Wandert man - beim südlichen Ortsausgang Pöhldes nach Überqueren des "Mühlbachs" von der Bundesstraße Pöhlde-Rhumspringe rechts abbiegend - am Nordhang des Rotenberges auf einem gut ausgebauten Waldweg, der bereits eine Teilstrecke des "Fastweges" bildet, zum Kamm des Berges empor, so steht man bei Erreichen der Höhe direkt vor dem sich deutlich im Gelände abhebenden Wall- und Grabensystem der Burganlage. Der volkstümlichen Überlieferung nach ist die Burgstelle der Platz, an dem Herzog Heinrich während des Vogelfangs die Nachricht von seiner im Jahre 919 in Fritzlar erfolgten Wahl zum deutschen König erhalten hat. Diese Begebenheit hat in der von K. Löwe vertonten Ballade "Herr Heinrich sitzt am Vogelherd" einen künstlerischen Niederschlag gefunden. Es handelt sich bei dieser Schilderung um eine Sage, die auch auf andere liudolfingische Höfe, wie z. B. Nordhausen, Memleben, Wallhausen, Quedlinburg u. a., bezogen werden kann, sie besitzt aber auch für Pöhlde eine gewisse Bedeutung und Berechtigung. Im gesamten Verlauf des Rotenberges ist nur dieser schwach sattelförmig ausgeprägte Teil des Bergrückens für die Anlage einer Befestigung geeignet. Steil fällt der Nordhang zu dem am Bergfuß liegenden Ort Pöhlde ab. Die südliche Begrenzung bildet eine in südöstlicher Richtung sich stärker erweiternde, von einem Bachlauf durchzogene Mulde. Diese natürliche Struktur des Berges bedingt auch die Form der deutlich in zwei Teile gegliederten langgestreckten Wallanlage (Abb. 31). Die Unterburg, in die der Fastweg von Osten kommend einmündet, bildet mit ihrem durchweg gut erhaltenen Wall und vorgelagerten, tief und scharf ausgeprägten Graben ein Oval von 220 m Länge und 122 m Breite; sie erfaßt damit den gesamten Bergrücken. Nach Westen schließt sich mit einem Durchmesser von 97 bis 100 m die fast kreisrunde Oberburg an. Der Burgplan läßt deutlich erkennen, daß diese Oberburg zum Teil in die Unterburg eingeschoben ist bzw. von den Wallstümpfen der Unterburg von beiden Seiten zangenförmig umfaßt wird. Die von hohen Buchen bestandenen Innenräume beider Burgteile bilden eine nahezu gleichmäßige ebene Fläche ohne irgendwelche besonderen Merkmale. Die Grenze zwischen ihnen wird lediglich durch eine nur schwach erkennbare Bodenschwelle gekennzeichnet.
Direkt am heutigen Osteingang zur Unterburg, unmittelbar vor ihrem Wall und Graben erstrecken sich am Nordhang schmale wallähnliche Erhebungen und grabenförmige Vertiefungen; sie stellen Reste alter Hohlwegböschungen dar. In der Umgebung der Burganlage sind derartige Hohlwegreste am Nordhang des Rotenberges noch häufig zu finden, sie führen stets, vom Fastweg abzweigend, in Richtung auf den im Tale liegenden Ort Pöhlde. Meist sind derartige Hohlwegrelikte zu regelrechten "Wegebündeln" vereinigt (Abb. 36 c). An der Stelle, wo wir zwischen den beiden Wallstümpfen die Unterburg betreten, muß auch ihr ursprüngliches Osttor gelegen haben, das jedoch bei jüngeren Wegebauarbeiten aus Unkenntnis zerstört wurde; durch die dabei entstandenen Anschnitte des Walls gewinnen wir jedoch eine Vorstellung von seinen mächtigen Ausmaßen. Die zahlreichen Untersuchungen, die zwischen den Jahren 1955 und 1974 mit insgesamt 36 großen Grabungsschnitten im gesamten Burgbereich durchgeführt worden sind, haben ergeben, daß keine größeren Bauwerke innerhalb der Wallanlage bestanden haben; auf kleinere Bauten weisen gelegentlich festgestellte Holzpfostenspuren im Innenraum der Unterburg und Reste von ungemörtelten Buntsandsteinsetzungen in der Oberburg hin. Allerdings können aus diesen geringen Grabungsbefunden keine Hausgrundrisse rekonstruiert werden. Dem Besucher, der eine ur- oder frühgeschichtliche Burganlage näher kennenlernen will, ist stets zu