174 Die Mittagsseite des Harzes. Wo die Selke Ihre südlichste Krümmung macht und auf der Gränze, welche das Bernburger Gebiet von der Grafschaft Stolberg scheidet, liegt das Dorf Strasberg, dem Mineralogen bekannt durch sein Silberbergwerk, seine schönen Flussspäthe, seine schwarzen Blenden, seine Amethyste und trefflichen Wasserwerke, überhaupt merkwürdig, weil hier der Eisenspath die reichern Erze überall begleitet, und dem Bergmann als Schatzgräber dient. Der Weg von hier nach Stolbergist ermüdend; er geht beständig durch düstere Waldung und läuft über einen Theil des Auerbergs, eine der bedeuteudsten Höhen des Unterharzes, dessen finsteres Gehölz, trotz der Stolberger Diamanten, klare Bergkrystalle, die man in seiner quarzreichen und ehedem goldreichen Porphyrmasse findet, nichts Anlockendes hat, wenn man das liebliche Selkethal eben verliess. Mit unsern Empfindungen harmonirte freilich diese einförmige, schweigsame Umgebung in etwas, eigen war uns jedoch die Bemerkung, dass wir ohne Abrede uns Alle dichter an den gedrückten Gustav anschlossen und Jeder ihm die besonderste Aufmerksamkeit zu zeigen
Gez. v. L. Richter. | | Gest. v. Sands. | | S A N G E R H A U S E N . | |
Gez. v. L. Richter. | | Gest. v. E. Benjamin. | | S T O L B E R G . | |
175 bemüht war. Verjährte Irrthümer waren von ihm gefallen, er hatte sich selbst wiedergefunden, aber es hatte ihm viel gekostet. Wie ein Genesener, dessen kaum verharschte Wunden die zarteste Schonung erheischen, ward der Freund beachtet und gehätschelt. Erschreckt fast tritt man unerwartet in das Städtchen Stolberg gerade aus dem fast langweilig gewordenen Buchendunkel hinein, ein trister, armseliger Ort, eingeklemmt in die hohen Berge, von seinem weissen Schlosse beherrscht, das wachsam in die drei Spalten herabblickt, in welchen zweitausend Menschen, meistens Leinweber und Kornhändler, ihre Nester zusammengequetscht. Das Schloss gibt ein hübsches Landschaftsbild mit seinem runden Thurme, und ist geräumiger als das Wernigeröder Schloss. Die Grafen von Stolberg - Stolberg residiren auf dieser Höhe. Es soll eine artige Bildergallerie, eine Sammlung seltener Uhren, viele Familienporträts und alte, kunstvolle Stickereien enthalten, auch ein hier ausgegrabenes Erzbild des Götzen Krodo umschliessen. Wir bestiegen es nicht wegen Anwesenheit der Herrschaft, begnügten uns, die sogenannten Stolberger Lerchen, auf welche wir unsern Moritz, einen gebornen Leipziger, lüstern gemacht, und die sich zu seinem Erstaunen als kleine, wohlschmeckende Würstchen präsentirten, und das vortreffliche Felsenwasser des Klingelbrunnens am Waisenhause zu kosten, begafften das alte Haus, wo der berüchtigte Thomas Münzer *) geboren worden, und zogen auf unserer Strasse fürbass. Die Stolberger rühmten den Tannengarten, ein gräfliches Jagdschloss jenseits des Auersbergs mit eigenthümlichen Anlagen, indem man den dichten Buchenwald mit Tannenalleen durchschnitten und diese durch Lusthäuserchen geziert hat. Aber höchlichst verwunderte sieh Jedermann, dass wir nahe der Josephshöhe im Auerberge vorheimarschirt waren, ohne diese so neu erschaffene wie entzückende Anlage zu besteigen. Nachdem man uns die kleine, mehr perorirende, als genügend beschreibende Druckschrift über
*) Sein Vater soll zu Stolberg hingerichtet sein; vielleicht daher der Keim seines Hasses gegen Fürsten, Adel und Klöster. Er ward Prediger zu Zwickan, Wiedertäufer, Bauerngeneral, und die Fürsten liessen ihn nach der verlornen Schlacht bei Frankenhausen 1525 zu Mühlhausen enthaupten.
176 diesen Glanzpunkt nebst Abbildung des Platzes (vom Stadtprediger Schüler zu Stolberg) vorgelegt hatte, bedauerten wir in Wahrheit, dass wir durch kein Taschenbuch auf denselben hingeleitet worden und dass uns der anweisende Guide gefehlt. Durch jahrelange Anstrengung hat es der regierende Graf vermocht, auch seinem düstern Stolberg einen lichtern Freudenplatz zu erschaffen, einen Anlockungsort für die Reisenden, gleich der Victorshöhe und dem Stubenberge. Hoch auf dem finstern Auerberge der seinen Namen sicherlich dem altgermanischen Urus oder Auerochsen verdankt ward durch Sprengung des weisslichen Porphyrfelsens und durch Ausrodung zahlloser Waldbäume ein freies Plateau gebildet, und dieses durch einen so originellen wie geschmackvollen Thurmbau geschmückt. Ein kühnes und grossartiges Werk! Auf einem fünfstufigen Fundamente, das mit einem starken und kunstreichen Eisengatter umstellt ist, erhebt sich über einer mit Thüren und Fenstern versehenen Steinhalle ein übergrosses, vom stärksten Balkenwerk gänzlich durchbrochen gearbeitetes, innen wie aussen besteigbares Kreuz, vielleicht das kolossalste Nachbild dieses heiligen Zeichens. Das Symbol des Glaubens steht hier an keinem weihelosen Orte, denn schon seit lange war es ein lobenswerther Gebrauch der Stolberger, in der Frühe des Pfingstmorgens hierher zu wallfahrten und im jungbelaubten Holze das Maienfest mit frommen Gesängen zu beginnen. Das Rondel, welches das Kunstwerk umgibt, ist mit zwei netten Häusern besetzt, und in dem Kranze hoher Buchen verstecken sich einige Mooshütten, um sich von den Freunden der Einsamkeit suchen zu lassen. Der Platz hat etwas Kirchliches; die Errichtung der vielen Kreuze am Harz möchte aber fast zu der Idee leiten, es herrsche hier noch viel vom alten Wahn, der solche Schutzzeichen nöthig hielt. Im Ueberfluss ist man dann freilich gesichert, dass jenes alte Teufelsreich nicht kehre, denn die Wege zum famösen Brockenthrone sind ihm so ziemlich durch mächtige Drudenfüsse versperrt. Ernsthaft genommen stehen diese Kreuze jedoch am Harzgebirge zwischen den Trümmern der Zwingburgen, den Götzensteinen und Blutaltären am geeigneten Platze; sie künden den Sieg der duldsamen Liebe über jene alte hasskeuchende Wildheit.
177 Die Aussicht auf der Josephshöhe ist sehr schön und reicht weit. Man sieht östlich den Magdeburger Dom, die Fluren der Elbe und der Saale, die Thürme von Halle. Südlich, wohinaus die Durchsicht besonders gelichtet ist, erscheint das Labyrinth des Thüringer Waldes mit seinem köstlichen Vorgrunde; freilich nähert sich diese Form nur dem Falkenauge oder muss durch ein gutes Seherohr herangelockt werden. Das jährliche Wiesenfest der Stolberger wird jetzt ebenfalls auf diesem Lieblingsflecke begangen, und hatte erst vor Kurzem, am Ende des Julimondes, Statt gefunden. Graf Joseph theilte diese Feier, und erschien mit seiner Familie und seinen Gästen in Staatsequipagen auf der Höhe, wo ein grosses Zelt für die edle Gesellschaft bereit stand. Die Kanonen von Stolberg donnerten über den Wald hinaus; militärische Jägermusik weckte die Baumnymphen und Bergnymphen, und lockte die schüchternen Oreaden und Dryaden zum Tanze, und die Stolberger Schützen schossen um die silberne Königskette. Wir hatten wahrlich Mühe, der Versuchung zu widerstehen und den Rückmarsch von mehr als einer Stunde aufzugeben. Das gedrückte Gemüth panzerte die Schaulustigen wohl am stärksten gegen die wohlwollenden Ueberredungskünste. Der Bergbau dieser Gegend geht auf Eisen und Kupfer, auch ist eine Messinghütte in der Nähe. Zwei, südwestlich von Stolberg liegende Dörfer, Schwende und Wolfsberg, sind anzuführen: Letzteres, weil es die einzige und sehr ergiebige Spiessglanzgrube des nördlichen Deutschlands besitzt, die auch den seltenem Zinkenit und Rosenit spendet, und Ersteres, weil in seinem engen Krummschlachtthale allein am Harze der ächte Fluss in dem sogenannten Flussschachte gefunden wird. Auch Stolberg hat, so wüst und fast unfreundlich es liegt, sein Thal, sein kleines Eden. Gerade hinab gen Süden scheint das schmale Thal der Tyra (ein Bach, aus einem Netze von kleinern Bächen gebildet) einen Ausfallsweg von dem Harz in's Freie zu bilden, zwischen dessen vollbelaubten Bergwänden im smaragdenen Wiesenbette das Strömchen sich hinschlängelt; aber von Westen her schiebt sich ein anderer Bergrücken vor, und deckt den Laufgraben da, wo das gräfliche Landhaus Rottleberode erbaut wurde, um der edlen Familie in der Nähe ihres Stamm-
