DR. KARL SANDERS, KONSTANZ JOHANN HEINRICH RAMBERG (1763-1840) - EIN FRÜHER ZEICHNER VON MERKWÜRDIGKEITEN DES HARZES FOLGE 8: DER RITTERSTEIN UND DIE STEINKIRCHE Die nächsten Stationen der Reisegruppe Ramberg liegen alle nahe beieinander im Karstgebiet der Zechsteinformationen des Südharzes bei Scharzfeld, wie auf dem Ausschnitt der geologischen Karte Lauterberg ersichtlich ist (Abb. 1): der Ritterstein am Ausläufer des Steinbergmassivs (1), die Steinkirche im Südsüdwesten des Steinbergmassivs (2), die Einhornhöhle (3) und die Burgruine Scharzfels (4). Die beiden Höhlen (2) und (3) sind durch kohlensaure Auswaschungen aus dem Dolomit der Zechsteinformation hervorgegangen, Während der Ritterstein (1) und der Sockel der Burgruine Scharzfels (4) massive Dolomitfelsen sind, wie aus der geologischen Karte ersichtlich ist. Abb. 1: Ausschnitt aus der geologischen Karte, Blatt Lauterberg 1:25.000 Bei Rambergs „Felsen bey Scharzfels belegen“ (Abb. 2) handelt es sich um den Ritterstein oberhalb von Scharzfeld. Der Ritterstein wird durch einen natürlichen Querspalt von dem Steinbergmassiv getrennt, sodass er eine isolierte Klippe bildet, die gut zu verteidigen war. Der Spalt wurde in alter Zeit künstlich zu einem Graben erweitert und davor ein Wall aufgeschüttet, der quer über den Bergrücken läuft. Es handelt sich damit um eine vor- bzw. frühgeschichtliche Befestigungsanlage (STOLBERG 1968). Die Anlagen auf dem Ritterstein und bei der Steinkirche stehen in einer nicht nur räumlich engen Beziehung sondern auch zeitlich (NOWOTHNIG 1978, Grote 1980). Bis in heutige Zeit werden übrigens Osterfeuer auf dem Ritterstein entzündet (CLAUS 1978). Ein Foto (Abb. 3, VLADI 2020) zeigt die heutigen Verhältnisse. Danach hat Ramberg die Darstellung durch die Steigerung der Steilheit des Abfalls der Bergflanke und der Höhe des aufragenden Felsens etwas dramatisiert. Es ist ihm hier besser gelungen, die blockartige Struktur des Dolomitfelsens zeichnerisch herauszuarbeiten, als die Darstellung des Quarzitfelsens der Hanskühnenburg (UH 5/2021). Wenige Jahre nach Ramberg, 1784, sind auch Goethe und Georg Melchior Kraus von der Hanskühnenburg her hier herunter zu dem Felsen bei Scharzfels und sicher auch zur Steinkirche sowie danach zur Einhornhöhle gekommen. Von der Steinkirche schräg unterhalb des Rittersteins hat Ramberg zwei Zeichnungen geschaffen; die eine stellt die Gesamtsituation dar, mit dem Vorplatz vor der gewölbeartigen Steinhöhle, unterschrieben: „Eingang einer Felsen Höle welche in alten Zeiten zu einer Kirche eingerichtet gewesen, und 100 Fuß Tiefe hat, bey Scharzfels belegen. a. ist eine art Canzel aussem angebracht, b. ein Gang.