Firouz Vladi, Osterode am Harz Die Westersteine, Fährt man zwischen Barbis und Nüxei am Südharz entlang, gelangt man auf einen kleinen Paß, eine Anhöhe mit markantem Baum, der mit 333 m über dem Meeresspiegel höchsten Erhebung im Verlaufe der Südharzstraßen B 243 und B 80. Den "Paß" krönt die Branntweinseiche, auch ein Naturdenkmal, benannt nach dem Ausspann und Ruheplatz der Fuhrleute, die Edles aus Nordhausen nach Westen brachten. Der Grenzkrug in Nüxei gab Vorspann für den letzten, aber steilen Anstieg. Welche Bewandtnis aber hat es mit dieser Anhöhe? Sie ist nicht nur ein Punkt, vielmehr ein zunächst unscheinbarer Höhenzug, der zwischen Bad Lauterberg und Steina aus dem Harze nach Südwesten schwenkt und an den Westersteinen zwischen Barbis und Osterhagen in das thüringische Eichsfeld abtaucht. An ihrem Fuße verliefen seit Jahrhunderten territoriale Grenzen, auch heute noch diejenige zwischen Niedersachsen und Thüringen, zuvor der innerdeutsche Drahtverhau. Hier verläuft auch die Sprachgrenze zwischen dem Nieder- und dem Hochdeutschen. Geobotanisch läßt sich in dieser Region die mehr fliessende Grenze zwischen den Pflanzengesellschaften des atlantisch getönten, gemäßigt feuchten Klima Westeuropas ausmachen. Die Anhöhe ist auch die Wasserscheide zwischen Elbe und Weser. Die Südharzflüsse westlich dieser Linie gelangen über die Rhume, Leine, Aller und Weser in die Nordsee, hart östlich fließt bereits die Steina im großen Bogen ostwärts um den Harz über die Ichte, Helme, Unstrut, Saale und Elbe in die Nordsee. Die Eichsfeldschwelle Für den Geologen ist die Anhöhe Teil der "Eichsfeldschwelle", und es läßt sich zeigen, daß seit über 250 Mio. Jahren der Bau des Südharzes durch diesen Höhenrücken geprägt wird. Schon nach der Faltung und Heraushebung der Gesteine des Harzgrundgebirges im Karbon, vor ca. 320 Mio. Jahren, erstreckte sich aus dem nördlichen Harzvorland quer über das spätere Harzgebiet nach Südwesten in das Eichsfeld hinein ein hier insgesamt 10 bis 20 km breiter Höhenrücken, der das umgebende Terrain um mehrere hundert Meter überragte. Als das Meer vor 285 Mio. Jahren, dem Beginn der Zechsteinzeit, das Harzgebiet und weite Teile Mitteleuropas wieder überflutete, bildete diese Schwelle zunächst eine langgestreckte Untiefenzone mit zahlreichen Inseln. In den westlich und östlich angrenzenden Meeresbecken lagerten sich u.a. der Kupferschiefer, später dann die mächtigen Gipse (der Werraanhydrit) von Osterode und Nordhausen ab. Ein entlang des Südharzes gezeichneter Querschnitt dieser Meeresablagerungen zeigt Abbildung 1. Recht schnell wurde die Schwelle und zunächst nur flach überflutet. Es entstanden Inseln und Flachwasserzonen, Bedingungen, die das Wachstum von Riffen, so auch den Westersteinen, ermöglichten.
Riffbildung im Zechsteinmeer Von unseren heutigen Weltmeeren wissen wir, daß in ihnen Riffe, meist von Korallen aufgebaut, nur in tropischen Breiten, also in Aquatornähe gedeihen. Wie aber konnten im ausgehenden Erdaltertum Riffe im kühlen Nordeuropa wachsen? Die Lehre von der Verschiebung der Kontinente auf der Erdoberfläche, 1912 von Alfred Wegener entwickelt, hat sich seither im Grundsatz vielfach bestätigt und ist Gemeingut der Geologen geworden. Inzwischen läßt sich die jeweilige Position der Kontinente relativ zueinander und zu den Polen für die Vergangenheit nachzeichnen. Und so zeigt sich, daß der Südharz damals in 30° nördl. Breite lag, der heutigen Position etwa von Kairo, und