Vogelk. Ber. Nieders. 15, H. 2, 1983

Vogel- und Säugetierverluste durch Umweltbelastungen
im Gebiet des Harzes

Von Friedel Knolle und Friedhart Knolle

Bei den zahlreichen Auseinandersetzungen, die in jüngster Zeit im Zusammenhang mit den Emissionen vom Industriegürtel am Nordrand des Harzes ausgehen, ist nahezu in Vergessenheit geraten, daß auch Tiere durch die Schwermetalle geschädigt werden können.

Ein Beispiel, geschaffen durch die vom Bergbau ausgehenden Verunreinigungen des Wassers, ist bereits in einem geschichtlichen Beitrag des einen von uns (Knolle 1969) enthalten. Von weiteren frühen bergbaulichen Umweltschäden durch Schwermetallvergiftungen an Vieh berichten Gatterer (1786) und Meyer (1822). Als Sachverständiger für die von Hüttenwerken ausgehenden Rauchschäden war der hervorragende Forstmann Carl Reuss bekannt, ein Sohn des Harzes, geb. am 3. 11. 1844 in Harzgerode, gest. als Landesforstmeister am 22. 4. 1918 in Dessau. Von 1873 - 1893 war Reuss Oberförster im Dienst der Stadt Goslar.

Das nach umfänglichen Vorarbeiten von Reuss zusammen mit einem Chemiker verfaßte, 1883 in Berlin erschienene Werk »Die Beschädigungen der Vegetation durch Rauch und die Oberharzer Hüttenrauchschäden« enthält auch Beobachtungen und Mitteilungen über den Einfluß des Hüttenrauchs, wie die Emissionen seit Jahrhunderten genannt werden, auf Tiere: »An Chausseen, Rainen und Anlagen in der Nähe der Hütten finden sich vielfach Vogelbeeren, Sorbus aucuparia, angebaut. Die Beeren derselben sind bekanntlich ein Lieblingsfutter der Drosseln und einiger Finkenarten im Herbst und dienen im Winter fast allen bei uns verbleibenden Vögeln zur Nahrung. Unter und in der Nähe solcher Bäume haben wir häufig tote oder kranke Vögel gefunden. Ihre Extremitäten waren contract, ihre Flugkraft erschien gelähmt und nach wenigen Tagen kraftlosen Herumflatterns starben sie. Zweifellos liegt hier eine Vergiftung vor. Die Vögel genießen mit den Beeren den auf denselben lagernden feinen Bleistaub und vergiften sich.« Es folgen Ausführungen über monströse Geweihbildungen bei Hirschen in Forstorten unweit der Hütten. Die Harzexkursionen zur Bemusterung und Entnahme von Vegetationsproben im September 1877, August/September 1878 und Juli 1879 führten beide Verfasser in den gesamten nordwestlichen Oberharz und das Harzvorland. Hütten gab es seinerzeit bei Clausthal und Langelsheim sowie in Juliushütte, Oker und Altenau. Verblieben sind nur die Okerhütten.

Vielfach totgeschwiegen, leider bis heute, werden Erscheinungen bei Rothirschen (Cervus elaphus): »Am Harzrande in der Nähe von Bad Harzburg und Oker sind verschiedentlich einzelne kreuzlahme Stücke beobachtet worden. Diese Krankheit wird hier landläufig mit Schleuderkrankheit bezeichnet. Etwa seit April 1935 mehrte sich diese Krankheit von Jahr zu Jahr. Bei zwei schleuderkranken zur Strecke gebrachten Stücken konnte vom Staatlichen Veterinär-Untersuchungsamt in Braunschwelg einwandfrei eine erhebliche Dosis Blei in der Leber festgestellt werden. Bleivergiftungen ist demnach als Ursache der Krankheit anzusehen. Sie wurde wahrscheinlich hervorgerufen durch verfüttertes Wildheu von Wiesen, die unter Raucheinwirkung der Okerhüttenwerke lagen.« (Reichsbund »Deutsche Jägerschaft« 1939).

Aus der Gegenwart sind ebenfalls Vogelverluste bekannt, so z. B. 1968 im Steinfeld der Oker NE Goslar. Neben Bleßrallen (Fulica atra) und Enten gingen auch 21 Schwäne (Cygnus olor, 1 Cygnus cygnus) ein (Zang 1977). Im Januar/Februar kam es zu einem ähnlichen Sterben. 50 Stockenten (Anas platyrhynchos) und 15 Bleßrallen kamen um. Auch in den Wintern 1975/76 und 1976/77 kam es zu Todesfällen. 5 mit Lähmungserscheinungen angetroffene Stockenten und eine Bleßralle aus dem Januar 1977 wurden vom Staatlichen Veterinäruntersuchungsamt Braunschwelg untersucht. Lt. Mitteilung vom 16.1.1977 ergaben sich dabei keine bakteriologischen Befunde, aber zum Teil hohe Blei- und Cadmiumgehalte: a) Blei: In den Lebern der Enten 3,70; 2,57; 3,70; 5,36 und 2,77 ppm, der Bleßralle l,37 ppm. In den Nieren der Enten 21,00; 9,48; 8,61; 7,54 und 21,24 ppm, der Bleßralle 5,42 ppm. b) Cadmium: In den Lebern der Enten 4,14; 5,10; 3,82; 4,72 und 3,41 ppm, der Bleßralle 2,38 ppm. ln den Nieren der Enten 30,19; 29,83; 14,59; 13,12 und 16,14 ppm, der Bleßralle 4,89 ppm. Ausführungen über die Krankheitsbilder und Schadfolgen müssen der Abhandlung von Zang (1977) entnommen werden.

