| Neue Wernigeröder Zeitung 24+25/2014 |
Der Bergmann Baumann hat nie gelebt Fakten und Märchen aus den Rübeländer Tropfsteinhöhlen Der Eingang zur Baumannshöhle um 1900.
Haben Sie es auch so gelernt? Der Bergmann Baumann habe 1536 die Baumannshöhle entdeckt? Diese Geschichte ist leider ungefähr so frei erfunden wie die Sage vom Ritter Ramm und dem Erz am Rammelsberg — auch den hat es nämlich nie gegeben. Im Zuge der Recherchen für eine neue Rübeländer Schauhöhlenbroschüre haben sich die Harzer Höhlenforscher nochmals intensiv auch mit der Entdeckungsgeschichte der Baumannshöhle beschäftigt — ein Thema, über das sie ohnehin schon seit Jahrzehnten forschen und auch viel veröffentlicht haben. Aber offenbar nur in der Fachliteratur — die Wahrheit zur sagenhaften Lügengeschichte mit dem Bergmann, der ausgerechnet dann vor genau 400 Jahren die Höhle entdeckt haben soll, als man in der NS-Zeit dringend einen Grund zum Feiern suchte, ist immer noch so unbekannt, daß sie hier einmal im Zusammenhang dargestellt sein soll. Die Sage vom Bergmann Baumann In früheren Jahrhunderten las man oft, die Baumannshöhle sei angeblich 1670 entdeckt worden, und zwar durch einen Bergmann Baumann. Doch das war nur eine Sage, auch die Jahreszahl war unsinnig, denn die Höhle war längst bekannt — wahrscheinlich schon die Neandertaler hatten sie besucht. Das angebliche Entdeckungsjahr 1670 war dann 1870 Anlaß für eine „200-Jahr-Feier“. Im 3. Jahrgang der Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde von 1870 hat Gustav Heyse auf S. 712 f. den Ursprung der Baumann-Legende klargestellt und zu den wirklichen frühen Erwähnungen der Höhle auf seine „Beiträge zur Kenntnis des Harzes“ (1. Auflage 1857) verwiesen. Er schrieb sinngemäß, es sei ärgerlich, daß die frei erfundene Geschichte des Bergmanns und auch die falsche Jahreszahl noch immer in vielen Köpfen herumspuke und offenbar nicht auszurotten sei. In der 2. Auflage (1874) hat er die Überlieferungsgeschichte der Baumannshöhle sehr detailliert untersucht — in der Harz-Zeitschrift ist noch die Erwähnung bei Gesner von 1565 nachgetragen, die älteste bekannte Erwähnung der Höhle überhaupt. Bis dahin war die Beschreibung von Eckstorm 1591 in der „Historia terrae motuum“ hinreichender Beweis gewesen, wie unsinnig das Jahr 1670 ist. Heyse amüsiert sich übrigens über die Tatsache, daß dem guten Baumann noch der Vorname Friedrich verliehen wurde, der in der älteren Literatur ebenfalls nirgends vorkommt. Rübeland in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 wurde der Nazi Dietrich Klagges Ministerpräsident des Freistaats Braunschweig, zu dem auch Rübeland gehörte. Klagges war es, der Adolf Hitler die deutsche Staatsbürgerschaft verschaffte, damit der überhaupt in einer Wahl kandidieren konnte. Die unheilvolle Fortsetzung der Geschichte ist hinlänglich bekannt. Der Rübeländer Höhlendirektor Bernhard Lange arbeitete eng mit Klagges zusammen. Klagges wurde dann auch Vorsitzender des Harzer Verkehrsvereins, heute HTV. Unter Langes Regie wurde in den Jahren 1935/36 der heutige Zuschauerraum in der Baumannshöhle geschaffen, nachdem die riesigen Felsblöcke des Tanzsaals zerkleinert und weggeräumt worden waren. Die beiden Bühnen und der kleine See entstanden in der jetzigen Form. Es waren wahrscheinlich despektierliche Äußerungen über die Verschandelung der Baumannshöhle durch diese „untertägige Thingstätte“, die dem damals führenden Höhlenforscher Dr. Friedrich Stolberg einigen Ärger mit dem System und auch berufliche Nachteile einbrachten. Stolberg hat besonders das Absägen der „großen klingenden Säule“ aus dem alten Teil der Höhle kritisiert, die dann auf die Bühne des Höhlentheaters versetzt wurde — wo sie natürlich beim Anschlagen nur noch „klack“ macht und nicht mehr den vormals so berühmten Glockenton von sich gibt. Dieses Detail ist aus Höhlenschutzgründen in der Tat besonders ärgerlich. Die Säulenhalle in der Baumannshöhle, um 1930.
