Pro und Contra zur Ausweisung eines Biosphärenreservates im Südharz Vortrag von Yvonne Brodda 1 Hintergrund In den wissenschaftlichen und politischen Diskussionen über Umwelt- und Naturschutzpolitik ist in den vergangenen Jahren immer deutlicher geworden, dass die gängigen Strategien keine bzw. nur unzureichende Antworten auf die Umweltprobleme des 21. Jahrhunderts bieten. Besonders deutlich wird dieses am konventionellen, konservierenden Gebietsschutz, der eine ökonomische Nutzung weitgehend ausschließt. Gerade für viele historisch gewachsene Kulturlandschaften Deutschlands stellt diese Art von Gebietsschutz keine Option dar, weil eine Aufgabe der Nutzung möglicherweise den Erhalt derjenigen Arten und Lebensräume gefährden würde, die vom Fortbestand der Ökosysteme jener Kulturlandschaft abhängen. Gleichzeitig ist die Akzeptanz für Schutzgebietsausweisungen bei der betroffenen Bevölkerung in den letzten Jahren gesunken. Selbst in etablierten Schutzgebieten kommt es immer wieder zu Konfrontationen zwischen Bevölkerung auf der einen und Schutzgebietsverwaltungen bzw. Natuschutzbehörden auf der anderen Seite. Für einen erfolgreichen Natur- bzw. Gebietsschutz ist es jedoch unvermeidlich, dass sich die betroffene Bevölkerung mit den Zielen desselben identifiziert und sich darüber hinaus als Handlungsträger, nicht als Opfer staatlich verordneter Planungsmaßnahmen versteht. Insofern stellt sich die Frage, wie zukünftig Schutzmaßnahmen wirtschaftlich und sozial verträglich gestaltet werden können und gleichzeitig ein effektiver Naturschutz trotz oder vielmehr im Einklang mit einer Nutzung der natürlichen Ressourcen gewährt werden kann. 2 Biosphärenreservate - Instrumente zwischen Schutz und Entwicklung Biosphärenreservate versuchen, eine Antwort auf diese Frage zu geben. Vor dreissig Jahren ursprünglich zur Erhaltung von Naturgebieten und des darin enthaltenen genetischen Materials konzipiert, haben sie sich spätestens seit der Sevilla-Konferenz 1995 zu Modellräumen nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit gewandelt, in denen ,,der Schutz der biologischen Vielfalt, das Streben nach wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung und die Erhaltung kultureller Werte" (UNESCO 1996) miteinander versöhnt und erprobt werden sollen. Für die Umsetzung der Hauptziele des Übereinkommens über biologische Vielfalt (Erhaltung der biologischen Vielfalt, nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile, gerechte und ausgewogene Aufteilung der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile) werden die Biosphärenreservate als besonders geeignet erachtet. Im Vergleich zu anderen Schutzgebietskategorien ist das Biosphärenreservat daher ein multifunktionales, integratives Konzept, in dem außerdem die Bevölkerung und die regionalen Akteure einen zentralen Stellenwert einnehmen. Indem in Biosphärenreservaten a priori eine endogene, nachhaltige Regionalentwicklung verfolgt wird, die ganzheitlich ökonomische, soziokulturelle, politische, ökologische und demokratische Ansprüche zu berücksichtigen versucht, greift das Konzept weiter als der dynamische Naturschutz. Bei letzterem wird zwar das menschliche Wirtschaften mit einbezogen (z.B. in Nationalparks), es steht aber weiterhin der Erhalt von wertvollen Ökosystemen im Vordergrund. Beim Konzept "Biosphärenreservat" handelt es sich um ein qualitatives Prinzip zur Gestaltung des Lebensumfeldes mit dem Ziel eines ökologischen wie ökonomischen Umbaus einer Region, das nicht auf eine Konservierung von althergebrachten Wirtschaftsformen einer Kulturlandschaft abzielt, sondern auf deren Weiterentwicklung und Anpassung an moderne Gegebenheiten. Es ist damit ein Instrument, das zwischen Wirtschaftsförderung und Naturschutz angesiedelt werden muß. 3 Konzeptionsimmanente