Interdisziplinäre Aspekte eines potentiellen Naturschutzgroßprojektes Zechsteinlandschaft Südharz/Kyffhäuser MICHAEL BRUST, Sondershausen, FRIEDHART KNOLLE, Goslar & MANFRED KUPETZ, Freiberg 1. Einführung Die 16. Generalkonferenz der UNESCO beschloß im Oktober 1970 ein ökologisches Programm zu verwirklichen, das unter dem Leitthema "Der Mensch und die Biosphäre" (MAB) als zentrales Element Biosphären-Reservate beinhaltet. Im Unterschied zum herkömmlichen Verständnis des Naturschutzgedankens, der sich dem Schutz unberührter Natur bzw. naturnaher Biotope verpflichtet sieht (z. B. im Sinne des § 14 Bundesnaturschutzgesetz), schließen die Biosphären-Reservate auch jene durch traditionelle Wirtschaftsweisen entstandenen Kulturlandschaften ein, die für weite Teile Mitteldeutschlands charakteristisch sind. Der Südharz und Kyffhäuser bilden eine naturräumliche Einheit von geogen bedingter Eigenart. Bestimmendes Element der intensiv verkarsteten Zechsteinlandschaft sind z.T. großflächige Ausstriche von Gipsgestein, das in dieser Mächtigkeit und Ausprägung in Mitteleuropa sonst nicht weiter vorkommt. Angesichts dessen kann die Bilanzierung naturschutzrechtlich gesicherter Flächen- bzw. Einzelformen und naturschutzrelevanter Gebiete nicht zufriedenstellen. Die grundsätzliche Eignung der Zechsteinlandschaft Südharz/Kyffhäuser für ein potentielles Naturschutzgroßprojekt soll im Nachfolgenden begründet und interdisziplinäre Aspekte aufgezeigt werden, die eine Eintragung in die UNESCO-Liste der Biosphären-Reservate rechtfertigen. 2. Historische Nutzung des Gebietes Im Gipskarstgebiet Südharz/Kyffhäuser wurde die traditionelle Landnutzung spätestens seit den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts schrittweise aufgegeben. Mindestens für den Kyffhäuser ist eine deutliche Zunahme der Bewaldung bzw. Bebuschung festzustellen, die das Artenspektrum deutlich reduziert hat und gegenwärtig einen kritischen Punkt zu überschreiten scheint. Mit dem Niedergang des Bergbaus auf Kupferschiefer und dem Rückgang der Kochsalzgewinnung als Siede- oder Salinensalz sank der örtliche Bedarf an Gruben- und Brennholz, der Bau von Eisenbahnen erlaubte zudem den preisgünstigen Antransport fossiler Brennstoffe. Spätestens zeitgleich dürfte die Beweidung des nackten Gipskarstes mit Schafen und die jährliche Eichelmast im grünen Gipskarst bei der Schweinehaltung nicht mehr rentabel gewesen sein. Der zunehmende Bedarf an Baustoffen (vor allem Gips und Anhydrit, aber auch Dolomit) führte mit der Einführung der Technologie von Großtagebauen zu gravierenden Verlusten von Flächen mit naturnahen Biotopen, insbesondere in den Landkreisen Nordhausen und Osterode am Harz. Die geogen bedingte Formenwelt einer Karstlandschaft, wie sie im Südharz/Kyffhäuser unter den bisherigen Naturschutzgroßprojekten des Bundes und Biosphären-Reservate einmalig gegeben ist, wurde bisher in ihrer Gesamtheit nicht als naturschutzrelevant angesehen.
3. Charakteristik des Gipskarstgebietes Die Gipskarstgebiete des Südharzes und Kyffhäusers sind eine landschaftliche oder naturräumliche Einheit von geogen bedingter Eigenart, engräumiger Vielfalt naturnaher Strukturen und hervorragender landschaftlicher Schönheit. Entlang des westlichen bis südöstlichen Randes von Harz und Kyffhäuser erstreckt sich ein jeweils zusammenhängender Streifen zechsteinähnlicher Gesteine, ca. 250 Millionen Jahre alt. Den Zechstein bilden Meeresablagerungen überwiegend löslicher bis stark löslicher Gesteine (Dolomit, Anhydrit, Gips und Salze). Bestimmendes Element sind z.T. großflächige Ausstriche stark verkarsteten weißen Gipsgesteines (nackter Karst), das in dieser Mächtigkeit und Ausprägung in Deutschland sonst nicht vorkommt. Die hohe Gesteinslöslichkeit (z. B. 2 g Gips in 1 Liter Wasser) in Verbindung mit dem humiden Klima (bis 800 mm Jahresniederschlag) hat in geologisch äußerst kurzer Zeit eine Landschaft extremer Verkarstungsintensität und Vielfalt an Gipskarstformen geschaffen, die auch in Europa einmalig ist. Verkarstungsfähige Gesteine sind sowohl Gips und Anhydrit (Sulfatgesteine), als auch Kalk und Dolomit (Karbonatgesteine). Für den Tiefenkarst sind die Salzgesteine (vor allem Steinsalz) von Bedeutung. Dabei ist die gesteinsspezifisch unterschiedliche Verkarstungsintensität nicht nur von der Löslichkeit an sich abhängig, sondern auch von der örtlichen lithostratigraphischen, tektonischen und hydrographischen Situation. Das bewegte Relief hatte stets die Bebaubarkeit sowie land- und forstwirtschaftliche Nutzbarkeit stark eingeschränkt. Die verkarsteten Teile dieser Landschaft sind daher in naturnahem, z. T. unberührtem Zustand. Es dominieren die besonders schutzwürdigen Einheiten der Kalkbuchenwälder und der (Halb-) Trockenrasen. Die Zechsteinlandschaft Südharz/Kyffhäuser ist als Randgebiet des intensiv für den Fremdenverkehr genutzten Harzes bereits mittelfristig für ein extensives Erholungswesen, für extensive Formen der Bodennutzung und für den Tier- und Pflanzenartenschutz sowie den Schutz des Karstes und deren Dynamik vorrangig zu entwickeln. 3.1. Gebietsgrößen und -abgrenzungen Das Gipskarstgebiet erstreckt sich von Badenhausen bis Pölsfeld auf einer Länge von 100 km entlang des südlichen Harzrandes, von Heringen bis Ichstedt entlang des südlichen Kyffhäusers über 20 km und von Hettstedt bis Wimmelburg am östlichen Harzrand über ca. 15 km und umfaßt eine Gesamtfläche von rund 780 km2. Im Sinne der Zonierung eines Biosphären-Reservates wären die vorhandenen bzw. die zu erweiternden und die neu zu bestätigten NSG als Kernzonen aufzufassen, die bestehenden bzw. zu erweiternden LSG als Pufferzonen sowie deren Umgebung als Übergangszone. Hinsichtlich der Suchräume bedarf es jedoch einer gründlichen Diskussion. Die Gesamtzahl von 128 verkarsteten Teilflächen (kleinere oder wenig bedeutsame Flächen nicht gerechnet) belegt die hohe Dichte typischer und schutzwürdiger Bereiche des Gipskarstes im Südharz: Osterode a.H. 63, Nordhausen 43 und Sangerhausen 22. Die Auswertung der Teilgebiete Kyffhäuser und Wimmelburg/Hettstedt ist gegenwärtig noch nicht abgeschlossen.