“ (Abb. 4), die andere, eher quadratische, zeigt den Blick aus dem Innern dieser Höhle nach außen auf den Vorplatz (Abb. 6). Vergleicht man Rambergs Zeichnung mit einem entsprechenden Foto der Steinkirche (Abb. 5, HINDEMITH 2006), so kommt man zu dem Ergebnis, dass er eine durchaus realistische Darstellung dieses Ortes geschaffen hat. Vergleichsmöglichkeiten zu anderen künstlerischen Darstellungen existieren praktisch nieht, was allerdings erstaunlich ist für einen so außergewöhnlichen Platz, der von dem Chronisten Johannes Letzner Ende des 16. Jahrhunderts erwähnt wird (REINBOTH & VLADI 1980). Letzner berichtet von einer Sage, nach der ein Hirte in „sonderlicher Andacht“ die Kapelle in den Steinfels gehauen habe und auf Grund einiger Wunder, die sich dort begeben hätten, das Volk eine Wallfahrt zu diesem Ort unternommen habe. Ramberg reichert seine Zeichnung mit einer Hirtenfamilie und Kühen auf dem Vorplatz an, eine wahrhaft pastorale Darstellung, die daran erinnern mag, dass in Vorzeiten ein christlicher Hirte die Herde seiner Gläubigen dort versammelt hat. Seine zweite Zeichnung, vom Inneren der hallenartigen Höhle, hat Ramberg dadurch interessanter gestaltet, dass er auf der rechten Seite einen Gewölbebogen in das Bild rückt. Er setzt sich selbst hinter diesen Felsbogen zum Zeichnen in Positur, sein Vater schaut ihm zu, während Pascha Weitsch weiter vorne die Höhle mit seinen Blicken ausmisst (Abb. 6). In dem ersten Harzreiseführer von Caspar Friedrich Gottschalck 1806 wird die Steinkirche ausführlich auch mit der mutmaßlichen früheren Nutzung dieser Steinhöhle als christliche Kirche besprochen (GOTTSCHALCK 1806). Zum Abschluss heißt es dort: „Von ihrem Eingang hat man eine liebliche Aussicht in das von der Oder darchschlängelte Thal.“ Fast 60 Jahre später hat Adrian Ludwig Richter für Blumenhagens Wanderung durch den Harz 1838 einen Blick aus dem Innern der Steinkirche nach außen gezeichnet (Abb. 7). Im Gegensatz zu Ramberg hat Richter den Raum weiter geöffnet und bei einer diagonalen Blickrichtung nach rechts gestreckt. Der große Gewölbebogen wird durch den Regenbogen draußen erwidert und in eine noch größere Dimension übersetzt. Richter staffiert diese Darstellung mit einer Herde und Hirten, die im Schutz der Höhle lagern, ähnlich wie Ramberg Herde und Hirtenfamilie auf dem Vorplatz der Steinkirche postiert hat. Beide zeigen damit die nunmehr profane Nutzung eines Ortes, der zu früheren Zeiten als christliche Kirche geweiht war. Abb. 2: Ramberg, Johann Heinrich: „Felsen bey Scharzfels belegen.“ Bister-Zeichnung, laviert, 1780. Nieders. Landesmuseum. Kupferstichkabinett, P. Hz. 200. Die Steinkirche ist eine natürliche Klufthöhle im Dolomit. Dieses Gestein gehört zu den 270 Mio. Jahre alten Ablagerungen des Zechstein-Meeres der Perm-Zeit. In dem Karstgebiet des Südharzrandes stehen viele Klippen aus diesem Dolomitgestein an, bei denen die allmähliche Lösung des Gesteins durch kohlensäurehaltige Wässer zur Bildung vieler Höhlen geführt hat.
Im Hochmittelalter wurde die Klufthöhle der Steinkirche als christliche Kirche genutzt. Die Felswände wurden behauen, der Hohlraum nach Osten hin erweitert und Eintiefungen und Nischen geschaffen, die als Weihwasserbecken oder Altar genutzt werden konnten. Am Höhleneingang zeigen sich Ausmeißelungen, vermutlich für eine Torkonstruktion. Am rechten Rand des Höhleneingangs wurde eine Art Kanzel aus dem Stein gehauen, unter Ausnutzung einer natürlichen Kluft. Vertiefungen in den Wänden des Vorplatzes wurden als Lager für eine Dachkonstruktion gedeutet, unter