1. Südharz-Symposium 30.-31. Mai 1997 in Herzberg am Harz
 
Grundwassergefährdung durch Rüstungsaltlasten am südwestlichen Harzrand - Beispiel ehemalige Munitionsfabrik Herzberg

Vortrag von Dr. rer. nat. Peter Molde
 

1. Einleitung

In den letzten zehn Jahren konnte der Kenntnisstand zur Altlastenproblematik auf dem Standort „Ehemalige Munitionsfabrik Herzberg“ fast lückenlos verdichtet werden. Erste punktuelle Untersuchungen und historische Recherchen wurden bereits in den Jahren 1987 - 1989 durch den Landkreis Osterode am Harz beauftragt (vgl. PGBU 1989).
Mehrere, intensive Untersuchungen wurden von 1990 bis 1996 (z. B. enviro M 1991, GTU 1996) durch das Niedersächsische Umweltministerium als freiwillige Leistungen aus Landesmitteln im Rahmen des Programms der „Gefährdungsabschätzung von Rüstungsaltlasten in Niedersachsen“ (Braedt 1997, Niedersächsisches Umweltministerium 1996) veranlaßt.
Die wesentlichen Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen, insbesondere in Hinblick auf die Altlasten- und die hydrogeologische Situation, werden im Folgenden zusammenfassend dargestellt.
 

2. Beschreibung des Standortes

Die ehemalige Munitionsfabrik Herzberg liegt auf einem schmalen, maximal 200 m breiten und ca. 1,2 km langen Gelände, dem sog. „Pfingstanger“ (Karte 1). Es wird im Norden durch das Flußbett der Sieber und im Süden durch die ca. 50 m aufsteigende Schichtstufe des Schloßberges begrenzt. Die Gesamtfläche beträgt ca. 12 ha (Karte 2).

Karte 1: Lage des Standortes „Muna“ Herzberg


Karte 2: Übersichtsplan mit Kontaminationsschwerpunkten (verkleinert)


Geologisch ist das Untersuchungsgebiet dem Bereich der Harzrandsenke zuzuordnen, aufgebaut aus den nach Süd-Südwest einfallenden Sedimentfolgen des Zechsteins und des Unteren Buntsandsteins, die von 5 m bis über 30 m (im Bereich des Städtischen Bauhofes) mächtigen Aufschüttungen quartärer Lockersedimente bedeckt sind.
Das Gebiet ist Teil einer Subrosionssenke, die von Erdfällen durchsetzt ist.
Die Sieber durchläuft hier in ihrem Mittellauf eine Versickerungsstrecke, in deren Verlauf sie beträchtliche Wassermengen verliert (Schmidt 1979). Der oberflächennahe Porengrundwasserleiter in den kiesigen Niederterrassensedimenten steht über solche Erdfälle in hydraulischem Kontakt zum Netz des Tiefengrundwassers in den verkarsteten Zechsteinserien (Jordan 1979).
Dadurch besteht gleichzeitig die Möglichkeit, daß oberflächlich in das Grundwasser eingetragene Stoffe rasch in tiefere Stockwerke gelangen können und bis in das südlich anschließende Pöhlder Becken transportiert werden, das als Trinkwasserreservoir von herausragender Bedeutung ist (NLfB 1982). Es ist somit von einem Stofftransport vom Standort Muna Herzberg bis zur Rhumequelle auszugehen. Dieser Zusammenhang wurde bereits von Thürnau (1913) durch einen Markierungsversuch mit Ochsenblut nachgewiesen.
Basierend auf den Erkenntnissen der historischen Recherchen läßt sich die Geschichte der gewerblichen Nutzung des Standortes bis weit in das 18. Jh. zurückverfolgen. So wurde von 1739 bis 1876 eine Gewehrfabrik, zu Beginn des Jahrhunderts bis 1914 eine Baumwollbleicherei und während des 1. Weltkrieges die Produktion von Preßfutter betrieben. Von 1918 bis 1935 war auf dem Gelände eine Kunstseidenspinnerei ansässig, bevor das Fabrikgelände im Juni 1940 in den Besitz der reichseigenen Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH überging.
Nach umfangreichen Um- und Ausbaumaßnahmen wurde dann ab dem Frühjahr 1941 eine Füllstelle für Minen und Granaten kleineren Kalibers betrieben.
Im April 1945 wurde die Munitionsfabrik durch einen Brand, der mehrere gewaltige Explosionen auslöste, fast vollständig zerstört. Die noch vorhandenen Werksanlagen wurden später durch die Alliierten demontiert und anschließend gesprengt (PGBU 1989, Marose & Molde 1991).
In den Nachkriegsjahren diente das Werksgelände unter anderem als Lieferant für Trümmerbaustoffe und fand auch sonst durch seine Nähe zur Stadt Herzberg reges Interesse: So nutzte zeitweise eine Holzfaserplattenfabrik die Teiche als Abwasserklärbecken und im Bereich des Sieberufers erfolgte Kiesabbau. Aber auch für zahlreiche ungeordnete Abfallablagerungen bot das unübersichtliche Gelände günstige Voraussetzungen.
Nachdem die Stadt Herzberg 1967 das gesamte Gelände erworben hatte, siedelte sich 1969 im Ostteil, dem Kernbereich der ehemaligen Munitionsfabrik, der Städtische Bauhof an, der dort heute noch betrieben wird.
Der übrige Teil des Geländes ist seitdem ungenutzt, inzwischen stark verwuchert und heute Naturschutzgebiet, wobei die Reste der gesprengten Bunkeranlagen immer noch vorhanden sind.
 

