Firouz Vladi, Osterode am Harz, Januar 2024

Der Südharz, eingeklemmt zwischen Afrika und Europa

Im Heft 12/2023 findet sich auf Seite 238 eine geologische Buchbesprechung. Der Verfasser dieser Zeilen war im Autorenteam und die Erstellung des Manuskripts war eine angenehme Herausforderung, ja, es hat Spaß gemacht. Nur Corona hat den Druck verzögert, worauf es aber bei der Behandlung Millionen Jahre alter Phänomene nicht so sehr ankommt. Hier soll die Buchbesprechung nicht vertieft werden. Aber ein Aspekt verdient der Vertiefung, denn dieser ist – zumal leicht verständlich geschrieben – in dieser Zeitschrift wohl noch nicht so richtig thematisiert worden; darin auch Auszüge aus dem genannten Buche.

Vor einiger Zeit führte ich eine Busexkursion durch den Südharz, wohl auf der B 80, daneben die neue Autobahn A 38. Nach Osten fahrend, hinter Görsbach, öffnet sich der Blick nach rechts, also nach Süden auf den Kyffhäuser. Links liegen sanft ansteigend die Höhen des Harzes. Über das Mikrophon erfuhren die Gäste nun etwas ganz Ungewöhnliches: „Schauen Sie bitte, rechts liegt Afrika, links Europa!“ Verwunderung, redet wohl dummes Zeug; Afrika liegt doch nicht mitten in Deutschland. Oder meint der etwa Asylsuchende?

Und doch, wer die einleitenden Kapitel des neuen geologischen Harz-Führers liest, findet die Erklärung. Sie liegt in der Plattentektonik begründet. Also in der Erkenntnis, dass die Kontinentalplatten in Bewegung sind und sich aus dem Muster dieser Bewegungen die Gesteine und Phänomene hier auch der Harzregion sehr schlüssig ableiten lassen. Das ist einer gewaltigen und weltweiten Forschungsleistung der Geowissenschaft aus den letzten 50 Jahren zu verdanken.

Abb. 1: Die Konstellation von Laurussia und Gondwana im späten Devon, zu Beginn der variszischen Plattenkollisionen.

Für den Harz ist dessen geologische Entstehungsgeschichte erst in jüngster Zeit auf der Grundlage plattentektonischer Analysen herausgearbeitet worden. Davon berichtet auch das neue Buch.
Die variszische Ära, die vom Ordovizium bis zum Beginn des Oberkarbons (vor etwa 325 Mio. Jahren) über etwa 170 Mio. Jahre andauerte, ist durch das Wechselspiel zweier großer Erdplatten gekennzeichnet, der Gondwanischen (afrikanischen) Platte im Süden und der Laurussischen Platte (Europa) nördlich davon. Ihre kontinentalen Anteile waren getrennt durch eine Meeresstraße, die man auch als „Rheia-Ozean“ oder früher auch als „Variszische Geosynklinale“ bezeichnet hat.
Der heutige Harz, oder besser, die Gesteine, die ihn aufbauen, bildeten sich am Südrand Laurussias, in einem Schelfgebiet, das heute nur noch in Fragmenten vorhanden ist und das man Avalonia nennt. Dieser Bereich lag zu dieser Zeit noch südlich des Äquators (s. Abb.1).
Das, was wir heute als Kyffhäuser-Gebirge kennen, aber auch die Gegend um Wippra, waren damals noch weit entfernt vom heutigen Harz auf der anderen, der südlichen Seite der Plattengrenze, am Nordrand der riesigen Gondwanischen Platte, zu der auch Afrika gehört. Oder genauer: im Bereich von Inseln, die dem Großkontinent Gondwana in Form von relativ kleinen Kontinentalspänen (Terranes) vorgelagert waren.