178 hauses, der Burg Stolberg, deren Ruinen ein tiefer Graben noch immer treulich beschirmt und die auf dem Rande des erwähnten Querberges liegen, einen Sommeraufenthalt zu sichern. Ein grosser Erdfall, der zum Teich geworden, eine Kalkhöhle, die Heimkehle genannt, die über einem Wasserbecken ein hie und da durchbrochenes Gewölbe bildet, der Kräuselberg, in dessen Kalksteinbrüchen man Mammuthsknochen fand, und die alten Kupfergruben im Kupferschieferflöz, das der Kräusel umgibt, gelten als Merkwürdigkeiten dieser Gegend; die Stolberger müssen uns jedoch verzeihen, dass wir auch diesen Seitenmarsch fürchteten und von unserer trüben Stimmung gespornt auf dem Waldwege weiter pilgerten. Und nichts als Wald und immer wieder Wald, rundum, neben und über uns nichts als Bäume und wieder Bäume, stundenlang kein Zeichen von menschlicher Nähe, bergauf, bergnieder über steile Höhen, die ein mürrischer, maulfauler Junge, der an uns vorüber ging, mit ansprechender Benennung die Himmelssteigen nannte, das machte den Marsch immer beschwerlicher, zwang uns zur Lagerung am klaren Bach, und liess uns das defekte Fusswerk, das wir bislang wenig beachtet, mit Sorge und Missmuth betrachten. Da lichtete sich auf der Höhe plötzlich der Wald, als hätte eine Zauberhand die Buschwand niedergeworfen, stumm in froher Bestürzung sahen wir in die Helle; es war wie ein Mosisblick in das gelobte Land; wir standen neben dem Jagdhause Eichenforst, und vom flimmernden Strahlennetz der Abendsonne umzogen lag die güldene Aue vor uns weit ausgebreitet da. Wer sie zuerst also sah, diese prachtvolle Flur, wie wir, der konnte ihr keinen andern Namen geben; es ist die seltenste, reichste, farbigste Landschaft dieses Erdflecks, ihr Charakter, ihre Natur ganz verschieden von den gesehenen östlichen Gegenden, Alles warm, südlich, das Herz aufschliessend, den verdüsterten Geist weckend, belebend; wir konnten uns nicht losreissen aus dem Bann, mit dem der erste Blick unsere Sinne gefesselt. Nordhausen und der Kyfhäuser blieben die hellen Punkte, an welche sich unsere besondere Theilnahme hing; Nordhausen, des kaiserlichen Finklers Stadt; Freimaurer-Brüder stellten ihre Bauhütte auf das Fundament des kaiserlichen Palatiums, wo einst die muthige Mathildis Deutschland bevormundete,
179 und treiben dort unverdrossen und ohne Furcht und Hoffnung ihr Werk, das nie zu Ende kommt, weil es, seinem Zwecke nach, nie zu Ende kommen kann; Nordhausen, wo Heinrich der Vierte seines Thrones entsetzt wurde, 1047, wo Otto IV. der Braunschweiger die schwäbische Beatrix ehelichte, die nur drei Tage Frau und Kaiserin war, und wahrscheinlich gleich ihrem Vater keines natürlichen Todes starb und Kyfhausen mit seinem majestätischen Thor und seinen ehrwürdigen Ruinen, in deren tiefstem Gewölbe der alte Rothbart sitzt am runden Tische, der kriegerische Friedrich, der Verderber der braunschweigischen Fürstengrösse und Herrlichkeit, und den Kopf gestützt schläft, indess sein Bart wie ein Haarmoos den ganzen Tisch umwachsen, auf eine bessere Zeit wartet, in der er seinen Schild hängen möchte an die vertrocknete deutsche Eiche, damit sie wieder grüne in alter Macht und Pracht, und alle hundert Jahr einmal erwacht und fragt : Ob die Raben noch fliegen um Berg und Burg? welche einst gehört, wie er sich und sein Hofgesinde im Zorne verflucht *). Der Verlust der Josephshöhe war ersetzt. Fest hielten uns die weichen Moosbänke, umgeben von dem englischen Garten, den Menschenhand der ungebändigten Natur abgetrotzt; fest hielt das Auge die Aue mit ihren Matten und Feldern voll rühriger Ernter, mit ihrem Gewimmel friedlicher Dörfer; mit Ueberwindung nur konnten wir uns trennen von dem Platze, und riefen : Die Erde ist doch schön, deine Erde, du Unnennbarer und Einziger! Der tiefere Sonnenstand mahnte; wir stiegen erquickt, neu angefrischt weiter, und des Waldes Dunkel schien uns jetzt anmuthiger, auch durchschnitten grosse Wiesenplätze seine Dichtungen; fleissige Landleute, die ihr Heu einbrachten, gaben ihm geselliges Leben, und wir hörten ihre Grüsse mit Wohlgefallen und beschenkten gern die Rinder, welche, mit Furcht auf den runden Wangen, dem ländlichen Gebrauche gemäss mit schwachen Retten von Feldblumen den Fusspfad abzusperren wagten. Der Mensch ist nirgends zum Eremiten geboren; in der Fremde fühlt man den verborgenen Magnet am stärksten, der überall den Menschen zum Menschen zieht.
*) Deutsche Sagen, von den Brüdern Grimm. 1816. 23.
180 Doch die Nacht kam, ehe wir's erwartet; die Schatten breiteten sich wie grosse Geisterfittiche immer weiter aus; unvorsichtig hatten wir keinen Führer aufgerufen; Kreuzwege stellten uns Schlingen, Baumwurzeln legten uns Fallen; kein Laut verrieth den Horchenden die Nähe lebendiger Wesen; wir folgten diesem Wege, jetzt jenem, doch wenn er sich nach einer falschen Himmelsgegend zu krümmen schien, oder im hohen Farrenkraute oder gar an einem Sumpfe sich verlor, irrten wir auf ihm rathlos zurück; ein kühles Nachtquartier in unwirthlicher Wildniss schien uns bestimmt, und mit unlustigen Mienen ergaben wir uns schon darein. Gustav hatte sich bereits mit Hingebung in das hohe thauige Waldgras gebettet. Was ist's weiter als ein geringes Ungemach, sprach er zu mir, mit denen das Leben durchsäet ist, und Reisen und Leben klingt gleichbedeutend. Die Morgenkühle wird in Hopf und Brust das heissströmende Blut kälten und sein Anstürmen sänftigen. Mir besonders scheint es, als wenn eine neue Lebenskraft im Innern wach geworden, in Adern, in Fleisch und Sennen; auch fürchte ich keine Nacht mehr, und schüttelten auch Stürme diese Gipfel über uns, und bräche ihr mächtiges Astgeflecht, das unser Dach werden soll. Die Gespenster sind alle von mir gewichen. Denn, nicht wahr, William, konnte der Ohm mich fast vergebend und entsündigt betrachten, so wird Sie, die Milde, Zarte, nicht härter sein, wird nicht mehr hassen, nicht mehr verachten. Und der Ohm hat sicherlich den Brief eingesteckt, damit Sie ihn lesen möge. O Du glaubst nicht, wie mich das erquickt und ermuthigt! Zu hoffen ist nichts dabei, aber es ist mir, als sei dadurch ein geheimes, geistiges Band wiederum zwischen uns angeknüpft, so wie ein geknickter Blattenzweig von der Binde des Gärtners gehalten wird, damit er nicht ganz bricht, und wie er fortblüht, wenn auch die geknickte Stelle nimmer wieder gesundet. Von Hoffnung ist freilich nichts dabei; der runde Herr mit den Pistolen deutete ja auch auf ein fröhlicheres Bündniss. O ich verstand ihn, und mag er die weisse Rose nur fein halten und zart berühren! Hoffen darf ich ja nur, dass Sie nicht mehr im Hasse des Ersten gedenkt, dem sie die weisse, feine Hand gereicht, wenn Sie einem Zweiten sie schenkt, da Sie von meinem Schmerz und meiner Reue weiss; nicht wahr, William?
181 Seine Stimme klang wehmüthig durch die Nacht zu mir auf, und seine lichtlose Entsagung rührte mich tief; ich neigte mich zu ihm, doch meinen Zuspruch störten die jubilirenden Gefährten. Theodor hatte mit dem scharfen Auge, das den Nachtfalter zu verfolgen und den schwirrenden Flüchtling einzufangen gewöhnt war, jenseits einer Schlucht auf nahem Hügel einen morschen Wegweiser entdeckt und an seinem hölzernen Arme das Wort: Nach Neustadt! entziffert. Ungesäumt brachen wir auf, und mit scheuer Verwunderung wurde die nächtliche Rotte angeschaut, als sie in die kleine Hauptstadt des Stolbergischen Antheils der Grafschaft Hohenstein einzog, den der Grafenstamm unter Hannoverscher Hoheit besitzt, indess die zweite Hälfte des Ländchens unmittelbares Königsland geblieben. Vor der Raths- oder Amts-Schenke machten wir Halt; Entbehrung ist des Genusses Würze, und die ewige Weisheit hing an dieses Mittel das Glück der Bettler; nicht viel mehr als das gewöhnlichste Gasthaus, und zum Logiren kaum berechnet, hatte dieses Asyl heute für uns den Werth eines Wiener Hotels mit springenden Marqueurs und duftendem Kochheerde. Dir muss ich hier ein Denkmal setzen, selbst auf die Gefahr hin, verlacht zu werden, Dir, Du treuherzige Baucis, welche die Söhne der Fremde so gefällig aufnahm in Dein Haus, wo Eintracht und Genügsamkeit als Hausgötter am Heerde herrschten; Dir, ehrliches Mütterchen, die so ämsig für unsere Erquickung und Bequemlichkeit Sorge trug, die sich die Mühe der nächtlichen Wege nicht nehmen liess, um durch die Nachbarn unsere leidende Garderobe herstellen zu lassen, und am andern Morgen betrübt auf die garstigen Handwerker schalt, die, der Wandersleute Noth benutzend, nach ihrer Meinung die Preise zu hoch gestellt. Mütterchen, dachtest Du vielleicht Deiner Söhne, die als fechtende Gesellen aussen im fernen, unwirthbaren Lande umherziehen, und drängte es Dich, an uns zu üben, was Du gern für die Deinen von den Menschen gethan wünschtest? Der Himmel erfülle Deine Gebete, lasse sie nirgends umsonst klopfen an nächtlicher Pforte, und lasse sie viele deutsche Frauen finden voll Herzlichkeit und Wohlwollen wie die eigene Mutter! Und Ihr, Verspötter der verloren geglaubten Deutschheit, sucht sie nicht oben, sucht sie tief unten im Volke; dort lebt sie noch, und rühmlicher, weil sie