raten, auf dem Kamm der Wälle entlangzulaufen; nur auf diese Weise wird er sich einen Eindruck von der Mächtigkeit einer solchen Wallanlage verschaffen; erst dann kann er sich auch mit der Frage nach deren Bedeutung beschäftigen. Wenden wir uns daher zunächst dem am Rande des Nordhanges entlanglaufenden Wallabschnitt zu. Steil fällt hier der Rotenberg zum Tal ab; er bot somit bereits einen natürlichen Schutz. Die Untersuchungen des Walles an dieser Nordseite ergaben, daß er in Form einer Stein-Holz-Erde-Konstruktion errichtet worden ist. Sein Kern besteht aus einem in mehreren Schichten übereinanderliegenden System von Holzbalken, die quer und längs zum Wallverlauf liegen. Es sollte der Wallaufschüttung, die nach rückwärts, d. h. zum Innenraum zu, gleichmäßig abgeböscht war, Halt geben. Dagegen bildete die Wallaußenfront ursprünglich eine senkrechte Wand. Nur durch den im Lauf der Jahrhunderte sich vollziehenden Verfall stellt auch die Außenseite heute eine gleichmäßige Böschung dar. Den äußeren Abschluß jener ursprünglich senkrechten Außenfront bildete eine schmale, aus Buntsandsteinquadern errichtete, ungemörtelte "Blendmauer" (Abb. 33). Nach einer im Durchschnitt 1,50 bis 2,00 m breiten Berme (Zwischenraum zwischen äußerem Wallfuß und dem davorliegenden Grabenrand) geht der Steilhang in einen Graben über, dessen rund 1,70 m breite Grabensohle ("Sohlgraben") noch etwa 1,20 m unter der heutigen Grabentiefe liegt. Der Graben ist heute angefüllt mit abgerutschtem Baumaterial des Walles. Abb.33 Pöhlde. König Heinrichs Vogelherd. An der Südseite der Unterburg zeigt sich die Mächtigkeit ihrer Befestigung noch wesentlich eindrucksvoller (Abb. 32 a). Der größte Höhenunterschied zwischen heutiger Wallkrone und Grabensohle beträgt 5,40 m. Hier gewinnt der Besucher auch eine Vorstellung, welcher Arbeitsaufwand notwendig war, um eine solch große Befestigungsanlage zu erbauen. Die in diesem Südabschnitt durchgeführten Untersuchungen zeigten die gleiche Wallkonstruktion wie auf der Nordflanke. Jedoch wurde zu einem späteren Zeitpunkt, vermutlich beim Bau der Oberburg, die - wie wir noch sehen werden - einen jüngeren Bauabschnitt der Gesamtanlage darstellt, an der senkrechten Außenfront eine mit Gips gemörtelte Buntsandsteinmauer vorgesetzt (Abb. 32 b). Im Gegensatz zu dem bisher festgestellten "Sohlgraben" wurde hier ein Graben mit spitz auslaufender Grabensohle ("Spitzgraben") vorgefunden. Vermutlich wurde der ursprünglich vorhanden gewesene Sohlgraben beim Bau der Wallverstärkung in einen Spitzgraben umgeändert. Betrachtet man sich das südliche verhältnismäßig flache, muldenförmige Vorgelände, so wird jene zusätzliche Mauerverstärkung erklärlich. Die Burg war hier wesentlich stärker gefährdet als an der steilen Nordflanke. Auch auf dieser Seite liegt die ursprüngliche Grabensohle noch 1,20 bis 1,40 m unter der heutigen. a. Wall und Graben an der Südseite der Unterburg. b. Mörtelmauer als Wallverstärkung an der Südflanke der Unterburg. b Verfolgen wir diesen südlichen Wallteil gegen Westen weiter, erreichen wir den Fastweg an der Stelle wieder, wo er von Westen kommend in die Unterburg hineinführt. Hier wurden unter dem heutigen Weg noch geringe Reste einer ehemaligen, aus Holz erbauten, vermutlich etwa 3,00 m breiten Toranlage festgestellt; sie genügen jedoch nicht, um die ursprüngliche Form dieses Tores einwandfrei rekonstruieren zu können. Mit der Feststellung dieser Toranlage und der Tatsache, daß der Fastweg hier über eine schmale heute nicht mehr erkennbare Erdbrücke in die Unterburg führt, ist der Beweis erbracht, daß er beim Bau der Unterburg bereits bestanden hat. Bei den Untersuchungen an dieser Stelle wurde gleichzeitig der südliche Befestigungsteil der