Abb. 2: Der Wilson-Zyklus


Die von J.T. Wilson (1968) erstmalig im globalen Zusammenhang betrachtete und inzwischen weiter verfeinerte, plattentektonische Entwicklung der Erdkruste gilt vor allem für die letzten ca. 600 Mio. Jahre der Erdgeschichte. Ein Wilson-Zyklus ist unterteilt in 7 Phasen und dauert insgesamt jeweils ca. 100 – 200 Mio. Jahre. Ein Zyklus beginnt mit einer ereignisarmen Ruhephase (Phase 1).
In der initialen Graben- und Rift-Phase (Phase 2) steigen aus dem Erdmantel Schmelzen (Magmen) in großen Mantelplumes bis in die Erdkruste auf. Treffen diese Hotspots auf kontinentale Krustenplatten, so zerbrechen diese und es entstehen große Grabenbrüche (Ostafrikanisches Riftsystem) Im ozeanischen Bereich bilden sich dagegen langgestreckte vulkanische Inselbögen wie Hawaii, da sich die ozeanische Kruste über die stationären
Hotspots hinweg bewegen.
Im nachfolgenden Ozeanischen Jungstadium (Phase 3, Rotes Meer-Stadium) beginnen aufgerissene und tektonisch passive Kontinental-Ränder auseinander zu driften und es entstehen erste Spreizungszonen (Spreading-Zonen) mit darin ausfließenden Ozeanboden-Basalten.
Das Auseinander-Driften der Kontinentalplatten setzt sich intensiviert im Ozeanischen Reifestadium fort (Atlantik-Stadium, Phase 4). Dabei entstehen die großen mittelozeanische Graben- (Rift-) Zonen mit am Ozeanboden austretenden Basaltausflüssen, welche auch die Meeresoberfläche erreichen können (Island). An den Rändern der Kontinentalplatten erfolgen Sediment-Einschüttungen in die Kontinentalhänge des Ozeans.
Da trotz der Spreizung der Ozeane sich der Erdradius nicht verändert, muss die Aufdehnung der Ozeane durch Pressung andernorts kompensiert werden. Dies erfolgt an Subduktionszonen, an denen sich die schwereren ozeanischen Plattensegmente unter die leichteren kontinentalen Platten schieben und dabei kontinentwärts abtauchen und partiell aufgeschmolzen werden („Pazifisches Stadium“, Phase 5).
Schließlich kehrt sich die Richtung der Plattendrift um, die Spreizung kommt zum Stillstand und der Ozean wird wieder eingeengt. Es bildet sich bei weiterer Annäherung der gegenüberliegenden Kontinente ein flaches Meeresbecken (Mittelmeer-Stadium, Phase 6). An den Kontinentalrändern kann eine Gebirgsbildung einsetzen, wie etwa bei den Alpen.
Im Endstadium, der Ozeanboden ist vollständig subduziert, kommt es zur Kollision der Kontinentalplatten (Himalaya-Stadium, Phase 7). Dabei entstehen hoch aufgestapelte riesige Faltengebirgszüge (Himalaya). Gebirgszüge wie der Ural sind Zeugen ehemaliger Kontinent-Kontinent-Kollisionen.
Mit Heraushebung der Gebirge setzt auch schon ihre Abtragung durch „Wind und Wetter“ ein. Schließlich kommt der Prozess zur Ruhe, bis an anderer Stelle der Prozess durch Riftbildung erneut einsetzt.