182 in den Lagunen des Lasters und der Gemeinheit nicht vermoderte. Die Miniatur-Hauptstadt prunkt am Rathhause mit einem zehnfüssigen Roland, dem altgermanischen Sinnbilde der Gerichtsbarkeit über Leben und Tod; aber der Neustädter Roland hält gnadenreich sein Schwert in der Scheide, indess der Nordhäuser es nackt in der Rechten trägt. Neustadt unter dem Hohenstein heisst sie nach der zerfallenen Burg, die dicht über dem Orte auf einem Porphyrkubus in gewaltigen, ausgedehnten Trümmern liegt, so dass man einen Führer bedarf, um sich in dem mit Busch durchwachsenen Mauerwerke nicht zu verirren, zwischen dem man auch die niedlichen, schlanken Stämmchen der Cornelkirsche antrifft. Graf Curt von Sangerhausen erbaute die Veste im 11ten Jahrhunderte, sie wurde Stammhaus der Hohensteiner, kam durch Rauf an Stolberg und ward im 30jährigen Kriege von dem chursächsischen Obristen Vitzthum von Eckstädt in Ruinen verwandelt. Auch hier ist die Aussicht in die güldene Aue köstlich, und die weissen Alabasterfelsen, welche von der Aue her am Krebsbache hinauf bis zum Hochgebirge streichen, geben der Gegend eine eigene lachende Physiognomie; das Anlegen des älteren Flötzgebirges an das Uebergangsgebirge lässt sich hier gar deutlich beobachten. Nur eine Stunde von da trafen wir auf das berühmte Ilefeld, freilich nur ein Hannoverscher Flecken, kleiner noch als Neustadt, aber wichtig durch sein Pädagogium, das mit den besten sächsischen Fürstenschulen wetteifern darf, und worin mancher hochberühmte Deutsche seine Vorstudien gemacht. Dicht neben Ilefeld lag einst die Ilburg, jetzt nur ein Steinhaufen mit Ruhebänken umgeben, und auf ihr sass Graf Ilger von Hohenstein, der zum alten Geschlechte derer von Bielstein gehörte. Aber Blutschuld lastete auf dem Burgherrn, denn er hatte einen Todtschlag begangen am Ritter Konrad von Beichlingen, einem Sohne des Baiern-Herzogs Otto von Nordheim, und zur Sühne stiftete er eine ewige Lampe. In der klippenreichen Schlucht, oft vom dicht zusammengeschobenen Waldberge verengt, durch welches die Bäre in schäumendem Wel-
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183 lensturze sich in das Freie drängt und die kahle Wand des Rabensteins bespühlt, und wo die schwindelerregende Klippe des Gänsekopfs dräuet, brannte die geweihte Lampe in einer Felsnische; Hirten und Holzfäller beteten bei ihr, und gottesfürchtige Männer siedelten sich an neben der heiligen Stätte. Als im Jahre Christi 1178 Ilgers Sohn von Heinrich Leo die Grafschaft Hohenstein zu Lehn empfing, musste er dafür auf dem Platze der ewigen Lampe ein Marienkloster erbauen und dasselbe mit der Ilburg und deren Gebiete dotiren *). So entstand Ilefeld, ein Mönchskloster, 1550 von seinem eigenen Abte reformirt und in eine Schule verwandelt. Die Trefflichkeit der Anstalt, in der neun Lehrer unter dem Director unterrichten, und in die acht Freischüler von Hannover, acht von Stolberg gesetzt werden dürfen, ist allgemein bekannt und anerkannt. In der Klosterkirche finden sich die Steinbilder des Grafen Ilger und der Gräfin Lutrudis, auch ein bemaltes Steinbild, den ersten Rector der Anstalt, Neander, vorstellend. Zwei bedeutende Braunsteingruben liegen in der Nähe des Platzes, auf dem auch hier eine völlig versunkene Harzburg gedroht haben soll; gegen der Ilburg über arbeitet am kreideweissen Ufer die Johannishütte, ein Eisenwerk. Bunte Mandelsteine, Amethystkugeln, Achate lagern hier zu Hauf, der reinste Alabaster, darum auch galanter Weise der schöne Mädchenstein genannt, ist ein Schatz dieser Gegend, und der zarte, seltene Chiastolith fand sich im Porphyr verstreut. Im Kupferschiefer bei Wiegersdorf kommen Fischabdrücke vor, und 1803 wurde hier ein vollständiges Mammouth-Skelett ausgegraben. Auf der Heerstrasse hinter dem Orte geriethen wir mitten in eine lebhafte Volks-Scene, die bösartiger Natur schien, und säumten nicht, mit Wort und That einem Einzelnen beizustehen, der von der Mehrzahl misshandelt schien. Mehrere mit Leinwand überwölbte und mit langen Zügen muthiger Hengste Pferd an Pferd bespannte Wägen hielten auf der Chaussee. Die Führer in ihren blauen Staubhemden aber waren unter boshaftem Geschrei und spöttischem Gelächter um einen Felsblock von seltsamer Gestalt beschäftigt, den sie zum Marterblock eines ihrer
*) Havemann's Geschichte der Lande Braunschweig und Lüneburg. S. 141.
184 Kameraden ausersehen. Der weisse Stein glich beinahe einem auf die Spitze gestellten Triangel und hatte mitten eine enge Spalte; in ihr steckte der muskulöse und wohlbeleibte Bursche, und die Uebrigen bemühten sich, mit ihren groben, safrangelben Zigeunerhänden den Eingeklemmten und laut Aechzenden hindurch zu spediren. Es gelang, der Bursche stand auf den Beinen, aber die Kleidung hing zerfetzt und die Schultern waren geschunden, doch lächelte der junge Mensch sauersüss in die Morgenluft hinein. Ein alter Fuhrmann klärte uns die Sache auf. Der Stein hiess das Ilefelder Nadelöhr, und jeder Kärrner, der zum ersten Male diese Strasse von Nordhausen herauf passirt, muss sich dem Durchkriechen unterwerfen. Es war also eine Art Neptunus-Taufe am Aequator auf dem Lande gewesen, und dieses Nadelöhr, den Magern Freund, den Wohlbeleibten Feind, mochte schon manchem Dorfschneider Arbeit gegeben haben. Die Geschichte wäre für unsern Fränzel ein Gaudium gewesen, bemerkte unser Musikus, erschrak aber und brach ab, als er die Wolken sah, welche diese Erinnerung auf alle Gesichter legte. Im südlichen Vorharz sind Erdfälle und grössere oder kleinere Höhlen in Menge anzutreffen; berühmt und berüchtigt zugleich war unter ihnen die Kelle, welche wir auf dem Wege nach Elrich neben dem Dorfe Werna berührten. Berühmt war diese Grotte durch ihre enormen Dimensionen. In einem angenehmen Hölzchen voll kleinerer Erdfälle trifft man, nachdem man eine Anhöhe umgangen, auf eine glatte, weisse Felswand, an deren Fusse eine weite Oeffnung wie der Rachen eines gähnenden Ungeheuers sich aufthut. Früherhin durfte man an der schrägen Fläche dieses Schlundes hinabgleiten, und fand ein ungeheures, regelmässiges Gewölbe vom schneeweissen, glänzenden Gypsfels, in der Tiefe durch einen eisigkalten, 40 Fuss tiefen krystallhellen See gefüllt, der so klar, dass die Füsse sein Wasser berührten, ehe das Auge es wahrgenommen. Das Wasser ist so kalt und zugleich ätzend, dass Frösche und Fische darin umkommen. Der Dichter Gökingk, Bürgers Freund, einst Kanzleidirector zu Elrich und Besitzer eines geschmackvollen Landhauses im nahen Wülferode, besang diese Grotte als seinen Lieblingsplatz in seinen Romanzen, verglich sie mit dem fürchterlichen Orkus, und liess in poetischer Spielerei sie mit hölzernen
185 Bildwerken, dem Fährmann Charon und Gruppen aus dem Tartarus, ausschmücken. Berüchtigt war sie durch den Wahn, sie fordere jährlich ein Menschenopfer, weshalb die nahewohnenden Mönche und Priester zu ihr von Zeit zu Zeit im zahlreichen Geleite der Umwohner fromme Prozessionen veranstalteten, Messen lasen und Geldopfer einsammelten, wodurch die Theilnehmer sich gesichert glaubten und das Sprüchlein seinen Ursprung fand : Kommt und guckt in die Helle, so kommt Ihr nicht in die Hölle! Der Wahn hat sich zwar mit den Mönchen verloren, aber vor etwa dreissig Jahren erprobte sich dennoch die alte Verführungskraft der unterirdischen Berggeister durch den räthselhaften Selbstmord zweier Zimmergesellen, die die Kelle zu ihrem Sterbebett erwählten. Mit ihrer Berühmtheit geht es ebenfalls zu Ende; das mürbe, feuchte Gestein vernichtet selbst, was es gebildet; seit einigen Jahren ist ihr Gewölbe bereits so zusammengestürzt, dass sie unansehnlich und ungangbar geworden. Elrich, das preussische Gränzstädtchen, das seit dem November 1830 einen historischen Ruf bekommen, weil der von seinem Volke vertriebene Herzog Karl von Braunschweig in ihm sein Hauptquartier aufgeschlagen, um von hier mit einem Heerhaufen zusammengelaufenen Gesindels sein Herzogthum wieder zu gewinnen, vor den anrückenden Forstmännern und ihren ferntreffenden Büchsen jedoch nicht Stand hielt, Elrich liessen wir unbeachtet und folgten dem Fusssteige nach Walkenried. Die Wanderung durch diese Gegend ist höchst unterhaltend durch die Anmuth der Umgebung und den Wechsel der Gegenstände. Am Abhange eines belaubten Hügels erheben sich die Reste des Klosters Walkenried, und mit Erstaunen betrachtet man diese Zeugen der Herrlichkeit deutscher Baukunst, muss der Stimme früherer Beschreiber Recht geben, die sie unvergleichlich nennen, und verwünscht mit ihnen die barbarischen Fäuste, die im Bauernkriege dieses Meisterwerk anzutasten wagten. Seinen Ursprung verdankt es einer Gräfin von Klettenberg, 1127; Benedictiner bewohnten es und die Kaiser beschenkten es freigebig. Achtzig Jahre bauete deutscher Kunstfleiss an diesem Prachtbaue, und seine Kirche galt für die schönste im ganzen Reiche. Dass sie zu den ansehnlichsten gehörte, bezeugen die Schwibbögen, Pilaren und Wände, die annoch von ihr stehen, bezeugen die vielen Kirchen, Hospitäler und Land-