tropisch warme Bedingungen wie im Roten Meer herrschten. Der Atlantik war noch nicht entstanden, westlich dieses nordeuropäischen Zechsteinmeeres lag bereits Amerika, und es drang in nur sehr kurzer Zeit von Norden her, zwischen Norwegen und Schottland in unseren damals trockenheißen Raum ein. Das trockene Klima, flaches, vielfach durchlichtetes Wasser und hohe Gehalte an gelösten Stoffen förderten das Wachstum von koloniebildenden Organismen, deren Strukturen sich zu mächtigen, den Meeresboden bis zur Wasseroberfläche überragenden Riffen aus organisch gebildetem Kalk auftürmten. Später, als die Riffe abstarben, wurden sie von den in ihrer Umgegend vorherrschenden Ablagerungen, meist geschichtetem Dolomit oder Gips überdeckt. Als harte, massig-ungeschichtete Gesteinskörper haben diese Riffe der späteren Verwitterung gut widerstanden. Am Südharz sind aus der Zechsteinzeit mehrere Riffe auf uns gekommen: aus der ersten Phase des Zechsteins, in der die Schwelle noch örtlich als Insel aus dem Meer ragte, das Moostierchenriff bei Bartolfelde, der Römerstein bei Steina und der Eulenstein bei Osterhagen: aus der zweiten Phase, in der die Schwelle allmählich überflutete, die Westersteine, aber auch das Mühlbergriff bei Niedersachswerfen und der Königstein bei Badenhausen. Über die hochgelegenen Feldfluren westlich von Bartolfelde und südlich von Barbis erheben sich zwei kleinere Laubwälder, mit 355 m NN von weither sichtbar (Abb. 2). Erst beim Annähern an den Waldrand werden die geschlossenen Felswände sichtbar, die das Waldinnere aufbauen und vom Waldrand überkront werden. Es sind 2 Westersteine, der Barbiser im Westen und der größere, der Bartolfelder im Osten. Zwischen beiden liegt ein dritter, kleinerer Felsen. Die Umrisse des Bartolfelder Westersteines zeigt Abbildung 3. Am Fuße der Felsen, die Umgebung aufbauend steht die Grauwacke des Harzgrundgebirges an, es ist die schon erwähnte Eichsfeldschwelle und Untiefenzone im ehemaligen Meer. Die Felsen des ursprünglich wohl bis zu 25 m hohen Riffs sind aus hellgraubraunem Gestein aufgebaut (Blaualgenriff), einem ungeschichteten und weitgehend ungeklüfteten Dolomit (Kalzium-Magnesium-Karbonat). Erst die jüngere Verwitterung hat das kompakte Gestein in z.T. freistehende Felstürme zerlegt. Schon mit bloßem Auge lassen sich auf der Nordseite im Gestein massenhaft Strukturen, meist streifenartig und gebogen herausgewittert erkennen. Im Inneren des Waldes tauchen dann auch wenige Versteinerungen von Muscheln hervor. Was das bloße Auge nicht mehr erkennt, zeigt der Anschliff von Probestücken unter dem Vergrößerungsgerät und enthüllt damit dem Geologen den Bau und die Entstehungsumstände dieses ehemaligen Organismenkomplexes. Meeresökologie vor 250 Mio. Jahren "Die Westersteine sind ein hervorragend aufgeschlossenes, für Europa einzigartiges Riff, das ausschließlich aus Algenmatten, sog. Stromatolithen aufgebaut ist." So beurteilte Josef Paul, Dozent an der Universität Göttingen, bereits um 1980 den Wert dieses Naturdenkmals für die Geowissenschaften. Paul hat sich als Geologe seit vielen Jahren um die Erforschung der Gesteine und der Meeresbiologie des Zechsteins in Europa und besonders am Südharz große Verdienste erworben. Stromatolithische Riffe sind zur Gänze aus mikrobiell entstandenen Strukturen von dünnsten Lagen schichtweise aufgebaut, den mit ca. 3 Mrd. Jahren ältesten in der Erdgeschichte bekannten Lebewesen. Noch in jüngerer Literatur wurden diese als