Sukzessionsforschung im sturmgeworfenen Kalkbuchenwald auf Gips im NSG Hainholz - ein Methodenaufriß | Niedersächsische Forstliche Versuchsanstalt Abt. Waldwachstum |
Vortrag von Forstrat Wilhelm Unkrig 1. Naturwaldforschung in Niedersachsen Seit dem Jahr 1972 werden in Niedersachsen Naturwälder in den Landesforsten ausgewiesen. Diese Reservate sollen sich frei von jeder forstlichen Nutzung zukünftig zu „Urwäldern von morgen“ entwickeln. Indem in diesen Wäldern Bäume ihre Höchstalter erreichen und der Wald in Alters- und Zerfallsphasen eintritt, die dem Wirtschaftswald weitgehend fehlen, erfüllen die Naturwälder wichtige Naturschutzfunktionen. Daneben sollen Naturwälder aber auch dazu dienen, aus den ablaufenden natürlichen Prozessen Schlüsse zu ziehen, die einerseits ein tieferes Verständnis natürlicher Waldentwicklungen ermöglichen und die andererseits aber auch mithelfen können, die angestrebte naturnahe Waldbewirtschaftung weiter zu optimieren. Dies macht eine wissenschaftlich fundierte Forschung notwendig, für deren Durchführung und Koordination das Sachgebiet Naturwald innerhalb der Niedersächsischen Forstlichen Versuchsanstalt in Göttingen zuständig ist. Durch die Versuchsanstalt selbst wird der Baumbestand einschließlich der Gehölzverjüngung in den Naturwäldern bearbeitet, die übrigen Kompartimente des Waldökosystems wie die Bodenvegetation oder die Fauna werden im Rahmen einer intensiven Zusammenarbeit durch Universitätsinstitute untersucht. Mit Ende des Jahres 1998 wurde ein Flächenstand von rd. 4000 ha Naturwald in Niedersachsen erreicht, der sich auf 85 Gebiete verteilt. Diese sind in allen Wuchsregionen des Landes, von der Küste über die Heide und das südniedersächsische Bergland bis in den Harz hinein, gelegen und repräsentieren die wichtigsten Standorte. Vornehmlich wurden naturnahe und überwiegend alte Waldbestände ausgewählt. Fast alle diese Wälder befinden sich in der Optimalphase, sind also noch weit entfernt von der Zerfallsphase (s. Abbildung 1). Abbildung 1: Waldentwicklungsphasen im Urwald (nach ZUKRIGL et al., 1963; verändert) Das Hainholz schließt im niedersächsischen Naturwaldkonzept eine Lücke, da in den Landesforsten keine geeigneten Naturwälder auf Gips ausgewiesen werden konnten. Die Naturwaldforschung ist am vom Sturm betroffenen Hainholz aber vor allem aus einem weiteren Grund interessiert: Seit Beginn der Naturwaldforschung in Niedersachsen vor rund 25 Jahren konnten zahlreiche sich selbst überlassene Wälder im Hinblick auf eine ungestörte Entwicklung untersucht werden. Alle diese Forschungen bewegten sich in Wäldern, die der Optimalphase zuzuordnen sind. Größere natürliche Störungen in Form von Insektenkalamitäten oder durch Stürme traten in den letzten Jahren in den bestehenden Naturwäldern nicht auf, so daß sie auch nicht Gegenstand diesbezüglicher Forschungen sein konnten. Gleichwohl gewinnt die Erkenntnis, daß derartige Störungen auch in natürlichen Ökosystemen auftreten und elementarer Bestandteil natürlicher Prozesse sind, zunehmend an Bedeutung. Die Naturwaldforschung im Hainholz soll die hier bestehenden Kenntnislücken schließen helfen. 2. Der Sturm von 1997 Am Abend des 29.07.1997 trat im nördlichen Eichsfeld und am angrenzenden Harzrand ein Gewittersturm von ungewöhnlicher Heftigkeit auf. Beginnend etwa bei Duderstadt zog die Gewitterfront über Rhumspringe, Pöhlde, Hörden, Osterode bis etwa Bad Grund. In den Wäldern im Bereich der Gewitterwalze wurden nach bisherigen Erkenntnissen innerhalb kürzester Zeit rd. 300 000 m³ Holz gebrochen oder geworfen. In nicht wenigen Waldflächen kam es durch den Sturm zu einem Totalschaden. Von dem Sturm stark betroffen wurde u.a. auch das Hainholz bei Düna. Einen Eindruck von den Sturmschäden im Hainholz vermittelt Abbildung 2. Abbildung 2: Der Bollerkopf im Hainholz unmittelbar nach dem Sturm von 1997 Das Hainholz, im Eigentum der Forstgenossenschaft Schwiegershausen, war bereits vor dem Sturm als Gebiet von gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung aus der forstlichen Nutzung genommen und die Entwicklung eines Naturwaldes vertraglich vereinbart worden. Auf Initiative der Bezirksregierung Braunschweig und des Landkreises Osterode konnten verschiedene Forschungsinstitutionen für ein gemeinsames Forschungsprojekt im Hainholz gewonnen werden. Die Forstliche Versuchsanstalt ist an diesem Projekt mit dem Sachgebiet Naturwald beteiligt. 3. Welche Fragen und Aufgaben stellen sich für die Naturwaldforschung im Hainholz und wie können sie methodisch angegangen werden? Nach dem Sturm stellen sich im Hainholz zwei zentrale Fragen: - Wie groß ist das Ausmaß der Störung?