186 häuser, welche von ihren trefflichen Quadern in der Nachbarschaft erbauet worden, die man selbst bis Cassel verfahren hat. Schade ist es, dass die zu dicht an die majestätische Ruine gelegten Häuser des Fleckens gleichen Namens den Ueberblick verkümmern. Eine Halle wird noch jetzt als Kirche benutzt. In den düstern Kreuzgängen sind zahllose alte Monumente zu beschauen, Schätze für den Antiquar, und über ihnen die Folterkammer, wie auch ein kleines Gemach, die Lutherfalle getauft, in welchen eine Fallthüre dem kühnen Reformator, wie man sagt, Unheil bereiten sollte, dem von Gott Beschirmten aber durch einen voran laufenden Hund verrathen wurde. Der Cantor loci fand in diesem Verliesse scharfe Fusseisen und vermoderte Knochen. Vom Klosterthore lockt ein lachender Holzweg gerade in das schmale und tiefe Thal der brausenden Zorge hinein, und der anderthalbstündige Marsch bis zu dem Braunschweigischen langgedehnten Dorfe, das mit dem Flüsschen seinen Namen theilt, belohnt sich. Wir haben uns wiederum dem Fusse des Hochgebirges genähert, die schönen Tannenwände, welche sich an den Wiesenplatten des Thales aufstellten, künden es; wir stehen auf Blankenburgischem Territorio, dieser seltsam geformten Landschaft, die, einem fabelhaften Drachenbilde ähnlich, das Ende des stumpfen Leibes bis nach Wernigerode hinauf krümmt, mit dem gehobenen Schnabel bei Oberbrück den Brocken berührt, und mit der Fusskralle das Preussische Elrich umkneift. Zorge hat ein ansehnliches Eisenhüttenwerk, den Donner seines Eisenhammers hört man weithin; eine Drahthütte ist auch vorhanden, und aus seiner Giesserei ging der 70 Fuss hohe Obelisk hervor, der zu Braunschweig den beiden Herzögen, die in den Napoleonischen Kriegen den Soldatentod starben, errichtet ward. Auch trifft man hier eine Maschinenwerkstatt von Ruf, welche Dampfmaschinen und Buchdruckerpressen liefert. Die Kirche hat keinen Thurm, sondern die Glocken hängen in einem Häuschen hoch am Berge. Zorge ist von Eisengruben umringt, die den übrigen am Unterharze gleich kommen, nur sind sie bei weitem tiefer, und ihr Bau ist neuerdings sehr vervollkommt; der schimmernde Blutstein und der traubengleiche Glaskopf bricht hier in ausgezeichneter Güte; häufig kommt der graue Katzenstein oder Stinkstein vor; Kupfererze liegen nur in kleinen Nestern. Fast des
187 Besuches noch würdiger ist jedoch das Dorf Hohegais, nicht weit über Zorge lang hingestreckt auf der kahlen Fläche eines der höchsten Berge des Unterharzes, den man schon vom Brocken aus erblickt, der mit dem vollen, winterlichen Klima des Oberharzes beschenkt ist, und dessen tannenbekränzten Fuss deshalb die tiefer Wohnenden den hohen Harz zu nennen pflegen. Steil fällt er ab zum Zorgethal, und wenn er im langen Winter mit Schnee bedeckt ist, mag er wohl einem langbehaarten Ziegenrücken ähnlich sehen. Ein solches betäubendes Gelärm, die diesen Fleck füllt, möchte kaum auf Erden zum zweiten Male zu treffen sein; siebenzig Schmiedewerkstätten hämmern, dreissig Bötticher rühren die flinken Schlägel, die Sangvögel sind geflüchtet, das Wild wagt sich nirgend heran, es wäre dieser Platz das trefflichste Botany-Bay für alle Schwätzer und Klätscher, generis leminini et masculini, um die Zungen dieser moralischen Meuchler lahm zu legen. Die Arbeit hält gesund, lauter frische Gesichter schaueten aus den von Russ gefärbten, mit vertrocknetem Moos bedeckten Holzhütten. In der Nähe von Zorge stand auch einst eine Staufenburg, die nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen an der Westseite des Harzes. Die hiesige war ein Raubschloss, das aber erst im dreissigjährigen Kriege vom Schwedenheere zerstört worden. Grimm erzählt eine Sage von einem verzauberten Fräulein, das noch am tiefen Burggraben wandere und schöne Lieder singe; auch von einer Fusstapfe, die ihrem Lieblingsplatze eingedrückt. Das Volk an den Bergen wusste aber nichts mehr von der Pantoffelspur und von der nächtlichen, goldhaarigen Sängerin. Unserm Reiseplane gemäss drangen wir nicht tiefer in das Hochgebirge, sondern eilten durch das Zorgethal zurück. Bei dem Herabsteigen erkennt man erst, wie ansehnlich diese hohe Gais ist. Gleich einer schwarzen Stadt mit hohen Thurmspitzen liegt der Tannenwald drunten, und zur Rechten gähnen Untiefen und grauenvolle Abgründe mehr als nöthig, um den Bewohner der platten, gefahrlosen Ebene Fieberschauer über den Rücken zu jagen. Die Zorge, von vielen kleinen Bächen gefüttert, sahen wir nochmals gern, wie sie sich durch ihr schmales Bette drängt, hier eine weisse Klippe überschäumt, dort an einem hindernden Mühlwehr sich zürnend aufstämmt, jetzt in viele kleine Arme
188 wie zum Spiele sich vertheilt, dort wiederum in einen mächtigen Wasserstrahl vereint, dessen Brausen weithin gehört wird. Im Frühjahre soll das Flüsschen oft sehr bösartig anschwellen und Brücken und Wehre gewaltsam zerstören, eine Eigenschaft, die den kleinsten Gebirgsbächen gewöhnlich ist, und um welche sich die Anwohner eben nicht zu kümmern scheinen. Bauet doch der italische Landmann am Fusse des tückischen Vesuvs die vor Kurzem vom Feuerstrome zerstörte Hütte wiederum auf. Es ist das der Zug der schönen Pietät des Menschen, der sich nicht von dem Flecke, wo seine Wiege stand und die Gräber seiner Alten liegen, zu trennen vermag. Missfarbig und abstossend stehen dieser Pietät die zahllosen Auswanderungen der neuesten Zeit gegenüber, und sprechen eben nicht für die Veredlung des deutschen Charakters. Auf der Strasse von Elrich weiter nach Westen rechts wird das Auge gefesselt durch den Sachsenstein, eine hohe, ausgedehnte Gypswand, deren blendend weisse Farbe in der grünen Landschaft eine ganz besondere Wirkung macht. Wohlgeeignet scheint der Platz zu den Volksversammlungen der langumlockten Sassen gewesen zu sein, wo sie hinter ihren mannshohen Schilden lehnten, und mit den baumhohen Lanzen und den langen Messern Krieg hinab dräueten zu den zagenden Thüringern. Wir passirten das Preussische Städtchen Sachsa, bei welchem sich der Ring des alten Sandsteins endet, der den südöstlichen Harz umlegt, und traten dann bei dem Dörfchen Steina, von dem linkerseits der Römerstein, eine schroffe und steile Klippe von blasigem Flözkalk, stolz wie sein Name in's Land schauet, über die Grenze des Fürstenthums Grubenhagen, und begrüssten Althannoversche Erde. Zwei Plätze fordern in diesem Abschnitte noch umständliche Erwähnung: es sind der Bergort Lauterberg und Schloss und Flecken Herzberg. Von Bartolfelde läuft eine Strasse rechts ab über ein Wässerchen und einen Berg, und führt zum Bette der Oder, dem Kinde des Brockens und einem für den edlem Bergbau bedeutenden Harzflüsschen. Am Eingange der Thalschlucht, die dieses Flusses Namen trägt, stösst man auf den Flecken Lauterberg,
Gez. v. L. Richter. | | Gest. v. I. J. Einchliff. | | S A C H S E N S T E I N . | |
189 eigentlich wohl Lutterberg, dessen Häuserreihen sich auf eine halbe Stunde Weges lang im Thale hinaufziehen und an 3000 Menschen beherbergen, deren Mehrzahl durch Bergbau und Hüttenarbeit ihren bescheidenen Lebensunterhalt gewinnt. Zuerst erscheint die Königshütte, die grösste Eisenhütte, welche Hannover besitzt. Ihre Werke sind auf drei Wasserfälle vertheilt und bestehen aus dem Hochofen, zwei Pochwerken, fünf Frischfeuern, einem Stahlfeuer, Hämmern, Draht-, Bohr- und Drehwerken. Die Giesserei hat es zu einer grossen Vollkommenheit gebracht, und man bewunderte auf der letzten Gewerbe-Ausstellung zu Hannover die eingelieferten Kunstwerke, worunter zwei bronzirte Apostelstatuen und ein bronzirtes Jagdstück mit den saubersten Productionen dieser Art rivalisiren durften, und ein zierlicher Ofen von neuer ovaler Form schnell seinen Liebhaber fand. Die Arbeiten der Lauterberger Blankschmiede und Nägelschmiede wurden dort ebenfalls beifällig betrachtet. Die Königshütte verschmilzt vorzüglich die schwertspathhaltenden Rotheisensteine vom Knollen und den Gruben der Umgegend, auch Brauneisensteine mit dem Zuschlage von mergeligem und dolomitischem Kalke. Das durchschnittliche Ausbringen beträgt wöchentlich 312 Zentner *). Die Zähigkeit des Königshütter Eisens eignet es besonders zu Gewehrlaufsplatinen und die Herzberger Fabrik bezieht solche von da. Das seit einigen Jahren sehr verbesserte Drahtwerk, mit einem neuen Walzwerke versehen, liefert wöchentlich von 6 bis 12 Zentnern Draht. Die Königshütte wurde 1732 angelegt, in neuerer Zeit jedoch mit den geschmackvollsten Gebäuden, gleich der Rothenhütte durch die zierlichsten Gussarbeiten geschmückt, ausgestattet. Früherhin lieferten die Lauterberger Gruben ein vorzügliches Kupfererz, jetzt wird nur noch eine derselben bearbeitet, die das Merkwürdige hat, dass ihr Erz nesterweise im losen Sande von Baryt und Kalkspath zu treffen ist. Die schönsten Malachite, Riese und Ziegelerze sind hier zu haben. Die Kupferhütte liegt höher berghinauf als der Ort, an dem Zusammenflusse zweier Bäche, der geraden und krummen Lutter. Färbereien und Leinwand-Weben und Bleichen beschäftigen ebenfalls mehrere Lauterberger Familien. Am
*) Das Harzgebirge, von Dr. Christian Zimmermann. 1834.