Potenziale von Biosphärenreservaten im Hinblick auf eine regionale Entwicklung Das Konzept "Biosphärenreservat" steht einer wirtschaftlichen Entwicklung nicht entgegen, sondern verfolgt mittels verschiedener Maßnahmen eine Erschließung der endogenen Wirtschaftspotenziale einer Region. Dabei läßt die Konzeption genug Spielraum für die Anpassung an regionale Spezifika, zum einen durch die räumliche Gliederung in drei Zonen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, zum anderen durch die Erstellung eines regionalen Rahmenkonzeptes und von Bewirtschaftungsplänen für jedes einzelne Biosphärenreservat unter Mitwirkung der lokalen / regionalen Akteure. Maßnahmen im Sinne einer nachhaltigen Regionalentwicklung sind beispielsweise der Auf- und Ausbau von Vermarktungsstrategien für landwirtschaftliche und handwerkliche Produkte und die Etablierung von regionalen, branchenübergreifenden Wirtschaftskreisläufen, also die Stärkung der lokalen Ökonomie und die Entwicklung von Wertschöpfungsketten. Weiterhin sollen in Biosphärenreservaten besonders Maßnahmen zur Produktqualifizierung sowie zur Aus- und Weiterbildung bzw. zum Wissensmanagement ergriffen werden. Dabei erhält die Nutzung des sogenannten "tacit knowledge" (Erfahrungswissen) und die Einbeziehung der Bevölkerung in Entscheidungsprozesse besondere Bedeutung, wodurch man sich letztlich die Herausbildung eines innovativen Milieus erhofft. Von der Betonung des natürlichen, sozialen und kulturellen Umfeldes als weiche Standortfaktoren (beispielsweise eine intakte Kulturlandschaft, das Entstehen bzw. Beibehaltung einer spezifischen Regionalkultur oder ein ausgeprägtes Identitätsgefühl) verspricht man sich u.a. die Herausbildung von Alleinstellungswerten (besonders im Tourismussektor von Bedeutung) und einem Cluster-Bewußtsein, das Netzverbünde nach sich zieht. Es steht außer Frage, dass sich die beschriebenen Maßnahmen im Sinne einer nachhaltigen Regionalentwicklung auch ohne die Einrichtung eines Biosphärenreservates verwirklichen ließen. Ein Biosphärenreservat bietet jedoch qua Konzeption einige besondere Potenziale für die Regionalentwicklung : Augenfällig ist in erster Linie die Katalysatorfunktion, die ein Biosphärenreservat ausüben kann. Diese Katalysatorfunktion ergibt sich aus der zwangsläufig gesteigerten Kommunikation zwischen den regionalen / lokalen Akteuren aller Wirtschaftssektoren sowie Verwaltungsinstitutionen, Bildungsträgem, Vereinen etc., die sich für die Erstellung eines für Biosphärenreservate obligatorischen Rahmenkonzeptes bzw. Bewirtschaftungsplanes bereits im Vorfeld einer Ausweisung zum Biosphärenreservat auseinandersetzen müssen. Mehr Austausch, Diskurs und Kommunikation bedeutet möglicherweise auch mehr Bündnisse sowie einen größeren Kreativitätspool für Ideen und Lösungen von Konflikten. Eine Vernetzung unterschiedlicher Teilinteressen und eine starke innere Verflechtung haben auf diese Weise regionale Synergieeffekte zur Folge, die auf breiter Basis die Wertschöpfung einer Region erhöhen können. Spätestens mit der Erstellung des Rahmenkonzeptes liegt für die Region außerdem ein verbindliches, abgestimmtes Leitbild vor, so dass zukünftig alle Kräfte kanalisiert werden können. Die Chancen dieser Kanalisierung liegen vor allem darin, dass Planungen sowohl integral wie auch übergemeindlich besser abgestimmt werden, dass das Konkurrenzdenken zugunsten einer abgestimmten und vernetzten Entwicklung abnimmt. Ein Biosphärenreservat und seine Verwaltung würden damit genau die Lücke füllen, die bisher im regionalpolitischen Instrumentarium fehlt, nämlich eine regionale Instanz mit Entscheidungskompetenzen und gleichzeitiger Beteiligung der regionalen / lokalen Akteure, die außerdem organisatorisch der Querschnittsaufgabe einer nachhaltigen Wirtschaftsweise gerecht