3. Südharz-Symposium 11.-12. Juni 1999 in Sundhausen - Stadt Nordhausen

 
Nachhaltige Entwicklung und Arbeitsplätze in der Landwirtschaft

Vortrag von Dr. Thomas Hentschel

Die üblichen Eingangsbemerkungen über Begriffsbestimmungen zur Nachhaltigen Entwicklung, über den Werdegang der Diskussion vom sogenannten “Brundtland Bericht” im Jahre 1987 über die UNO Konferenz 1992 in Rio de Janeiro bis heute und über die Leitbilder und Ziele zur Nachhaltigen Entwicklung möchte ich mir hier sparen. Ich gehe davon aus, dass dies allgemein bekannt ist und im Verlauf dieser Tagung noch oft darüber gesprochen wird.

Lassen Sie mich Eingangs auf drei Aspekte eingehen die für mich in der ganzen Nachhaltigkeitsdebatte von Bedeutung sind.

  1. War die preußische Gewerbeordnung von 1845 das erste Gesetz, welches in heutigem Sinne als Umweltgesetz verstanden werden würde, so hat es bis in die 70er Jahre dieses Jahrhundert gedauert, bis die Umweltpolitik als neuer Politikbereich etabliert wurde. Die (West-) Deutschen Gewerkschaften waren damals mit die ersten gesellschaftspolitisch relevanten Gruppen die sich dieser Thematik annahmen. Bereits in ihrem ersten Umweltprogramm von 1972 wiesen sie auf das Verhältnis von Umwelt, Wirtschaft und sozialen Bedingungen hin. Diese Sichtweise - die Verbindung von Ökologie - Ökonomie und sozialen Bedingungen ist heute ein wesentlicher Gesichtspunkt bei der Diskussion um Nachhaltige Entwicklung.
  2. Wesentliches Element des Handelns der Umweltschützer war es, sich durch Zusammenschluß gegen eine von oben verordnete Politik zu wehren. Dies ist - sicherlich nach wie vor - noch ein wichtiges Handlungsfeld, auch wenn die politisch etablierte Umweltbewegung mittlerweile viele umweltzerstörende Großprojekte mitträgt. Die Stärke der Umweltbewegung war es, sich durch Überzeugungskraft im Bündnis vieler unterschiedlicher Gruppen wie Naturschützer, Kirchen, Gewerkschafter, auch Bauern sowie engagierter Einzelbürger für die Verbesserung und den Erhalt der Umwelt einzusetzen. Ich denke, das dies auch heute noch der Fall ist.
  3. Waren die ersten großen Aktivitäten der Umweltbewegung gegen eine verordnete Politik gerichtet, so steht sie heute vor einem ganz anderen Problem. In dem Maße wie sich die Umweltschützer politisch etablieren konnten, stehen sie selbst in der Kritik, von oben Entscheidungen zu treffen und diese durchzusetzen. Viele Bürger können solche Entscheidungen nicht nachvollziehen und wehren sich dagegen. Somit entsteht der Verdacht, dass ein wesentliches Element fortschrittlicher Umweltpolitik - die Partizipation, also die breite demokratische Diskussion und Teilhabe an Entscheidungen vernachlässigt wird.
Diese drei Aspekte:
  1. Die zusammenhängende Sichtweise von Ökologie - Ökonomie und sozialen Bedingungen,
  2. das Zusammenwirken verschiedener Interessengruppen zur Erreichung eines Zieles und
  3. eine größtmögliche Beteiligung an Entscheidungsprozessen
sind für mich bei der Diskussion um Nachhaltige Entwicklung von besonderer Bedeutung.

Was hat dies nun mit Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft zu tun?

Die Beschäftigten in den Landwirtschaft nahmen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich ab.
Waren 1970 noch 130 Tausend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Landwirtschaft und im Gartenbau beschäftigt, so waren es 1980 noch 92 Tausend und 1990 noch 84 Tausend. Durch die Wiedervereinigung nahm die Beschäftigung zu, so daß heute noch 142 Tausend sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Landwirtschaft tätig sind.

Hinzu kommen noch ca. 22 Tausend deutsche registrierte nicht ständig Beschäftigte (Saisonarbeitskräfte, ABM Beschäftigte etc.).