kreisrunden Oberburg in Form einer durchschnittlich 1,80 bis 2,00 m starken, mit Gips gemörtelten Mauer angeschnitten (Abb. 34 c). Es ist ein "Schalenmauerwerk", dessen große Buntsandsteinquader auf der Außenseite noch deutliche Bearbeitungsspuren erkennen lassen; dagegen besteht der Mauerkern aus lockerem, unregelmäßig aufgefülltem, kleinem Steinwerk. Mit dieser Art der Umwehrung unterscheidet sich die Oberburg wesentlich von der Wallkonstruktion der Unterburg, obwohl der Verlauf der Oberburgmauer heute im Gelände auch nur noch als eine wallartige Erhebung erkennbar ist, die dadurch entstand, daß die oberen Teile der Mauer einstürzten. Ursprünglich war die Oberburg nur von einer freistehenden Mauer ohne Erdanschüttung umgeben; ein Graben war nicht vorhanden. Abb. 35 Pöhlde. König Heinrichs Vogelherd. Den Zugang zur Oberburg ermöglichten zwei Toranlagen. Das Westtor (Abb. 36) liegt direkt am Rande des gegen Nordwesten steil abfallenden Berghanges, an dem vom Dorf Pöhlde her gut erkennbare alte Hohlwege zum Fastweg heraufführen. Die Lage dieses nur schwer zugänglichen Tores, ist auffällig. Vor der Westseite der Oberburg liegt jedoch ein schmaler Vorwall, der sich vom Fastweg bis zur Kante des Berghanges erstreckt. Der Zugang zu jenem Westtor vom Fastweg aus war daher nur zwischen diesem Vorwall und der Oberburgmauer auf einer durchschnittlich 3,00 m breiten, heute völlig überschütteten Wegeterasse möglich.
c
b Abb. 36 Pöhlde. König Heinrichs Vogelherd. Dieses Westtor ist in seiner Anlage ein "Zangentor", d. h. von bei den Seiten biegen die Mauern nach innen ein und verlaufen hier noch auf eine kurze Strecke parallel, so daß sie eine Torgasse bilden (Abb. 35 a). Ihre Gesamtlänge beträgt 8,50 m, die Breite 3,30 m. Direkt neben diesem Westtor, unmittelbar am Innenfuß der Umwehrung liegt ein tiefer Erdtrichter, der als Wasserreservoir oder Zisterne angesprochen werden könnte. Wie für jede Befestigungsanlage spielt auch für die Pöhlder Burg das Problem der Wasserversorgung in Notzeiten eine wichtige Rolle. Gewisse künstliche Überarbeitungsspuren waren an der Böschung dieses Erdtrichters bei der Untersuchung feststellbar. Da jedoch im Untergrund die normalerweise bei einem Wasserbehälter zu erwartenden Ablagerungsschichten völlig fehlten, ist die Zweck bestimmung als Zisterne nach wie vor unsicher. Genau gegenüber dem Westtor liegt an der Ostseite der Oberburg ein zweites wesentlich größeres "Zangentor", das direkt in den Innenraum der Unterburg führt (Abb. 34, 35). Die Torgassenbreite mißt 4,60 m, die Länge 15 m. Dieses Tor, das zweifelsohne als das Haupttor der Oberburg angesprochen werden muß, zeigt noch eine Besonderheit durch eine Zweigliederung in einen äußeren und einen inneren Torbereich. Die Mauern des äußeren besitzen eine Stärke von 2 bis 2,10 m, die des inneren 1,10 bis 1,30 m, d. h. die Mauerinnenfronten sind hier um 0,70 bis 0,80 m zurückgesetzt. Die Mauern beider Torteile werden durch 15 bis 25 cm breite, einander gegenüberliegende Mauerschlitze, voreinander getrennt. Vermutlich dienten sie dazu, die Torgasse mittels eingeschobener Holzplanken zu verriegeln. Zwei große durch Brandspuren ausgezeichnete Pfostenverfärbungen in der Mitte der Torgasse weisen auf eine zweigleisige Toranlage hin. Es kann angenommen werden, daß die hier ehemals vorhandenen Holzpfosten gleichzeitig auch einen aus Holz errichteten Torüberbau gestützt haben, dessen ursprüngliche Form natürlich nicht mehr rekonstruiert werden kann. Um dem Besucher einen Eindruck solcher frühmittelalterlichen Toranlagen zu vermitteln, sind ihre Reste konserviert worden. Die Untersuchungen im Innenraum der Oberburg lieferten abgesehen von dem Nachweis geringer, nicht näher identifizierbarer Baureste