Nur etwa 3 km südlich der Barbiser Warte liegt im Tal der Beber ein weiterer, für die Siedlungsgeschichte des Südharzgebietes wichtiger Platz, die Wüstung Königshagen. Hier weitet sich das schmale Tal der von Ost nach West fließenden Beber zu einer flachen mit Wiesen bedeckten Mulde, in der im 12. - 15. Jahrhundert das Dorf Königshagen lag (Abb. 66).
Die Beber umfließt mit einem scharf ausgeprägten, weit ausholenden Knick eine kleine, aus Graben und davorliegendem, sich nur schwach abhebenden Wall bestehende Befestigung von rund 52 m Durchmesser; eine langgestreckte hügelartige Erhebung bildet deren Zentrum. Bezeichnenderweise lautete der Flurname für diesen Bereich "an der alten Kirche". In nächster Umgebung dieses Platzes zeichneten sich im Wiesengelände deutlich begrenzte, abgeflachte Erhebungen ab, die als Podeste ehemaliger Hofstellen gedeutet wurden. Andere Besonderheiten im Gelände ließen auf eine alte Wegeführung durch diese vermutliche Siedlung und auf einen alten Bachlauf schließen. Nach beiden Seiten, gegen Norden und Süden sind an den Berghängen die Spuren alter Hohlwege in Form breiterer Hohlwegbündel nachzuweisen. Es sind die Relikte früherer Verbindungswege, die in nördlicher Richtung zu dem Dorfe Barbis und der am Südharzrand entlang ziehenden "Nordhäuser Straße" führten, nach Süden verbindet ein alter Hohlweg die Dorfstelle mit der auf der Höhe in etwa 1 km Entfernung in Ost-West-Richtung verlaufenden "Hohen Straße", jener Grenzstraße, die auch heute wieder eine Grenze bildet. Aus diesen Geländebeobachtungen ergab sich das eindrucksvolle Bild einer vergangenen Dorfstelle, wie es wohl nur selten noch im heutigen Landschaftsgepräge beobachtet werden kann. Über die Geschichte dieses ehemaligen Dorfes liegen nur wenige Nachrichten vor. G. MAX beschreibt in seiner "Geschichte des Fürstentums Grubenhagen" die alte Dorfstelle Königshagen folgendermaßen: "Königshagen heißt gegenwärtig eine Lage auf der Feldmark Barbis, nicht weit von diesem Dorfe und von Pöhlde belegen. Die Erinnerung an ein Dorf, das hier gestanden hat, ist erhalten. Auch wird noch der Platz der ehemaligen Kirche bezeichnet. Um 1240 übertrugen die Grafen Burchard der Weiße von Lutterberg und Burchard von Scharzfeld auf Bitten des Ritters Hermann von Bardeuelt eine Hufe in Königshagen (indago regis), die Kadelandes Hoeffe genannt, dem Kloster Pöhlde." Die Geschichte des Dorfes ist seitdem eng mit der des Klosters Pöhlde verbunden gewesen. Die tatsächliche Gründung von Königshagen ist jedoch vermutlich früher anzusetzen. Nach den Ergebnissen der Ortsnamenforschung gehört Königshagen auf Grund seines Ortsnamenteiles -hagen zu den Orten, die die jüngste Phase eines hochmittelalterlichen Landausbaues darstellen. Der Ort liegt im Bereich jenes Geländerückens, der nicht nur die Wasserscheide zwischen den zur Weser und Elbe fließenden Gewässern bildet, sondern auch eine echte historische Grenze zwischen den alten landschaftlich bedingten Gaueinteilungen, dem Lisgau im südwestlichen und dem Helmegau im südöstlichen Harzvorland