190 linken Ufer der Oder erheben sich dem Flecken gegenüber zwei Bergkuppen, dem Gebirge zugewandt: der Scholm, zu welchem eine schöne Aussicht verlockt, dem flachen Lande näher der Regel des Hausberges, der vormals eine Grafenburg trug. Von Bartolfelde gingen wir durch das Dorf Barbis, bei dem sich ein Erdfall vorfindet, dessen Wasser unergründlich ist, und der sich erst im Jahre 1825 unter donnerähnlichem Gekrache gebildet; dann über Neuhof, einem Vorwerke und Sitze des Amtes Scharzfeld, in dessen Nähe mehrere Maschinenfabriken arbeiten, auf Scharzfeld zu, ein Dorf, dessen Umgegend den Reisenden viel des Interessanten darbeut. Auf dem Wege dahin treten zwei Waldhöhen als Zwillinge aus dem Gebirge, welche sich weiter hinauf einer grösser Felsmasse anlegen, der Knollen genannt, die ihnen als Fuss dient, von dem sie gabelförmig hervorschiessen. Diese Waldhöhen umschliessen das Sehenswürdige der Gegend. Wer das Freie liebt, Licht, Luft und blauen Himmel, der folge einem alten Waldpfade und besteige den Kalksteinfelsen an der Spitze der linken Gabelzinke, und ergötze sich in den stattlichen Ruinen der Burg Scharzfels, einem Trümmerhaufen, immer noch ansehnlich, obgleich die Landleute das lockerliegende Gestein meistentheils verschleppten und als Baumaterial benutzten. So macht Alles seinen Zirkelkreis auf Erden, die vermoderte Eiche düngt das Blumenfeld, und des Bauern Enkel wird ein Volksführer. Die Aussicht von der Burg umfasst einen schönen Strich Landes von dem Eichsfelde, dem Göttingischen und Hohensteinischen. Die Burgen Scharzfels und Lutterberg gehörten den Zweigen eines alten Grafenstammes, der 1379 ausgestorben, und welcher, reich und mächtig, den grössten Theil der Umgegend zu eigen hatte. Scharzfels wird schon im Jahre 952 in alten Dokumenten unter dem Namen Skartfeld erwähnt. Zuerst war es Magdeburgisch, dann Reichs- und später, zu Heinrich des Löwen Zeit, Braunschweigisch Lehn; die Herzöge von Grubenhagen zogen es, als erledigt, ohne Berücksichtigung der Mitbelehnten ein. Das feste Schloss blieb lange wohlerhalten, bis die Franzosen 1761 die Besatzung überrumpelten
Gez. v. L. Richter. | | Gest. v. E. Benjamin. | | S C H A R Z F E L S . | |
191 und dasselbe nebst einem nahe belegenen kleinen Fort, der Frauenstein genannt, unwohnbar machten. Auch dieser stolze, hellgraue Fels, der mit seiner Trümmerkrone, dem Wolkensitze eines tapfern Stammes aus dem Dynastengeschlechte der Lauterberge, noch jetzt den Buchenwald herrisch überragt, hat seine Sage vom Jahre 1080, die ein geheimes Gottesgericht entfaltet. Gastlich aufgenommen von dem Burgherrn, ungewarnet durch die schimpfliche Busse zu Canossa, übte Heinrich der Vierte, der ungezähmte Lüstling im Hermelin, mit Hülfe des Burgpfaffen Gewaltthat an der edlen Ritterfrau. Ein Kobold, der bislang als graues Männlein den Schutzgeist des Schlosses gespielt, dessen Warnungen der redliche Schlossherr nicht beachtet, tobte in der Frevelstunde durch die Gänge und Hallen der Burg, und warf die Schieferdächer gleich einem Steinregen in die weiten Höfe. Kaiser und Mönch flüchteten in's Gebirge, nach der Sünde vom Bisse des Gewissens gestachelt und den Rachebund der Geister und Menschen fürchtend. Der Mönch erhenkte sich im Wald am Schandenberge; dem Kaiser, der über dem Gesetz als Wächter stehend das Gesetz verspottet hatte, weckte die Nemesis für zerstörtes Familienglück, die Rächer in seiner Familie. Die eigenen Söhne, Konrad und Heinrich, entthronten ihn, beschimpften ihn, dass er starb in Schmach und Bann, und der Jüngere liess sogar des Vaters Sarg fünf Jahre unbeerdigt. Die Stürme des Harzes sollen seitdem kein neues Dach auf dem Thurme von Scharzfels geduldet haben; er sollte ein Denkmal bleiben im ehrlichen, norddeutschen Gau, ein Warnungsmal der verletzten Gastfreundschaft und der geschändeten Krone. Für die Liebhaber des mysteriösen Dunkels, des traumgeschwängerten Geisterreichs, liegt etwas weiterhin in dem Laubholzberge eine sehr tiefe, völlig finstere Tropfsteinhöhle, das Einhornloch genannt, vierkammerig, weithin den Berg unterwühlend und mit zahllosen Stimmen der Echo gefüllt. Schön ist die Höhle nicht, ihre Wände sind nur mit dünnem Sinter bekleidet, und ihr Boden ist locker, enthält jedoch mancherlei Thierknochen, besonders Zähne und Kinnbacken des Höhlenbären, auch bekam sie durch den Fund eines Skelettes, welches die damaligen Gelehrten dem antidiluvianischen Einhorne zuständig hielten, ihren Namen. Bei weitem
192 anziehender fanden wir näher dem Dorfe die Steinkirche, welche unter den seltensten Naturgebilden verzeichnet zu werden verdient. Man denke sich eine Höhle im harten Kalkfels von 40 Fuss Höhe, dabei 38 Schritte lang und 9 Schritte breit, und von solch ernster und Ehrfurcht weckender Form, dass man bei dem Eintritt an ein Gotteshaus erinnert werden müsste, wäre der Name des Platzes auch nie vorher gehört. Geregelte Nischen von verschiedener Grösse für Heiligenbilder und Lampen finden sich in den Wänden; das Licht fällt von oben, wo auch wohl ein Betglöcklein gehangen haben mag, durch eine ansehnliche Oeffnung in den Raum, und vor dem Eingang aussen winden sich Stufen zu einer Art rohem Betpulte hinauf, von dem ein Apostel oder Eremit bequem der auf dem Anger hingelagerten Volksmenge eine Bergpredigt zu halten vermochte; auch soll diese Höhle den ersten Christen dieser Gegenden zur Kirche gedient haben und geheime Wohnung des ersten kühnen Vertheidigers der Christuslehre unter den umwohnenden Sassen gewesen sein. Ein heftiger Schlagregen überfiel uns, als wir uns der Steinhalle näherten, und trieb uns eiliger in ihr Versteck. Wir trafen grosse Gesellschaft, denn ein Hirte hatte sich vor uns mit seinen Kindern und seiner Ziegenheerde hinein geflüchtet, und Theodor, der Pädagog, erinnerte uns an den Gruss und an die Anbetung der Hirten Palästina's. Fehlten auch Christkind und Krippe und die weissbeflügelten Engel, uns Alle bewegte ein frommes Phantasiebild, das durch den hellfarbigen Friedensbogen, der aussen die Landschaft überwölbte und aus der verdunkelten Höhle betrachtet lebhafter strahlte, als wir ihn je gesehen, gehoben und geheiligt wurde. Wie der Mensch nie Genüge hat an dem Natürlichen, sei es noch so erhaben und grossartig, und wie er immer das Wunderbare und Unglaubliche beizufügen geneigt, erfuhren wir an dem Eigensinne des alten Hirten, der halsstarrig behauptete, diese Steinkirche sei von einem Einsiedler nebst Treppe und Kanzel mit einem hölzernen Beile ausgehauen, und es übel nahm, als wir bescheidene Einrede und Zweifel wagten *).
*) Sagen des Harzes von Karl Schuster. 1832. In dieser Sammlung werden die Sagen dieser Gegend, Scharzfels, die Steinkirche, das Teufelsbad und Heiso Freienhagens Ermordung zu Osterode recht nett behandelt.