(Entwurf R. NIELBOCK ) 1 - Suchraum Biosphären-Reservat; 2 - Abgrenzung Harzvorland und Kyffhäuser; 3 - Grenzen der Bundesländer; 4 - Abbaugebiete Gips/Anhydrit; 5 - Gebiete hoher touristischer Belastung3.2. Das karstmorphologische Inventar Höhlen sind nicht nur die von der breiten Öffentlichkeit augenscheinlich noch am ehesten wahrgenommenen Karstformen im Südharz und Kyffhäuser, sondern auch seit fast einem Jahrhundert ein traditionelles Feld ehrenamtlicher Forschung auf Vereinsbasis. Die Zahl der Höhlen wurde auf der Grundlage von Zuarbeiten verschiedener Vereine zuletzt durch WINKELHÖFER (1982) für das Gebiet der ehemaligen DDR veröffentlicht. Mit Nachträgen waren seinerzeit für das Katastergebiet Kyffhäuser 58 und für das Katastergebiet Sangerhausen-Nordhausen 69 Höhlen registriert. Die Zahl der bekannten Höhlen in den Landkreisen Sangerhausen und Nordhausen ist durch die Feldforschung des Karstmuseums Uftrungen wesentlich höher zu veranschlagen, jedoch liegen dazu gegenwärtig keine zitierfähigen Angaben vor. Im Landkreis Osterode sind per 1.1.91 im Kataster 95 Höhlen des Zechsteinkarstes erfaßt. Das karstmorphologische Inventar der Region umfaßt weit über 30000 Karsthohlformen der Oberfläche wie z. B. Erdfälle, Dolinen, Poljen und Uvalas. Als Beispiele seien an dieser Stelle der Bauerngraben bei Roßla und der Nixsee bei Tettenborn als Poljen, die Pfanne bei Rottleben, die Äbtissinnengrube bei Bad Frankenhausen und das Gebiet um die Kelle bei Woffleben als Erdfälle genannt. Eine Erdfallkartierung von HARTMANN et al. (1986) auf 60 Blättern der Deutschen Grundkarte (Maßstab 1 :5000) erfaßte im Landkreis Osterode 7707 Objekte. Dabei kann aus definitorischen und methodischen Gründen von rund 10000 Erdfällen ausgegangen werden. Interessant ist eine überschlägige Berechnung, die eine Erdfalldichte von rund 50 Erdfällen pro Quadratkilometer ergab. Von den über 200 Höhlen sind die Barbarossahöhle, die Heimkehle und die Einhornhöhle (im Zechsteindolomit) als Schauhöhlen der Allgemeinheit zugänglich. Darüber hinaus sind die Questenhöhle, die Himmelreichhöhle, die Jettenhöhle, die Marthahöhle, die Große Trogsteinhöhle, die Numburghöhle, die Wimmelburger Schlotten, die Elisabethschächter Schlotte und die Segen-Gottes-Schlotte besonders bekannt oder von Bedeutung. Die Rhumequelle, der Salzaspring und die Förster Quellen besitzen mehr als 15 Mio m3 Jahresschüttung. Darüber hinaus sind weitere ca. 100 Karstquellen und etwa ebensoviele Bachschwinden (Bauerngraben, Dinsterbachschwinde, Ankenbergschwinde, Hellengrundschwinde, Trogsteinschwinde, Nixseeschwinde, Itelschwinde u.a.) bzw. Flußversinkungen (Sieber, Oder, Steina, Uffe, Wieda, Zorge, Sachsengraben, Thyra u.a.) bekannt. Estavellen gehören zu den Sonderformen der Karsthydrologie. Nach den Karstlandschaftstypen sind insbesondere nackter Gipskarst (unter Wald: "grüner Karst"), bedeckter Karst unter Buntsandstein oder tertiären bis quartären Lockersedimenten und Dolomitkarst mit jeweils engräumiger Hohlraumbildung und nachfolgender Erdfallbildung sowie Tiefenkarst im Zechsteinsalinar mit flächenhafter Ablaugung unter Bildung eines Salzspiegels und großräumiger Oberflächensenkung zu unterscheiden. Im Tiefenkarst, beispielsweise des Frankenhäuser Tales, entstehen infolge des Schichteneinfallens auch sogenannte geneigte Salzhänge. Die durch den Tiefenkarst gebildeten Trockentäler (besser Trockensenken) sind charakterisiert durch das Fehlen einer natürlichen Sohlenlinie. Die Oberflächensenkungen sind in ihrer räumlichen Anordnung zufälliger Natur. Tertiäre Braunkohlenvorkommen bei Bendeleben weisen ganz engräumig begrenzte F1özverdickungen auf, woraus sich eine kurzzeitige Absenkung schließen läßt. Auch die Mächtigkeit der Quartärsedimente kann infolge des Tiefenkarstes erhebliche Unterschiede aufweisen. 3.4. Schutzwürdige bzw. natur- und kulturraumtypische Biotope und Vegetationseinheiten Der Kalkmagerrasen (Festuco-Brometea) ist auf Gips, Dolomit und Kalk als Halbtrockenrasen (Mesobromion) v.a. mit den Gesellschaften des Enzian- Halbtrockenrasens (Gentiano-Koelerietum-seslerietosum) im subatlantisch geprägten Klima des Südwestharzes und als Trockenrasen (Xerobromion) im subkontinental getönten Klima des Südostharzes und des Kyffhäusers (Steppenrasen, Festucetalia valesiacae) ausgebildet. Zum Teil flächengleich mit Magerrasen sind Streuobstwiesen in besonders weitflächiger Ausprägung vor allem in den Landkreisen Artern, Nordhausen und Sangerhausen vorhanden. Die Felsfluren als Steilhänge oder unter (Halb-) Trockenrasen oder Wald sind je nach Exposition mehr oder weniger durch Solifluktion geprägt. Die Kalkbuchenwälder (Carici- und Melico-Fagetum) auf Gips, Dolomit und Kalk finden sich in naturnaher Ausprägung in Schluchtwaldgesellschaften der Karsthohlformen und als wärmeliebende Laubwälder auf trockenen Südexpositionen. Die stehenden Karstgewässer (z. B. Kleingewässer in Erdfällen und Poljen) und deren Ufergesellschaften sind durch extrem stark schwankende Wasserstände (5-10 m bis episodischen Trockenfallens) geprägt. In den Karsthohlformen finden sich auch Übergänge von Anmooren zu Nieder- und Kleinsthochmooren. 