Lange wollte feiern und suchte dazu einen passenden Anlaß. So wurde für die auf das Jahr 1936 angesetzte „400-Jahr-Feier“ das Märchen von Bergmann Baumann umgemünzt auf 1536. So einfach wird Geschichte gefälscht! Im gleichen Jahr fand im Stil der braunen Zeit die Uraufführung des ebenfalls von Lange geschriebenen Volksstücks „Die vom rauhen Lande“ statt. Die Nazis überfielen in der Folge fast ganz Europa — auch die Höhlen sollten in der Rüstung eine wichtige Rolle spielen. Daher wurden sowohl die Höhlenforschung als auch die Schauhöhlen gleichgeschaltet. Der 1938 neu geschaffene „Bund der Höhlen und Schaubergwerke e.V.“ (später „Reichsbund Deutscher Höhlen- und Schaubergwerke e.V.“) bekam seinen Sitz in Rübeland im Harz — sein Bundesleiter wurde der Rübeländer Höhlendirektor und spätere SS-Scharführer Bernhard Lange. Luftschutz und Zwangsarbeit Später im Krieg wurde die Baumannshöhle auch als Luftschutzraum umgerüstet. Diese Nutzung der Höhle und des Festsaals war offenbar schon früh geplant, wie aus einer Veröffentlichung in der Nr. 17 der bezeichnenderweise „Die Sirene“ genannten Zeitschrift hervorgeht. Lange schreibt: ... findige Verwaltungen solcher Naturwunder haben sich bereits von Anfang des Krieges an damit beschäftigt, die Höhlenräume als Luftschutzräume herzurichten. So hat beispielsweise die Gemeinde Rübeland schon bei Kriegsbeginn die Räume der Baumannshöhle zum Luftschutzraum gemacht. Neben den erforderlichen Türabschlüssen bei Gasangriffen und den sanitären Einrichtungen ist für die gesamte Einwohnerschaft für Sitzgelegenheit während des Fliegeralarms gesorgt. Ebenso können alle Räume gut beleuchtet werden, ohne daß ein Lichtschein nach außen dringt. Selbstverständlich sind die Höhlenräume längst nicht voll angefüllt, wenn die Einwohnerschaft sich bei Alarm darinnen versammelt. Die starken Felsendecken über den Höhlen bilden einen unbedingt sicheren Schutz gegen jeden Angriff. Daneben ist die Belüftung der Höhlenräume derart günstig, daß die Zeit des Aufenthalts nicht beschränkt ist. Ob die Baumannshöhle später auch der Rüstungsproduktion diente, ist unklar. Im NS-Codenamenverzeichnis unterirdischer Bauten findet sich für Rübeland immerhin sogar ein Deckname: „Gulden“. Im Bericht „Engineering Geology in Germany“, den die alliierten Geheimdienste 1945 verfaßten (Original im Besitz des Autors), werden im Report No. 4 „Source data for investigation of German and French underground factories“ in alphabetischer Reihenfolge unterirdische Produktionsstätten und Läger aufgelistet, darunter u. a.: 11. Baumannshoehle, near Goslar. Series of caves in Harz Mts, 8 miles SE of Goslar. Used by Junkers Flugzeug u. Motorenwerken A.G. Ref.: SHAEF Report No. 5, 25 April 45 on Evacuation of Intelligence Targets. Es ist bis heute unklar, ob diese Junkers-Produktion überhaupt in Betrieb ging. In Rübeland waren Zwangsarbeit und auch der Einsatz von Kriegsgefangenen weit verbreitet. Genannt seien neben den Gruben Drei Kronen und Ehrt sowie Büchenberg auch die Kalksteinbrüche der heutigen Fels-Werke. Dort erlagen zwischen 1942 und 1945 insgesamt 96 sowjetische Zwangsarbeiter, d. h. vier Fünftel der Belegschaft, der unmenschlichen Behandlung in den Brüchen. Angehörige anderer Völker wurden etwas menschlicher behandelt — über den Einsatz französischer Kriegsgefangener in den Kalksteinwerken wurden schon in der NWZ 20/2008 berichtet. Auch in der Hermannshöhle gab es nachweislich den Einsatz von französischen Kriegsgefangenen, wie wir aus mindestens einem Zeitzeugenbericht wissen. Herr Markus Walther schrieb dem Autor 2003 aufgrund von Recherchen: Sehr geehrter Herr Knolle, meine Mutter Dolores Walther (Jg. 1932) mußte in Rübeland Zwangsarbeit verrichten. Leider hat sie von dieser Zeit nichts Schriftliches festgehalten. Da sie damals noch ein Kind war, kann sie sich auch nicht mehr daran erinnern, wie lange sie in Rübeland interniert war. Einzig einschneidende Erlebnisse (z. B. Inhaftierung Befreiung durch schwarze Gis, Aufenthalt in Berlin vor der Rückschaffung nach Italien) sind ihr in Erinnerung geblieben. Meine Mutter, gebürtige Italienerin, wurde zusammen mit ihren Eltern und allen anderen Anwesenden im Bahnhof Vicenza aufgegriffen und verhaftet. An die Geschehnisse von der Zeit