wird. Die regionale Instanz kann zusammen mit der stärkeren Betonung einer spezifischen Regionalkultur dafür sorgen, dass die Region zur "verkaufbaren Einheit" wird, und zwar als Landschaftsraum, als der sie von außen wahrgenommen wird und eben nicht als Verwaltungseinheiten oder noch bestenfalls als Summe derer. Ein solch spezifischer Landschaftsraum würde mit entsprechendem Logo und "corporate identity" wesentlich erfolgreicher zu vermarkten sein, besonders mit dem internationalen Qualitätsmerkmal "Biosphärenreservat". Schließlich birgt die Einbindung in den internationalen Biosphärenreservatsverbund besondere Potenziale, z.B. durch den wissenschaftlichen Austausch und das mögliche Profitieren von Erfahrungen und Ergebnissen aus anderen Biosphärenreservaten. Außerdem sorgt die Einbindung in das internationale Programm unter Aufsicht der UNESCO für Erfolgsdruck und eine zeitliche Straffung durch regelmäßige Überprüfung der gesetzten Ziele. 4 Defizite der Konzeption Der Erfolg eines Biosphärenreservates in Bezug auf die regionale Entwicklung steht und fällt natürlich mit der praktischen Umsetzung, wobei im Rahmen der durchgeführten Analyse nur die Konzeption selbst auf ihre Möglichkeiten hin untersucht wurde. Allerdings fällt hierbei bereits ein strukturelles Defizit ins Auge, das m. E. in der Konzeption angelegt ist bzw., aufgrund fehlender Richtlinien oder Empfehlungen entsteht. Bei der Organisation der Biosphärenreservatsverwaltung muß die häufig praktizierte Angliederung an das Naturschutzressort der zuständigen Behörde als sehr problematisch betrachtet werden. Dadurch bleiben in der Praxis die Planungsinstrumente meist auf die Naturschutz-Fachplanungen beschränkt, während das integrierende Konzept den Ansatz einer komplexen Planung verlangt. Es ist unabdingbar, die Querschnittsaufgabe eines Biosphärenreservates auch in der Organisation der Verwaltung abzubilden, da man sonst auch in Zukunft nicht über eine "konventionelle" nachhaltige Entwicklung hinaus kommen wird. Damit werden Biosphärenreservate jedoch austauschbar mit Schutzgebieten, in denen ein dynamischer Naturschutz praktiziert wird, wobei sie doch eigentlich mit dem Einbeziehen der Entwicklungsdynamik und nachhaltiger Technologien eine weitergreifende Strategie verfolgen. Ein weiteres Problem ist die in der Praxis häufig vernachlässigte Bürgerbeteiligung beim Aufbau von Biosphärenreservaten, die sich meist auf die gesetzlich vorgeschriebenen, relativ spät stattfindenden Beteiligungsverfahren beschränkt. So können Planungsabsichten auf Widerstand stoßen, der schwierige nachträgliche Korrekturen notwendig oder eine Konsensfindung unmöglich werden läßt. Es gilt also, kooperative Verfahren und Instrumente von Beginn an in einem Biosphärenreservat zu institutionalisieren und sie nicht nur als ergänzende Einrichtungen mit Alibicharakter zu betrachten, denn sie sind elementar als Vermittler zwischen vertikalen und sektoralen Interessen und für ein entwicklungsorientiertes Regionalmanagement. Optimal wäre eine intensive Beteiligung der Betroffenen in der frühen Zielfindungsphase ("Bottom-up-Entscheidungen", während später Verwaltungsinstanzen mit der entsprechenden Planungs- und Problemlösungskompetenz für den Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen sorgen bzw. durch Entscheidungen Prioritäten setzen ("Top-down-Entscheidungen"). 