3. Ergebnisse der Untersuchungen

Die vorliegenden umfangreichen Untersuchungsergebnisse lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen:
Der Boden auf dem Gelände ist in 8 Teilbereichen hochgradig kontaminiert. Besonders altlastenrelevant in quantitativer und qualitativer Hinsicht sind die Bereiche: Absorbertürme, Gießhaus, Mühlengraben (als Abwassersammler der ehem. Munitionsfabrik) und Verbrennungsplatz (s. Karte 2). Hauptkontaminanten sind Explosivstoffe (insbesondere TNT, DNB, Hexogen, Pikrinsäure) sowie deren Abbauprodukte, aber auch PAK und Blei.
Auch wenn aufgrund der Nutzungsgeschichte die Verursacher sämtlicher Kontaminationen nur sehr schwer zu differenzieren sind, ist auf jeden Fall die ehemalige Munitionsfabrik Herzberg als Hauptverursacher identifiziert. Nicht nur im Boden, auch im Sickerwasser und im Grundwasser wurden explosivstoffspezifische Parameter festgestellt (s. Abb. 1).

Abb. 1: Geologisch/hydrogeologischer Profilschnitt A - B mit Schadstoffverteilung (2-fach überhöht)


So wurden beispielsweise im Sickerwasser unterhalb des Mühlengrabens extrem hohe Gehalte besonders an TNT (max. 1.3001μg/l) und Hexogen (max. 10.100 μg/l) nachgewiesen (GTU 1996).
Die nitroaromatischen Verbindungen (z. B. TNT und besonders dessen Abbauprodukte; s. Löw et al. 1989 und Neumeier et al. 1989) sowie die weiteren nachgewiesenen Explosivstoffe sind in toxikologischer Hinsicht als sehr kritisch zu beurteilen; sie weisen erhebliche kanzerogene und mutagene Potentiale auf (s. BGA 1993, Dieter 1994, Hassauer et al. 1993).
Aufgrund der o. a. Zusammenhänge und der zum Teil sehr hohen Gehalte an explosivstoffspezifischen Parametern in Boden und Wasser geht vom Standort eine akute Gefährdung für Mensch und Umwelt aus.
Es besteht nach wie vor für diesen Standort akuter Handlungsbedarf, um die Schadstoffherde zu beseitigen und um damit den Kontaminationspfad zu unterbrechen. Denn wie bereits eingangs erwähnt besteht, aufgrund der geologischen Situation auch für das Pöhlder Becken - mit mehreren Trinkwasserfassungen - eine erhebliche Grundwassergefährdung.
Der Standort „Muna“ Herzberg ist kein Einzelfall; nur wenige Kilometer weiter nördlich in Osterode/Petershütte befindet sich ein ähnlich gelagerter Problemfall. Dort wurden während des II. Weltkrieges ca. 600 000 m³ hochgradig kontaminierte Abwässer aus der Sprengstoffproduktion aus dem Werk Tanne in Clausthal-Zellerfeld in sogenannten Schluckbrunnen bis in die Zechsteinaquifere verpreßt. Sie stellen im Harzvorland westlich und nördlich von Osterode auch heute noch ein erhebliches Gefährdungspotential für das Grundwasser dar. In diesem Bereich mußten bereits in den letzten Jahren einige Trinkwasserbrunnen geschlossen werden.
 

4. Zusammenfassung

Exemplarisch wurde die Problematik des Altstandortes „Ehemalige Munitionsfabrik Herzberg“ vorgestellt. In den Jahren 1987 - 1996 wurden mehrere Untersuchungen zur Erfassung und zur Abschätzung der vom Gelände ausgehenden Gefährdungen durchgeführt.
Das ca.12 ha umfassende Gelände liegt westlich des Zentrums der Stadt Herzberg. Es wird im Norden durch die Sieber und im Süden durch die Schichtstufe des Schloßberges begrenzt. Der Standort wird seit dem 18. Jahrhundert gewerblich genutzt (Gewehrfabrik, Kunstseidenspinnerei etc.). Von 1941 - 45 wurde hier eine Munitionsfabrik zur Sprengstoffbefüllung von Minen und Granaten betrieben. Durch einen Brand und mehrere Explosionen wurde die Fabrik im April 1945 fast vollständig zerstört.
Besonders aus dem Betrieb der Munitionsfabrik resultieren hochgradige Bodenkontaminationen vorwiegend durch Explosivstoffe. Diese Stoffe und deren toxikologisch noch relevanteren Abbauprodukte werden durch die am Standort dominierenden, stark durchlässigen Terrassensedimente bis ins Grundwasser transportiert.
Im Bereich des Standortes besteht ein starker hydraulischer Kontakt zwischen dem oberen quartären Lockergesteinsaquifer und dem tiefergelegenen Karstaquifersystem (Zechstein), d. h. das Grundwasser fließt in südliche Richtung unter dem Schloßberg hindurch in das Pöhlder Becken. Für das Pöhlder Becken besteht somit eine Gefährdung der dortigen Trinkwasserfassungen durch explosivstoffspezifische Schadstoffe.
 