- Wie reagiert das Ökosystem Wald auf die Störung?
Diese Fragen können in Teilen mit den in der Naturwaldforschung üblichen Methoden bearbeitet werden. So kommt die Beantwortung der Frage nach dem Störungsausmaß einer Dokumentation des Ausgangszustandes, wie sie auch sonst in neu ausgewiesenen Naturwäldern üblich ist, gleich. Die durch den Sturm ausgelöste Reaktion des Ökosystems wird im Hainholz, wie in anderen Naturwäldern, durch eine repräsentative Stichprobeninventur mit permanenten Probekreisen erfaßt. Das Ausmaß der Störung läßt sich so als Menge des geworfenen und gebrochenen Holzes im Verhältnis zum Holzvorrat der noch stehenden Bäume beschreiben. Abbildung 3 zeigt als ein Ergebnis der Aufnahmen den Aufriß einer der 1000 m² großen Probeflächen mit liegenden Bäumen und noch stehendem Restbestand. Aus der Gesamtheit aller dieser Probeflächen läßt sich näherungsweise bestimmen, wieviel Totholz durch den Sturm angefallen ist, wieviele Bäume im Mittel pro Hektar noch stehen und ob evtl. bestimmte Baumarten oder Altersklassen stärker betroffen sind als andere.Abbildung 3: Beispiel einer waldkundlichen Stichprobenfläche mit noch stehendem Restbestand und liegenden Bäumen (Kreisgröße 1000 m2, Durchmesser 5fach vergrößert) Als Ausdruck für das Ausmaß der Störung kann aber auch die Größe der Lücken herangezogen werden, die durch den Sturm in das ursprünglich geschlossene Kronendach gerissen wurden. Hierzu hat eine Luftbildbefliegung stattgefunden, anhand der die Ausdehnung, Anzahl und Verteilung der Kronenlücken auf Größenklassen ermittelt werden kann. Beabsichtigte Wiederholungsinventuren, die zuerst nach 5 oder 10 Jahren und dann im Turnus von 10 bis 20 Jahren durchgeführt werden sollen, werden aufzeigen, inwieweit sich die Bestände regenerieren konnten. Konkret bedeutet dies: - Wieviel Zeit wird vergehen, bis der Holzzuwachs der verbliebenen Bäume die sturmbedingten Vorratsabsenkungen wieder aufgebaut hat (ähnlich der Reaktion eines stark durchforsteten Waldbestandes)?
- Kann das Kronenwachstum der verbliebenen Bäume die entstandenen Lücken wieder schließen? In welchen Zeiträumen geschieht dies?
Die Besonderheit des Hainholzes nach dem Sturm liegt allerdings darin, daß die Störung so groß war, daß auf Teilflächen der Kronenschluß dauerhaft unterbrochen ist und ein unmittelbarer Eintritt in eine Verjüngungsphase zu erwarten ist. Hierunter versteht man die Entwicklung einer neuen Waldgeneration aus natürlicher Ansamung von Bäumen. Das besondere waldkundliche Interesse richtet sich dabei auf die Frage, ob sich diese Verjüngungsgeneration aus einem schon vorhandenen Vorrat an Sämlingspflanzen der Baumarten des Vorbestandes – also vornehmlich Buchen und Eschen – entwickelt oder ob sich eine Pionierwaldphase einstellt. Letztere entsteht aus der Ansiedlung raschwüchsiger lichtliebender, aber kurzlebiger Baumarten wie Salweide, Eberesche und Birke. Tatsächlich war zum Zeitpunkt des Sturmwurfs bereits ein reicher Vorrat an Sämlingspflanzen von Buche und Esche vorhanden, wie er für reiche Waldstandorte auf Gips oder Kalk charakteristisch ist. Andererseits wurden durch den Windwurf mit zahlreichen aufgeklappten Wurzeltellern und freigelegtem Mineralboden aber auch ideale Keimbedingungen für die Pioniergehölze geschaffen, die erfolgreiche Rohbodenbesiedler sind. Neben die spannende Frage nach der möglichen Zwischenschaltung einer Pionierphase in den Waldentwicklungszyklus treten viele weitere Einzelfragen:- Wie reagiert die bereits vorhandene Gehölzverjüngung auf die plötzliche Auflichtung; obsiegt die lichtliebende, raschwüchsige Eschenverjüngung über die Buchenverjüngung?
