes Horn. Das Horn ist unten zunächst weiß, dann schwarz und an der Spitze feuerfarben". Seither bewegt dieses Fabeltier bis heute die menschliche Phantasie, auch wenn es zwischenzeitlich als nicht existent entlarvt wurde. Es gab viele Geschichten, Gerüchte und Wunschträume zu diesem Tier, das immer außerordentlich schwer zu jagen war und nie gefangen wurde, da es sich als "ungemein flüchtig" zeigte. Später kam die Legende auf, das scheue Geschöpf lasse sich nur zu Füßen einer Jungfrau, von deren Unberührtheit es magisch angezogen werde, gefangen nehmen. Aber auch das hatte nie einen Erfolg. Auch der römische Feldherr und Imperator Julius Cäsar (100-44 v.u.Z.) wurde ein Fan des Fabeltiers. Im "De Bello Gallico", in dem er seine Feldzüge gegen die Kelten schilderte, berichtete er vom Einhorn. Ihm waren Geschichten zugetragen worden, dass solche seltsamen Wesen im Herzynischen Wald lebten. Dieser Wald sei so groß, dass ein Reisender ihn nicht in 60 Tagen durchqueren konnte. Cäsars Beschreibung des Einhorns: "Es sieht aus wie ein Hirsch, auf dessen Stirn in der Mitte zwischen den Ohren ein einziges Horn wächst, länger und gerader als alle Hörner, die wir kennen". Eine andere Darstellung des Einhorn-Exemplares, welches die Königin Kendace einst Alexander dem Großen (356-323 v.u.Z.), dem Eroberer Indiens, geschenkt haben soll, gibt ein Priester im Jahre 1130. Dieses Tier, das mutmaßlich ein großes langes Horn auf der Stirn trug, hatte einen Pferdeleib, den Kopf eines Hirsches den Schwanz eines Schweins, und die Füße eines Elefanten. Doch vielleicht passte diese Beschreibung auch zu einem tatsächlich lebenden, aber den Europäern nicht weiter bekannten Tier: dem Indischen Nashorn. Deshalb blühte ihre Phantasie über ein Fabeltier, das sie Einhorn nannten. Funde von Knochen und Zähnen großer Tiere beim Mergelabbau in Karstschlotten des Hainholzes bei Osterode-Düna führten 1751 dann zu aufsehenerregendem Fortschritt in der paläontologischen Forschung und einer Erstbeschreibung des (Wollhaar-)Nashornes in der anatomischen Literatur. Insgesamt wurden drei Nashörner in einer Schlotte gefunden. Der Göttinger Anatom Ch.Hollmann erkannte in den Funden bereits einen Wandel im Reich der Tiere und grenzte seine Faunenbeschreibung - immerhin 100 Jahre vor Darvin - deutlich ab von den biblisch orientierten Vorstellungen einer durch die Sintflut verursachten Tierkadaverdrift tropischer Tiere bis in unsere Breiten. Das Problem war einfach auch, dass man sich keine Gedanken machten konnte und wollte, dass es in früheren Zeiten andere richtige Tiere gab, die nicht nur das Ebenbild unserer heute lebenden Tierwelt wie die uns umgebenden Haustiere Hund, Rind, Pferd, Schaf oder Schwein waren. Deshalb die lange Blütezeit der Fabelwesen, zu dem sich neben dem Einhorn auch noch ganz andere Kreaturen gesellten, die man aus den Knochenresten eiszeitlicher Grosssäuger "erfand". Auch die Schädel einäugiger Riesen auf Zypern sind nur Mammutknochen.
Auch Othenio Abel (1875-1946), der damalige Direktor des Paläontologischen Instituts der Universität Göttingen, vermutete in seinem Werk "Vorzeitliche Tierreste im deutschen Mythus, Brauchtum und Volksglauben", dass fossile Tiere einfach nicht in die Vorstellungskraft der Leute dieser Zeit passten, so dass schließlich ein rein phantasiemäßig geschaffenes Fabeltier entstand. "Die Vorstellung von der Existenz des Einhorns, dessen bezeichnendes Merkmal ein langes, steil von der Stirne in die Höhe ragendes Horn sein sollte, ist dem germanischen Kulturkreis ursprünglich ganz fremd gewesen und erst spät bei uns eingebürgert worden", so Othenio Abel. "Die Gestalt des Einhorns sei orientalischen Ursprungs und habe nur allmählich auf dem Umweg über die Gelehrtenstuben und die Mönchszellen des Mittelalters ihren Weg in das Volk gefunden, sich dann jedoch zäh behauptet." - bis in unsere Zeit hinein, denken wir nur an Beispiele an die phantasievolle Verfilmung von "the last unicorn" und die allgegenwärtigen Einhörner in den Spielzeugläden. In dem Buch "Meine Jagd nach dem Einhorn" führte der schwedische Zoologe Bengt Berg (1885-1967) aus, das all diese Kennzeichen, die dem Einhorn zugeschrieben wurden, passend für das Nashorn seien. Er führt zudem aus, dass angetrockneter heller Schlamm, der aus der Suhle kommende Tiere anhaftet, verantwortlich sei für die von Ktesias genannte "weiße Farbe" des Einhorns. Auch die Darstellungsweise des Einhorns von Aristoteles, Plinius und Aelianus ist eigentlich die des Indischen Nashorns. Dem Horn des sagenhaften Tieres schrieb man im Mittelalter mannigfaltige Wunderkraft zu, hatte doch bereits der antike griechische Arzt festgestellt, dass Becher, die aus dem Horn eines Einhorns angefertigt werdenden Trinker vor Gift und Epilepsie schützten. Es reinigte angeblich Wasser, und Waldtiere tranken nur aus einer Quelle, in die das Horn getaucht wurde. Der pulverisierten