darstellt. Jene mit dem Grundwort -hagen verbundenen Ortsnamen kennzeichnen, daß diese bewaldete Grenzzone erst während des hohen Mittelalters aufgesiedelt worden ist. Auf Grund eingehender Untersuchungen über die Besitz- und Herrschaftsverhältnisse im südlichen Harzrandgebiet kann angenommen werden, daß der Ort Königshagen auf königlichem Besitztum im Auftrag des Königs gegründet worden ist. Dies kann nur durch die Grafen von Scharzfeld zwischen 1131 und 1158 erfolgt sein, als sie vom deutschen König mit der Verwaltung des königlichen Land- und Forstbesitzes am Südharzrand beauftragt waren. Zweifelsohne ist dieser Siedlungsvorgang im südlichen Harzvorland sehr stark von dem Wirken des 1127 gegründeten Zisterzienserklosters Walkenried mit bestimmt bzw. beeinflußt worden. Rund 280 Jahre lang hat das Dorf bestanden. In einer Fehde des Landgrafen Ludwig von Hessen und des Erzbischofs von Mainz gegen die Grafen Heinrich, Ernst und Günther von Hohnstein wurde es zwischen 1413 und 1420 zusammen mit sechs weiteren Dörfern der näheren Umgebung zerstört. Königshagen ist nach diesem Ereignis nicht wieder aufgebaut worden und im 16. und 17. Jahrhundert wird es nur noch als wüste Ortsstelle erwähnt. Die wenigen urkundlichen Berichte geben keine Auskunft über die geschichtliche Entwicklung und die Struktur dieses mittelalterlichen Dorfes, über seine Größe und Anlage, sowie die Bauweise der Gehöfte, Häuser und Kirche. Auch Hinweise auf das bäuerliche Leben und die Wirtschaftsweise in einem derartigen Dorfe würden uns verschlossen bleiben, wenn es nicht gelungen wäre, durch die umfangreichen, von W. JANSSEN in den Jahren 1961 bis 1963 durchgeführten Ausgrabungen und historischen Forschungen für all diese Fragen wichtige Aufschlüsse zu erhalten. Die gesamte Situation dieser Dorfstelle bot für umfassendere Forschungen zum Problem mittelalterlicher Dorfwüstungen günstige Voraussetzungen, zumal in dem fast baumlosen Wiesengelände alle Anzeichen dafür sprachen, daß der ursprüngliche Zustand seit dem endgültigen Wüstwerden im Boden noch zu erkennen sein müßte. Selbstverständlich kann die Untersuchung einer mittelalterlichen Wüstung nie Alleinaufgabe der Archäologie sein, sie wird stets ein Gemeinschaftsunternehmen mit der speziellen Wüstungsforschung bedeuten, im Zusammenwirken mit der historischen Landesforschung, der Siedlungsgeschichte und Siedlungsgeographie, Wirtschaftsgeschichte und Sozialgeschichte, Hausbauforschung, Bodenkunde sowie Orts- und Flurnamenforschung. Nicht unberücksichtigt dürfen dabei auch die volkskundlichen Überlieferungen bleiben. Nur durch die Auswertung der Ergebnisse dieser verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wird es möglich sein, die vielfältigen Fragen, die mit einer derartigen Dorfwüstung verknüpft sind, in größerem Umfange zu beantworten. Bei den in den Jahren 1961 bis 1963 durchgeführten Ausgrabungen wurden insgesamt 13 Anwesen festgestellt (Abb. 67). Bezeichnenderweise gruppieren sich diese um die kleine kreisförmige Befestigungsanlage, dem Zentrum der Dorfsiedlung.