Neuere geochemische Schwermetalluntersuchungen vervollständigen das Bild der außerordentlich starken Belastung der Geo- und Biotope des Harzgebietes.

Harre u. Walther (1957) fanden bei Bodenuntersuchungen im Oberharz in einer Bleianreicherungszone in den obersten Bodenhorizonten Pb-Werte von 4000 - 5000 ppm. Sie machen die Abgase der Hütten verantwortlich.

Nowak u. Preul (1971) publizierten die Ergebnisse hydrochemischer und sedimentgeochemischer Untersuchungen. Zusammenfassend schreibt Prof. H. R. von Gaertner im Vorwort zu dieser Studie: ». . . ergibt sich doch schon jetzt, daß in jüngeren Auelehmen im Innerstetal zwischen dem Harz und Hildesheim so viel Blei enthalten ist, daß dadurch Pflanzen und Tiere in höherem Maße gefährdet werden.« Ähnliche Gehalte an Schwermetallen fanden sich in anderen Sedimentproben, auch der Oker.

Im Rahmen von Dissertationen beschäftigten sich Fytianos (1978) und Stier (1979) mit Schwermetalluntersuchungen in Flußsystemen des Harzes (Oker, Innerste, Söse und Sieber). Sie bestätigen die extrem hohen Gehalte an Schwermetallen in den Gewässern und Sedimenten, insbesondere der Oker und Innerste.

Die Befunde weisen aus, daß bis heute durch die menschlich verursachten Schwermetallbelastungen des Bodens und der Gewässer Schädigungen der Glieder der Biozönosen (Vögel, Säugetiere) im Gebiet des Harzes hervorgerufen werden. Die naturgegebene geochemische Belastung des Naturraumes Harz spielt demgegenüber eine ganz untergeordnete Rolle.

Die bisher bekanntgewordenen Verluste an Vögeln und Säugetieren dürften nur einen Bruchteil der wirklich geschädigten Tiere ausmachen.

Schrifttum

Fytianos, K. K. (1978): Untersuchungen auf Schwermetalle in Fließgewässern und Flußsedimenten des West-Harzes. Diss. Göttingen. 134 S. - Auszugsweise veröffentlicht in: gwf-wasser/abwasser 123 (4): 194-198, 1982. Gatterer, C. W. J. (1786): Anleitung den Harz und andere Bergwerke mit Nuzen zu bereisen. Zweyter Theil, 18 + 358 S.. Göttingen. Harre, W., u. H. W. Walther (1957): Buntmetalle in Oberharzer Böden und Gewässern. Z. angew. Chem. 96(5): 181. Knolle, F. (1969): Zur vogelkundlichen Erforschungsgeschichte des Harzes (Teil 1). Vogelk. Ber. Niedersachs. 1(2):53-54. Meyer, C. F. G. (1822): Beiträge zur Chorographischen Kenntnis des Flußgebietes der Innerste in den Fürstentümern Grubenhagen und Hildesheim mit besonderer Rücksicht auf die Veränderungen, die durch diesen Strom in der Beschaffenheit des Bodens und der Vegetation bewirkt worden sind. Erste Anlage zur Flora des Königreichs Hannover. 2 Bde. Göttingen. Nowak, H., u. F. Preul (1971): Untersuchungen über Blei- und Zinkgehalte in Gewässern des Westharzes. Beih. geol. Jb. 105: 1-68. Hannover. Reichsbund »Deutsche Jägerschaft« (Hrsg.) (1939): Jahrbuch der Deutschen Jägerschaft Jg.4, 1938/39. Berlin. Schroeder, J. v., u. C. Reuss (1883): Die Beschädigungen der Vegetation durch Rauch und die Oberharzer Hüttenrauchschäden 333 S. Berlin. Stier, G. (1979): Geochemische Untersuchungen an Gesteinen, Böden und Gewässern des nördlichen Harzrandes sowie des Hils. Diss. Braunschwelg. 305 S. Zang, H. (1977): Die Vogelwelt der Kiesteiche im Steinfeld NE Goslar. In: Vorstand des Naturwissenschaftlichen Vereins Goslar (Hrsg.): 125 Jahre Naturwissenschaftlicher Verein Goslar: 135-157. Goslar.
 

Anschriften der Verfasser: Thilingstraße 38 und Grummetwiese 16, 3380 Goslar

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