In Deutschland erhalten darüber hinaus ca. 160 Tausend ausländische Wanderarbeiter von unseren Arbeitsämtern eine Arbeitserlaubnis als Saisonbeschäftigte. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt schätzt die gleiche Anzahl an illegal Beschäftigten.

In den neuen Bundesländern gehen die Beschäftigtenzahlen in der Landwirtschaft weiter zurück, während in den alten Bundesländern 1998 ein Zuwachs von ca. 1% zu verzeichnen ist.
(Quelle: verschiedene Publikationen der Bundesanstalt für Arbeit)

Anhand dieser Zahlen sehen wir, daß der Arbeitsmarkt in der Landwirtschaft ständig in Bewegung ist, jedoch nicht nur in Richtung Arbeitsplatzverluste.

Wie kann nun die Nachhaltige Landwirtschaft ein Beitrag zur Schaffung von mehr Beschäftigung leisten?

Als Leitbild einer Nachhaltigen Landwirtschaft wird formuliert:

  • Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Lebensmitteln zu angemessenen Preisen,
  • Teilnahme der in der Landwirtschaft Tätigen an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung,
  • Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen und Erhaltung der biologischen Vielfalt,
  • Erhaltung und Entwicklung der ländlichen Räume,
  • Verbesserung der agrarischen Außenwirtschaftsbeziehungen und der Welternährungslage.
Aus diesem Leitbild lassen sich die verschiedensten Ansatzpunkte für eine Nachhaltige Agrarentwicklung konkretisieren.

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt sieht die biologisch/ökologische Landwirtschaft als nachhaltigste Form der Landnutzung an.

Bezogen auf die Entwicklung der Arbeitsplätze gibt es hier die unterschiedlichsten Berechnungen über die Mehraufwendungen an Arbeitskräften.
Eine Untersuchung bei Unternehmen, die ihren Betrieb von konventioneller auf ökologische Landwirtschaft umgestellt haben zeigt 1992 folgendes Ergebnis:

Umstellungsbedingt stieg der Arbeitseinsatz um durchschnittlich 12 %. Es wird aber in der gleichen Untersuchung festgestellt, daß diese Mehrarbeit zunächst durch Überstunden bewältigt wird und erst später durch zusätzliche Beschäftigung von Arbeitnehmern neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
(Quelle: L. Schulze Pals, 1994, Ökonomische Analyse der Umstellung auf ökologischen Landbau, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Ernährung Landwirtschaft und Forsten, Angewandte Wissenschaft, Heft 436, S.124ff.)

Eine Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft für biologisch - dynamischen Landbau in Brandenburg ergibt, daß durch die arbeitsintensiveren Produktionsweisen jeweils mindestens doppelt so viele AK/100 ha im Vergleich zum Landesdurchschnitt tätig sind.
(Quelle: J. Plagge,.....)

Aus diesem Grunde sollten wir uns einmal anschauen wie sich der zusätzliche Arbeitsaufwand der umstellenden Betriebe zusammensetzt:

  1. Beim Marktfruchtanbau steigt der Pflegeaufwand. Die Einsparung von Arbeitszeit durch den Wegfall der mineralischen Düngung und des chemischen Pflanzenschutzes wird bei einigen Kulturen überkompensiert.
  2. Umstellungsbedingt verändert sich die Fruchtfolge. Es werden verstärkt arbeitsintensive Produktionsverfahren wie z.B. Kartoffeln und Gemüse angebaut.
  3. Insbesondere beim Anbau neuer Produkte müssen zunehmend Vermarktungsfunktionen wahrgenommen werden.Die Aufbereitung und Auslieferung der Waren wird von den Betrieben verstärkt selbst wahrgenommen. Vor der Umstellung erfolgte die Abholung durch Händler.
  4. Ein nicht zu unterschätzender zusätzlicher Arbeitsaufwand entsteht durch Information und Bildung. Angepaßte Arbeitstechniken, neue Arbeitsinhalte und auch Formen sowie neue Funktionen z.B. in der Vermarktung bedingen umfangreichen Bildungsbedarf.
Der zusätzliche Arbeitsaufwand hängt natürlich nicht nur per se von der Umstellung ab, sondern davon, welche Betriebsformen umgestellt werden. Die Produktion von Obst und Gemüse - vielleicht noch in der Nähe von Großstädten - bietet die Möglichkeit mehr Arbeitsplätze zu schaffen als ein Futteranbaubetrieb in peripheren Regionen.