Die geologischen Vorgänge, die sich in der variszischen Zeit abgespielt haben, waren sehr komplex und sind in einigen Details auch heute noch nicht erforscht. Jedenfalls handelte es sich bei diesem Rheia-Meeresarm bis zu seinem Verschwinden im Karbon um eine hochmobile Zone, in der tiefe Meeresbecken und unterseeische Gebirge mit steilen Hängen, die fast bis zur damaligen Meeresoberfläche hinaufreichten, eng nebeneinander vorkamen. Untermeerischer Vulkanismus, gut erkennbar an typischen marinen Kissenlaven, wie bei Lerbach, war weit verbreitet. Auf den Hochlagen nahe der Meeresoberfläche konnten, wie auch heute in tropischen Meeren, Riffe wachsen, z.B. Iberg bei Bad Grund oder Elbingerode im Mittelharz, und durch Umwelteinflüsse (Wellenschlag u. ä.) auch damals schnell wieder zerstört werden.
Große Mengen von Abtragungsschutt wurden von beiden Seiten her in die Meeresstraße eingeschüttet und zu mächtigen Sedimentlagen angehäuft, die wir heute in den devonischen und karbonischen Schichten, z.B. als Quarzite, Grauwacken oder Tonschiefer, vorfinden. Gleichzeitig mit der marinen Sedimentation begann bereits seit dem Oberdevon ein merklicher Zusammenschub der Kontinentalplatten und der Anlage von Subduktionszonen, also Gebieten an denen die nördliche, also die Laurussische Platte relativ nach Süden unter die sich nach Norden bewegende Gondwanische Platte geschoben wurde. Dabei verschwanden große Teile des Meeresbodens wieder in der Tiefe der Erde, sie wurden „subduziert“. Das untenstehende Schema mag diesen Prozess verdeutlichen, der nach dem Erstbeschreiber John Tuzo Wilson1 auch als Wilson-Zyklus bezeichnet wird.
Charakteristische Gesteinsvorkommen im Harz weisen uns auf diese Vorgänge hin: an den damaligen vergleichsweise steilen Kontinentalhängen angelagerte Sedimentstapel von den erodierten Festländern im Norden und Süden, lösten sich immer wieder ganze Pakete noch lockeren Materials in Form von Schlammströmen. Diese auch „Turbidite“ genannten Sediment-Lawinen flossen mit hoher Geschwindigkeit weit in die tieferen Meeresbecken hinein und bildeten dort mächtige Ablagerungen. Grauwacken und Tonschiefer sind die charakteristischen Gesteine dieser mehrere Kilometer mächtigen Sedimentabfolgen. In den Ablagerungen des südlichen Harzes tauchen solche Bildungen bereits im Oberdevon auf, im nordwestlichen Oberharz erst später im Unterkarbon. Dies weist auf den lang andauernden Prozess des allmählichen Fortschreitens der Kollision der beiden Großkontinente hin.
Die erläuterte Situation führte dazu, dass die ältesten Ablagerungen dieser Turbidite des Harzes im Südosten vorkommen, die jüngsten ebenfalls noch gefalteten Sedimentgesteine im Nordwesten, im Oberharz.
Im Südostharz existiert in der geologischen Struktur der „Wippraer Einheit“ noch eine Sedimentserie, welche durch erhöhte Temperaturen und Drucke von ca. 350 °C und 2-3 Kilobar („Metamorphe Zone von Wippra“) gekennzeichnet ist, deren Altersspanne vom Ordovizium (um 470 Mio. Jahre) bis zum Oberdevon (380 Mio. Jahre) reicht. Es ist der Vorbau der Mitteldeutschen Kristallinzone.
Die konvergierenden Bewegungen der Erdplatten und die damit verbundene Subduktion der laurussischen Nordplatte unter die südliche Platte hatte zur Folge, dass große Anteile der Ablagerungen dieser laurussischen Platte wieder in der Tiefe der Erdkruste verschwanden, teilweise aber auch nahe der Suturzone zusammengestaucht, verfaltet und in Form dünner Spänen, tektonischer Decken, übereinandergestapelt wurden.
Der Höhepunkt oder besser das Ende dieses Vorgangs wurde gegen Ende des Unterkarbons vor etwa 320 Mio. Jahren erreicht. Die zunehmende Stapelung leichterer Krustengesteine im Bereich der Subduktionszonen in Kombination mit einer das Krustengleichgewicht ausbalancierenden Verdickung der Erdkruste führte zu einer zunehmenden „isostatischen“ Heraushebung. Die ehemaligen Ablagerungen am Meeresboden wurden über das Meeresniveau gehoben und durch fortgesetzten tektonischen (gebirgsbildenden) Schub zu einem Faltengebirge aufgetürmt.
Man kann sich die Strukturentwicklung des Harzes als Ergebnis einer Subduktion der nördlich gelegenen Platte Laurussias unter die südliche saxothuringischen Platte vorstellen. Die Nahtstelle liegt die im Bereich der heutigen Goldenen Aue. Das verdeutlicht der geologische Querschnitt zwischen dem nördlichen Harzrand und dem Kyffhäusergebirge (Abb. 3.). Nähere Erläuterungen zu diesem Profil finden sich in dem Buch von Franzke/Müller/Vladi.


