JUNG, Wolfgang & SPILKER, Martin (1969): Über ein bemerkenswertes Tiefenkarstvorkommen. –
Z. f. angew. Geol., Bd. 15, S. 646 - 649


Über ein bemerkenswertes Tiefenkarstvorkommen

WOLFANG JUNG & MARTIN SPILKER, Sangerhausen

1. Einleitung

Die Beschäftigung mit Karstphänomenen ist nicht nur wissenschaftlich außerordentlich reizvoll, sondern in vielen Fällen stellt die systematische Bearbeitung derartiger Komplexe eine zwingende Notwendigkeit zur Beurteilung ingenieurgeologischer und ähnlicher Probleme dar. In diese Kategorie gehört zweifelsohne auch die Aufhellung von Subrosionserscheinungen im große Teile der DDR bedeckenden Zechsteinsalinar. Verf. halten es daher für unerläßlich, diesen Gegenstand betreffende neue Beobachtungen und Erkenntnisse laufend zu diskutieren und teilen unter diesem Aspekt Erweiterndes für das südöstliche Harzvorland mit.

2. Bemerkung zur geologisch-hydrogeologischen Situation in der Mansfelder Mulde

Unter Zugrundelegung neuerer geologischer Untersuchungsergebnisse haben JUNG & LIEBISCH (1966) in dieser Zeitschrift die untertägigen Wasserzuflüsse in ihrer geologisch-tektonischen Position mengenmäßig und chemisch charakterisiert und versucht, Herkunft und Wanderwege der Grubenwässer sowie die stattgehabten und rezenten Auslaugungsvorgänge zu analysieren und komplex zu interpretieren.
Als ein wichtiges Ergebnis der Untersuchungen wurde herausgestellt, daß die durch den Kupferschieferbergbau in der Mansfelder Mulde gehobenen Wassermengen größer sind, als sich durch Niederschläge und Bachversinkungen aus dem steinsalzfreien Gebiet dieses Areals herleiten läßt. Die Größenordnung des Grubenwasserüberschusses liegt bei rund 10 Mill. m³/a.
In entsprechender Berücksichtigung der bruchtektonischen Verhältnisse im Südwestteil der Mansfelder Mulde, der Untersuchungsergebnisse von Lorenz (1962) über die Ursachen der wichtigsten Wassereinbrüche im Kupferschieferbergbau und der Beobachtung von LIEBISCH, daß zwischen Erdfallbildung und Seespiegelreduktion im Bindersee einerseits und der Erhöhung der Salzwassermenge im Bereich 5. Sohle, Zirkelschacht, Beziehungen bestehen, wurde vermutet, daß ein Teil des Grubenwasserüberschusses aus dem Areal des Störungskreuzes der erzgebirgisch streichenden Hornburger Tiefenstörung mit dem herzyn verlaufenden Martinsschächter Rückengraben herzuleiten ist (vgl. Abb. 3).


Abb. 3 Situationsskizze der Mansfelder Mulde
1 - Ausgehendes des Kupferschiefers; 2 - Hauptstörungszonen, Pfeilspitze in Richtung gesunkener Schollen;
3 - Verbreitungsgrenze des Staßfurt-Steinsalzes, Querstriche in Richtung Salz; 4 - Verbreitungsgrenze des Leine-Steinsalzes, Querstriche in Richtung Salz

Erneute Veränderungen am Bindersee und im Zusammenhang damit stehende neue Daten über das Zuflussgeschehen in der Grube führten, wie im folgenden gezeigt wird, zu einer grundsätzlichen Erweiterung unserer Kenntnisse.

3. Über die Geschehnisse am Bindersee

Am 3. April 1961 (vgl. KAMMERER 1962) entstand dicht am Westufer des Bindersees, eines Restsees des bis 1892 vorhandenen Salzigen Sees, ein Erdfall. Er erreichte bei Abmessungen von 18 x 25 m an der Oberfläche eine Tiefe von etwa 12 m. Der Erdfall war zunächst trocken, füllte sich aber nach und nach mit Wasser. Durch Nachbruch der Ränder entstand auch bald eine unmittelbare Verbindung mit dem Bindersee (Abb. 1).