Dabei sind die natürlichen Gegebenheiten, die das Bebertal bot, für die Errichtung der Baulichkeiten gut ausgenutzt worden. Die einzelnen Anwesen liegen fast ausnahmslos auf den durch Erosionsrinnen voneinander getrennten Podesten. So war ein kleines, unregelmäßig gestaltetes Haufendorf entstanden. Das gesamte Dorf Königshagen bestand aus Einzelgebäuden und aus Hofanlagen, bei denen die Wohnhäuser stets zweiräumig waren, d. h. sie gliederten sich in Wohn- und Schlafraum. Die Wohnteile waren stets mit einem Herd ausgestattet. Bei den Gehöften umschlossen die einzelnen Gebäude einen gepflasterten, rechteckigen Innenhof, der bei einem der großen Höfe eine Fläche von 210 qm einnahm. Das Wohnhaus lag dem Hofeingang gegenüber, rechtwinkelig schlossen sich an dieses die Stallungen und Vorratsbauten an. Diese Hofform ist auch heute noch im südlichen Niedersachsen häufig anzutreffen und stellt einen mitteldeutsch-fränkischen Hoftyp dar. Die Häuser, deren Ausmaße zwischen 6 x 8 m und 6 x 18 m wechselte, waren ausschließlich Holzbauten; eine in der Mitte in Längsrichtung des rechteckigen Hausgrundrisses verlaufende Pfostenreihe deutet an, daß die Häuser ein spitzgiebeliges Dach besessen haben. Dachziegel sind allerdings nicht verwendet worden. Alle Anwesen von Königshagen und auch die noch zu beschreibende Befestigungsanlage sind durch Brand vernichtet worden, nachweisbar durch eine Brandschicht, die sich nahezu geschlossen unmittelbar unter der Humusdecke über allen Kulturresten ausbreitet. Sie kann mit der zwischen 1413 und 1420 erfolgten Zerstörung Königshagens aufgrund der aus ihr geborgenen keramischen Fundguts in Verbindung gebracht werden. Aus den vielfältigen Einzelergebnissen der archäologischen Untersuchungen läßt sich ein Gesamtbild dieser Dorfstelle rekonstruieren. Von besonderer Wichtigkeit sind dabei die Grabungsbefunde an der kleinen, kreisförmigen Wehranlage, die mit Recht als der Platz der Kirche galt. In ihrem Zentrum wurde der Grundriß eines Steingebäudes freigelegt, das einschließlich der rund 1 m messenden Mauerstärke eine Länge von 21,50 m und eine Breite von 8 m besaß (Abb. 69 b). Drei zeitlich aufeinander folgende Ausbaustadien ließen sich für diesen Platz feststellen (Abb. 68). |
c. Zustand nach ca. 1250. Nach W. Janssen. Stadium 1: Ein vermutlich mehrgeschossiges Steinhaus - ein Wohnturm - wird auf einem niedrigen, künstlich aufgeschütteten Hügel errichtet und mit einem kreisförmig verlaufenden tiefen Graben umgeben, an dessen Innenrand als zusätzliches Befestigungselement eine Doppelpalisade errichtet wird. Ihr geschlossener Ring ist nur im Südosten unterbrochen. Hier führt ein gepflasterter Weg über eine den Graben unterbrechende Erdbrücke und durch ein aus Holz gebautes, mit Dachziegeln bedecktes Tor in den Innenraum. Diese gesamte Anlage trägt eindeutig fortifikatorischen Charakter; die Doppelpalisade ist durch Brand zerstört worden. Stadium 2: Anstelle der Doppelpalisade werden am inneren Grabenrand in einer geschlossenen, ringförmigen Anordnung kleine Holzbauten mit Steinfundamenten, die einheitlich eine Grundfläche von 8 x 8 m besitzen, errichtet. Es sind kleine Holz- bzw. Fachwerkhäuschen, deren Wände aus Flechtwerk mit Lehmbewurf bestehen und die im Inneren durchweg mit einer Herdstelle ausgestattet sind. Wohnturm und Graben bleiben ebenso wie der Zugang im Südosten bestehen. Mit dem Bau dieser kleinen, anfänglich nur Wohn- später aber mehr Wirtschaftszwecken dienenden Häuser dürfte der ursprünglich beabsichtigte Befestigungscharakter wohl sicherlich nur noch zweitrangig gewesen sein. Dieses zweite Ausbaustadium hat sich gegen Ende des 12. bzw. Anfang des 13. Jahrhunderts vollzogen. Stadium 3: Umgestaltung des Wohnturms zu einer Kirche durch Anbau eines Westteils (Turm) und des Altarraums im Osten. Der Platz um das nunmehr zur Kirche umgewandelte Gebäude wird Friedhof. Der Graben und die kleinen Bauwerke an seinem Innenrand bestehen weiterhin. Nutzung der Häuschen anscheinend nur noch als Wirtschaftsbauten (Speicher). Auf Grund der ältesten Keramikfunde, die sowohl in allen untersuchten Haus- und Hofstellen als auch im Bereich der Befestigungsanlage geborgen wurden, ist der Beginn der gesamten Siedlung Königshagen und auch die Erbauung des festen Steinhauses - des Mittelbaues - in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts zu datieren; d. h. in den Zeitabschnitt, in dem aufgrund der historischen Zusammenhänge der Beginn des Dorfes angenommen werden muß, wenngleich auch die früheste historische Erwähnung erst aus dem Jahre 1228 stammt.