der die Gläubigen auf dem Platz standen und dem Priester lauschten, der von der Kanzel sprach (GUNTHER & RIECHERS 1955). Für eine sakrale Nutzung der Steinkirche spricht auch das Gräberfeld aus dem 12./13. Jahrhundert, das man auf dem Vorplatz ausgegraben hat. Erst im 15. und insbesondere im 16. Jh. findet die Steinkirche bei der Regelung von Besitzverhältnissen als Kapelle im Ritterstein mehrfach Erwähnung (STREITPARTH 1969). Leider sind aus dem frühen und hohen Mittelalter keine schriftlichen Nachrichten vorhanden, die über das Schicksal der Steinkirche nähere Auskunft geben könnten. Nach dem Jahr 1586 hat sie allerdings offensichtlich an Bedeutung verloren, denn seitdem wird sie in schriftlichen Nachrichten, außer bei Letzner, nicht mehr genannt (KNOKE 1998). In den Jahren 1925 - 1928 wurden dort archäologische Ausgrabungen unter der Leitung von Dr. Jacob-Friesen vom Provinzialmuseum Hannover durchgeführt. Sie ergaben die damals sensationelle Entdeckung, dass die Höhle und ihr Vorplatz bereits in der ausgehenden Altsteinzeit ca. 10.000 - 8.000 V. Chr. Rentierjägern als Rastplatz diente. Dies belegen zahlreiche Funde, wie Feuersteinwerkzeuge, der Rest einer Knochennähnadel und viele Tierknochen vor allem von Rentieren, die man bei den Ausgrabungen geborgen hat (SCHROLLER 1937). Die kleinen Feuersteinklingen vom „Federmesser“-Typ sind bereits als dem Jungpaläolithikum zugehörig anzusprechen (CLAUS 1978, VEIL 1988). Der Steinkirche kommt damit eine große Bedeutung zu als eines der ältesten Kulturdenkmäler Niedersachsens. Abb. 4: Ramberg, Johann Heinrich: „Eingang einer Felsen Höle welche in alten Zeiten zu einer Kirche eingerichtet gewesen, und 100 Fuß Tiefe hat, bey Scharzfels belegen. a. ist eine art Canzel aussem angebracht, b. ein Gang.“ Bister-Zeichnung 1780. Nieders. Landesmuseum Hannover, Kupferstichkabinett, P. Hz. 201. Abb. 5: Die Steinkirche bei Scharzfeld (Foto Axel Hindemith 2006, Commons Wikimedia). Im Jahr 1937 versuchte die SS-Stiftung „Ahnenerbe“ für ihre Ideologie Kapital aus der Steinkirche zu schlagen, und die Existenz einer altgermanischen Kultstätte nachzuweisen, was aber misslang. Die zuvor noch unberührt gelassene Kulturschicht des Vorplatzes wurde völlig umgewühlt und um ein bis drei Meter tief abgetragen und damit eine weitere Wissenschaftliche vorgeschichtliche Untersuchung für immer verunmöglicht (SCHIRWITZ 1961, FLINDT 2000). Die Zerstörung dieser Kulturschicht durch die Abtragung ist eindrücklich dokumentiert bei CLAUS (1978), während Ramberg auch diesbezüglich den Originalzustand zeigt (Abb. 4). Den heutigen Zustand zeigt das Foto Abb. 5. Gegenüber der Maximalabtragung seit 1937 ist eine gewisse Milderung eingetreten, weil der Harzklub in bestem Bestreben, aber zum Verdruss der Denkmalpflege, hier eine gewisse Egalisierung vorgenommen hat. Eine Geländestufe vor der nördlichen Felswand des Vorplatzes bis hinein in die Steinkirche, die es vorher nicht gab, ist aber noch vorhanden. Ungeachtet der wahnwitzigen Zerstörungen im Dritten Reich gibt es heute Besucher, die durch Einritzung von Pseudo-Runenzeichen in die Höhlenwände die Behauptung von einer altgermanischen Kultstätte untermauern wollen. Dies stellt ebenso wie die üblichen Namenseinritzungen einen Frevel an diesem wichtigen Kulturdenkmal dar! Abb. 6: Ramberg, Johann Heinrich: „Die vorhergehende zu einer Kirche vormals eingerichtete Höle von innen heraus anzusehen.