Mit der Umstellung von Betrieben sollten auch neue Wege der Vermarktung, sowohl der Produkte als auch der Betriebe selbst ausprobiert werden. Ein interessanter Ansatz ist z.B. eine direkte Belieferung der Abnehmer mit den Produkten der Saison einmal wöchentlich in der sogenannten “Abo-Kiste” oder die Einrichtung von Hofläden, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuen.

Mit jeder neuen Untersuchung werden sicherlich weitere positive Entwicklungen des Arbeitsmarktes festgestellt. Dabei erscheint es mir zweitrangig wieviel Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Wichtiger ist, die Feststellung, daß Alternativen machbar sind und neue Arbeitspotentiale entstehen.


Tabelle: “Verstecktes” Beschäftigungspotential der Landwirtschaft...erhöht den Bedarf nach Arbeitskräften um etwa
Angleichung der landwirtschaftlichen an die außerlandwirtschaftliche Arbeitszeit25 Prozent
Umstellung auf artgerechte Tierhaltung10 Prozent
Umstellung auf ökologischen Landbau10 Prozent
Weiterverarbeitung und Direktvermarktung20 Prozent
Zusammen75 Prozent

Quelle: .......Kritischer Agrarbericht 1998

Doch nicht nur die Umstellung auf die nachhaltigste Form der Landbewirtschaftung, dem ökologischen Landbau, kann Arbeitsplätze schaffen. Wie eingangs bemerkt wurde, muß eine breite Diskussion um Nachhaltige Entwicklung geführt werden. Dabei kann es nicht nur darum gehen die eine Form der Landwirtschaft gegen die andere zu stellen. Vielmehr muß die zu starke einzelbetriebliche Denkweise überwunden werden. Gerade in den neuen Bundesländern müssen sich Betriebe auf regionaler Ebene zusammenschließen und gemeinsame Strategien im Bereich der Vermarktung von Produkten aber auch der Entwicklung der Betriebe und der Region auszuprobieren. Anhand eine Beispieles möchte ich aufzeigen welche Möglichkeiten bestehen:

Begleitet von einer wissenschaftlichen Untersuchung wurden im Rahmen eines EU-geförderten ADAPT - Projektes in der Region des Elbe-Elster Kreises in Brandenburg zusätzliche Einkommensmöglichkeiten von Landwirtschaftlichen Betrieben gesucht und ausprobiert. In den ersten Diskussionen mit den zuständigen Verwaltungen auf kommunaler- und Kreisebene sowie mit Bürgern und Landwirten entstand der Eindruck, daß in dieser Region kaum Möglichkeiten zur Vermarktung der landwirtschaftlichen Produkte bestehen. Wesentlicher Grund dieser Aussage - es gibt nicht genügend Landwirte, die eine vernünftige Palette an landwirtschaftlichen Produkten anbieten können. Doch die Befragung der Landwirte in der Region über ihre Produkte ergab erstaunlicherweise eine Vielzahl an unterschiedlichsten Angeboten. In gemeinsamen “Entwicklungswerkstätten” mit Unternehmen, Verwaltungen, Naturschützer (der Naturparkverwaltung) entstanden kurzfristig zwei wichtige Initiativen. Eine Broschüre wurde erstellt mit einem Verzeichnis aller landwirtschaftlichen Unternehmen und ihren Angeboten. Gleichzeitig erging das Angebot der Stadt Elsterwerda einen Erzeugermarkt, einen sog. Grünen Markt durchzuführen. Das wesentliche an diesem Markt ist, das er am Samstag stattfindet, einem Tag an dem sonst die Innenstadt so gut wie ausgestorben ist, und es dürfen nur regionale, landwirtschaftlich/gärtnerische Produkte angeboten werden. Eine gute organisatorische Vorbereitung sowie eine intensive Werbekampagne weckten die Neugier vieler Bürger aus Elsterwerda und Umgebung, so daß ein reges Markttreiben und somit ein erstaunlicher Umsatz für die Erzeuger herrschte.

Eine Befragung der Marktbesucher anhand eines standardisierten Fragebogens brachte Ergebnisse, die nicht nur für die dortige Region interessant sein dürften. Ich darf vorausschicken, daß der Markt gegen 14 Uhr beendet werden sollte - die ersten Produzenten bauten ihre Stände bereits um 11 Uhr ab, weil sie aufgrund der regen Nachfrage keine Waren mehr anzubieten hatten.