Der Umbau des ursprünglichen Wohnturms zu einer Kirche erfolgte um die Mitte des 13. Jahrhunderts, vermutlich nachdem im Jahr 1228 das Dorf Königshagen durch Schenkung in kirchlichen Besitz des Klosters Pöhlde überführt worden war. Die gesamte kleine Befestigungsanlage erhielt damit den Charakter einer Wehrkirche; d. h. neben der rein kirchlichen Funktion bleibt der ursprüngliche fortifikatorische Zweck als Schutz- und Sicherungsanlage für die ländliche Bevölkerung weiterhin bestehen. Welche Bedeutung hat jedoch die ursprüngliche Befestigungsanlage (1. Ausbaustadium) gehabt? Zweifelsohne gibt sie Anlaß zu Vergleichen mit einem besonderen Burgentyp, der eine Sonderform der im hohen Mittelalter entstehenden Herrenburgen darstellt: einen Turmhügel, bzw. eine Turmburg oder nach einer französischen Bezeichnung eine "Motte". Kennzeichnend für derartige kleine Befestigungen ist einmal ihre Lage in einer Talniederung inmitten feuchten Geländes, von einem Bachlauf umgeben und zum anderen die stets künstlich hügelartig erhöhte Innenfläche, auf der der Wohnturm errichtet wurde. Die Befestigungselemente sind Graben mit Wall oder Mauer bzw. Palisade. Es ist vorerst noch ungeklärt, seit wann dieser Typ einer befestigten Anlage im östlichen Niedersachsen auftritt; im hohen Mittelalter ist er in Europa weit verbreitet, ihr Ursprung wird in Nordfrankreich vermutet. Derartige Befestigungsanlagen kennzeichnen nicht nur eine Sonderform des mittelalterlichen Burgenbaus, sie sind gleichzeitig Repräsentanten einer neuen Gesellschaftsordnung. Gegenüber den großen ur- und frühgeschichtlichen Burgwällen, zu denen die Pipinsburg bei Osterode und auch noch die Burganlage "König Heinrichs Vogelherd" bei Pöhlde zu rechnen sind und die dem Schutz der gesamten umwohnenden Bevölkerung dienten, setzt sich jetzt die Burg des mittelalterlichen Feudalismus, d. h. die Burg im Eigenbesitz eines Adeligen, bzw. eines Grundherren, durch. Für die Wehranlage von Königshagen kommen als adelige Herren nur die Grafen von Scharzfeld in Betracht. Dieser kleinen, räumlich sehr stark begrenzten Befestigung oblag in erster Linie der Schutz der sie umgebenden bäuerlichen Siedlungen, wozu auch die Überwachung der Verkehrswege mit gehörte. Sicherlich ist aber in dieser Befestigung gleichzeitig auch eine Stelle des Gerichts zu sehen, das die Grafen von Scharzfeld im Rahmen ihrer Vogtei, d. h. ihrer Schutzherrschaft, über das Dorf Königshagen