der Verhaftung bis zum Eintreffen in Rübeland erinnert sie sich nicht mehr. Auch weiß sie nicht, was mit den anderen Personen geschehen ist, die am Bahnhof Vicenza ebenfalls verhaftet wurden. Soweit sie sich erinnert, waren sie (meine Mutter und ihre Eltern) die einzigen Italiener in Rübeland. Arbeiten mußten sie im Betrieb der Kalkwerke. Ihr Vater mußte Steine herausbrechen, während ihre Mutter und sie in der Küche der Kantine arbeiten mußten. Ihre Unterkunft befand sich nicht direkt auf dem Gelände der Kalkwerke. Dort waren die Baracken der Russen. Ihre Unterkunft befand sich auf dem Areal der ehemaligen Pulver- resp. Papierfabrik in Susenburg (ca. 2 - 3 km vom Werksgelände), schräg gegenüber des Turbinenhauses. Sie teilten sich die Unterkunft mit einer polnischen Familie (Eltern und zwei Töchter). Ansonsten waren dort nur noch männliche Gefangene (Franzosen und Tschechen?) untergebracht. Welche Arbeiten diese verrichten mußten, weiß meine Mutter nicht. Meine Mutter mußte von morgens bis abends in der Küche der Kantine arbeiten (Kartoffeln schälen, abwaschen, Tische reinigen usw.). Soweit sie sich erinnert, konnte sie zweimal die Arbeit verlassen: Einmal hatte sie die Möglichkeit, die Hermannshöhle zu besuchen. Von diesem Besuch hat sie noch das Höhlenfoto. Dies war auch der Grund warum wir die Höhle vor 10 Tagen besucht haben. Das andere Mal konnte sie mit einer Rübeländerin in eine Bäckerei, die direkt oberhalb der Kantine gelegen war. Die Rübeländer Tropfsteinhöhlen gehörten übrigens bis 1945 zur Hermann-Göring-Stiftung; diese wurde zwischen 1945 und 1949 von der Sowjetischen Militäradministration enteignet. Der Versuch einer Rückübertragung durch die Stadt Braunschweig als Rechtsnachfolgerin der Hermann-Göring-Stiftung scheiterte. Lange wird rehabilitiert Nach dem Kriegsende wurde Höhlendirektor Bernhard Lange, der dieses Amt seit 1925 ausgeübt hatte, enteignet, verhaftet und kurzfristig in ein britisches Zivilinternierungslager verbracht. Zwar war er schon 1933 der NSDAP beigetreten und gehörte formal der SS an, doch stellte sich heraus, daß er sich nichts hatte zuschulden kommen lassen und eher als Mitläufer einzustufen war, der sich stets für die Belange seiner Mitmenschen eingesetzt hatte — nachweislich auch für politisch Andersdenkende. Das war in der NS-Zeit keine Selbstverständlichkeit. Auch die spätere DDR kam zu diesem Ergebnis, und so erhielt er 1950 eine politische Unbedenklichkeitsbescheinigung. Bis zu seinem Tode 1963 war er ein engagierter Bürger seiner Gemeinde Rübeland. Höhlendirektor Bernhard Lange mit seinen Höhlenführern unter dem heute verbotenen Nazisymbol.
Weitere Gerüchte und Märchen Auch das Gerücht, der russische Zar Peter der Große habe einst die Baumannshöhle besucht, stimmt übrigens nicht — das hat der Braunschweiger Heimatforscher Fritz Reinboth schon im Jahr 2000 in der Zeitschrift „Unser Harz“ richtiggestellt. 2016 jährt sich das Jahr der Entdeckung der Hermannshöhle zum einhundertfünfzigsten Mal. Aus diesem Anlaß wird der Verband der deutschen Höhlen- und Karstforscher e.V. in Rübeland tagen. Daher werden wir unsere Recherchen fortsetzen, denn es gibt noch mehr spannende Geschichtsirrtümer. Wußten Sie beispielsweise, daß die Hermannshöhle 1866 höchstwahrscheinlich durch den Rübeländer Arbeiter Fritz Sorge entdeckt wurde und nicht durch den geschäftstüchtigen Wilhelm Angerstein I, der von der Regierung sogar Geld für seine Entdeckung forderte und Sorge daher nach dessen Entdeckung gleich auf eine andere Baustelle umsetzte? Für die Aufklärung der wirklichen Geschehnisse rund um die Entdeckung der Hermannshöhle hatte sich übrigens Bernhard Lange stets eingesetzt. Daher ist man fast geneigt, ihm die kleine, aber folgenschwere Marketing-Lüge mit dem Jahr 1536 zu verzeihen. Oder ist das nur eine weitere Geschichte des Marketing-Genies Lange, der schon in den frühen 1930er Jahren mit den Grottenolmen einen ähnlichen Coup gelandet hatte? Aber das ist schon wieder eine neue Geschichte für die NWZ. Für wichtige Hinweise bei der Recherche danke ich Fritz Reinboth und Hans-Christian Anger. Dr. Friedhart Knolle
Diese Postkarte stammt vermutlich aus dem frühen 20. Jahrhundert. www.juettners.de
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