5 Fallbeispiel Südharz Die in der Theorie gewonnenen Erkenntnisse wurden anschließend empirisch an dem gewählten Fallbeispiel der Region Südharz überprüft, wo seit etwa zehn Jahren Pläne zur Ausweisung eines Biosphärenreservates bestehen und auch weiterhin eine sehr lebendige wie kontroverse Auseinandersetzung darüber stattfindet. Es galt zu ergründen, ob ein Biosphärenreservat von den regionalen Akteuren als Chance oder eher als Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung begriffen wird und was zu dieser Auffassung geführt hat. 1 Das Fallbeispiel belegt dabei eindrucksvoll die Diskrepanz zwischen den Umsetzungsansprüchen und den Vorstellungen der Umsetzenden und bestätigt darüber hinaus die Defizite der Konzeption: Gedanklich wird das Konzept Biosphärenreservat eher mit dem Schutz der naturräumlichen Potenziale und dem Erhalt einer traditionellen Kulturlandschaft in Verbindung gebracht, als mit einem ganzheitlichen Konzept, das auch eine alternative ökonomische Strategie verfolgt. Auch wenn zum Teil die besonderen Potenziale von Biosphärenreservaten erkannt werden, bestehen bei allen Akteuren - bei Befürwortern wie Gegnern - Unklarheiten über die ökonomische Wirkungsweise sowie über die Handhabung bzw. Auslegung des Konzeptes in der Praxis. Die Frage, wie sich ein Biosphärenreservat auf die zukünftige Entwicklung des Südharzes auswirken könnte, ist bisher nicht beantwortet worden. Es wird vor allem befürchtet, dass sich wirtschaftliche Einbußen nicht durch nachhaltige Ersatzmaßnahmen ausgleichen lassen und dass eine Bevormundung durch die Naturschutzbehörden einsetzt. Die Akteure haben großen Zweifel daran, dass eine hoheitliche, den Naturschutzbehörden angegliederte Biosphärenreservatsverwaltung sowohl die Anliegen der regionalen Wirtschaft anerkennt als auch eine Mitbestimmung der Nutzer zuläßt.
6 Schlußfolgerungen Dringender Handlungsbedarf besteht in erster Linie dann, die ökonomische Wirkungsweise von Biosphärenreservaten zu konkretisieren und nachvollziehbar zu begründen. Dieses sollte nicht nur in der Theorie geschehen. Vielmehr sind Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von bereits etablierten Biosphärenreservaten erforderlich, in denen deren Wirksamkeit in der Praxis untersucht wird und die theoretischen Potenziale überprüft werden. Zur Zeit existieren so gut wie keine wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema. Des weiteren sollte eine Suche nach Lösungswegen des strukturellen Defizites forciert werden, um der Querschnittsaufgabe von Biosphärenreservaten auch bei der Verwaltung gerecht zu werden und um die Mitbestimmung bzw. gestaltung der regionalen Akteure institutionell zu verankern. Es wäre beispielsweise denkbar, dass eine Institution mit der Aufgabe der Wirtschaftsförderung (unabhängig von der hoheitlichen Verwaltung) obligatorisch wird. Über diese Institution sollten vordringlich Pilotprojekte und Modellvorhaben in Kooperation mit der ansässigen Wirtschaft initiiert werden, die über das Spektrum der bisherigen, "traditionellen" Projekte in Biosphärenreservaten hinausgehen. Auch müßte man die Frage klären, wie man Gremien wie das Kuratorium oder den Beirat bei Entscheidungen besser einbinden könnte, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen ",Top-down"- und "Bottom-up" Entscheidungen zu schaffen. Im Endeffekt wäre also eine Dreiteilung der Verwaltung denkbar, die sich aus hoheitlichem Aufgabenträger (in der Regel die Natuschutzbehörden), einer Wirtschaftsförderungsinstitution sowie einem intensiv beteiligten Gremium aus den verschiedenen Nutzergruppen zusammensetzt. Die Konzeption der Biosphärenreservate bietet Regionen grundsätzlich gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung, die jedoch bisher nicht ausreichend vermittelt werden konnten. Eben dieser Vermittlungsprozeß sollte zukünftig stärker im Mittelpunkt stehen, um die häufig auftretenden Akzeptanzprobleme bei der Ausweisung von Biosphärenreservaten zu lösen. 1Auf eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse der Fallanalyse muß an dieser Stelle verzichtet werden, sie können aber in der Langfassung der gleichnamigen Diplomarbeit nachgelesen werden.
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