- Welche Rolle spielt die sich rasch entwickelnde Krautvegetation?
- Üben noch stehende Altbäume Konkurrenzwirkungen auf die Verjüngung aus?
- Welche Rolle spielt der Verbiß durch Rehe? Können dichte Verhaue aus Kronenholz eine Schutzwirkung ausüben?
Für ein tieferes Verständnis der durch diese Fragen angedeuteten Prozesse in der Verjüngung und die Ableitung allgemeingültiger Aussagen über die Waldentwicklung nach starker Störung durch Sturm reicht allerdings eine Dokumentation im Sinne eines Biomonitoring nicht aus. Hierzu ist es notwendig, die für die weitere Waldentwicklung maßgeblichen Einflußfaktoren ausfindig zu machen und zu quantifizieren. Dies stellt den Versuch dar, Ursache – Wirkungsbeziehungen aufzudecken. Eingehende Untersuchungen zur Aufdeckung kausaler Beziehungen finden auf ausgewählten 1 bis 1,5 ha großen Kernflächen statt, auf denen alle stehenden und liegenden Bäume eingemessen wurden. Zusätzlich wurden aufgeklappte Wurzelteller eingemessen, da sie erwarten lassen, daß hier auf dem freiliegenden Mineralboden besonders viele Baumsamen keimen. Ein weiterer potentieller Einflußfaktor ist das Licht; aus diesem Grund wird die Entwicklung der Gehölzverjüngung auf Sturmwurflücken mit noch geschlossenen, dunkleren Bestandesteilen verglichen. Um die Bedeutung von Verhauen aus übereinander liegendem Kronenholz für den Rehwildverbiß zu untersuchen, wurden auch diese eingemessen. Ob sich die Gehölzverjüngung hier besser entwickelt, wird man allerdings erst in einigen Jahren beantworten können, wenn die Verhaue soweit in sich zusammengefallen sind, daß sie überhaupt begehbar sind.4. Schlußbemerkungen - Das Hainholz hat besondere Bedeutung für die Naturwaldforschung in Niedersachsen, weil hier erstmalig auf größerer Fläche in einem Naturwald die Möglichkeit besteht, eine durch Sturmwurf eingeleitete Verjüngungsphase in einem Naturwald zu untersuchen.
- Die rein waldkundliche Untersuchung des Hainholzes durch die Niedersächsische Forstliche Versuchsanstalt kann nicht alle anstehenden Fragen klären. Viele naturschutzrelevante Aspekte können nur in einem größeren Projekt gemeinsam mit anderen Instituten geklärt werden. Für ein solches Naturschutz-Verbundprojekt fehlen allerdings derzeit die finanziellen Mittel, so daß die für diese Fragen wichtige Phase zur Dokumentation der Ausgangssituation nur sehr eingeschränkt genutzt werden konnte.
- Das Hainholz wurde durch den Sturm zwar stark gestört, aber nicht zerstört. Bereits ein Jahr nach dem Sturm ist eine vitale Reaktion der Gehölzverjüngung zu beobachten, die eine rasche Regeneration des Waldes erwarten läßt.
Literatur:
Fischer, A., Abs, G. & Lenz, F.(1990): Natürliche Entwicklung von Waldbeständen nach Windwurf - Ansätze einer Urwaldforschung in der Bundesrepublik. Forstwiss. Cbl.: 309-332; Hamburg. Lässig, R. & Schöneberger, W.(1993): Forschung auf Sturmschadenflächen in der Schweiz. Forst u. Holz 9: 244-249. Niedersächsische Forstliche Versuchsanstalt(1997): Sturmfolgenforschung im Naturschutzgebiet Hainholz. Unveröff. Entwurf. Otto, H.-J.(1995): Die sukzessionale Variabilität von Wäldern des niedersächsischen Pleistozäns als Grundlage eines naturnahen Waldbaus. Forstarchiv 66: 133-140. Runkle, J. R.(1982): Patterns of disturbance in some old-growth mesic forests of Eastern North America. Ecol. 63: 1533-1548. Schönenberger, W., Kasper, H. & Lässig, R.(1992): Forschungsprojekte zur Wiederbewaldung von Sturmschadenflächen. Schweiz. Z. Forstw. 10: 829-847. Wagner, S.(1993): Sukzessionsforschungsprojekt "Quitschenberg" . Unveröff. Entwurf. Zukrigl, K., Eckhardt, G. & Nather, J.(1963): Standortskundliche und waldbauliche Untersuchungen in Urwaldresten der niederösterreichischen Kalkalpen. Mitt. Forstl. Bundesversuchsanst. Wien, 62. |