Gez. v. L. Richter. | | Gest. v. W. Buckle. | | D I E S T E I N K I R C H E . | |
Gez. v. L. Richter. | | Gest. v. A. Dworzack in Wien. | | H E R Z B E R G . | |
193 Luft und Flur waren erfrischt, die Holzungen grünten heller und freundlicher, obgleich mancher Baum schon durch die heisse Jahreszeit eine bunte, herbstliche Blätterschattirung bekommen, lustig schossen die Schwalbenschaaren bald hoch unter den Wolken hin, bald tief über das duftende Gras, laut zwitschernd bei ihrer muntern Insektenjagd, und die vom Regen abgespülten Dolden des Vogelbeerbaumes schimmerten überall über den Hecken und Gebüschen wie rothe Karneolkronen. Leicht und flink wurde die kurze Wegsstunde zurückgelegt und Schloss Herzberg schauete, ernst und im Gemüthe des Hannoveraners eine eigene Ehrfurcht erweckend, von seinem hohen, vereinzelten Standpunkt auf uns hernieder. Wir suchten im Flecken den belobten Gasthof zum weissen Ross, dort Nachtquartier zu bestellen und uns zu einer wichtigen Besichtigung historischer Erinnerungs-Marken vorzubereiten. Weltbegebenheiten, denen der besondere Einfluss auf Völker und Länder nicht abzusprechen, heiligen für immer den Ort, von welchem sie ausgegangen, und bleiben verschmolzen mit den Personen, auf die in jenen Begebenheiten die Hauptrollen gefallen. So wird Schloss Herzberg immer einer der merkwürdigsten Plätze im Königreiche Hannover verbleiben, so lange es eine Hannöversche Geschichte gibt, und es thut dem patriotischen Geschichtsfreunde fast weh, dass man diesen Sitz des eigentlichen Stammvaters des jüngern Lüneburgischen Hauses, das von der Vorsehung unter den zahllosen Linien der Braunschweiger bestimmt ward, den alten Glanz und die Glorie Heinrichs des Löwen dem Welfenstamme wiederum zu gewinnen, ja ihn zu überbieten, nicht in dem Maasse fortehret, wie er es fordern darf, indess man die alte Burg zu Celle in neuerer Zeit restaurirte und mit der Würde eines königlichen Ahnenschlosses auszustatten sich bewogen fühlte. Es kann nicht von diesen leichten Flugblättern erwartet werden, dass ihr Schreiber mit historischer Genauigkeit sich in die Geschichte des Schlosses Herzberg vertiefe; ein junger fleissi-
194 ger Gelehrter, Havemann, bislang Lehrer zu Ilefeld, ist gerade jetzt darüber aus, den Staub der verstecktesten Landesarchive zu durchwühlen und den Mangel einer umfassenden Landesgeschichte auszumerzen; er wird Herzberg nicht vergessen, und möge es ihm gelingen, das Auge des Landesherrn auf diese denkwürdige Stätte zu locken. Die ganze Gegend war in längst verloschener Zeit Besitzthum einer Dynasten-Familie, die sich in das Dreiblatt der Grafen von Scharzfels, Lutterberg und Klettenberg spaltete. Als sie ausgestorben, geschah es mit der ansehnlichen Besitzung wie mit der Grafschaft Hohenstein. Der Lehnsherr griff zu, ohne die weitern Mitbelehnten zu beachten, und wir finden seitdem die braunschweigische Linie der Herzöge von Grubenhagen als die bleibenden Herren, von welchen Manche Herzberg und die naheliegende Stadt Osterode, zwei in mancher Hinsicht oftmals gar engverbundene Plätze, zu ihren Residenzen erwählten. Von den Söhnen Herzog Albrechts des Grossen von Braunschweig-Wolfenbüttel bekam Heinrich mirabilis, der älteste, Grubenhagen, und er wechselte seine Residenz gar oft, und hielt Hof bald zu Osterode, bald zu Herzberg, bald zu Rotenkirchen, bald zu Katlenburg. Der jüngste von Heinrichs Söhnen, stiftete die eigene Herzbergsche Linie, starb jedoch ohne Descendenz. Wilhelms Bruder, Ernst, der zu Eimbeck Hof hielt, erbte des Bruders Theil; seine Wittwe, eine von Eberstein, sass lange nachher noch auf dem Schlosse Osterode. Von Ernst's Söhnen bekam der vierte, Friedrich, Herzberg und Osterode als Apanage. Friedrich ward Vormund Erichs, des einzigen Sohnes seines ältesten Bruders Albrechts des Zweiten, der zu Salz der Helden residirte. Dieser Erich führte, mündig geworden, 1415 einen förmlichen Krieg um Scharzfels und Lutter mit dem Grafen Heinrich von Hohenstein, schlug ihn bei dem Dorfe Osterhagen, in welchem Treffen drei Hohensteiner gefangen wurden und sich mit 8000 Gülden lösen mussten. Albrecht der Dritte, Erichs Sohn, setzte Herzberg seiner Gemahlin, einer Waldeckerin, zum Leibgeding aus. Ihm folgte der ruhmwürdige erste Philipp, der das Fürstenthum Grubenhagen einmal wieder allein besass, 1534 sich zum Lutherthume bekannte, und auch dessen jüngere Söhne, Wolfgang und Philipp der Zweite, liebten den freien, luftigen
195 Sitz zu Herzberg auf der köstlichen Höhe. Von dem Erstern erschien eine neue Bergordnung Anno 1593; mit dem Letztern starb die Grubenhagensche Linie aus, und zu Osterode ward Anno 1596 Philipp neben seiner Clara von Wolfenbüttel begraben, und Fürstenhut, Sturmhaube, Wappen, Siegel und Schwert ihm in das Gruftgewölbe mitgegeben. Die Vettern von Wolfenbüttel und Celle stritten sich jetzt eine Zeitlang um das erledigte Land, jedoch mussten schon 1617 nach einem Kaiserspruche Jene Diesen das schöne Eigenthum abtreten. In diese Zeit fiel der denkwürdige Vertrag zwischen den sieben Söhnen des Cellischen Herzogs Wilhelm, deren Selbstentäusserung zum Besten der Landeswohlfahrt vielleicht nirgend ihres Gleichen gefunden, noch finden möchte. Die Prinzen kamen überein, sämmtlich bis auf Einen unvermählt zu bleiben, und das Loos entschied zu Gunsten des Sechsten, des Herzogs Georg, der späterhin als einer der tapfersten Kriegsobristen im Reiche galt, um dessen Freundschaft sich Spanien und Dänemark, der Kaiser und der Schwedenheld Gustav Adolph abgemüht, und der ein Stammvater des Hannoverschen Churhauses, wie des englischen Königshauses geworden. Um ihn zu üben in der Regierungskunst, vertrauten ihm die Brüder das Grubenhagener Land, und Schloss Herzberg wurde seine Residenz, sein Familienhaus, der Schauplatz seiner stillen Freuden und Leiden, wo ihm seine Gattin, die schöne Anna Eleonore von Darmstadt, vier Söhne gebar, die sämmtlich in der Geschichte Hannovers die bedeutendsten Rollen gespielt *). Auf Schloss Herzberg sah das Licht der milde und gütige, aber schwache Christian Ludwig; hier standen die Wiegen der Herzöge Georg Wilhelm und Johann Friedrich, die Spittler fest und bieder wie ein Paar Altsachsen charakterisirt, Georg Wilhelm, der Lebenslustige, aber Thätige und Gerechte, und Johann Friedrich, edel, aber streng und eigenwillig, der den Widersprechern zu antworten pflegte: Ich bin Kaiser in meinem Lande! Und auf Schloss Herzberg wurde Ernst August geboren, der weise Staatsmann, der Freund der Wissenschaft, der den Churhut zu gewinnen wusste, dessen Sohn den Thron Grossbritanniens be-
*) Fürstenherzen oder die Prinzen von Lüneburg. Historische Erzählung von Wilh. Blumenhagen. In den Rosen von 1829.
196 stieg, und der von vier Brüdern allein ausersehen war, Vater eines blühenden, neuen Herrscherstammes zu werden, der die Welt von sich reden gemacht und mehr als ein Mal Europa's Schicksal entschieden hat. Herzog Georg, der Erbauer des Schlosses zu Hannover, und alle vier Söhne desselben regierten nacheinander in Hannover, und Herzberg stand von da verlassen, verödet, und wird nur noch ein Mal erwähnt, als Christian Ludwigs Wittwe dort einige Jahre wohnte, bis sie mit dem Churfürsten von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, ein zweites Eheband knüpfte. Das ist eine kurzgedrängte Uebersicht der Geschichte des Schlosses Herzberg, aus der sich wahrlich ein weites Gedankennetz von dem ernsten Beobachter der Menschen- und Fürsten-Schicksale hervorspinnen liesse. Den ersten Grund zum Schlosse soll ein Graf von Lauterberg durch ein auf den majestätischen Fels gestelltes Jagdhaus gelegt haben, das den Namen Hirschberg getragen; Heinrichs des Löwen Vögte sassen später darauf, und Kaisers Otto des Vierten Gemahlin soll es als Wittwensitz benutzt haben. Bis 1788 wurde das Schloss von einem Kastellan bewohnt, später ward es den Amtleuten des Amtes Herzberg zur Officialwohnung eingeräumt. Die meisten Vorsprünge des Gebirgs machen ihre steilen Abschüsse gegen das flache Land hinaus; die Höhe, auf der Herzberg fusset, hat das Eigene, dass sie vom flachen Lande her mählig aufsteigt und, gegen das Hochgebirge gewendet, von ihrer Spitze scharf hinabfällt. Auf diesem höchsten, nordöstlich gekehrten Altane liegt das Schloss, von dreien Seiten her durch steile Bergwände vom Thale abgeschnitten. Mit fürstlicher Hoheit, in stolzer Kraft und deutsch ritterlicher Sicherheit schauet der umfangreiche Steinbau auf Thäler und Wälder hernieder und beherrscht im eigentlichen Sinne des Wortes den Gau. Vorzüglich imponirt seine westliche lange Fronte von dem breiten, mit Bachkieseln gefüllten Thal aus betrachtet, durch welches sich das schmale Silberband der Sieber hinschlängelt, ein mattfliessendes Harzbächlein, von den Wägen durchfahren, von den Heerden durchwatet, das aber nach Regengüssen im Hochgebirge zum dräuenden Flusse wird, der das ganze Thal ausfüllt, und tiefer hinab, wo es in zahllosen mäandrischen Krümmungen nach Elbingerode und Hattorf fliesst, unvorsichtigen Reisenden schon
197 oftmals Unfälle bereitete. Eine Holzbrücke, die in einem hohen Bogen sich weit auf's Trockene über das unscheinbare Wasser legt, und darum dem Leichtfertigen fast Schöppenstädtisch lassen möchte, wird zur kläglichen Vorsorge, sobald man dieser kleinen Wasserschlange ein einziges Mal zorngeschwollen begegnete. Das Schlossgebäude ist ein grosses längliches Quadrat, welches den innersten Burghof umgibt, und aus dessen nordöstlichem Winkel der Thurm emporsteigt, der, nach einem gar eigenen Geschmack erbaut, einem türkischen Minaret ähnelt. Auf dreien Wegen kann man das Schloss besteigen; der eine führt aus dem südlichen Felde lehnansteigend in weiter Krümme berghinan bis zur Vormauer und heisst der Leichenweg; nahe seiner Einmündung trifft man auf einen weissen Kalkstein, dem man den Namen Freudenstein oder Fräuleinstein beigelegt, welche Benennung sich an eine verschollene Familienscene der Bürgler knüpfen soll, und in der Nähe des Steines ist der Lust- und Gemüsegarten des zweiten Beamten angelegt; den zweiten Zugang bildet der eigentliche Schlossweg, eine hohle, steile, gefährliche Fahrstrasse, die zum ersten Thore leitet; der dritte, am meisten benutzte, besteht in einer bequemen Steintreppe, welche auf 265 Stufen in mehreren Winkeln und Absätzen vom Flecken Herzberg zum Schlosse hinaufreicht und in den vordern Burghof einmündet. In diesem Vorhofe ist noch die Stechbahn; durch einen Mauergang gelangt man von da zum innern überwölbten Schlossthore, in dessen Eichenpforte sich noch das Noththürchen vorfindet, enge und schmal mit dem Uebersteigbrett, auch jetzt für nächtlich-kehrende Hausgenossen allein vom Pförtner geöffnet. In dem Thorgewölbe liegen die Amtsgefängnisse; von den Gebäuden aber, welche den innern Hof umgeben, ist der östliche, am meisten beschädigte Flügel zu Kornmagazinen bestimmt, die drei übrigen bewohnen die beiden Beamten, und der westliche lange Flügel besonders erinnert mit seinen gedehnten Gängen und hohen Zimmern noch immer an die einstige fürstliche Hofhaltung, von der auch die Wappen über dem Thore und die Namenszüge an Thurm und Mauer erzählen. Auffallend ist das Material der Schutzmauern, das aus lauter kleinen, wohlverkitteten Bachkieseln besteht. Westlich läuft der Berg vom Schlossfundamente steil zum Thale hinab und ist nur hie und da mit einzelnem Busch-
