Die Zwergenhöhle bei Dorste

Vor langer Zeit wohnte im Hütteberge, nahe bei dem Dorfe Dorste – die Höhle zeigt man heute noch – ein Zwergenkönig mit seinem Volk. Die Zwerge aber waren den Menschen nicht hilfsbereit, wie manche anderenorts, sondern sie machten sich ein Vergnügen daraus, sie zu ängstigen oder ihnen zu schaden: so raubten sie junge Mädchen oder kleine Kinder, besonders aber richteten sie in den Feldern großen Schaden an. Einstmals hatte ein Bauer in der Nähe des Hütteberges ein schönes Erbsenfeld, das er oft mit Freunde betrachtete. Als aber die Erbsen reiften, sah er, daß die Schoten gepflückt und ausgeschält und die Ranken zertreten wurden; doch er konnte bei aller Aufmerksamkeit nie einen Täter entdecken. Er klage nun seinem alten Nachbarn sein Leid, und dieser wußte denn auch einen guten Rat. Weil er ahnte, daß hier die Zwerge im Spiele waren, riet er dem Bauern, er solle mit seinen Knechten nach dem Erbsenacker gehen und dann sollten sie mit langen Weidenruten über das Feld hin und her schlagen. „Die Wichtel“, so sagte er heimlich, „tragen Wünschelhüte, die machen sie unsichtbar. Aber schlagt ihr einem von ihnen mit den Ruten den Hut ab, so wird er sogleich sichtbar, und ihr könnt ihn fangen. So geschah es auch. Leise schlichen Bauer und Knechte zum Erbsenfeld. Da hörten sie es zwischen den Erbsen rauschen, als wenn wer darin wirtschaftet. Sogleich fingen sie an, mit den Ruten über das Feld hin und her und kreuz und quer zu schlagen, und bald stand ein alter Zwerg sichtbar da. Der flehte und weinte und versprach: „Laßt mich los, laßt mich los! Ich will dir einen ganzen Wagen voll Gold geben, wenn du vor Sonnenaufgang vor unserer Höhle bist.“ Der Bauer glaubte ihm und ließ ihn frei, nachdem der Zwerg noch verraten hatte, wo die Höhle sei. Unser Bauer spannte nun, als die Turmuhr zwölf Schläge tat, den Wagen an und war pünktlich an der bezeichneten Stelle. Als er vor der Höhle hielt, hörte er, wie sie drinnen juchzten: „Dat is gaut, dat is gaut, dat de Buerken nich weit, dat de Sunn um twölf upgeit.“ Da klopfte unser Bauer mit dem Peitschenstiel an den Berg. Sogleich wurde es still, und der alte Zwerg stand da, wies auf ein totes Pferd, das da lang und meinte griesgrämig: „Das nimm mit, mehr habe ich nicht“, und verschwand wieder. Darüber war der Bauer höchst ärgerlich. Um aber nicht mit leerem Wagen heimzukommen, fiel ihm ein, er könne ja ein Stück Fleisch seinen Hunden mitnehmen und hieb deshalb von dem Pferde ein großes Stück ab und warf es mißmutig auf den Wagen. Dann fuhr er zurück. Als er auf seinen Hof kam, da war alles gediegenes Gold. Gleich fuhr er noch einmal hin, um den Rest nachzuholen. Aber Zwerg, Pferd und Höhle waren und blieben seit der Zeit verschwunden.
 

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