Literaturverzeichnis

BGA Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des Bundesgesundheitsamtes, 1993: Toxikologische Beurteilung von sprengstoff-typischen Verbindungen (STV) aus Rüstungsaltlasten, Teil III; Berlin

Braedt, M., 1997: Die Erfassung von Rüstungsaltlast-Verdachtsflächen in Niedersachsen und ihre prioritäre Bearbeitung - in: Rüstungsaltlasten, Kontakt & Studium 520, expert-Verlag; Renningen-Malmsheim

Dieter, H. H., 1994: Kriterien und Konzentrationsvorschläge zur gesundheitlichen Bewertung von 35 Sprengstoff-typischen Verbindungen und Abbauprodukten in Böden und Trinkwasser - WaBoLu Hefte 7/1994; Berlin

enviro M, 1991: Gefährdungsabschätzung von Rüstungsaltlasten in Niedersachsen - Schritt 2: Voruntersuchungen auf dem Standort „Ehemalige Munitionsfabrik Herzberg“; Kassel (unveröff.)

GTU Geologie Technologie Umweltschutz GmbH, 1996: Gefahrdungsabschätzung von Rüstungsaltlasten in Niedersachsen - Fortführung der Sickerwasseruntersuchungen des Mühlengrabens im Rahmen des Beweissicherungsverfahrens auf dem Standort Muna Herzberg; Hannover (unveröff.)

Hassauer, M.; Kalberlah, F.; Oltmanns, J. & Schneider, K., 1993: BasisdatenToxikologie für umweltrelevante Stoffe zur Gefahrenbeurteilung bei Altlasten - UBA Berichte 4/93, Berlin

Jordan, H., 1979: Der Zechstein zwischen Osterode und Duderstadt (südliches Harzvorland).- Z. dt. Geol. Ges., 130: 145 - 163; Hannover

Löw, E.v.; Kaminski, L.; Neumeier, W.; Haas, R. & Steinbach, K., 1989: Mikrobieller Abbau von Nitroaromaten aus einer ehemaligen Sprengstoffproduktion. Teil 2: Migration und mikrobielle Metabolisierung von 2,4,6-Trinitrotoluol (TNT) im Grundwasser.- Forum Städte-Hygiene 40: 347 - 349

Marose, U. & Molde, P., 1991: Erfahrungen bei den Voruntersuchungen auf dem Gelände der ehemaligen Munitionsfabrik Herzberg - in: Rüstungsaltlasten «91, Abfallwirtschaft in Forschung und Praxis 40, Erich Schmidt Verlag, Berlin

Neumeier, W; Haas, R. & Löw, E.v., 1989: Mikrobieller Abbau von Nitroaromaten aus einer ehemaligen Sprengstoffproduktion. Teil 1: Abbau von 2,4,6-Trinitrotoluol (TNT) im Grundwasser.- Forum Städte-Hygiene 40: 32 - 37

Niedersächsisches Landesamt für Bodenforschung (NLFB), 1982: Bericht über die im Rahmen des Forschungsprogramms „Versuche zur Entsulfatisierung des Wassers der Rhumequelle“ in den Jahren 1980 und 1981 vom NlfB durchgeführten Untersuchungen; Hannover (unveröff.)

Niedersächsisches Umweltministerium, 1996: Gefährdungsabschätzung von Rüstungsaltlasten in Niedersachsen, 6. Fortschreibung; Hannover

Planungsgesellschaft Boden und Umwelt mbH (PGBU), 1989: Gefährdungsabschätzung von Rüstungsaltlasten in Niedersachsen - Ehemalige Munitionsfabrik Herzberg - Schritt 1: Erfassung und Erkundung, Kassel (unveröff.)

Schmidt, M., 1979: Das Sieberwasser-Problem - Notwendigkeit und Möglichkeiten seiner Lösung.- Neues Archiv f. Nieders. 28 (3): 232 - 340; Göttingen

Thürnau, K., 1913: Der Zusammenhang der Rhumequelle mit der Oder und Sieber.- Jb. Gewässerkde., bes. Mitt., Bd. 2, Nr. 6; Berlin
 

Anschrift des Verfassers
Dr. rer. nat. Peter Molde
GTU Geologie Technologie Umweltschutz GmbH
Sahlkamp 149
30179 Hannover

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