noch ein wichtiges Ergebnis. Durch mehrere Grabungsschnitte wurde festgestellt, daß Wall und Graben der Unterburg im Bereich der Oberburg einst vorhanden waren und bei deren Erbauung eingeebnet wurden. Spuren des Grabens sind auch heute noch durch eine bogenförmig verlaufende, flache Mulde erkennbar. Hieraus kann mit Sicherheit geschlossen werden, daß als erste ursprüngliche Befestigungsanlage das völlig geschlossene Oval der Unterburg errichtet worden war, in das erst zu einem späteren Zeitpunkt die kreisförmige Oberburg eingefügt wurde. Bei der Wallburg "König Heinrichs Vogelherd" handelt es sich folglich nicht um eine einheitliche, in Haupt- und Vorburg gegliederte Anlage, sondern um zwei zeitlich verschiedene, allerdings dann zu einem einheitlichen Ganzen verschmolzene Wehranlagen. Die Ausbeute an Fundmaterial, das bei den Grabungen geborgen werden konnte, ist verhältnismäßig gering. Es handelt sich um Gefäßscherben, die in ihrer Form und Herstellungsart der Keramik des 8./9., zum Teil auch noch des 10. Jahrhunderts n. Chr. entsprechen. Zwischen der Keramik aus den beiden Burgteilen, der Ober- und Unterburg, sind Unterschiede nicht festzustellen. Der Zeitraum zwischen ihrer Erbauung muß daher verhältnismäßig klein gewesen sein. Auf keinen Fall reicht die Unterburg, wie gelegentlich behauptet wurde, in früheisenzeitliche Perioden zurück. Eine Stütze erhält die Datierung der Pöhlder Burg durch die Radiokarbonmethode, durchgeführt vom C 14-Labor des Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung Hannover. Die so ermittelten Daten liegen zwischen 750 und 1100 n. Chr. mit einem mittleren Altersfehler von ± 100 Jahren. Wir gehen daher nicht fehl, wenn wir für das Bestehen der gesamten Burganlage das 9. und das 10. Jahrhundert annehmen. Danach ist also in dieser Zeit zunächst die ovalförmige Unterburg erbaut worden, die dann - vermutlich sehr bald - eine Erweiterung nach Westen durch die Anlage der Oberburg erfahren hat. Fragen wir nun nach der Bedeutung dieser eindrucksvollen und stark ausgebauten Befestigung, so ist nochmals festzustellen, daß die Siedlungsspuren in den Innenräumen beider Burganlagen verhältnismäßig schwach ausgeprägt sind und nicht für eine intensivere Benutzung auf längere Zeit sprechen. Danach kann sie nur die Funktion eines gelegentlich und kurzfristig benutzten Refugiums, einer Fluchtburg, gehabt haben. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß der Fastweg als Teil einer alten aus Mitteldeutschland nach Westen führenden Heer- und Handelsstraße zur Zeit der Erbauung der Unterburg bereits bestanden hat. Die Burg war damit sicherlich auch gleichzeitig noch als Sperrfestung, als Wegesperre oder Wegesicherung, geplant. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir in ihr die urkundlich erwähnte "civitas" (Burg) sehen, zumal in der weiteren Umgebung Pöhldes andere vergleichbare Burganlagen nicht vorhanden sind. Bei einer genaueren Überprüfung der alten Hohlwegsysteme in der Umgebung der Wallburg fällt auf, daß diese in ihrem Verlauf, vom Fastweg abzweigend, stets auf den alten Ortsteil Pöhldes mit der Kirche als Mittelpunkt ausgerichtet sind. Einige führen als direkte Verbindung von dort zur Burgstelle in die Nähe des Westtores (Abb. 36 c). Damit werden bereits engere Verbindungen zwischen beiden Plätzen angedeutet. Da man in der Umgebung der Kirche bei Bauarbeiten stets auf alte Gebäudereste gestoßen war, lag es nahe, hier den Platz des urkundlich erwähnten Hofs Heinrichs I. (der curtis regia Palithi), der späteren Pfalz und des Klosters zu suchen. CLAUS, Martin (1978): Archäologie im südwestlichen Harzvorland.- Wegweiser zur Vor- und Frühgeschichte Niedersachsens, H.10:87-99, 194 S., 74 Abb., Hildesheim |