Hornsubstanz traute man ferner zu, Gift in Speisen und Getränken erkennbar zu machen. Dies machte es bei Herrschern und anderen Reichen, die Anschläge auf ihr Leben fürchteten, sehr begehrt. Bereits Hildegard von Bingen um 1150: "Die Leber wird gegen Aussatz und ähnliche Leiden angewandt; ein aus der haut geschnittener Gürtel schützt gegen die Pest und Fieber. Ein unter das Eß- und Trinkgeschirr gelegter Huf läßt bei warmen Speisen und Getränken durch Heisswerden, bei kalten durch Rauchen erkennen, ob Gift beigemischt ist." Außerdem galt das zunächst seltene Hornpulver als unfehlbares Mittel gegen Biss und Stich. War das Einhorn selbst Symbol der Jungfräulichkeit und Keuschheit, so stand sein Horn allerdings in gegensätzlichem Ruf: es sei, als Pulver eingenommen, ein altbewährtes Aphrodisiakum und Potenzmittel. Eine mit dem Pulver gemixte Medizin namens "Bezoardisches Schießpulver" half unbedingt gegen die Pest, wie wichtig in diesen Zeiten! Woher war nun die begehrte, zunächst rare und teure Einhornsubstanz zu bekommen. Zunächst dienten Mammut-Stosszähne als Einhorn, aber die Nachfrage erschloss zusehend andere Quellen: Höhlenbärenknochen und -Zähne mussten herhalten. Gerade die Eckzähne der Höhlenbären erwiesen sich als geeignet. Neben Höhlen im Süddeutschen und im alpinen Bereich war eine Höhle dank ihres gewaltigen, scheinbar unerschöpflichen Knochenreichtums schon seit langem bekannt: Die Zwergenlöcher oder auch Scharzfelder Höhle im Südharz! Bereits in den ersten Berichten über die Höhle zu Anfang des 16. Jahrhunderts wird von "jahrzentelangem" Graben nach dem Einhorn berichtet. Da man gerade diesen zu Pulver zermahlenen tierischen Resten heilende Kräfte zuschrieben, begann damit ein schwunghafter Handel mit dem Material aus der nun danach benannten Einhornhöhle. "Die in der Höhle gefundenen Knochen und Zähne werden in ganz Deutschland zum Arzneigebrauch verhandelt, und da jeder nach Belieben dort gräbt, so wird dieser merkwürdige Stoff in dem engen Raum wohl bald erschöpft sein." Dies schrieb der in Hannover wirkende Staatsmann und Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), der die Einhornhöhle bereits vor 1700 aufsuchte, um hier Studien zu treiben. Er konnte natürlich im Entferntesten nicht ahnen, dass der Fundus in der Höhle bis heute nicht erschöpft ist. Die "Leibnizhalle" wurde später nach diesem berühmten Besucher benannt. Leibniz glaubte (selbstverständlich) noch an die Existenz des Einhorns. In den Apotheken des Mittelalters und der frühen Neuzeit wurde das aus zerstoßenen vermeintlichen Einhornknochen hergestellte Pulver mit Gold und Silber aufgewogen, weil das "gegrabene Einhorn" - auch "Unicornu fossile" genannt - als eine Art Allheilmittel galt. Viele Apotheken in Deutschland und in den Alpenländern wählten deswegen das Einhorn - neben dem Ort Scharzfeld selbst - zu ihrem Wappentier. Noch heute gibt es über 100 "Einhornapotheken".
Es gab bis ins 17. Jahrhundert hinein eine allgemeine Hochschätzung und einen großen Bekanntheitsgrad dieses lebend nie gefangenen und in einer anatonischen Vollständigkeit nie ergrabenen Wundertieres. Die angebliche Entdeckung eines Einhorns in deutschen Landen erregte somit ungeheures Aufsehen! Der Magdeburger Bürgermeister Otto von Guericke (1602-1686), als der Erfinder der Luftpumpe bereits berühmt, berichtete über einen sensationellen Skelettfund aus einer Gipsdoline auf dem Zeunickenberg bei Quedlinburg, zu dem man ihn rief. Vor Ort mit der Zusammensetzung der Knochen betraut, fertigte er davon eine Zeichnung an, die er Leibniz zukommen ließ. Das uns heute bekannte und der Höhle als Symbol dienende Einhornskelett war kreiert und erfunden. Guericke hatte (nach der Fundlage und dem Inventar von mehreren nicht vollständigen Tieren, würden wir heute sagen) ein seltsames Tier gezeichnet: Es stand nur auf zwei Beinen und stützte sich mit einem langen Schwanz ab, an dem noch eine Art Rad sichtbar war.
Über die Natur des Einhorns wie auch die Herkunft der Knochen waren sich zuvor über Jahrhunderte hinweg sowohl Anwender als auch Apotheker und Forscher unklar. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wiesen Naturkundler wie der Franzose G.Cuvier, Begründer der Wirbeltierpaläontologie und guter Kenner der Südharzfunde, das Einhorn in das Reich der Fabel. In Wirklichkeit handelte es sich, wie man heute weiß, bei der Konstruktion Guericke/Leibniz um Überreste vom Mammut. Aber auch hier die Ironie der Forschungsgeschichte: Cuvier bezeichnete das Einhorn nämlich als ausgestorbenes Wollnashorn, anstatt es - was richtig gewesen wäre - als Urelefant zu kennen. Man hatte bei all diesem Eifer, bei dem sich alles nur um das Einhorn drehte, zudem vergessen, dass bereits ein Herr Horst 1656 und damit vor dem Besuch von Leibniz in der Höhle, die Einhornfunde in der Einhornhöhle richtigerweise als Reste von Bären, Löwen und Menschen beschrieb ...... |