Stefan Flindt und Susanne Hummel Die Lichtensteinhöhle. Bestattungsplatz einer Großfamilie aus der Bronzezeit 144 S., 245 Abb., hrsg. v. HöhlenErlebnisZentrum Iberger Tropfsteinhöhle, Landkreis Osterode am Harz, Bad Grund 2014 Der Heimatforscher und Ortschronist Werner Binnewies aus dem Osteroder Ortsteil Förste hätte wohl im Traum nicht geahnt, dass seine Suche nach dem sagenhaften Fluchttunnel der Burg Lichtenstein letztlich zum Anlass für die Entdeckung einer archäologischen Fundstätte von internationalem Rang und der bislang ältesten auf genetischem Wege identifizierten prähistorischen Großfamilie der Welt werden würde. Es war Werner Binnewies, der im April 1972 den Anstoß dazu gab, am damals kahl geschlagenen Nordwesthang des Lichtensteins nach diesem Tunnel zu suchen. Statt eines von Menschenhand erbauten Tunnels entdeckten Harry Peinemann, Udo Wagner und Dieter Friebe jedoch eine Naturhöhle von außerordentlicher Schönheit – allerdings noch ohne jeglichen archäologischen Fund. Um den Schutz dieser Höhle, die im Höhlenkataster zunächst unter dem Namen „Rotkamphöhle“ geführt wurde, kümmerte sich die Gruppe Wieda der Arbeitsgemeinschaft für niedersächsische Höhlen um Fritz Reinboth. Dies änderte sich erst im Februar 1980, als die Hamburgerin Kathrin von Ehren auf Anregung des Höhlenforschers Firouz Vladi hinter einer bis dahin unpassierbaren Engstelle eine kleine Ansammlung urgeschichtlicher Menschenknochen entdeckte. Weitere Nachforschungen im März 1980 führten dann zur Entdeckung des eigentlichen „archäologischen“ Teils der Lichtensteinhöhle durch Firouz Vladi im engen Zusammenwirken mit seinen Höhlenforscherkollegen Uwe Fricke, Bernhard und Ernst-Heinrich Schuhose sowie Helmar und Heinfried Spier von der damaligen Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde in Niedersachsen. Auf dem Boden der engen Höhlenkammern fanden sich große Mengen von Menschenknochen und zahlreiche Bronzefunde noch genau in der Lage, wie die bronzezeitlichen Menschen sie vor fast 3000 Jahren zurückgelassen hatten. Eine Sensation ohnegleichen! Die von den Entdeckern umgehend hinzugezogenen Fachwissenschaftler in Person des Archäologen Dr. Reinhard Maier vom damaligen Institut für Denkmalpflege und des Anthropologen Prof. Dr. Bernd Herrmann von der Universität Göttingen erkannten sofort die herausragende Bedeutung dieses für Niedersachsen einzigartigen Fundes und veranlassten eine erste skizzenhafte Dokumentation der archäologischen Befunde, während die beteiligten Höhlenforscher der Arbeitsgemeinschaft bereits kurz nach der Entdeckung einen Gesamtplan der Höhle anfertigten. Weil das Geld für eine reguläre Forschungsgrabung fehlte, erfolgte trotz der großen Gefahr von Raubgrabungen zunächst keine wissenschaftliche Untersuchung der bronzezeitlichen Hinterlassenschaften in der Lichtensteinhöhle. Und so kam, was kommen musste. 1992 brachen Raubgräber die mit einer schweren Eisentür gesicherte Höhle auf und richteten bei ihrer Suche nach wertvollen Funden derart schwere Schäden an der archäologischen Substanz an, dass zunächst von einem Totalverlust ausgegangen wurde. Um letzte vielleicht noch unversehrt erhalten gebliebene Befunde fachlich zu dokumentieren, startete die Archäologische Denkmalpflege des Landkreises Osterode am Harz bereits 1993 eine erste kurze Probegrabung. Entgegen allen Erwartungen stellte sich dabei heraus, dass die wichtigsten archäologischen Befunde die Raubgrabungen durch glückliche Umstände doch fast unversehrt überstanden hatten. Im Verlauf der folgenden, mit letzten Arbeiten erst 2013 abgeschlossenen Ausgrabung entwickelte sich die Lichtensteinhöhle dank der vielschichtigen archäologischen Befunde und des umfangreichen Inventars menschlicher Skelettreste mit überdurchschnittlich guter DNA-Erhaltung immer mehr zu einem beispiellosen Glücksfall für die archäologische und anthropologische Forschung. Durch molekulargenetische Analysen gelang es nicht nur, einzelne Menschen aus der Lichtensteinhöhle zu identifizieren und genauer zu charakterisieren, sondern erstmals ergaben sich auch detaillierte Einblicke in die Zusammensetzung und das in dieser Form bisher unbekannte Bestattungsbrauchtum einer größeren bronzezeitlichen Menschengruppe, wie sie in dieser Bandbreite und Qualität bisher kaum für möglich gehalten wurden. Die menschlichen Skelettreste aus der Lichtensteinhöhle repräsentieren heute den weltweit größten und wissenschaftlich bedeutendsten menschlichen Genpool aus der jüngeren Bronzezeit. Friedhart Knolle |