kalkabscheidenden Blaualgen (Cyanophyceen) beschrieben. Es handelt sich jedoch um sehr primitive Organisationsformen, die wegen des Fehlens von Zellkernen inzwischen als bakterienähnliche Organismen gedeutet werden. Die späteren Umkristallisationsprozesse innerhalb des Riffgesteins, die Dolomitisierung, haben jedoch alle Feinstrukturen verwischt, so daß die genaue Zuordnung der Riffbildner noch ungeklärt bleiben muß. Diese Riffbildner sind extrem widerstandsfähig gegen Temperatur- und Salzgehaltsschwankungen und konnten sich deshalb im übersalzenen, lagunären Milieu des Zechsteinmeeres entwickeln. Als mikroskopisch - feinfädige Massen besiedeln sie im durchlichteten Flachwasser den Untergrund mit rasenartigen Überzügen und können aus dem Meerwasser feinste Schwebepartikel einbinden. Vor allem scheiden sie an ihrer Zelloberfläche Kalk aus übersättigter Lösung aus, wachsen so Schicht um Schicht in die Höhe und bauen allmählich den Riffkörper auf. Noch heute entstehen vergleichbare stromatolithische Riffe etwa in der übersalzenen Shark Bay der australischen Westküste. Ihre meeresbiologische Erforschung ermöglichst erst die Rekonstruktion fossiler Riffe wie etwa der Westersteine. Während an den Westersteinen nur sehr wenige Tierarten anzutreffen sind, ein Hinweis auf den bereits höheren Salzgehalt des Meereswassers, bilden die Stromatolithen als eigentliche Riffbildner eine große Vielfalt an Formen - ungestört durch Einflüsse anderer Organismen - aus, die den Strömungsbedingungen und der Wassertiefe des Standortes angepaßt sind. Kugelige bis gewölbte, aber auch abgeschlagene und verstürzte Formen im Brandungsbereich, wellig-flache und auch säulenförmige Formen im ruhigen und tieferen Wasser. Dies sind Strukturmerkmale, die sich an den Westersteinen wiederfinden und mit denen die Meeresbedingungen rekonstruiert werden können. Begonnen hat das Riffwachstum offensichtlich an einer kleinen Grauwackenklippe, die an der Westseite des Bartolfelder Westersteines noch aufgeschlossen ist. Insgesamt dürfte der Aufbau der Westersteinriffe mehrere Jahrhunderttausende in Anspruch genommen haben.
Abbildung 3 gibt das Ergebnis der Verteilung der Algenstrukturen an den Westersteinen wieder. Die bis zu über 1 m großen Algendome, viele davon losgerissen und verkippt, überwiegen an der Nordseite; feine, ebenschichtige Strukturen fehlen. Hier liegt also die Brandungs- oder Hochenergieseite des Riffes, das Vorriff (fore reef). Bei der damaligen geographischen Breite von 30° Nord entspricht dies der Hauptwindrichtung der Passatwinde. Die Südseite der Westersteine weist steil nach Süden abfallende, mehr ebenschichtig - lagige Strukturen und umgelagerte Sande aus zerriebenem Algenkalk (Onkolithe) auf, offensichtlich die geschütztere Position der Riffrückseite (back reef). Der zentrale Teil des Riffes besteht dann überwiegend aus Dolomit mit offenem, löchrigen Gefüge, aus groben Kalksanden und welligen Algenmatten. Schalen von Muscheln und Schnecken kommen hier vor, jedoch aus dem Wachstumsverband gerissen und umgelagert. Hier liegt die Oberfläche des Riffes (reef top), überströmt mit nährstoffreichem Wasser, aber nicht mehr der Brandung ausgesetzt. Diese Sande wurden von Wellen, die bei Sturm über das Riff abströmten, nach Südosten verlagert, wo der Meeresboden zum tieferen Wasser am Rande der Schwelle hin abfiel; aus diesen onkolithischen Sanden sind die kleineren, nach Bartolfelde zu liegenden Felsgruppen gebildet. Das Ende