2. Südharz-Symposium 11.-13. September 1998 in Walkenried

 
Kommunale Naturhaushaltswirtschaft
- Projektvorstellung

Vortrag von Dipl.-Ing. agr. Barbara Vay
 

Stellen Sie sich vor, ein Landkreis in der Südharzregion hat neben seinem jährlichen Finanzhaushaltsplan einen Naturhaushaltsplan, in dem der haushälterische und sparsame Umgang mit den natürlichen Ressourcen genauso selbstverständlich ist, wie bei der künstlichen Ressource Geld. Die Unternehmen der Gipsindustrie haben sich mit den Politikern auf ein mittelfristiges Reduktionsziel für den Rohstoffabbau geeinigt, das für alle Seiten akzeptabel ist. Jahr für Jahr werden Verbrauchsraten in Form von Abbaukontingenten ausgehandelt, die nicht überschritten werden dürfen, um das Ziel zu erreichen. Im Gegenzug unterstützen Politik und Verwaltung die Unternehmen durch eine gezielte Wirtschaftsförderung bei der Entwicklung und Etablierung von alternativen Produktlinien und der weitestgehenden Arbeitsplatzerhaltung durch die Erhöhung der regionalen Wertschöpfung. Am Ende eines Jahres wird überprüft und offengelegt, ob das Verbrauchsbudget eingehalten oder überschritten wurde.

Zukunftsmusik? Ja und nein!

Das Demonstrationsvorhaben
Der Landkreis Nordhausen nimmt seit 1996 an einem Demonstrationsvorhaben zur praktischen Erprobung und Weiterentwicklung der Kommunalen Naturhaushaltswirtschaft, einem neuen Umweltmanagementinstrument für Kommunen, teil. Die Leitung und Betreuung des Projektes erfolgt durch ICLEI, dem Internationalen Rat für Kommunale Umweltinitiativen, mit der europäischen Zentrale in Freiburg. Das Vorhaben wird von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert. Neben dem Landkreis Nordhausen nehmen Bielefeld, Dresden und Heidelberg als Pilotkommunen teil. Das Vorhaben findet bereits heute internationale Beachtung und wird durch einen Beirat mit Vertretern anderer interessierter Städte und renommierter Institutionen kritisch begleitet.

Grundgedanke der Kommunalen Naturhaushaltswirtschaft ist es, in bewußter Analogie zum Finanzhaushaltsplan den Umweltverbrauch in Kommunen oder Kreisen in Naturhaushaltsplänen transparent zu machen und mit Hilfe von Umweltqualitätszielen und ökoBudgets® zu steuern. Dahinter verbirgt sich die Erkenntnis, daß die Prinzipien der Haushaltswirtschaft für Finanzfragen ebenso wie für ein Ressourcenmanagement ein gleichermaßen wirkungsvolles Instrument bilden.
 

Prinzipien der Haushaltswirtschaft

  • Wir wollen den Umweltverbrauch vollständig, übersichtlich und verständlich dargestellt haben? - Für das Geld eine Selbstverständlichkeit!
  • Wir wollen festlegen, welche mittelfristigen Ziele wir haben und den jährlichen Umweltverbrauch daran messen? - Ein Muß in der Haushaltsplanung!
  • Wir wollen eine politische Debatte um Prioritäten und Notwendigkeiten der gesamten kommunalen Umweltpolitik? - Für die Finanzen nicht mehr wegzudenken!
  • Wir wollen, daß Ressourcen effizient und nur für sinnvolle Vorhaben eingesetzt werden? - Nichts anderes als Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit, die zwei wichtigsten Prinzipien des Finanzhaushalts!


Wie funktioniert ein Naturhaushaltsplan?
Herzstück des Naturhaushaltsplans sind die Umweltindikatoren. Sie werden in physischen Einheiten wie z.B. „Hektar versiegelte Fläche“ ausgedrückt. Je nach Datenverfügbarkeit und lokalen bzw. regionalen Problemfeldern wird ein individuelles Indikatorsystem erarbeitet. Man beschränkt sich aus Gründen der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit jedoch auf 10-30 Leitindikatoren, die helfen, einen Trend für die Entwicklung der Umweltsituation aufzuzeigen.

Mit Hilfe der Indikatoren werden drei Sachverhalte abgebildet: erstens der absolute Umweltverbrauch in Form eines Gesamtbudgets und Einzelbudgets, zweitens der Bestand an Naturkapital in Form einer Vermögensübersicht und drittens die Effizienz, mit der der Umweltverbrauch zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse wie Arbeiten, Wohnen, Mobilität beiträgt, in einer Umwelt-Leistungs-Rechnung (z.B. Neuversiegelte Fläche pro neugeschaffenem Arbeitsplatz).