Abb. 1. Erdfall am Bindersee am 26.12.1961, Blick von S nach W (Foto: SPILKER)

Am 16. Dezember 1961 wurde festgestellt, daß unter geschlossener Eisdecke Wasser aus dem Bindersee in den Erdfall floß. Durch den Wasserverlust erhielt die Eisdecke Risse. Am 25. Dezember 1961 war der Erdfall plötzlich wasserleer, füllte sich aber im Laufe des 26. Dezember allmählich wieder, und am 27. Dezember hatte sich eine gleiche Höhe der Wasseroberfläche im See und im Erdfall eingependelt.
Am 1. November 1968 wurde am Bindersee erneut ein Wasserspiegelabfall beobachtet, der unter zunehmender Abschwächung bis zum 6. November anhielt und insgesamt etwa 80 cm erreichte. Diese Niveaureduktion hatte ihre Ursache in einer offensichtlichen Belebung von Bewegungsvorgängen am Erdfall, in den nach Angaben der Wasserwirtschaftsdirektion Saale-Weiße Elster in Halle während etwa 110 Stunden circa 200 000 m³ Wasser eingeströmt waren. Im Erdfall selbst bildete sich ein flacher Strudel (Abb. 2).1)


Abb. 2. Strudelbildung im Erdfall am 3.11.1968
(Foto: BRENDEL)

Verteilt man die aus dem Bindersee abgeflossene Wassermenge gleichmäßig auf die Gesamtzeit der sichtbaren Veränderungen, so sind im Erdfall pro Sekunde 0,5 m³ Wasser verschwunden. Über evtl. Maximalabflüsse können weder zeitliche noch mengenmäßige Angaben gemacht werden.

4. Veränderungen der Grubenzuflüsse

Sofort nach Bekanntwerden der vorstehend skizzierten Ereignisse am Bindersee im November 1968 wurde eine verschärfte Kontrolle der wichtigsten untertägigen Zuflußstellen im Grubengebäude der Mansfelder Mulde durchgeführt. Es ergab sich, daß lediglich im Bereich des Wassereinbruchs von 1907 im Gebiet der 5. Sohle, Zirkelschacht, Mehrzuflüsse auftraten. Sie setzten aber erst am 9. November, also 8 Tage nach Beginn der Seespiegelabsenkung ein und erreichten mit dem 16. November ihr Maximum, das 10 Tage beibehalten wurde.


Abb. 4. Mehrzuflüsse in der 5. Sohle, Zirkelschacht, im November/Dezember 1968

Wie Abb. 4 zeigt, trat dann rasch eine Reduzierung ein, und am 15. Dezember war wieder Normalzufluß, der in der Größenordnung von 17 m³/min liegt, zu konstatieren. Wie Abb. 4 weiter veranschaulicht, lagen die Maximalmenge des Mehrzuflusses bei 6,5 m³/min und die Gesamtdauer der überdurchschnittlichen Schüttung bei 35 Tagen. Insgesamt flossen aus dem Bindersee rd. 170 000 m³ über normal zu. Diese Zahl stimmt mit der von der Wasserwirtschaftsdirektion angegebenen Wassermenge annähernd überein. Gleichlaufend mit dem Anstieg der Zuflußmenge unter Tage erhöhte sich die Dichte der Wässer von 1,190 auf 1,200. Festzuhalten ist noch die Beobachtung, daß die Hauptmenge des Mehrzuflusses im wesentlichen von zwei Austrittsstellen stammte. An einigen Zuflußstellen geringerer Intensität in unmittelbarer Nähe der beiden Hauptzuflußstellen erhöhten sich außerdem geringfügig die Schüttungsmenge und die Dichte der Wässer. Dadurch verschob sich die Grenze zwischen Süß- und Salzwasserzuflußstellen etwas nach Westen vom Salzrand weg (vergl. dazu JUNG & LIEBISCH 1966).