3.5. Schutzwürdige und gebietstypische Pflanzenarten und -standorte Der Gipskarst verfügt über arten- und individuenreiche Sonderstandorte, dazu zählen u. a. Pilze (im grünen Karst örtlich über 400 Pilzarten), Farne in Erdfallwänden (z. B. Hirschzunge), Flechten auf Felskuppen und im schütteren Magerrasen selbst (z.B. Bunte Erdflechtengesellschaft) und eiszeitliche Reliktformen auf Gipssteinhängen (z. B. Kriechendes Gipskraut, Blaugrasrasen oder Alpen-Gänsekresse). Einzelne Standorte bergen Restvorkommen einer Pflanzenart im jeweiligen Bundesland (z. B. Einknollige Honigorchis, Alpengänsekresse oder Einfache Wiesenraute). Im Südosten des Gebietes befinden sich extrem trockene Südstandorte mit Steppenheiden oder Hainbuchen-Winterlinden-Traubeneichen-Mischwald. Zu den besonders schutzwürdigen, allgemein bekannten Arten zählen Aronstab, Seidelbast, Türkenbundlilie, Hirschzunge, zahlreiche Orchideenarten feuchter, halbschattiger und trockenwarmer Standorte, Deutscher Enzian, Erdsterne, Diptam u.a. Die Salzflorenstätten Nordthüringens sind unmittelbar an den Tiefenkarst gebunden, insbesondere an Solquellen (Artern, Numburg und Auleben) und an Riedgebiete, sofern diese sich noch in naturnahem Zustand befinden (NSG Schloßberg-Solwiesen, Esperstedter Ried). 3.6. Schutzwürdige und gebietstypische Tierarten Die Karsthöhlen der Region sind faunistisch von besonderem Interesse, wobei neben verschiedenen Fledermausarten zahlreiche Kleinlebewesen (z.T. reliktisch) vorkommen. Vergleichende Untersuchungen in Höhlengewässern und im Grundwasser des Südharzes hat SPANGENBERG (1973) durchgeführt. Neben Fledermäusen mit mehr als 12 Arten sind Schläfer (Bilche), der Dachs mit Bindung an Karstspalten zur Bauanlage und Wildkatzen mit im Südostharz dichtester Besiedlung in Europa hervorzuheben. An Amphibien mit besonderer Bindung an Karstgewässer sind insbesondere alle vier Molcharten, Feuersalamander, Geburtshelfer-, Knoblauch- und Kreuzkröte sowie Laubfrosch zu nennen. Die Kreuzotter, Ringel- und Glattnatter, Blindschleiche sowie mehrere Eidechsenarten gehören zu den in der Region vorkommenden Reptilien. Für die Avifauna des Gebietes sind bestandsbedrohte und vom Aussterben bedrohte thermophile Arten der halboffenen Landschaft typisch. Zu ihnen gehören Steinschmätzer, Heidelerche, Neuntöter, Wiedehopf und Steinkauz. In waldbestockten Teilen brüten u.a. Schwarzstorch und Mittelspecht. Charakteristische Bewohner der Kalkbuchenwälder sind Schwarzspecht, Hohltaube und Rauhfußkauz. Die Goldene und Diamantene Aue sind traditionelle Weißstorchbrutgebiete mit z. Z. 6 Brutpaaren. Das "International bedeutsame Feuchtgebiet Helmestausee" ist einer der wichtigsten Rastplätze für Wat- und Wasservögel in Mitteldeutschland. Bisher wurden dort 241 Vogelarten nachgewiesen, davon 91 als Brutvögel. Bedeutsam ist ferner die Insektenfauna der Magerrasen und der Kalkbuchenwälder. Zu den entomologisch umfassend bearbeiteten Gebieten gehört das NSG Kattenburg mit einer bedeutenden Zahl seltener mediterraner und kontinentaler Arten. 4. Über das Gebiet vorliegendes Kenntnismaterial Der Forschungsstand und die Literatur über den Südharz und Kyffhäuser sind insgesamt gut und für Teilräume überdurchschnittlich gut. Die interessantesten Karstlandschaften reizten Naturforscher schon vom 17. Jahrhundert an. Seit den 30er Jahren dieses Jahrhunderts liegen die Ergebnisse vielfältiger Kartierungen und Grundlagenforschungen durch alle Universitäten des mitteldeutschen Raumes einschließlich Berlin, Dresden, Freiberg/Sa. und Hamburg vor. An Forschungsschwerpunkten sind insbesondere zu nennen: Geologie (einschließlich Lagerstätten- und Bergbaukunde des Kupferschiefers und der Kali- und Steinsalzvorkommen), Biotopkartierungen bzw. faunistisch-ökologische Untersuchungen, Pflege- und Entwicklungsplanungen für den Naturschutz, Karst- und Höhlenkunde, Landesentwicklung und Kulturgeschichte sowie Ur- und Frühgeschichte. Die bei aller notwendigen Differenzierung insgesamt mehr als beachtlichen Ergebnisse aus der Forschungstätigkeit