Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz
Wald war Weidefläche und lieferte Futter

Die Waldweide im Südharz

Von Uwe Kramer

Hirten und ihre Tiere prägten bis vor ca. 150 Jahren die Harzlandschaft. Der Besitz von Haustieren trug entscheidend zur materiellen Sicherung der Menschen bei. Wer neben Kleintieren, Gänsen und Ziegen auch Kühe halten konnte, war nach damaligen Maßstäben wohlhabend.

Dabei unterschied sich die Tierhaltung in damaliger Zeit erheblich von den uns heute bekannten Methoden: In den Stall kamen die Tiere nur zum Übernachten und im Winter; vom Frühjahr bis zum Einbruch des Winters hütete der von der Gemeinde vertraglich gebundene Hirte, der Gemeindehirte, die Tiere der einzelnen Besitzer. Dabei wurden die einzelnen Tiere der Besitzer zu Herden zusammengefasst. Gehütet wurde mit wenigen Ausnahmen in der gesamten Gemarkung eines Ortes.

Er war Weidefläche und lieferte Futter, indem man das Gras im Wald rupfte oder sichelte und frisches Falllaub bestimmter Baumarten wie Ahorn, Esche, Erle oder Hainbuche sammelte. Schließlich lieferte der Wald noch Einstreu für die Viehställe, wofür das Laub im Herbst im großen Umfang zusammengefegt worden ist.

In dieser Arbeit wird die Südharzregion im heutigen Landkreis Mansfeld-Südharz im Gebiet des Biosphärenreservates betrachtet.
Die Waldweide wurde mit Kühen in sämtlichen Gemeinden des Südharzes ausgeübt. In einigen Gemeinden wie Breitungen war unter bestimmten Bedingungen auch die Schafhutung im Wald statthaft. Bei der Hutung von Haustieren im Wald galt es, Art und Umfang der Weidewirtschaft mit der Forstwirtschaft in Einklang zu bringen, wofür detaillierte Regelungen sorgten.

Harzer Rotes Höhenvieh, eine alte Landrasse, die im Harz auch im Wald gehütet worden ist.           Foto: Archiv Biosphärenreservat

Das bedeutete, dass neben den eigentlichen Hutungsflächen, den sog. Angerrevieren, auch die Brachflächen (im Ackerbau war die Dreifelderwirtschaft bis zur Ausführung der Separation in der Mitte des 19. Jh. üblich) und der Wald behütet worden ist. Hier muss man sich verdeutlichen, dass unseren Vorfahren die uns heute selbstverständlich erscheinende strikte Trennung von land- und forstwirtschaftIich genutzter Fläche unbekannt war. Der Wald war Teil der landwirtschaftlich genutzten Fläche.

Im Gebiet wurde bis in das 19. Jahrhundert die Mittelwaldwirtschaft praktiziert. Diese Form des Waldbaus kombiniert die Nutzungen des Niederwaldes mit kurzen Umtriebszeiten (in der hiesigen Region zwischen 12 und 26 Jahren) mit denen des Hochwaldes, der sich durch höhere Umtriebszeiten auszeichnet, die in der damaligen Zeit zwischen 96 Jahren und 120 Jahren lagen.
Die Waldweide wurde hierbei dergestalt praktiziert, dass die Wälder in der ersten Hälfte der Umtriebsperiode

für die Weide gesperrt waren und in der zweiten Hälfte behütet werden durften; d. h. in einem Wald mit 16-jährigem Umtrieb war die Weide in den ersten 8 Jahren untersagt.
Die Hütungssaison währte im Laufe des Jahres vom Frühling bis Ende August. So stand im Fürstlich Schwarzburgschen Forstrevier Uftrungen den Berechtigten die Hütung mit Kühen vom 15. April bis 24. August 3 1/2 Tage wöchentlich zu. In den benachbarten Gräflich Stolberg-Roßlaschen Forsten durfte die Weide vom Aufgange des Winters bis zum 24. August ausgeübt werden. In Berücksichtigung der sonstigen Weiden der Hütungsberechtigten zu Uftrungen ist „vergleichsweise“ festgestellt worden, dass die Hütung in den vorliegenden Forstrevieren in jener Weideperiode wöchentlich 1 3/4 Tag stattfinden konnte.
Die Zahl der in den Wald eingetriebenen Tiere war beachtlich. So weideten um 1850 im Königlichen Forstrevier Grillenberg auf 2.600 ha insgesamt 520 Rinder aus den umliegenden Ortschaften, was einen Besatz von 20 Stück Rindvieh auf 100 ha bedeutet! Die Rindviehherde der Gemeinde Riestedt bei Sangerhausen umfasste 360 Tiere, die in den 112 ha großen Forstrevieren Stein- und Kuhberg (Name!) der Oberförsterei Obersdorf gehütet wurden.