Der Naturhaushaltszyklus (s. Abb.) beginnt mit der Planaufstellung. Nachdem das Umweltamt einen Vorbericht über die ökologische Situation aufgestellt hat, sind die verschiedenen Dienststellen gefragt, in Voranschlägen den zu erwartenden Umweltverbrauch für das kommende Jahr abzuschätzen. Da prognostiziert dann das Bauamt Flächenversiegelungen aufgrund eines neuen Bebauungsplanes oder das Abfallwirtschaftsamt erwartet eine Verringerung des Restmüllaufkommens aufgrund der neu eingeführten Biotonne. Außer den Dienststellen sollen auch Interessengruppen (Wirtschaft, Umweltverbände, Agenda-Gremien etc.) eingebunden werden. 

Nach der Beratung in verschiedenen Ausschüssen wird der Naturhaushaltsplan vom Gemeinderat bzw. Kreistag beschlossen. Hier sind außer Vergleichswerten von Vorjahren und dem für das kommende Jahr geplante Verbrauchswert für jeden Indikator zwei weitere Werte verzeichnet: Ein mittelfristiges Ziel gibt an, welches Niveau des Umweltverbrauchs die Kommune bzw. der Kreis in einigen Jahren anstrebt. Der „Wegstrecke-Wert“, auch Zielerreichungsindex genannt, zeigt in Form einer Prozentzahl, wie weit man noch von dem Ziel entfernt ist. So können auch Nicht-Umweltexperten aus dem Plan ablesen, in welchen Bereichen bereits heute annähernd nachhaltig gewirtschaftet wird und wo noch größerer Handlungsbedarf diesbezüglich besteht.
 

Buchführung und Naturhaushaltsrechnung
Nach der Verabschiedung im Gemeinderat bzw. Kreistag beginnt die Buchführung. Für jeden Indikator wird ein Konto geführt, in dem laufend verzeichnet wird, wieviel von dem geplanten Budget schon verbraucht wurde. Eine drohende Budgetüberschreitung von bedeutendem Ausmaß muß den entsprechenden Gremien mitgeteilt und über Möglichkeiten der Schadensbegrenzung beraten werden. Das Idealbild der Buchführung und des Contollings wäre es, laufend den Umweltverbrauch jeder einzelnen Aktivität im betrachteten Gebiet erfassen zu können. Das ist natürlich nicht möglich. Praktisch werden deshalb die Umweltwirkungen wichtiger Einzelmaßnahmen erfaßt, wie sie z.B. aus Umweltverträglichkeitsprüfungen bekannt sind. 

Am Ende des Jahres wird der tatsächliche Umweltverbrauch in einer Naturhaushaltsrechnung zusammengefaßt und dem Gemeinderat bzw. Kreistag sowie der Öffentlichkeit zur Diskussion vorgelegt. Hier können umweltpolitische Erfolge präsentiert und die Ursachen für Mißerfolge benannt werden. So können Schlüsse für Prioritäten und den Handlungsbedarf im kommenden Jahr gezogen werden.

Modernes Umweltmanagement mit Hilfe der Naturhaushaltswirtschaft
Mit diesem Verfahren erfüllt die Kommunale Naturhaushaltswirtschaft mehrere Anforderungen an ein modernes Umweltmanagement:

  • Es wird vorausschauend geplant und nicht nur nachsorgend verwaltet.
  • Der tatsächliche Umweltverbrauch wird bilanziert und dem Regenerationspotential der Natur gegenübergestellt.
  • Der Plan ist allgemeinverständlich und wird öffentlich diskutiert.
  • Es findet eine permanente Erfolgskontrolle statt.
  • Der Grundstein für eine größere Verwaltungseffizienz durch das Zusammenführen von Fachbereichen und Instrumenten der Umweltplanung wird gelegt.


Der Naturhaushaltsplan des Landkreises Nordhausen
Der Naturhaushaltsplan des Landkreises Nordhausen ist charakterisiert durch die klassische Aufteilung nach den Umweltmedien Luft, Boden und Wasser. Die Indikatoren wurden nach der Datenverfügbarkeit und regionalen Schwerpunktthemen ausgewählt. So sind zwei Indikatoren enthalten, die den Verbrauch von nicht-nachwachsenden Rohstoffen, nämlich Gips/Anhydrit und Kiessand, abbilden. Der Rohstoffabbau und insbesondere der Gipsabbau ist Ursache für andauernde Konflikte in der Südharzregion, weil er anderen Schutz- und Nutzungsinteressen entgegensteht. Im Bielefelder Naturhaushaltsplan werden Sie vergeblich nach einem Rohstoffindikator suchen, weil es dort keine Abbauproblematik gibt, wohl aber eine überdurchschnittlich hohe Flächenversiegelung.