der karst- und höhlenkundlichen Vereine sind von der akademischen Wissenschaft nur sehr zögerlich zur Kenntnis genommen worden. Die strenge Zensur und fehlende Publikationsmöglichkeiten, soweit es die damalige DDR betrifft, sind darüber hinaus als Gründe dafür anzusehen, daß ein wesentlich umfassenderer Kenntnisstand zum karstmorphologischen Inventar des Südharzes und Kyffhäusers vorliegt, als es gemessen an den vorliegenden Veröffentlichungen zu vermuten wäre. In den Handbüchern der Naturschutzgebiete der DDR, Band 3 (Bezirke Magdeburg und Halle/S.) und Band 4 (Bezirke Erfurt, Suhl und Gera) finden sich überblicksartige Darstellungen der NSG (Stand etwa 1970), die in spezifischen Empfehlungen münden (wissenschaftliche Aufgabenstellung). Obwohl BAUER et al. (1974) feststellen, daß der Südharzer Zechsteingürtel und ebenso der Kyffhäuser gut mit NSG ausgestattet sind, werden die geogenen Bedingungen weitgehend unberücksichtigt gelassen und das karstmorphologische Inventar wird als naturschutzrechtlich irrelevant ausgeklammert. Als Folgen dieser Unterlassung sind Verluste zahlreicher Einzelformen und Teilflächen des Gipskarstes zu beklagen, z.B. durch Rohstoffgewinnung (Gips- und Anhydritabbau) im Landkreis Nordhausen, durch raumgreifende, unverträgliche touristische Nutzung (private Erholungsbauten) in den Landkreisen Artern, Sondershausen und Sangerhausen und durch Verfüllung von Erdfällen mit Abfällen ("wilde Müllablagerung"). 4.1. Vordringlich noch benötigte Kenntnisse Im Zusammenhang mit der Festlegung von Suchräumen für ein Naturschutzgroßprojekt werden kurzfristig folgende Kenntnisse für weitere Planungen und Entscheidungen benötigt:
Mittelfristig werden zusammenschauende Bestandsaufnahmen und -darstellungen zur gesamten naturräumlichen Ausstattung des Südharzes und Kyffhäusers einschließlich einer Synthese des bisherigen Forschungsstandes über alle (bisherigen) politischen und administrativen Grenzen hinweg vorzunehmen sein. Diese sollen auch der wissenschaftlichen Vorbereitung für die Aufnahme in das Programm "Man and Biosphere" der UNESCO als Biosphären-Reservat dienen. Eine "Landschafts- und Kulturgeschichte" der Gipskarstgebiete wäre ein verdienstvolles Projekt verlegerischer Initiative. 5. Interdisziplinäre Aspekte Infolge der Gebietsgröße sowie des umfangreichen Kenntnisstandes können nachfolgend nur exemplarisch einige erste Überlegungen zur interdisziplinären Sicht auf ein Biosphären-Reservat Südharz/Kyffhäuser zur Diskussion gestellt werden. Die geogenen Bedingungen sind dabei betont, sofern sich aus ihnen über das traditionelle Verständnis des Naturschutzgedankens hinaus spezifische Eigenschaften ableiten lassen, die dem Charakter der Zechsteinlandschaften entsprechen. 5.1. Riedgebiete als Kulturlandschaften über Tiefenkarst Bereits vor GÜNTHER (1971) hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß für das Frankenhäuser Tal mindestens zwei große Senkungsperioden infolge des Tiefenkarstes (Salzablaugung), tertiären und präelsterkaltzeitlichen Alters, anzunehmen sind. Damit war die heute zu präzisierende und differenzierende Erkenntnis gereift, daß es sich bei den Riedgebieten im Südharz- und Kyffhäuservorland um fossilen (bis rezenten) Tiefenkarst handelt. Das Helmeried und die Esperstedter Rohrwiesen wurden alljährlich seit prähistorischer Zeit von Überschwemmungen der Helme bzw. Unstrut heimgesucht. Bereits Mitte des 12. Jahrhunderts setzten, wohl auf Veranlassung des Zisterzienserklosters Walkenried, die Bemühungen um eine Urbarmachung der Sumpfgebiete ein. Ortsnamen z. B. auf -rieth deuten auf flämischen Einfluß hin. Die Bemühung um intensive landwirtschaftliche Nutzung der Riedgebiete reicht bis in die Gegenwart (Talsperre Kelbra). Unter naturnahen Bedingungen zeichnen sich Riedgebiete durch eine typische Salzflora aus, die zudem eine bemerkenswerte Entomofauna beherbergt. Zu den seltenen Arten gehören u.a. der Queller und die Wenigblütige Schwarzwurzel. Infolge der bergbaulichen Wasserhaltung und raumbeanspruchender Eingriffe sind die Salzflorastätten an den Solquellen Numburg und Auleben gefährdet. Das in seiner Fläche sehr gering bemessene NSG Solgraben Artern sollte erweitert und ggf. in ein Biosphären-Reservat einbezogen werden. Die ehemaligen Gewässerläufe (Feuchtgebiete) z. B. bei Martinsried oder Edersleben, wie sie bei der Luftbildauswertung nach KUGLER & VILLWOCH (1990) erkennbar wurden, sind bislang ebensowenig als naturschutzrelevant angesehen worden, wie etwa die geogen bedingten Kleingewässer im Erdfallgebiet zwischen Hackpfüffel, Riethnordhausen und Borxleben. 5.2. Die Bedeutung der Karstproblematik für den Bergbau auf Kupferschiefer im Südharz und Kyffhäuser Das Sulfatkarstgebiet erstreckt sich in E-W-Richtung von der Mansfelder Mulde über die Sangerhäuser Mulde und die Kyffhäuserumrandung entlang des Harzsüdrandes. Abb. 4 Zeichnung Fritz STOLBERG, um 1930 (Archiv der Verfasser)