5. Ergebnisse

Mit den geschilderten Begebenheiten werden die bisherigen hinsichtlich der Grubenhydrologie ausgesprochenen Vermutungen nicht nur als richtig erkannt, sondern es wird quasi mittels eines natürlichen, positiv verlaufenen „Markierungsversuchs“ der exakte Beweis erbracht, daß im Gebiet des ehemaligen Salzigen Sees versinkendes Wasser in den Grubenbauen des Kupferschieferbergbaus ausfließt. Damit sind zusammenhängende unterirdische Tiefenkarstgerinne on rund 20 km Länge im Zechstein-Salinar nachgewiesen. Der Höhenunterschied von Wassereintritts- zu Wasseraustrittsstelle beträgt rund 300 m. Die Fließgeschwindigkeit der Wässer liegt in der Größenordnung von 1 m/min und entspricht damit den Werten, die VIETE (1954) im Gipskarst des südlichen Harzrandes experimentell ermittelte.
Wie die nochmalige Durchsicht der Meßwerte von den Ereignisen im Dezember 1961 ergab, können die seinerzeit nicht sicher zu beurteilenden Vorgänge im Licht der neuen Ergebnisse jetzt bündiger gekennzeichnet werden. Der Mehrzufluss in der Grube hielt damals mit allen auch 1968 festgestellten Begleiterscheinungen vom 5. Dezember 1961 bis 25. Januar 1962, also rund 50 Tage, an. Es ergeben sich gegenüber der Normalmenge ebenfalls Spitzenwerte von 6-6,5 m³/min (vgl. Abb. 5). Der übernormale Gesamtzufluß liegt mit 250 000 m³ rund 30% höher.


Abb. 5. Mehrzuflüsse in der 5. Sohle, Zirkelschacht, vom Dezember 1961 bis Februar 1962

Insgesamt schlußfolgernd kann jetzt kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß ein großer Teil des Grubenwasserüberschusses in der Mansfelder Mulde von Einzugsgebieten gespeist wird, die relativ weit weg vom Zechstein-Ausgehenden entfernt sind.
Sowohl 1961/1962 als auch 1968 lagen die Wasserverluste am Bindersee in der Größenordnung von 30 m³/min, der Mehrzufluß in der Grube aber maximal nur 6,5 m³/min. Offensichtlich gibt es auf der Strecke vom Bindersee zum Traufengebiet 5. Sohle, Zirkelschacht, ein „Nadelöhr“, oder der relativ lange Weg bedingt diese Verteilung.

Zusammenfassung

Auf Grund geschilderter neuer Ereignisse im Südwestteil der Mansfelder Mulde werden früher geäußerte Vermutungen hinsichtlich der Grubenhydrologie als richtig erkannt und der exakte Nachweis erbracht für weiträumige Wasserwanderungen im Zechstein-Karst.

Summery

On the basis of new events described from the south-western part of the Mansfeld syncline suppositions uttered earlier on the hydrogelogie of mines were found to be correct, and it was produced exact evidence for large-area migrations of water in the Zechstein (Upper Permian) karst region.

Literatur

JUNG, W. & K. LIEBISCH: Die Grubenhydrologie in der Mansfelder Mulde. - Z. angew. Geol., 12, 10, 511-521, Berlin 1966.
KAMMERER, F.: Ein neuer Erdfall bei Rollsdorf im Kreise Eisleben. - Hallesch. Jb. mitteldt. Erdgesch., 4, 82-89, Berlin 1962.
LIEBISCH, K.: Die untertägigen Wasserzuflüsse in der Mansfelder Mulde. - Mitt. der Kammer der Technik, Betriebssektion VEB Mansfeld-Kombinat „W. Pieck“, Eisleben, H. 5 (1965) und H. 1 (1966).
LORENZ, S.: Wassereinbrüche im Mansfelder Kupferschieferbergbau. - Z. angew. Geol., 8, 6, 310-316, Berlin 1962.
VIETE, G.: Geologische und hydrologische Untersuchungen im Gipskarst des östlichen Südharzrandes. - Freiberger Forsch.-H., C 9, 46-77, Berlin 1954.


1) Diese Aufnahme wurde uns freundlicherweise vom Koll. Dipl.-Geol. K. BRENDEL zur Verfügung gestellt, wofür hier nochmals gedankt sei.

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