ausübten; denn bei der Schenkung des Dorfes an das Kloster Pöhlde behielt sich der Graf ausdrücklich das Vogteirecht vor. Es bedeutet nicht nur die Schutzherrschaft des Grundherrn oder seines stellvertretenden Verwalters sondern auch die Anerkennung seiner Gerichtsbarkeit. In dieser Rechtstellung befanden sich die Grafen von Scharzfeld gegenüber dem Dorfe Königshagen. Die Einwohner von Königshagen sind nicht nur Bauern gewesen. Während der archäologischen Untersuchungen wurden am Ostrand des Dorfes Reste einer Töpferwerkstatt festgestellt. Der Bedarf an keramischen Erzeugnissen ist also im Dorfe selbst gefertigt worden. Auch zu den Glashütten, die in der Umgebung Königshagens, vor allem im Südwesten am Nordhang des Rotenbergs bestanden und von denen gewisse Relikte auch heute noch festgestellt werden können, haben engere Verbindungen bestanden. Zwischen den zahlreichen Glasresten die im Bereich der Wüstung gefunden wurden, und denen, die von den Plätzen der ehemaligen Glashütten stammen, bestehen auffallende Übereinstimmungen. Nach den frühesten urkundlichen Überlieferungen existierten jene Glashütten im 17. Jahrhundert. Da aber die in Königshagen geborgenen Glasreste aus den Grabungsschichten stammen, die die Endphase des Dorfes d. h. die Zeit vor seiner zwischen 1413 und 1420 erfolgten Zerstörung, kennzeichnen, ist damit gleichzeitig ein chronologischer Anhaltspunkt für die Existenz jener Glashütten gegeben; sie müssen bereits im späten 14. und im 15. Jahrhundert bestanden haben. Das wirtschaftliche Schwergewicht der Dorfsiedlung lag bei der landwirtschaftlichen Nutzung. Durch genaue Beobachtungen des Geländes um Königshagen konnten zu einem großen Teil die Relikte der ehemaligen Äcker festgestellt werden. Sie sind am deutlichsten in den inzwischen wieder bewaldeten Gebieten erhalten geblieben (Abb. 70). Als langstreifige Terrassenäcker liegen sie an den steilen Nord- und Südhängen beiderseits des Bebertales (Abb. 69 a). Die Größe dieser Äcker ist durch die jeweiligen Geländeverhältnisse bedingt. Während ihre Breite durchschnittlich 10 m beträgt, ist ihre Länge sehr unterschiedlich; es kommen kleine Äcker von nur 60 m Länge vor, daneben finden sich aber auch zusammenhängende Ackerterrassen bis zu 640 m Länge. Durch eine genaue Fluranalyse konnte an Hand dieser Langstreifenäcker ein guter Überblick über den Umfang der landwirtschaftlichen Nutzung der Dorfflur gewonnen werden.
