Die Edelfrau von Scharzfeld Noch heute sieht man die Ruinen des zwischen den beiden Städtchen Lauterberg und Herzberg auf einem der Vorberge des Harzes gelegenen Schlosses Scharzfeld, früher zum Herzogthum Braunschweig-Lüneburg gehörig. Im 11. Jahrhundert gehörte die Burg einem gewissen Ritter von der Helden, dem der Kaiser Heinrich IV. die Aufsicht über die Bergwerke des Harzes übertragen hatte. Derselbe hatte eine sehr schöne Frau und als diese einst der genannte Kaiser, ein bekannter Frauenjäger, gesehen hatte, beschloß er, dieselbe solle sein werden. Er sandte also den Ritter mit angeblich wichtigen Aufträgen weit weg von seiner Burg und unterdessen stellte er häufig Jagden in der Umgegend derselben an. Einst wußte er es so einzurichten, daß er, als eben ein Gewitter herangekommen war, sich ganz in der Nähe derselben befand; er stellte sich, als wolle er hier vor dem Unwetter Schutz suchen, begab sich an das Burgthor und bat um Einlaß. Derselbe konnte ihm ebensowenig von der Schloßherrin verweigert werden, als seine weitere Bitte um ein Nachtquartier, da das Unwetter anhielt. Die Rittersfrau mußte sich mit ihrem Gast zur Tafel setzen und sei es durch Zureden oder Gewalt, es gelang dem Kaiser über ihre Tugend zu siegen und sie zur Untreue gegen ihren Gemahl zu bewegen. Bei diesem Besuche des Kaisers war aber ein Pfaffe aus dem nahen Kloster Pöhlde, ein ziemlich berühmter Schwarzkünstler, mit anwesend gewesen, der statt den Kaiser von seiner sündhaften That abzuhalten, das Feuer noch mehr geschürt hatte und nicht blos dem Kaiser durch seine Teufelskünste beigestanden, die Frau zu überreden, sondern den beiden Sündern nach geschehener That auch noch Absolution ertheilt hatte. Zwar hatte Niemand Lebendes in der Burg Wissenschaft von dem Vorgefallenen, allein doch schlief auch hier der Verräther nicht: es war dies der Burggeist. Lange hatte dieser schon sein Wesen auf der Burg getrieben, er spukte in der Küche, im Keller, besonders aber auf dem runden Thurme, der vor dem Schlosse stand. Man war aber hier seiner so gewohnt, da er Niemand neckte noch zwickte, daß man sein Gepolter und Geheul ohne Grausen anhörte, eben weil es zu oft kam, und so ließ man ihn ruhig seinen Unfug treiben. Er gehörte so zu sagen zu den Hausthieren und Inventarienstücken der Burg. Dieser Burggeist erhob nun aber nach vollbrachter That ein ungewöhnlich fürchterliches Geheul, tobte entsetzlich ob dieser Schandthat in der ganzen Burg herum und erschütterte sie in ihrer Grundveste. Gefoltert von den heftigsten Gewissensbissen irrte die Gefallene aus einem Winkel in den andern, das Hofgesinde schlug Kreuz auf Kreuz und erwartete mit klappernden Gliedern nichts Gutes. Doch nicht züchtigen wollte der Burggeist, nur aufbrechen und seinen alten Sitz verlassen. Er mochte nicht länger hier weilen, wo die Tugend und Unschuld vom Reichsoberhaupte selbst mit Füßen getreten worden war. Unter krachenden Donnerschlägen fuhr er im runden Thurme hinauf, hob die Bedachung desselben ab und stürzte sie in die Tiefe, schwebte über Scharzfeld und schrie es laut über die ganze Gegend aus, daß der Pfaffe mehr noch als der Kaiser an dieser Sünde schuldig sei, und verschwand. Seit der Zeit hat kein Dach mehr auf dem Thurme festsitzen wollen, so oft man es auch zu erneuern suchte, denn immer kam der Burggeist wieder und riß es ab. Der Pfaffe aber ging sein Lebelang verstört umher und machte nie mehr ein heiteres Gesicht. Nach mehreren Tagen kehrte der betrogene Ehemann, der Ritter von der Helden, von seiner Reise zurück und fand sein Weib, welches ihn eigentlich zärtlich geliebt hatte und sich jetzt die bittersten Vorwürfe über das Geschehene machte, weinend und betrübt. Er fragte nach der Ursache und unter bitteren Thränen gestand sie ihm Alles. Voll Wuth und Zorn eilte er nach Goslar, um sich an dem Kaiser persönlich zu rächen. Heinrich mochte die Ursache dieses Besuchs ahnen und fand es daher für rathsam, ihn nicht vor sich zu lassen. Um aber auch für die Zukunft gegen seine Nachstellungen gesichert zu sein, fügte er den menschenfreundlichen Befehl hinzu, den Ritter auf eine gute Art aus dem Wege zu räumen. Hiervon erhielt derselbe jedoch Kunde; er verließ Goslar sogleich und rächte sich nur dadurch, daß er die Bergleute auf dem Harze zum Aufstand reizte und mit ihnen die Gegend verließ, wodurch auch die Bergwerke selbst in gänzlichen Verfall geriethen. Heinrich zog nun die Burg Scharzfeld mit Zubehör ein und belehnte einen gewissen Wittekind von Wolfenbüttel damit. Der genannte Burggeist soll aber auch späterhin noch auf der Burg zu sehen gewesen sein und fortgefahren haben, die Frauen der Burgherren zu bewachen. Ueberhaupt stand er mit letzteren in so gutem Einvernehmen, daß wenn diese aus waren und inzwischen sich im Schlosse der oder jener Unglücksfall ereignet hatte, er sich vor das Schloßthor hinstellte und so lange wartete, bis der Burgherr zurückkam, um ihm das Vorgefallene sofort zu berichten. |