Wurden die Schlotten von unten her angefahren, so überfluteten sie die Grubenbaue bis sie selbst leer gelaufen waren, da sie in der Regel bis zu einem gewissem Grade wassergefüllt waren. Lagen die Schlotten unter dem Niveau der aufgefahrenen Stollen, so entwässerten die Grubenbaue in dieselben ("Wasserlösung" oder "Berg-Lösung"). Außerdem stellte eine Schlotte immer ein Risiko für die Existenz des Bergbaus dar, weil ihr Wasserstand starken periodischen Schwankungen unterworfen war und jederzeit zum vorübergehenden oder ständigen Ersaufen der Grubenbaue führen konnte. Abb. 5
1 - Hohenwarter Revier; 2 - Elisabethschacht, Heiligenborner Revier; 3 - Segen-Gottes-Stollen; 4 - Kupferberger Revier bei Pölsfeld (Brandschächter Schlotte); 5 - Welfesholz; 6 - Burgörner; 7 - Eduardschacht; 8 - Schacht E bei Helbra; 9 - Schacht Ottilae bei Helbra; 10 - Creisfeld; 11 - Schacht W bei Wimmelburg; 12 - Froschmühlenstollen-Querschlag bei Wimmelburg; 13 - Hermannsschacht; 14 - Ottoschacht; 15 - IV. Tiefbausohle; 16 - Graf Hohenthalschacht; 17 - Paulsschacht Die sogenannten Schlotten nehmen in gewisser Hinsicht eine Sonderstellung ein. Der Begriff Schlotten steht als bergmännische Bezeichnung synonym für Höhlen, d.h. natürliche Hohlräume, die beim Bergbau in mehr oder weniger großer Entfernung über dem Kupferschiefer angetroffen wurden. Die Schlotten liegen damit innerhalb der Gruben des Kupferschieferbergbaus und sind bzw. waren der Allgemeinheit nicht ohne weiteres zugänglich. Außerdem waren sie in ihrer Mehrzahl nur während der Zeit des aktiven Bergbaus befahrbar und wurden bei seinem Auflassen wieder unzugänglich. Obwohl das Gipskarstgebiet am Westrand der Mansfelder Mulde hinsichtlich der Schutzwürdigkeit naturtypischer Biotope und Vegetationseinheiten weniger bedeutend sein dürfte, wäre es im Zusammenhang mit einem Biosphärenreservat Südharz/ Kyffhäuser unbedingt erforderlich, daß ausgewählte Schlotten als in Europa einmalige Formen des Gipskarstes der Forschung zugänglich bleiben. Als Folge der bergbaulichen Wasserhaltung im Thomas-Müntzer-Schacht Sangerhausen war das Talgrundwasser in den Lockersedimenten der Sangerhäuser Mulde über einen längeren Zeitraum soweit abgesenkt worden, daß die Brunnen in der Ortslage Sundhausen davon betroffen waren. Die zusitzenden Wassermengen im Flügel 63 (Westfeld des Thomas-Müntzer-Schachtes, etwa unter der Ortslage Hohlstedt) konnten spätestens im Frühjahr 1988 nicht mehr bewältigt werden. Das Oberflächenwasser des Rückhaltebeckens Kelbra drang ponorartig über Erdfälle auf Störungen mit zeitweilig 200 l/s-1ein. Die Solquellen bei Auleben und an der Numburg waren bereits versiegt, als im Zusammenhang mit der Erkundung und Vermessung der Numburghöhle (Lkr. Sondershausen) deutlich wurde, daß auch das Karstwasser aus dem Gebiet Numburg/Badraer Schweiz in die Lockergesteinsfüllung der Goldenen Aue bzw. Sangerhäuser Mulde alimentiert. Bei Tracerversuchen wurde eine Fließzeit von 69 Tagen ermittelt (mündliche Mitteilung Ch. VÖLKER, Uftrungen vom 27. 8. 1988). 5.3. Archäologische und paläontologische Denkmale Die Einhornhöhle bei Scharzfeld kann als klassische paläontologische und archäologische Fundstelle angesehen werden. Die jüngsten Grabungen haben aber gezeigt, daß der methodische Ansatz in Kenntnis speläogenetischer Zusammenhänge zu unerwarteten, ja sensationellen Ergebnissen führen kann. Die Unterscheidung von Evakuations- und Konvakuationsraum in Höhlen läßt auf die Beurteilung der Fundchancen eine im Vergleich zur klassischen Archäologie völlig andere Sicht zu. Das osteologische Material der bisher in der Einhornhöhle erfolgten Ausgrabungen ermöglicht im Zusammenhang mit anderen Lokalitäten der Region eine Beurteilung der Entwicklung der Säugetierfauna im Quartär. Die zahlreichen, aber in ihrer Qualität sehr unterschiedlichen Grabungen in der Diebeshöhle bei Uftrungen (Lkr. Sangerhausen) waren ohne den Versuch einer nachträglichen Klärung der speläologischen Situation (Karstmuseum Uftrungen) nicht zu interpretieren. Obwohl eine wissenschaftliche Publikation der Höhlengrabungen in der Eschenecke (NSG Kattenburg, Lkr. Artern) noch aussteht, zeichneten sich bereits im Verlauf der Feldforschung deutliche Befunde ab, die auf rituellen Kannibalismus schließen lassen. Das zoologische