Kennzeichnen allein schon diese Flurrelikte die wirtschaftliche Situation des Dorfes als bäuerliche Siedlung, so wird diese noch deutlicher durch die an Hand von Bodenproben durchgeführten Pollenuntersuchungen, wobei der mengenmäßige Anteil von Blütenstaubkörnern, den sogenannten Pollen, festgestellt wird. Ein durch derartige Pollenanalysen erarbeitetes Pollendiagramm läßt sich folgendermaßen interpretieren: In dem Zeitraum von etwa 1250 bis zur Zerstörung des Dorfes um 1415 verringert sich der prozentuale Anteil von Baumpollen; das bedeutet, daß der aus Erle, Birke, Weide, Ulme, Buche und Fichte bestehende Baumbewuchs der Flur dezimiert wird. Aber nach der Zerstörung des Dorfes ist wieder eine kontinuierliche Zunahme dieser Baumpollen festzustellen; eine stärkere Wiederbewaldung größerer Teile der Flur Königshagen darf hieraus gefolgert werden. Der Mengenanteil von Nichtbaumpollen, d. h. von Getreide und Wiesengräsern macht dieses gewonnene Bild noch deutlicher. Ihr Mengenanteil nimmt zunächst ungefähr im gleichen Maße zu, wie der der Baumpollen geringer wird. Um Felder und Wiesen zu gewinnen, wurde also Wald gerodet. Unter jenen Nichtbaumpollen nehmen die Getreidepollen eine besondere Stellung ein, da sie erkennen lassen, daß in der Flur von Königshagen Weizen, Gerste, Hafer und in geringem Umfang Roggen angebaut wurde. Aber bereits vor der Zerstörung des Dorfes geht der Mengenanteil an Getreidepollen zurück und der von Wiesenkräutern nimmt zu. Mit diesem Wechsel wird eine Veränderung der Wirtschaftsform des Dorfes deutlich, d. h. es vollzieht sich ein Übergang von der Feldwirtschaft zur Wiesen- und Weidenutzung. Damit sind zusätzlich zu den archäologischen Ergebnissen durch naturwissenschaftliche Untersuchungen wichtige Erkenntnisse zur siedlungs- und wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung des Dorfes gewonnen worden. Es bleibt noch die Frage nach dem Untergang bzw. dem Wüstwerden dieses Dorfes zu beantworten. Nach der historischen Überlieferung ist Königshagen zusammen mit mehreren anderen Ortschaften zwischen 1413 und 1420 in einem Kriege zwischen dem Landgrafen von Hessen und den Grafen von Hohnstein durch Brand zerstört worden. Ein Wiederaufbau ist nicht erfolgt. Die Dorfbewohner sind - das läßt sich an Hand von archivalischen Unterlagen nachweisen - nach der Zerstörung in das benachbarte Barbis abgewandert. Nur eine kurze Zeit hat sich jedoch der Zustand einer tatsächlichen Wüstung gehalten. Von Barbis aus haben die ehemaligen Bewohner von Königshagen ihre alten Fluren bald wieder bewirtschaftet und zwar zu einem Teil als Ackerland, zum überwiegenden jedoch als Weidegebiet. Dieser Zustand ist bis zur Neuzeit erhalten geblieben. Seit 1960 ist aber hier, an der gleichen Stelle des alten Dorfes Königshagen eine bäuerliche Neusiedlung mit modern eingerichteten Bauernhöfen gegründet worden. Ein neues Bild dieser alten Siedlungslandschaft ist damit entstanden. Eine kleine Hinweistafel an der Straße und der im Gelände erhalten gebliebene Kirchhügel weisen heute auf die Geschichte dieses Dorfes hin. Dem Besucher, der dieses landschaftlich reizvolle Bebertal durchwandert, wird hier das vielfältige Schicksal einer Landschaft, dargestellt an dem Werden, Bestehen und Vergehen eines Dorfes und dessen Wiederentstehen deutlich. Mit den vielfachen Teilergebnissen der Untersuchungen über Königshagen, den historischen Überlieferungen, den archäologischen Ergebnissen mit dem reichhaltigen Fundgut bäuerlichen Gerätes, den Erkenntnissen über die Bauweise der Höfe und der Gebäude, der Kirche und ihrer Umwehrung, den Formen und der Bewirtschaftungsweise der Flur ist nicht nur unsere Kenntnis über das Aussehen einer mittelalterlichen Dorfsiedlung und ihres Schicksales bereichert worden, gleichzeitig rundet sich damit das Bild der Siedlungsgeschichte des südlichen Harzvorlandes. CLAUS, Martin (1978): Archäologie im südwestlichen Harzvorland.- Wegweiser zur Vor- und Frühgeschichte Niedersachsens, H.10:165-178, 194 S., 74 Abb., Hildesheim |