Abb. 3: Geologisches Profil durch den Harz.

Der heutige Harz ist damit ein komplexes Puzzle aus verschiedenen geologischen Bausteinen, die meist an Abscherzonen durch enorme tektonische Kräfte während der Subduktion miteinander verschuppt und übereinander gestapelt wurden. Das heutige Bild zeigt die Situation als die Subduktionsvorgänge im Oberkarbon schließlich zum Stehen kamen. Der größte Teil der ozeanischen Kruste des Rheia-Ozeans ist in der Tiefe der Erdkruste bzw. des oberen Mantels absorbiert, also aufgeschmolzen worden. Damit endet der Wilson-Zyklus des Varistikums. Vom Oberperm etwa beginnt der nächste Zyklus (250 Mio. Jahre – Gegenwart), die Alpen und Kreta etc. gehören dazu.

Mit dieser Aufstapelung, Formung und Heraushebung des Variszischen Gebirge begann sofort dessen Abtragung und damit der nächste Abschnitt der Entwicklungsgeschichte des Harzes. Ob dieses Gebirge ehemals ein Hochgebirge, vergleichbar mit den Alpen, den Anden oder dem Himalaja war, darüber kann nur spekuliert werden; es ist jedoch möglich.
Zum Ausgang zurück: damit waren Europa und Afrika fest vereint, später, in der Trias, hat sich weiter südlich in der ehemaligen Platte des riesigen Gondwanakontinents, jetzt als Pangäa bezeichnet, ein neuer Riss aufgetan: die Tethys als Vorläufer des heutigen Mittelmeeres! Der nächste Zyklus hat begonnen. Und auch diese wird von Jahr zu Jahr schmäler, da Afrika mit ca. 3 cm im Jahr nach Norden treibt und – diesmal umgekehrt – unter die europäische Platte abtaucht und subduziert wird. Das Ergebnis zeigt sich in den Faltungs- und Plattenstapelungen der jungen Falten- und Deckengebirge des Kaukasus, der Karpaten, Alpen und Pyrenäen und im östlichen Mittelmeer.
Dieses Geschehen in der Vergangenheit unserer Erde ist äußert komplex, es so darzustellen, dass es auch für Nichtgeologen gut nachvollziehbar oder gar spannend ist, das ist eine vielleicht noch herausforderndere Aufgabe. Dazu muss manch deutscher Wissenschaftler vom Elfenbeinturm herabsteigen, sich der deutschen Sprache wieder erinnern und sich in das Aufnahmevermögen der Leserschaft hineinfühlen. Diese Zeitschrift bietet ja eine wunderbare Plattform dafür!

Für die kritische Durchsicht und Ergänzung des Manuskripts geht mein Dank an Professor Hans Joachim Franzke, Clausthal.


Anmerkungen:
1 John Tuzo Wilson (1908 - 1993) war ein kanadischer Geowissenschaftler. Er gewann internationale Anerkennung durch seine Arbeiten zur Gebirgsbildung, der Geologie von Meeresbecken und der Struktur von Kontinenten. Große Bekanntheit erwarb er sich insbesondere durch seine Formulierung zu Hot Spots (Plume) und deren Bedeutung in Hinsicht auf das Seafloor spreading. Er gilt als einer der Pioniere der Plattentektonik.

Literatur:
FRANZKE, Hans-Joachim, MÜLLER, Rainer und VLADI, Firouz (2023): Südharz und Kyffhäuser. Auf den Spuren der Vorzeit.- 216 S., 100 Abb; (Quelle-Meyer Verlag). ISBN 978-3-494-01658

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