des Riffwachstums wurde mit der Verringerung der Wassertiefe erreicht, die sich der vertikalen Abfolge der Stromatolithe entnehmen läßt. Über die Wasseroberfläche vermag ein Riff nicht zu wachsen. Es stirbt langsam ab; bei sinkendem Meeresspiegel fällt die Struktur allmählich trocken, Entwicklungen, die sich auch heute an manchen Korallenriffen des pazifischen und indischen Ozeans abspielen. Die Westersteine wurden später von jüngeren Ablagerungen des Zechstein und sodann des Erdmittelalters überdeckt und erst in der jüngeren Erdgeschichte durch Abtragungsprozesse wieder freigelegt. Diese nahezu vollständig erhaltenen Riffe der Westersteine enthüllen in ihrer Formenvielfalt eine einzigartige "Blitzlichtaufnahme" aus dem Dunkel der Erdgeschichte. Schutz eines Naturdenkmals - Wandertip Die Westersteine sind herausragende Einzelschöpfungen der Natur und daher auf Anregung der Universität Göttingen seit 1980 als Naturdenkmal durch Verordnung vor nachteiliger Veränderung und Beschädigung geschützt. Sie sind Genossenschaftswälder im Eigentum der Realgemeinden Barbis und Bartolfelde, die mit großer Behutsamkeit diese Schatzkästchen der Natur gepflegt haben. Eines der Schutzziele ist es daher auch, den Buchenbestand als Dauerwald trockenwarmer Standorte mitsamt des gut ausgebildeten Waldrandes und der Vegetation des Waldbodens und der Klippen zu erhalten und keine weitergehende Erschließung innerhalb der Felsgebilde vorzunehmen. Es soll an den Felsen mit ihren von der Verwitterung herauspräparierten Strukturen der Stromalithe keinesfalls gehämmert werden. Der Dolomit splittert und die Strukturen verwischen. Die geowissenschaftliche Forschung durch Fachleute, etwa durch Bohrkernentnahme ist jedoch erlaubt. Zum Klettern sind die Felsen viel zu klein. Die ungestörte Ruhe, die Weiträumigkeit des Landschaftsbildes laden zum Verweilen und Nachdenken über die Entwicklung unserer Heimat am Südharz ein. Der sog. Karstwanderweg (Erläuterungstafel) führt deshalb an den Westersteinen vorbei. Folgt man diesem von der trockenen Hochfläche der Westersteine hinab nach Bartolfelde, stößt man rechts an einer Wegebiegung an das Ende eines Bachlaufes. Eindrucksvoll hat sich hier "in der Strauth" eine Bachschwinde entwickelt; es ist ein untrügliches Anzeichen für die Verkarstung des Untergrundes mit ihrer unterirdischen Entwässerung. Literatur: Jordan, Heinz: Der Zechstein zwischen Osterode und Duderstadt (südl. Harzvorland); Z. Dt. Geol. Ges. 130, S. 145-163 (Hannover 1979) Jordan, Heinz: Quartäre Tektonik und Gipskarst am Südharz; Beitr. z. Geol. v. Thür., N.F.2, S.75-96 (1995) Herrmann, Axel: Der Zechstein am südwestlichen Harzrand (seine Stratigraphie, Fazies, Paläogeographie und Tektonik); Geol. Jahrb. 72, S. 1-72 (Hannover 1956) Paul, Josef: Upper Permian algat stromatolite reefs, Harz Mountains (FR. Germany); Contr. Sedimentology 9, S. 253-268 (Stuttgart 1980) -,-: Der Zechstein am Harzrand: Querprofil über eine permische Schwelle; Int. Symp. Zechstein '87, Kassel-Hannover. Exk.Führer II, S. 195-276 (Wiesbaden 1987) -;-: Anatomie und Entwicklung eines permotriassischen Hochgebietes: die Eichsfeld-Altmark-Schwelle: Geol. Jahrb. A 131, S. 197-218 (Hannover 1993) Schneider, Jürgen: Die Westersteine (westlich Bartolfelde) 13 S. (unveröff., Göttingen Aug. 1975) Vladi, Firouz: Gipskarstlandschaft - Karstwanderweg; Faltbl., 4 S. (Osterode a. Harz 1995: Hrsg. Südharzinformation) (Adresse des Autors: Düna 9a, 37520 Osterode) |