198 werke verziert, südlich legt sich ein Laubhölzchen bis fast herauf, und die beiden übrigen Seiten, nach dem Flecken hinaus die abschüssigsten des Felsens, umzieht der Schlossgarten, schmale Graswege, mit alten Laubbäumen einzeln bepflanzt, aber einige treffliche Aussichtsplätze auf den tief drunter liegenden Ort und hoch zum Gebirge hinüber darbietend, und dem Naturfreunde merkwürdig, weil sich die grosse Weinbergschnecke, Helix pomatia, trotz Kälte und Wind in seinen Kräutern und Moosen häuslich aufhält. Im Schlosse werden noch Reste einer eleganten Wiege bewahrt, die man wohl irrthümlich für das erste Bette Königs Georg II. ausgibt; im Archive befinden sich aber viele Aktenstücke, Küchenzettel und militärische Befehlsbriefe aus Herzog Georgs Zeiten, die bislang unbenutzt scheinen. Der Flecken Herzberg ist nicht ansehnlich; seine Hauptstrasse wurde noch vor zehn Jahren von einem tiefen, für mit natürlichem oder künstlichem Schwindel Behaftete nicht gefahrlosen Waldwasser durchschnitten, ein Uebelstand, welcher seit Kurzem jedoch durch Umpflasterung abgestellt worden. Seine Bartholomäi-Kirche, vom Herzoge Wolfgang Anno 1593 erbaut, vom Herzoge Philipp mit einer Orgel beschenkt, enthält mehrere historische Merkwürdigkeiten. Zwei Töchter Georgs, die eine eine Zwillingsschwester von Ernst August, haben hier Epitaphia von schwarz- und weiss-gebändertem Marmor, hinter dem Altare bewahrt man einen mit schwarzem Marmor ausgekleideten Taufstein, aus welchem Georg der Zweite die christliche Weihe empfangen haben soll, und im Gruftgewölbe ruhen zwei Särge, die für Kunstwerke der damaligen Zeit gelten können. Beide umschliessen den Staub zweier tapfern Söhne des Churfürsten Ernst August. Friedrich August fiel in einer Türkenschlacht Anno 1690 in einem Engpasse Siebenbürgens als Kaiserlicher Generalmajor, und sein Heldenleib soll ohne Kopf den trauernden Aeltern heimgebracht sein. Prinz Christian, kaiserlicher Obrist, ertrank 1703 in der Donau bei Elchingen, nachdem sein Pferd erschossen, während des Erbfolgekrieges. Wie diese letztgenannten Denkwürdigkeiten nach Herzberg gekommen, da die Regenten schon damals zu Hannover Hof hielten, wird Havemann uns zu erklären wissen. Berühmt ist Herzberg für die neuere Zeit durch seine Gewehrfabrik geworden, deren Produktionen mit dem Besten der Art sich
199 messen und für das Land höchst wichtig sind. Die Fabrikgebäude liegen am Fusse des Schlossberges, ein Kanal der Sieber treibt die Maschinen, und der Vorrath von Flinten, Bajonetten, Säbelklingen überrascht den Besucher. Sie war zuerst Eigenthum der Landesherrschaft, wurde aber 1816 an den jetzigen Fabrikherrn Crause verkauft, und beschäftigt mehrere hundert Arbeiter. Die Gewerbeausstellung zu Hannover bezeugte, wie sehr sich die feinem Kunstwerke der Herzberger Rüstmeister vervollkommnet haben, und mehrere derselben gewannen die Preismedaille. Besonders zog eine Reisepistole, vom Hofrüstmeister Stürmer erfunden, die Neugierigen an; sechs Läufe wurden nacheinander durch ein Schloss abgefeuert und jeder Lauf legte sich wie von selber zum Schusse vor; ein Schutzgewehr, mit dem man ein Halbdutzend Highway-mans nicht zu fürchten hätte. Beschauenswerth sind der Ochsenpful und der Jües; ersterer ist ein grosser, klarer Wasserspiegel dicht an der Ostseite des Schlossberges; er wird durch verborgene Grundquellen genährt, fliesst ab in eine dunkle Schlucht des Felsens, und man weiss nicht, wo seine bedeutende Wassermasse bleibt. Einst lag an seiner Stätte eine grosse Wiese; ein tollgewordener Stier durchwühlte den Anger und warf mit mächtigem Gehörn einen grossen Feldstein aus dem Boden auf; dem Steine sprang ein starker Wasserstrahl nach und füllte in kurzer Frist den ganzen Weideplatz. Der Jües ist ein kleiner Landsee an der Ostseite des Fleckens; er ist fischreich, aber in seiner Mitte unergründlich, und man will bei klarem Wetter altes Gemäuer in seiner Tiefe gesehen haben. Wahrscheinlich entstand er durch einen Erdfall; die Sage meint, auf seinem.Platze habe das Schloss eines sündigen Ritters gestanden, den Gottes Strafgericht schon auf Erden erreichte. Es ist eine Wiederholung der Sage vom Seeburger See bei Göttingen, vom Grafen Isang, der eine Nonne entführte, sie ehelichte und seine Schwester in ihr erkannte, und den eine silberweisse Schlange den Untergang seiner Burg und seines Reichthums vorher wissen liess *). Wenn man am Jües vorüber die links abbeugende Strasse verfolgt, berührt man ein nettes Försterhaus am eigentlichen Eingange des Sieberthales. Etwas mehr
*) Grimm's deutsche Sagen. 131.
200 zurück liegt am Berge das letzte Haus des Fleckens Herzberg, welches, so lange der Harz noch steuerfrei war, eine besondere Eigenschaft darbot. Es war nämlich gerade auf der Gränzscheide zwischen Harz und Vorharz erbaut, dazu eine Schenke, und so bedurfte es nur des Schrittes durch eine innere Zimmerthür, um auf der Harzseite den berühmten Nordhäuser Branntwein wohlfeil zu trinken, ein Vorzug, der von den Liebhabern des bösen Geistes nicht unbenutzt geblieben. Recht freundlich schleicht sich das Thal in die Berge hinein, linkerseits bauet sich die Wand von Thon und Mergelschiefer, Alabaster und buntem Marmor hinauf, rechts schlängelt sich der Bach über Gerölle und zwischen Grasplätzen im flachen Bette; wundersam blinken zahllose blaue Steinbrocken zwischen seinem Wellengekräusel hervor, Lazursteinen ähnlich, doch bei näherer Betrachtung sich in Hüttenschlacken verwandelnd. Jenseits des Wassers schauet man zu mannichfach geformten, dichtbelaubten Bergkuppen hinauf, mit grünen Terrassen gemischt, auf denen hie und da ein Rudel schlanker Rehe weiden. So zieht sich das Thal fast zwei Stunden lang bis zum Dörfchen Sieber hinan, das von Holzfällern bewohnt wird, und wo es sich in grössere Thalflächen verliert, die ein Waldberg, der Acker genannt, einzäunt. Da bereits die Stadt Osterode sowohl in ihren historischen als andern Verhältnissen als enge verknüpft mit Herzberg bezeichnet worden, so möchte es nicht unangemessen sein, das Nöthige von ihr am Schlusse dieses Abschnittes zu erzählen, wenn sie auch eigentlich der Punkt ist, den wir auf unserer Harzreise zuletzt berühren wollten. Die Strasse von Herzberg zur Schwesterstadt läuft, nachdem man das steinigte Thal und die Sieber passirte, anderthalb Stunden lang durch dichte Holzungen, in deren Mitte man in einer Ziegelei ruhen und sich erquicken mag, bis dahin, wo eine Reihe grosser, schwarzer, von Erlengebüsch beschatteter Teiche, die Teufelsbäder benamset, die Nähe der Stadt ansagt. Osterode liegt westlich, dicht unter dem eigentlichen Harze, hat vielleicht nahe an 3000 Einwohner, ist weder umfangreich, noch ansehnlich, jedoch gewiss die fleissigste Fabrikstadt des ganzen Fürstenthums
Gez. v. L. Richter. | | Gest. v. J. Carter. | | O S T E R O D E . | |
201 Grubenhagen, denn sie ist überfüllt mit Wollwebereien *), Hutfabriken, Leinwandwebereien, Gerbereien, Brennereien, Bötticher- und Tischler-Werkstätten, Nägelschmieden, ist umringt von allen möglichen Arten von Mühlen, hat einen Kupferhammer, und dicht neben ihr pranget am Scherenberge die grossartige Schachtrupsche Bleiweiss-, Schrot-, Hagel- und Walzblei Fabrik. Gypsberge formen um die Stadt einen Felsenkessel, Stinkstein und schöne Alabaster lagern darin; das Vorfeld nach dem platten Lande zu gewährt jedoch den seltsamsten Anblick, indem es mit Millionen gerundeter Bachkiesel in unübersehbarer Ausdehnung bedeckt erscheint und als ein unerschöpfliches Munitions-Magazin für Pariser Barricaden-Männer daliegt. Südlich gränzen treffliche Kornfluren daran, und der ehrsame Hübner betitelte die Stadt deshalb als des Harzes Kornhaus und der Bergstädte Brodkammer. Freundliches hat Osterode fast gar nichts, und besteht meistens aus alt-modischen Häusern in schlechtgepflasterten Strassen. Ostara, die deutsche Aurora, hatte zur Altsassen Zeit hier ihren Haupttempel, den Bonifaz, der gewaltige Beilführer, niederschlug. In der wüsten Kriegszeit, als Kaiser Heinrich IV. den Harz mit räuberischem Kriegsvolke füllte, mag der Ort, wie viele andere, zur mauerumschlossenen Stadt geworden sein. Die alte Burg, dicht über Osterode, von der Vorstadt, die Freiheit, umgeben, soll vom Sassenherzoge Bruno um 843 erbaut sein; Heinrich Leo nahm in ihr oftmals Quartier, und 1322 wurde sie noch bewohnt. Die gewaltigen Mauern, der halbverfallene Thurm zeugen, was sie gewesen; die ungeheure Ruine, von Menschen verlassen und aufgegeben, trotzt noch immer dem feindlichen Wetter und wird ihm noch lange trotzen **). Eine Wanderung durch die Stadt lohnet sich durch folgende Sehenswürdigkeiten. Der Marktplatz ist auffallend hübsch gegen seine Umgebungen, und ein ansehnlicher Springbrunnen schmückt den Raum. Das Schloss, einst eine Abtei, wie schon gesagt, später die Residenz mehrerer Gruben-
*) Die Grevesche Wollmanufaktur, welche Kamelotte, Tamis, Chalons und Golgas liefert, ist eine der grössten im Lande, beschäftigt an 300 Stühle, und lässt auch zu Herzberg auf 40 Stühlen in Baumwolle arbeiten **) In den Tagen des grossen Carolus lässt man hier schon ein mächtiges Dynasten-Geschlecht, die Grafen von Osterode, hausen.