Im 807 ha großen Stolberg-Roßlaschen Forstrevier Breitenstein hingegen war die Zahl der von „Pfarre, Schule, Forstetablissement und bäuerlichen Wirten zu Breitenstein“ eingetriebenen Rinder unbestimmt, weshalb im Jahre 1855 ein Vergleich abgeschlossen worden ist, der den Umfang der Hutung festlegte. Die Stückzahl des vorzutreibenden Rindviehs wurde auf 362 Stück einschließlich Jungvieh festgesetzt und die Hutung in den fraglichen Forsten durfte lediglich an 3 Tagen in der Woche erfolgen. Zugleich wurde bestimmt, dass jährlich die Hälfte der hütungsbelasteten Forsten von der Behütung geschont werden musste.

Die hutungsberechtigten Bürger der Stadt Stolberg, deren Viehhaltung in den „Kuhvieh haltenden Gemeinden“ organisiert war, hüteten ihre Kühe vorwiegend in den umliegenden Forsten, da die Gemarkung Stolberg nahezu ausschließlich mit Wald bestanden ist.


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Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz

Daneben besaßen die Stolberger Hutungsgemeinden aber auch Weiderechte in den benachbarten Gemarkungen Breitenstein, Rodishain, Rottleberode, Schwenda und Straßberg.
Die Hütung von Schweinen im Wald war als Teil des sog. Mastnutzungsrechtes ein gesondertes Servitutrecht. Dessen einstmals große Bedeutung wird in dem auch heute feststehenden forstwirtschaftlichen Begriff „Mast“ sichtbar.

Die Ausübung der Waldweide war den Forstverwaltungen in der Regel stets ein Dorn im Auge, zumal die ohnehin vielseitig und intensiv genutzten Wälder im Harz neben den Haustieren noch einen hohen Wildbestand verkraften mussten.

In einem langwierigen Prozess wurden dann im Laufe des 19. Jahrhunderts die

meisten Waldweideberechtigungen abgelöst, zumeist gegen eine finanzielle Entschädigung („Capital-Entschädigung“), die in der Regel den 20-fachen Wert des ermittelten Weidewertes entsprach, seltener gegen Zuweisung von Forstflächen an die Berechtigten „im gerodeten Zustande“.

Nicht abgelöst hingegen wurde die Waldweide in der Umgebung der Stadt Stolberg, wo sie bis in die 1960-er Jahre durchgeführt worden ist.
Damit endete im Südharz eine alte Tradition der Waldnutzung, die über einen langen Zeitraum unentbehrlich fiir die Existenzsicherung der Bevölkerung war und von dieser als ein bedeutendes Recht angesehen wurde. Forstortbezeichnungen wie Kuhberg oder Kuhlager und Wegebezeichnungen wie Trift erinnern noch vielfach an diese Wirtschaftsform,

die mit ihrer speziellen Hirtenkultur auch die ländlichen Traditionen und Bräuche entscheidend geprägt hat.
 
 

Verwendete Literatur

- LHASA, MD, Rep. C 20 V Sep. Breitenstein Krs. Sangerhausen,
- LHASA, MD, Rep. C 20 V Sep. Breitungen Krs. Sangerhausen,
- LHASA, MD, Rep. C 20 V Sep. Grillenberg Krs. Sangerhausen,
- LHASA, MD, Rep. C 20 V Sep. Obersdorf Krs. Sangerhausen,
- LHASA, MD, Rep. C 20 V Sep. Riestedt Krs. Sangerhausen,
- LHASA, MD, Rep. C 20 V Sep. Stolberg Krs. Sangerhausen,
- LHASA, MD, Rep. C 20 V Sep. Uftrungen Krs. Sangerhausen.


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