Material dieser Grabungen erlaubt in faunistischer Hinsicht Vergleiche von Hallstadt B zur Gegenwart. Die Höhlengrabungen in Thüringen sind bei WALTER (1985) in einer umfassenden Übersicht darstellt. Von besonderem kulturhistorischen Rang sind die paläontologischen Funde aus dem Hainholz bei Düna (Lkr. Osterode am Harz), die bereits 1751 den Anatom S. C. HOLLMANN (Erstbeschreibung des Nashorns in der anatomischen Literatur) veranlaßten, die durch die Bibel geprägten Ansichten von der Sintflut mit Blick auf die damals als tropisch angesehenen Großsäuger zu verlassen. NIELBOCK (1990) hat darauf hingewiesen, daß der Schutz von Fossilien und Fossilfundstätten in einigen Bundesländern wie Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen bereits gesetzlich geregelt ist. Sie werden dort zusammen mit den archäologischen Funden und Befunden, unberührt von zusätzlichen naturschutzrechtlichen Belangen, als "Bodendenkmäler" geschützt. In Niedersachsen hingegen finden sich in der Naturschutzgesetzgebung nur teilweise Möglichkeiten, erdgeschichtliche Funde zu schützen. Das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz definiert nur Bodenfunde in Zusammenhang mit menschlichem Leben als Denkmale und schließt erdgeschichtliche Funde tierischen und pflanzlichen Lebens eindeutig aus. Ähnliche Mängel in der Gesetzgebung sind für Thüringen und Sachsen-Anhalt zu befürchten. 5.4. Historische und denkmalpflegerische Gesichtspunkte Das enge Beziehungsgefüge zwischen den geogenen Bedingungen der Zechsteinlandschaft wird nicht nur anhand der Geschichte des Kupferschieferbergbaus, sondern auch an der frühen Entwicklung der Stadt Frankenhausen mit Bindung an das Auftreten von Solquellen deutlich. Bereits in der ersten urkundlichen Erwähnung 998 durch Otto III. wird Frankenhausen mit seiner Solquelle genannt. Die außerordentlich bedeutenden Leistungen der Wasserbaukunst, insbesondere die Anlage des über 500 m langen Stollens durch den Hanfenberg bei Göllingen, dienten der Wasserversorgung der Frankenhäuser Saline und sind vermutlich dem ausgehenden Mittelalter zuzurechnen. Diese Anlage, die sogenannte Kleine Wipper, hat heute ihre Zweckbestimmung verloren und ist in ihrem Bestand gefährdet. Nicht zuletzt STOLBERG (1983) hat wahrscheinlich gemacht, daß zahlreiche Befestigungsanlagen des Kyffhäusergebietes im Kontext mit der Salzproduktion bzw. dem Salzhandel zu sehen sind. Das gilt, trotz bisher ungenügender Beachtung, mit hoher Wahrscheinlichkeit für eine größere Zahl archäologischer Funde. Zu untersuchen wäre auch, ob Siedesalzgewinnung und Kupferschieferbergbau bei frühgeschichtlichen Kulturen in einer Verbindung stehen. Die Verwendung einheimischer Baustoffe, insonderheit von Anhydrit als Werkstein, ist heute nicht mehr von Bedeutung. Der Mauerwerksbau aus Anhydritquadern ist für Europa vermutlich einmalig und verdient die besondere Aufmerksamkeit der Landesämter für Denkmalpflege. Das gilt auch für die Gewinnung von Alabaster (Anhydrit), der bevorzugt im 16. bis 18. Jahrhundert untertägig gewonnen und als Ausgangsmaterial für qualitätvolle Bildplastik (Altar der Kirche Sondershausen-Jecha, um 1645) sowie außergewöhnliche Architekturfassungen (Steinzimmer im Schloß zu Sondershausen, um 1770) verwendet wurde. Die bis heute erhaltenen Alabastergruben in den Landkreisen Nordhausen und Sondershausen bedürfen dringend der Unterschutzstellung als Technisches Denkmal der Bergbaugeschichte. 6. Die Zechsteinlandschaft Südharz/Kyffhäuser als potentielles Naturschutzgroßprojekt Die Eignung der naturräumlichen Region für ein Naturschutzgroßprojekt von gesamtstaatlicher Bedeutung ist von Natur aus gegeben. Die Zahl der bisher vorhandenen LSG, NSG und (F1ächen-) Naturdenkmale weist bereits mit gegenwärtigem Stand die herausragende Bedeutung für den Naturschutz nach. Die bisherigen Bemühungen der Umweltverbände, insbesondere der ArGeKH und des BUND Niedersachsen und Thüringen, auch in Sachsen-Anhalt, verlangen insofern eine Korrektur, als sich die möglichen Aussichten auf Realisierung des Projektes im Rahmen eines gesamtstaatlich repräsentativen Naturschutzvorhabens aus mannigfaltigen Gründen günstiger darstellen. Einer möglichen Aufnahme in die UNESCO-Liste der Biosphären-Reservate wird damit nicht widersprochen. 