202 hagener Fürsten, ist jetzt zum Amtsgebäude geworden. Der viereckige Schlosshof wird auf zwei Seiten von dem neuen und alten Schlossflügel, auf den beiden andern von den Meiereigebäuden und der Schlosskirche eingeschlossen. Diese ist erst sechzig Jahre alt, auf den Grund eines Ursulinerinnen-Klosters erbaut, welches Herzog Ernst von Celle in der Reformationszeit aufgehoben; sie ist nach dem St. Jacob getauft, ein einfaches, pfeilerloses Gebäude. Das Meiereigebäude gehörte ebenfalls zum Kloster, wenigstens hat die enorme grosse Küche mit ihrer grossen Altarnische noch jetzt einen unweltlichen Charakter, und aus der Gesindestube führt eine Treppe zu der herrschaftlichen Kirchenprieche hinauf. Grosse Nebenhöfe, ein hübscher Kloster-und Schlossgarten, weitläuftige Wirthschaftshäuser und ein Gerichtshaus umgeben den Hauptbau, der unmittelbar an die Stadt gränzt. Ein Kämmerchen auf dem Stallboden hielt die Bewohner viele Jahre in unheimlicher Scheu in dem verschlossenen Gemache sollte sich ein Holzbild befinden, in welches der Geist einer sündigen Nonne gebannt worden. Ein kecker Verwalter wollte vor Kurzem den Erlöser spielen, zerschlug mit dem Beile die verrosteten Schlösser und fand wirklich den bezauberten Eichenklotz mit seltsamen Schnörkeln versehen; als er jedoch nach einigen Stunden den verschwiegen gehaltenen Fund näher zu untersuchen zurückkam, war derselbe auf unerklärliche Weise verschwunden, mit ihm aber auch Spuk und Gesindefurcht. Die Marktkirche St. Aegidii, der Sage nach von Bonifazius gestiftet, enthält die Begräbnissstätten und Epitaphia der Herzöge, von denen schon die Rede gewesen. Neben ihr trifft man auch das unansehnliche, baufällige Rathhaus, an seiner Wand hängen zwei Raritäten, und zwar an eisernen Ketten als ein Zeichen ihres Werthes. Zuerst ein Messer, von dessen Ursprung Niemand Zeugniss zu geben vermag, vielleicht ein warnendes Andenken des Jahres 1510, das die gespenstische Hand des von roher Volkswuth zerfleischten Bürgermeisters Freienhagen dort hingehangen *), und höher ein drei Ellen langer Knochen, von den Osterödern für eine Hünenrippe ausgegeben, sicherlich das fossile Knochenstück eines urweltlichen Riesenthieres, vielleicht einst in dem
*) Siehe die schon erwähnten Harzsagen von C. Schuster.
203 nahen Hörden ausgegraben, dessen Mergelgruben früherhin solche Schätze in grosser Anzahl lieferten. Unter den sparsamen schönen Wohnhäusern zeichnen sich die der Gebrüder Schachtrup aus, und das grosse, massive Kornmagazin lockt das Auge besonders auf sich. Im Jahre 1722 wurde dieses 230 Fuss lange Gebäude fertig, dessen Zweck einer der wohtthätigsten ist, mit dem irgend eine Landesregierung ihr Volk zu steter Dankbarkeit verpflichten konnte. Wie oft litten nicht früherhin die armen, fleissigen Harzer an Fruchtmangel und theurer Zeit! Dieses Magazin half für immer solcher Sorge ab, denn sobald der Kornpreis über einen Gulden für den Himpten steigt, wird für diesen Preis die Gottesgabe den Berg- und Hüttenleuten abgelassen, und den Verlust trägt der Landesherr. In der nächsten Umgegend von Osterode bringt der Führer den Fremden zuerst auf der Strasse nach Süden zum Klinkerbrunnen, in der Nähe des Dorfes Schwiegershausen, einer Kalksteinhöhle, die der tröpfelnde Sinter mit einem unaufhörlichen heimlichen Geräusch erfüllt, woher sie auch den Namen bekam; ihr Grundwasser ist von bedeutender Tiefe und hat seinen Abzug wahrscheinlich nach dem erwähnten Teufelsbade. Eine ähnliche Grotte besucht man in dem Holze vor dem Dorfe Düna; sie heisst die Jettenhöhle, und hat einst einem schönen Edelfräulein, welche ein Ritter von Uehrde entführt hatte, zum verborgenen Aufenthalte gedient; der Nachahmungstrieb, so flüstert die hämische Fama, soll auch in neuester Zeit noch manche hübsche Osteröderin zum Besuche dieses der Liebe nun einmal geweiheten Verstecks verleiten, ob mit oder ohne Geleit, wissen nur der verschwiegene Mond und die ehrlichen Waldbäume. In derselben Gegend, näher jedoch der Stadt, an der Landstrasse nach Göttingen, ehe man das Dorf Dorste erreicht, sprudelt ein Brünnlein, welches für den Hannoveraner eine Art von historischer Bedeutsamkeit an sich trägt. Sein Trinkwasser ist nämlich so wohlschmeckend, dass König Georg der Zweite, wenn er in Hannover weilte, sich täglich ein Fässchen davon durch Estafette bringen liess. Das klare Brünnlein war sonst überbauet, jetzt liegt es offen und verfallen, und hat sogar seinen wohlerworbenen Titel; Königsbrünnlein, verloren.
204 Westlich von der Stadt darf man die Papiermühle am Dörfchen Petershütte nicht unbesucht lassen, ein Lustplätzchen der Osteröder Welt; der Weg dahin wird interessant durch die schroffen, blendenden Gypsfelsen, die am Rande der Söse, dem wilden, Osterode bespülenden Harzflüsschen, fortlaufen und in den Katzensteinen am höchsten aufsteigen. In Trebra's Prachtwerke findet sich eine treffliche Abbildung eines dieser Gypsfelsen, die ihre Gestalt, der Natur ihrer Bestandtheile nach, durch den Einfluss des Wetters von Zeit zu Zeit verändern. Eine Abschiedsscene stand uns bevor, ehe wir das liebe Herzberg verliessen. Der Pädagog und der Musicus trennten sich von uns; sie wollten nach Göttingen hinunter, dort die grosse Säcularfeier der Universität mitzumachen und die hundertjährige Georgia Augusta im glänzendsten Festkleide zu beschauen. Uns hinderte die karggemessene Zeit der Freiheit, die Jubelfreuden zu theilen, die keiner der Jubelgäste zum zweiten Male feiern wird. Wir geleiteten die Gefährten bis zum Dorfe Pölde, welches einst ein reiches, von der Kaiserin Mathildis, der zweiten Gattin des Finklers, gestiftetes Kloster war, worin der geächtete Löwenherzog eine Zeitlang ein Versteck suchte, obgleich der Abt nicht mit ihm zu Tische sitzen wollte, und wo zwei junge Grafen von Catlenburg ihren edlen Schild mit nächtlichem Meuchlerwerk beschmutzten, als sie den Markgrafen Eckard von Meissen, den Werber um die Kaiserkrone, in einer Bauernhütte niederschlugen. Auf der Oderbrücke standen wir und sahen und winkten den wackern Reisegesellen nach. Werden wir sie wiedersehen, und wann und wie? stiess Gustav tiefsinnig heraus. Träume! lächelte Ernst. Kein gefährliches Meer, nur ein schmaler Landesstrich wird sie von uns scheiden, und nach wenigen Tagen sitzen wir sämmtlich wieder an einer Tafelrunde und tauschen aus, was sie dort, was wir hier annoch eingesammelt. Sagtest Du nicht selbst jüngst in der Irrnacht, Leben sei Reisen und Reisen sei Leben? entgegnete ich. Und so ist es; je weiter man fortlebt, oder fortreiset, je klangloser und je einsamer wird es um uns; die Gefährten, welche der Jugendbund uns zugesellt, schwinden nach und nach, diesen ruft das Schicksal abseits in Weite und Ferne, jenen der Tod auf nimmer Wiedersehen. Fremde nähern sich, aber sie bleiben dem
205 kältern, verschlossern Herzen fremd; so pilgert man trübsinnig und still immer näher dem schwarzen Steine der heiligen Kaaba zu, und wohl dem, welchem bis da noch ein befreundetes Herz zur Seite blieb, um ihm das letzte Kissen bequemer zu rücken! er darf nicht murren, denn gar Vielen mangelt diese letzte der Erdenfreuden. Wir drei legten in einem Gedanken die Hände in einander; frommer Wunsch, deutsches Versprechen sprach sich aus im festen Händedruck, dann gingen wir Hand in Hand gegen das Gebirge zurück.
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