In Ermangelung bestehender Beschlüsse und Konzepte (z.B. CO2-Minderungsplan, integrierter Verkehrsentwicklungsplan, Rohstoffabbau-Rahmenkonzeption) für den Landkreis, aus denen man die darin gefaßten quantitativen Reduktions- oder Verbesserungsziele hätte übernehmen können, mußte bis auf eine Ausnahme (Abfall) auf Umweltqualitätsziele von bundesweit anerkannten Sachverständigengremien (Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Weltgesundheitsorgani-sation u.a.) zurückgegriffen werden. Die Planwerte für das Naturhaushaltsjahr im Rahmen des Modellprojektes wurden demzufolge nicht auf der Grundlage von Voranschlägen ermittelt, sondern linear von den mittelfristigen Zielen abgeleitet. Nach mehrfacher Beratung im Umweltausschuß wurde der Naturhaushaltsplan im Zuge der Entscheidung für die Fortführung des Projektes im Juni 1998 vom Kreistag beschlossen.

Damit hat sich der Landkreis Nordhausen anspruchsvolle Ziele gesetzt und geht gleichzeitig einen anderen Weg als die übrigen Pilotkommunen. Eines steht durch die hoch angesetzten Maßstäbe nämlich fest: Am Ende dieses ersten Naturhaushaltsjahres wird es bei vielen Indikatoren Budgetüberschreitungen geben. Dadurch wird aber sehr schnell deutlich werden, wo die ökologische Verschuldung bzw. der Abstand zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise besonders gravierend ist und deshalb dringender Handlungsbedarf besteht. Das örtliche Projektteam erhofft sich dadurch bei den politischen Entscheidungsträgern einen Auftakt in Sachen umweltpolitischer Zieldiskussion. Es wird aber letztlich der politischen Willensbildung obliegen, ob diese anspruchsvollen Zielwerte im Naturhaushaltsplan der kommenden Jahre beibehalten werden sollen, oder ob man sich auf niedrigere, aber erreichbarere Maßstäbe einigt.

Ein weiterer Unterschied liegt in der Komplexität eines Landkreises gegenüber der reinen Betrachtungsweise einer Stadt, also einer zuständigen Kommunalverwaltung. Bei der Ausführung des Naturhaushaltsplans des Landkreises Nordhausen müssen 9 Kommunalverwaltungen mit insgesamt mehr als 60 Ortschaften berücksichtigt werden, darunter die Stadt Nordhausen mit fast 50.000 Einwohnern. Oberstes Gebot ist jedoch die Wahrung der kommunalen Planungshoheit. Deshalb kann nur auf die freiwillige Kooperationsbereitschaft der kreisangehörigen Kommunen gebaut werden. Die Chance für die Kommunen liegt darin, vom Kreis eine Dienstleistung angeboten zu bekommen, die sie in vielen Fällen aufgrund mangelnder zeitlicher und fachlicher Ressourcen nicht selbst leisten können. Der Naturhaushaltsplan wird künftig nach den kreiszugehörigen Kommunen in Form von Einzelplänen untergliedert sein. Damit wird den Kommunen eine wichtige Entscheidungshilfe bei gemeindlichen Planungen an die Hand gegeben. Im Gegenzug dafür müssen die Kommunalverwal-tungen relevante Daten und Informationen liefern.

Und was ist mit der Rohstoffindustrie?

Das anfangs skizzierte Wunschszenario unterscheidet sich von der Wirklichkeit insofern, als es bisher nicht gelungen ist, die Rohstoffindustrie zu quantitativen Zugeständnissen zu bewegen. Hier muß in einem  nächsten Aufgabenschwerpunkt eine neue Qualität des Dialogs gefunden werden. Möglicherweise liegt der Anfang in einem professionell geleiteten Prozeß des Konfliktmanagements, einer sogenannten Mediation.

Mit dem Instrument der Kommunalen Naturhaushaltswirtschaft wird unbestritten und trotz aller bestehenden Hemmnisse ein wichtiger Grundstein in Richtung nachhaltiger bzw. zukunftsbeständiger Wirtschaftsweise gelegt, berücksichtigt es doch die spezifische Umweltproblematik in der Südharzregion und operiert mit der Strategie der kleinen, aber quantitativ meßbaren Schritte.

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