Folgende Rückschlüsse der Untersuchung sind es wert festgehalten und verbreitet zu werden:

  1. Die Marktbesucher bewerteten die regionale Herkunft und die Frische der Produkte als wichtigste Motivation auf dem Markt einzukaufen - die Möglichkeit ökologische Produkte einzukaufen wurde dagegen eher gering bewertet.
  2. Wurde der Wunsch geäußert, solch einen Erzeugermarkt als Dauereinrichtung mindestens alle 14 Tage zu etablieren.
  3. Nicht zu unterschätzen ist der soziale Aspekt dieses Marktes. Die meisten Besucher kamen mit der Familie, viele Bekannte trafen sich zum kleinen Gespräch.
  4. Positiv beobachtet wurde auch das Interesse vieler Besucher an den angebotenen Aktivitäten. Landfrauen produzierten per Hand Butter, ein Fischhändler räucherte vor Ort die eigenen Fische, Kinder konnten Tonfiguren bemalen.
  5. Die Produzenten konnten einen guten Umsatz verzeichnen - gleichzeitig fiel ihnen auf, daß gerade im Bereich der Vermarktung insbesondere bei der Präsentation der Waren erheblicher Bildungsbedarf besteht.
Sicherlich schaffen solche Märkte nicht von heute auf morgen neue Arbeitsplätze. Doch sie helfen dem einzelnen Produzenten die Waren abzusetzen und tragen somit zur Einkommenssicherung bei. Gilt es doch angesichts des noch zu erwartendem Arbeitsplatzabbau in der Landwirtschaft der neuen Bundesländer vorrangig die Frage der Beschäftigungssicherung anzugehen.

Solche Aktionen tragen dazu bei das regionale Bewußtsein der Verbraucher zu schärfen. Ich möchte damit jedoch nicht einem regionalem Protektionismus das Wort reden. Vielmehr kommt es mir darauf an auf regionaler Ebene breite Bündnisse zu schaffen und gemeinsames Handeln zu lernen. Es ist doch ökologisch unsinnig z.B. in Belgien hoch subventioniert Eier von Hühnern unter fragwürdigen Verhältnissen produzieren zu lassen und diese Eier dann unter hohem Energieverbrauch durch halb Europa zu fahren um sie dann hier, vielleicht verbunden mit gesundheitlichen Risiken für den Verbrauchern, zu verkaufen. Solch eine Landwirtschaft ist weder ökologisch sinnvoll, noch wirtschaftlich effektiv - wobei hier volkswirtschaftlich gemeint ist -, noch sozial verträglich.

Mein Anliegen in diesem kurzen Referat ist es nicht die gesamte Problematik Arbeitsmarkt, Landwirtschaft und Nachhaltige Entwicklung aufzuarbeiten. Sicherlich gibt es noch viele Möglichkeiten durch innovative Ideen, die auch ökologisch nützlich sind Einkommensmöglichkeiten und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Ich nenne beispielhaft nur die Gewinnung von Energie aus Biomasse und Windenergie , die Renaturierung von Biotopen oder die Entwicklung von angepaßten touristischen Angeboten.

Trotz der vielen Skandale in der Nahrungsmittelproduktion scheint eine Wende in der Agrarpolitik nicht in Sicht. Um so wichtiger wird die Auseinandersetzung um Nachhaltige Entwicklung. Jeder der sich damit auseinandersetzt weiß, daß dies ein langfristiger Prozeß ist: Von der Leitbildentwicklung, die Auseinandersetzungen um die richtigen Maßnahmen und den besten Lösungen bis hin zur praktischen Umsetzung.

Jeder der sich mit Arbeitsmarktpolitik beschäftigt, weiß, daß die Arbeitslosigkeit wirkungsvoll nicht kurzfristig beseitigt werden kann. Doch gerade im ländlichen Raum kommt es darauf an, Bündnisse für Arbeit zu schmieden und dabei die nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft als wesentlichen Aspekt mit einzubeziehen. 

Wie bereits 1972 im Umweltprogramm des DGB gefordert, 1991 in Rio so eindeutig im Zusammenhang mit der Nachhaltigen Entwicklung formuliert können die Zukunftsfragen nur im Zusammenhang gesehen werden: ökologisch nützlich, ökonomisch effektiv und sozial verträglich.

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