“ Bister-Zeichnung 1780. Nieders. Landesmuseum Hannover, Kupferstichkabinett, P. Hz. 202. Abb. 7: Richter, Adrian Ludwig: Die Steinkirche. Stahlstich von W. Buckle nach der Zeichnung von Ludwig Richter. 10,5 x 15,5 cm. Blumenhagen, Wilhelm: Wanderung durch den Harz. Leipzig: Wigand, 1838. Aufnahmen der Zeichnungen Rambergs vom Verfasser. Literatur CLAUS, MARTIN: Archäologie im südwestlichen Harzvorland. Wegweiser zur Vor- und Frühgeschichte Niedersachsens, Nr. 10, Hildesheim: August Lax, 1978, 192 S., S. 112-427: Die Steinkirche. FLINDT, STEFAN: Ausgrabungen der SS an der Steinkirche. Menschen & Wirtschaft irn Wandel, West- und Südharz: Zeitreise durch die letzten hundert Jahre. Verlagsbeil., Harz-Kurier Osterode v. 29.12.2000. GOTTSCHALCK, KASPAR FRIEDRICH: Taschenbuch für Reisende in den Harz: mit 1 Charte. Magdeburg: G. Ch. Keil 1806, [StB Braunschweig, I 15-797]. GROTE, KLAUS: Steinkirche, Bremke-Klippe und Ritterstein: neue Funde vom Steinberg bei Scharzfeld, Stadt Herzberg am Harz, Ldkr. Osterode am Harz. Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, Bd. 49 (1980), S. 255-260, Ill. GÜNTHER. FRIEDRICH; RIECHERS, ALBERT: Dome und Kirchen im Kranze der Harzsagen: aus dem Sagenschatz der Harzlande; bearbeitet und zusammengestellt von Albert Riechers. Harz-Heimat: Leseheft, hrsg. vom Kreislehrerverein Zellerfeld, H. 10 (September 1955), S. 1-16. KAYSER, EMANUEL, 1879: „Geologische Spezialkarte von Preussen und den Thüringischen Staaten“ und Nachfolgewerke; [Neue Nr. 4328]; Lauterberg; Gradabteilung 56, Blatt 19. Kraatz, Berlin, DOI 10.23689/fidgeo-2184. KNOKE, HORST: Der „Schacht“ in der Höhlenkirche (Steinkirche) bei Scharzfeld. Unser Harz, Jg. 46 (1998), H. 6, S. 106-109, https://www.karstwanderweg.de/publika/uns_harz/46/106-109/index.htm. NIELBOCK, RALF: Steinkirche bei Scharzfeld/Harz. Infoblatt zum bundesweiten Tag des Geotops 2004, https://www.karstwanderweg.de/publika/geotope/steinkirche/index.htm. NOWOTHNING, WALTER: „Steinkirche“, Ritterstein und Einhornhöhle. - in: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, 36: Westlicher Harz. Mainz: von Zahern 1978. 218 S., zahlr. Abb., S. 203-212. REINBOTH, FRIEDRICH; VLADI, Firouz: Johannes Letzners Beschreibung der Steinkirche und der Einhornhöhle bei Scharzfeld. HarzZ, Jg. 32 (1980), S. 77-91. SCHIRWITZ, KARL: Zu den Ausgrabungen von 1937 vor der Steinkirche bei Scharzfeld am Harz. HarzZ, Jg. 13 (1961), S. 1-8. SCHROLLER, HERMANN: Der Harz in Vor- und Frühgeschichte. Niedersachsen, Jg. 42 (1937), H. 1, S. 2-7. Streitparth, Helmut: Die Kapelle im Ritterstein [Steinkirche]. Unser Harz, Jg. 17 (1969). H. 9, S. 164-167. VEIL, STEPHAN: Die jungpaläolithischen und mesolithischen Funde und Befunde aus der „Steinkirche“ bei Scharzfeld, Ldkr. Osterode am Harz. Die Kunde, Jg. 39 (1988), S. 209-222. |