6.1 Vorschläge für Schutzkategorien Aufgrund der geogen bedingten Eigenart des Zechsteinkarstes ist im Südharz die Trennung zwischen einem LSG Harz und einem LSG Südharz entsprechend der naturräumlichen Regionen sinnvoll. Das gilt eingeschränkt auch für das LSG Kyffhäuser. Zur Erreichung der Schutzziele und auch verwaltungsrechtlich ist eine Aufteilung ggf. sinnvoll, obwohl die Abgrenzung der naturräumlichen Einheiten dem komplexen geologischen Aufbau der Landschaft in örtlich nachvollziehbarer Weise nicht immer gerecht werden kann; dies betrifft z.B. die Zuordnung des Rotliegenden zwischen Bad Sachsa und Hermannsacker, aber auch der tertiären und posttertiären Lockersedimente der Goldenen Aue und des Frankenhäuser Tales. Für den Landkreis Nordhausen wird die Erarbeitung einer verfahrensfähigen Abgrenzung eines LSG vordringlich sein, um die weitere Entwicklung insbesondere im Strukturwandel der Landwirtschaft und des Siedlungswesens, im Straßenbau und Ausbau der Erholungsinfrastruktur, vor allem aber in der Rohstoffgewinnung einer umweltverträglichen Ordnung zuführen zu können. Im Landkreis Sangerhausen ist ein entsprechendes LSG seit längerem eingerichtet, weitere Teile der Karstlandschaft wurden im April 1990 als NSG einstweilig sichergestellt. Das LSG Kyffhäuser einschließlich des international bedeutsamen Feuchtgebietes "Stausee Berga-Kelbra" ist mit sechs NSG zwar gesichert, aber insgesamt für den Gipskarst entschieden unterrepräsentiert. Ob die gegenwärtig angedachte Schutzkategorie "Naturpark" für den Kyffhäuser zweckmäßig sein kann, bedarf noch eingehender Erörterungen. Die Einbeziehung des NSG Solgraben Artern, ausgewählter Karstformen im Raum Hettstedt/Mansfeld (Schlotten) u. a. nicht aneinander angrenzender Gebiete sollte in der Form eines Cluster-Biosphären-Reservates erfolgen. 6.2. Umriß des Schutzzweckes Schutzzweck ist die Erhaltung und Entwicklung der gesamten Südharz- und Kyffhäuserlandschaft einschließlich der sie prägenden Gipsmassive und Karstformen, Vegetationsgesellschaften, Tierhabitate, ihrer Vernetzung und dauerhaften Überlebensfähigkeit im Raume. Eine Beschränkung auf die Erhaltung von je ein oder zwei repräsentativen Exemplaren je Karstform, wie dies gelegentlich von Geowissenschaftlern als ausreichend vorgeschlagen wird (sic!), ist landschaftsökologisch unqualifiziert. Naturschutz als musealer und singulärer F1ächen- und Objektschutz kann das Überleben nicht gewährleisten und verhindert eine dauerhafte Nutzbarkeit der anderen, mit diesem Raume verbundenen kulturellen Funktionen, namentlich des Fremdenverkehrs. Der damit verbundene kulturelle Identitätsverlust der regionalen Bevölkerung wäre gravierend. Die Abgrenzung von Natur- und Landschaftsschutzgebieten zu Abgrabungsgebieten ist nicht auf die Ausbeutungsdauer beschränkt, ebenso nicht auf die siebenjährige Fortschreibungsperiode der Raumordnung. Eine Abwägung zwischen Naturschutz und Rohstoffabbau ist durch die eigendynamischen rechtlichen und verwaltungspolitischen Gegebenheiten zwangsläufig methodischen Fehlern unterworfen. Nach Ausbeutung der Gipssteinvorräte in den Vorranggebieten für die Rohstoffgewinnung bzw. Bergbauschutzgebieten, also nach ca. 15 - 30 Jahren, kann eine erneute Abwägung innerhalb der verbliebenen Vorranggebiete für Natur und Landschaft bzw. Schutzgebiete zwischen Naturschutz und weiterem Abbau nicht mehr sinnvoll vorgenommen werden, da so nach ca. 100 Jahren bei Aufrechterhaltung des Angebotes an Naturgipsprodukten die gesamte Gipskarstlandschaft vernichtet sein wird. 6.3. Angabe der Gefährdung und Dringlichkeit von Maßnahmen Natur, Landschaft, Erholungseignung und kulturelle Identität des Südharzes sind durch die Rohstoffgewinnung (Gipsabbau) gefährdet. Im Landkreis Osterode am Harz sind z. T. 18 (sic!) Gipsbrüche in Betrieb, weitere drei in Vorbereitung. Den ca. 170 ha bisher geschützter Gipskarstlandschaft stehen ca. 330 ha zur Gipssteingewinnung zugelassener Flächen gegenüber; hinzu kommen die Vorrangflächen für die Rohstoffgewinnung bzw. für Natur und Landschaft mit einem für letztere Ziele noch ungünstigerem Flächenverhältnis gemäß den Festsetzungen des Regionalen Raumordnungsprogrammes 1988. Im Landkreis Sangerhausen konnten dic wesentlichen Gipskarstlandschaften durch Beschluß einstweilig sichergestellt werden. Gipsabbau ging/geht dort, wie in den Landkreisen Artern und Sondershausen, bisher nicht um. Der Landkreis Nordhausen verfügt über den größten Flächenanteil von Gipskarstlandschaften. Diese sind zu erheblichen Teilen (noch) nicht dauerhaft geschützt. Vielmehr waren hier bereits 1985 weitflächig und ohne ausreichende Abwägung mit Naturschutz- und dauerhaften Entwicklungszielen für diese Landschaft Bergbauschutzgebiete festgesetzt worden. Aus der sich nunmehr abzeichnenden Expansion des bisher nur an wenigen Standorten umgehenden Gips- und Anhydritabbaus ist eine besorgniserregende Gefährdung der nachhaltigen Nutzbarkeit der Südharzlandschaft in diesem Landkreis zu erkennen. Hier besteht länderübergreifend vorrangiger Handlungsbedarf. Rohstoffwirtschaftlich wird die dauerhafte Erhaltung der Südharz- und Kyffhäuserlandschaft es erfordern, während und nach Abbau und Wiederherrichtung der Abbaustätten nach dem gegenwärtigen Regionalen Raumordnungprogramm bzw. in den zu überarbeitenden Bergbauschutzgebieten, den Bedarf an Gipsmassenprodukten zunächst aus Gipsen der Umwelttechnik (Rauchgasreinigungsanlagen der Kohlekraftwerke) zu decken. Weiterhin kommen folgende Maßnahmen in Betracht:
Neben der Gefahr der Zerstörung der Gipskarstgebiete durch Rohstoffgewinnung sind Verluste, Schäden und Beeinträchtigungen zu befürchten durch den Ausbau von Verkehrsverbindungen (Bundesstraßen und Autobahnen) sowie durch eine Überfrachtung infolge des Tourismus. Das gilt insbesondere für den Kyffhäuser und das international bedeutsame Feuchtgebiet Stausee Kelbra. Die Konzentration von im langjährigen Mittel mehr als zwei Millionen Tagesbesuchern im Jahr (Tendenz ansteigend) auf verhältnismäßig kleinem Raum verlangt umweltverträgliche Tourismuskonzepte, die sich von der bisherigen, rein auf kommerziellen Gewinn orientierten Praxis deutlich zu unterscheiden haben. Die Umweltuntersuchungen für den Neubau der B 80 zwischen einem Anschluß an die A 7 und A 14 lassen großräumige Konfliktbereiche für die Region erkennen (Lärm, Schadstoffe und visuelle Beeinträchtigungen). Das gilt insbesondere für den Korridor zwischen Südharz und Kyffhäuser im Abschnitt Langes Ried - Talsperre Kelbra. Als generelle Gefährdungen sind anzusehen:
Für die Weiterentwicklung dieses Konzepts und seine Umsetzung in Forschung, Politik und Verwaltung muß dauerhaft eine begleitende, leistungsfähige Arbeitsgruppe eingerichtet werden. Diese sollte mindestens vierteljährlich tagen und die Öffentlichkeit jeweils über den erzielten Fortschritt unterrichten. Die Anbindung an Umweltverbände wäre aufgrund der wissenschaftlichen Voraussetzungen und der umfangreichen, dort bisher geleisteten Arbeit empfehlenswert. Unter günstigen personellen Voraussetzungen wäre die Erarbeitung der Antragsunterlagen für ein Naturschutzgroßprojekt sowie dessen spätere Begleitung auch über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen denkbar. Universitäten, Hochschulen und Museen mit entsprechendem Profil sollten frühzeitig beteiligt werden. Literatur BAUER, L. [Ed.] (l973): Handbuch der Naturschutzgebiete der Deutschen Demokratischen Republik. Band 3. Naturschutzgebiete der Bezirke Magdeburg und Halle(Saale). -Urania-Verlag Leipzig, Jena, Berlin, 278 S. - (1974): Handbuch der Naturschutzgebiete der Deutschen Demokratischen Republik. Band 4. Naturschutzgebiete der Bezirke Erfurt, Suhl und Gera. Urania-Verlag Leipzig, Jena, Berlin, 276 S. GÜNTHER, H. (1971 ): Auslaugungserscheinungen am Kyffhäuser-Südrand und ihre Auswirkung in Bad Frankenhausen. - Veröff. Kr. Mus. Bad Frankenhausen 3:81-106 HARTMANN, R., K. HEIDE & H.-J. WEINBERG (1986): Erläuterungen zum Erdfallkataster für den Landkreis Osterode am Harz. - Manuskript, erstellt im Auftrag des Landkreises Osterode am Harz, 29 S. KUGLER, H. & VILLWOCH, G. (1990): Einflüsse von Gestein und Tektonik auf die Reliefgestaltung des südlichen Harzvorlandes. - Petermanns Geographische Mitt. 134, 4: 257-266 KUPETZ, M. & M. BRUST (1991): Historisches zum Begriff der "Mansfeldischen Kalkschlotten" sowie ein Beitrag zur nomenklatorischen Bestimmung dieses Höhlentyps. - Mitt. ArGeKH 1,1:10-35 NIELBOCK, R.-D. (1990): Stand der Paläontologischen Denkmalpflege im Landkreis Osterode am Harz. - Ausgrabungen und Funde im Landkreis Osterode am Harz. 1988/89:68 SPANGENBERG, H.-J. (1973): Faunistisch-ökologische Untersuchungen an Gewässern von Gipshöhlen und im Grundwasser des Südharzes und Kyffhäusers. - Int. Revue ges. Hydrobiol. 58, 4:501-542 STOLBERG, F. (1983): Befestigungsanlagen im und am Harz von der Frühgeschichte bis zur Neuzeit. Ein Handbuch. - [2., unveränderte Auflage] Verlag August Lax Hildesheim, 484 S. WALTER, D. (1985): Thüringer Höhlen und ihre holozänen Bodenaltertümer. - Weimarer Monographien zur Ur- und Frühgeschichte 14, 102 S. WINKELHÖFER, R. (1982): Register DDR-Höhlen. - Deutscher Verband für Wandern, Bergsteigen und Orientierungslauf etc. Dresden, 64 S. Danksagung Die vorliegende Veröffentlichung entstand unter Benutzung des nachstehend zitierten Manuskriptes. Für die freundliche Genehmigung sei den Verfassern hiermit herzlich gedankt. Anschriften der Autoren (aktualisiert mit Stand 2001):
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